BAG Beschluss v. - 7 ABR 70/11

(Betriebsratswahl - unwirksamer Tarifvertrag nach § 3 Abs 1 Nr 3 BetrVG - Wahlanfechtung)

Leitsatz

Die mit § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG eröffnete Möglichkeit, durch Tarifvertrag vom Gesetz abweichende Arbeitnehmervertretungsstrukturen zu bestimmen, setzt einen Zusammenhang zwischen vornehmlich organisatorischen oder kooperativen Rahmenbedingungen auf Arbeitgeberseite und der wirksamen sowie zweckmäßigen Interessenvertretung der Arbeitnehmer voraus. Fehlt es hieran, ist der Tarifvertrag unwirksam.

Gesetze: § 3 Abs 1 Nr 3 BetrVG, § 19 Abs 1 BetrVG, § 1 Abs 1 BetrVG

Instanzenzug: Az: 5 BV 169/10 Beschlussvorgehend Landesarbeitsgericht Köln Az: 4 TaBV 5/11 Beschluss

Gründe

1A. Die zu 1. und zu 2. beteiligten Unternehmen machen in erster Linie die Nichtigkeit, hilfsweise die Unwirksamkeit einer am durchgeführten Betriebsratswahl geltend, aus der der zu 3. beteiligte Regionalbetriebsrat hervorgegangen ist.

2Das zu 1. beteiligte Unternehmen (künftig: H) ist das deutsche Tochterunternehmen der H Group (ehemals B-Gruppe), einem internationalen Anbieter von Unternehmensdienstleistungen. Es ist vor allem in den Bereichen des Geschäftsreise-, Reisekosten- sowie Event- und Meeting-Managements tätig. Sein Hauptsitz ist in K. Es unterhält bundesweit Betriebe und Betriebsstätten, in denen ca. 715 Mitarbeiter beschäftigt sind.

3Das zu 2. beteiligte Unternehmen (künftig: E) ist eine 51%ige Tochtergesellschaft der H mit Sitz in F und dort beschäftigten 9 Mitarbeitern. Es bietet vor allem Sport- und Fanreisen im Zusammenhang mit Spielen der deutschen Fußballnationalmannschaft an.

4Am schlossen die E L R GmbH & Co. KG als Rechtsvorgängerin der H, die E und weitere mit ihnen verbundene Unternehmen mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) einen Tarifvertrag zur Bildung einheitlicher Betriebsrats- und Gesamtbetriebsratsstrukturen (TV EBS 2002). Dieser sah ua. die Zusammenfassung näher bezeichneter Betriebe und Betriebsstätten aller Unternehmen zu Wahlregionen vor, in denen jeweils ein Regionalbetriebsrat zu wählen ist. Im Zeitpunkt des Abschlusses des TV EBS 2002 waren die Betriebe der beteiligten Unternehmen noch durch Regionalleitungen geführt. Insoweit sind in einem von H und E zur Akte gereichten Organigramm beim sog. „Client Services D“ die Regionen „Süd“, „Mitte/West“ und „Nord/Ost“ mit jeweils zuständigen „RL Account Management“ und „RL Client Services“ angeführt. Mit Wirkung ab wurden die Regionalleitungen abgeschafft und ausweislich eines Organigramms vom selben Datum die unternehmerische Leitung bei H nach Geschäftsfeldern strukturiert.

Der nach dem Ausscheiden eines am TV EBS 2002 beteiligten Unternehmens aus der Unternehmensgruppe zwischen H (damals noch E L R GmbH & Co. KG), E sowie fünf weiteren konzernangehörigen Unternehmen und ver.di neu geschlossene Tarifvertrag zur Bildung einheitlicher Betriebsrats- und Gesamtbetriebsratsstrukturen vom (TV EBS 2004) lautet auszugsweise (Hinweis: auch § 3 dieses Tarifvertrags ist exakt wiedergegeben):

6Die von allen Tarifvertragsparteien unterzeichnete Anlage (1) zum TV EBS 2004 weist neun „Betriebsrat-Regionen“ aus, ua. die Region Mitte mit 14 Betriebsstätten der H - fünf in F, eine in E, eine in La, zwei in Ba, eine in M, eine in Ho, eine in T, eine in Li, eine in He - und zwei Betriebsstätten der E in F. Nach Abschluss des TV EBS 2004 gingen vier Betriebsstätten - A, O, Es und Of - im Zuge einer Verschmelzung der nicht an dem TV EBS 2004 beteiligten E L R GmbH K (bis firmierend als E L M R GmbH) auf die H über. Für diese Betriebsstätten war ein gemeinsamer Betriebsrat gewählt. Mit Schreiben vom kündigten H, E und die anderen den TV EBS 2004 schließenden Unternehmen diesen zum .

7Am traten die Mitglieder des nach dem TV EBS 2004 für die Wahlregion Mitte im Mai 2006 gewählten Regionalbetriebsrats zurück. Der daraufhin bestellte Wahlvorstand bestand aus drei bei der H angestellten und in der Betriebsstätte F tätigen Arbeitnehmern. Die Wahlvorstandsvorsitzende wandte sich mit Mail vom an mehrere Personalverantwortliche der H und teilte mit, der Wahlvorstand benötige die „aktuelle Wählerliste für die gesamte Region Mitte (inklusive der Mitarbeiter von M in Of)“. Die Director Human Resources äußerte in ihrer Antwortmail vom die Ansicht, dass wegen der Kündigung des TV EBS 2004 und dem vereinbarten Ausschluss seiner Nachwirkung nunmehr Betriebsräte nach den gesetzlichen Strukturen zu wählen seien. In einem Mailanhang waren die Daten der Mitarbeiter der H ausgewiesen, die bestimmten - nach Auffassung der Personalleiterin iSv. §§ 1 und 4 BetrVG bestehenden - Betrieben zuzuordnen sind. Nicht aufgeführt waren zwei in einer Betriebsstätte in Ba beschäftigte Arbeitnehmer. Auf weitere Aufforderung des Wahlvorstands, der an seiner Auffassung von durchzuführenden Regionalbetriebsratswahlen nach dem TV EBS 2004 festhielt, erhielt dieser später auch die Daten der in Of sowie der von E beschäftigten Mitarbeiter mitgeteilt. In der vom Wahlvorstand erstellten Wählerliste sind die zwei Arbeitnehmer der Betriebsstätte Ba nicht angegeben. Die Stimmabgabe fand am statt. An ihr nahmen ua. die Arbeitnehmer der Betriebsstätte Of teil, diejenigen der Betriebsstätte Ba dagegen nicht. Mit Mail vom wurde das Wahlergebnis bekannt gegeben. Am fand die konstituierende Sitzung des Regionalbetriebsrats Mitte statt.

8In der nach dem TV EBS 2004 gebildeten Region Südwest 2 wurden im Jahre 2010 die Betriebsratswahlen in den nach §§ 1 und 4 BetrVG bestehenden Betrieben durchgeführt. In den Regionen Nord und West 1 wurden im Oktober bzw. November 2009 Regionalbetriebsräte auf der Grundlage des TV EBS 2004 gewählt; diese Wahlen wurden nicht angefochten. In den Regionen Süd 1, Ost und Südwest 1 besteht nach unwidersprochenem Vorbringen der zu 1. und 2. beteiligten Unternehmen kein Unterschied zwischen der tarifvertraglichen und der gesetzlichen Betriebsstruktur. In den Regionen Süd 2 und West 2 fanden die Wahlen - ebenso wie vorliegend in der Region Mitte - im März 2010 nach den Strukturen des TV EBS 2004 statt. Diese Wahlen sind von den betroffenen Arbeitgeberinnen angefochten worden.

9H und E haben mit am beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main eingegangenem Schriftsatz das vorliegende Beschlussverfahren eingeleitet mit dem Ziel der Feststellung der Nichtigkeit, hilfsweise Unwirksamkeit der Betriebsratswahl sowie dem weiteren hilfsweisen Feststellungsantrag, dass dem gewählten (Regional-)Betriebsrat ab dem ein Übergangsmandat mit der Verpflichtung zur Einleitung von Neuwahlen zukomme. Nach Verweisung des Verfahrens an das örtlich zuständige Arbeitsgericht Köln haben H und E die Auffassung vertreten, die Betriebsratswahl hätte nicht auf der Grundlage des TV EBS 2004 durchgeführt werden dürfen. Wegen des Wegfalls der Regionalleiterebene sei die von der gesetzlichen Betriebsverfassungsstruktur abweichende Bildung betriebsverfassungsrechtlicher Organisationseinheiten nach dem TV EBS 2004 nicht sachdienlich gewesen; jedenfalls sei der TV EBS 2004 während seiner Laufzeit gegenstandslos und unwirksam geworden. Auch wegen der Kündigung des TV EBS 2004 zum hätten Betriebsräte in den Betrieben entsprechend der gesetzlichen Betriebsverfassung gewählt werden müssen. Ginge man davon aus, dass auf der Grundlage des TV EBS 2004 hätte gewählt werden dürfen, sei der tarifvertraglich festgelegte Betriebsbegriff für die Region Mitte dennoch verkannt worden, weil die Baer Betriebsstätte mit ihren beiden Arbeitnehmern nicht einbezogen worden sei. Die Verkennung des Betriebsbegriffs führe - ebenso wie der weitere Wahlfehler der Besetzung des Wahlvorstands ausschließlich mit Arbeitnehmern einer Betriebsstätte von H - zur Nichtigkeit der Wahl. Jedenfalls sei die Wahl anfechtbar. Sähe man dies anders, stünde dem Regionalbetriebsrat allenfalls ein Übergangsmandat mit der daraus resultierenden Verpflichtung der unverzüglichen Bestellung von Wahlvorständen zu, weil der TV EBS 2004 ab dem nicht mehr gelte.

H und E haben beantragt

11Der Regionalbetriebsrat hat beantragt, die Anträge abzuweisen. Er hat die Zulässigkeit des Wahlanfechtungsantrags bezweifelt und sich auf den Standpunkt gestellt, der TV EBS 2004 habe als wirksam geschlossener und auch nicht unwirksam gewordener Zuordnungstarifvertrag bis gegolten, so dass am die Wahl zu Recht auf seiner Grundlage durchgeführt worden sei. Die Nichteinbeziehung der beiden in der Baer Betriebsstätte beschäftigten Arbeitnehmer habe sich nicht auf das Wahlergebnis auswirken können. Im Übrigen könne die Anfechtung der Wahl nicht auf diesen Fehler gestützt werden, weil die entsprechenden Arbeitnehmerdaten dem Wahlvorstand nicht mitgeteilt worden seien.

12Das Arbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen. Auf die Beschwerde von H und E hat das Landesarbeitsgericht dem Hilfsantrag auf Feststellung der Unwirksamkeit der Betriebsratswahl stattgegeben und die Beschwerde im Übrigen zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung H und E beantragen, erstrebt der Regionalbetriebsrat die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. H und E verfolgen mit ihrer innerhalb der nach § 95 Satz 1 bis 3 ArbGG gesetzten Äußerungsfrist zur Rechtsbeschwerdebegründung beim Bundesarbeitsgericht eingegangenen und zugleich begründeten Anschlussrechtsbeschwerde ihr Hauptziel der Feststellung der Wahlnichtigkeit weiter. Der Regionalbetriebsrat beantragt, die Anschlussrechtsbeschwerde zurückzuweisen.

13B. Die Rechtsbeschwerde und die Anschlussrechtsbeschwerde sind unbegründet.

14I. Das Landesarbeitsgericht hat dem Hauptantrag auf Feststellung der Nichtigkeit der „am durchgeführten Betriebsratswahl“ nicht entsprochen. Dagegen wendet sich die zulässige Anschlussrechtsbeschwerde von H und E ohne Erfolg. Das Beschwerdegericht hat zu Recht erkannt, dass die angegriffene Betriebsratswahl nicht nichtig ist. Es kann dahinstehen, ob die Wahl - sei es wegen der Unwirksamkeit des TV EBS 2004 oder aus anderen Gründen - unter Verkennung des Betriebsbegriffs erfolgt ist. Dies führt ebenso wenig zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl wie die Annahme einer fehlerhaften Bestellung des Wahlvorstands.

151. Eine Betriebsratswahl ist nur in ganz besonderen Ausnahmefällen nichtig. Voraussetzung dafür ist ein so eklatanter Verstoß gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr besteht. Nicht zuletzt wegen der schwerwiegenden Folgen einer von Anfang an unwirksamen Betriebsratswahl kann deren jederzeit feststellbare Nichtigkeit nur bei besonders krassen Wahlverstößen angenommen werden. Es muss sich um einen offensichtlichen und besonders groben Verstoß gegen Wahlvorschriften handeln ( - Rn. 26, AP BetrVG 1972 § 3 Nr. 9 = EzA BetrVG 2001 § 3 Nr. 5; - 7 ABR 61/10 - Rn. 39 mwN, BAGE 138, 377).

162. Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt. Obwohl wegen der Unwirksamkeit des TV EBS 2004 die Wahl des Regionalbetriebsrats Mitte unter Verkennung des Betriebsbegriffs durchgeführt wurde (siehe dazu B. II. 2. der Gründe), ist sie deshalb nicht nichtig. Auch die von H und E geltend gemachte fehlerhafte Zusammensetzung des Wahlvorstands ist nicht so schwerwiegend, dass sie die Nichtigkeit der Wahl zur Folge hätte.

17a) Die Verkennung des Betriebsbegriffs hat in der Regel nicht die Nichtigkeit, sondern nur die Anfechtbarkeit der darauf beruhenden Betriebsratswahl zur Folge (vgl.  - Rn. 26 mwN, AP BetrVG 1972 § 3 Nr. 9 = EzA BetrVG 2001 § 3 Nr. 5; - 7 ABR 61/10 - Rn. 42 mwN, BAGE 138, 377). Dies gilt auch dann, wenn es um eine Verkennung der „richtigen“ Rechtsgrundlage für die Bestimmung des Betriebsbegriffs geht, vorliegend also um die Frage, ob in den Betrieben nach §§ 1 und 4 BetrVG oder in den Organisationseinheiten nach dem TV EBS 2004 ein Betriebsrat zu wählen ist (vgl. zur Anfechtung der Wahl einer Schwerbehindertenvertretung auf der Grundlage eines unwirksamen Zuordnungstarifvertrags  - AP BetrVG 1972 § 3 Nr. 4 = EzA BetrVG 2001 § 3 Nr. 1; ebenso ErfK/Koch 13. Aufl. § 3 BetrVG Rn. 13; Fitting 26. Aufl. § 3 Rn. 23 mwN; Mückl/Koehler NZA-RR 2009, 513; aA Spinner/Wiesenecker FS Löwisch S. 375, 387 f.; Plander NZA 2002, 483, 488 f.; diff. nach der „Schwere des Verstoßes gegen die Dienlichkeitsklauseln iSv. § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 BetrVG“ Trümner/Sparchholz AiB 2009, 98). Mit § 3 Abs. 1 BetrVG ist - unter näher geregelten Voraussetzungen - die Möglichkeit eröffnet, durch Tarifvertrag von der gesetzlichen Betriebsverfassung abzuweichen. Die Tatbestandsvoraussetzungen hierfür sind unter Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe beschrieben. Bei einer Betriebsratswahl, die auf der Grundlage eines sog. Zuordnungstarifvertrags nach § 3 Abs. 1 BetrVG durchgeführt wird, ist daher die Beurteilung seiner Wirksamkeit oder Unwirksamkeit regelmäßig mit schwierigen Fragestellungen verbunden. Ist ein Zuordnungstarifvertrag vereinbart, dürfen die Betriebspartner und ein die Betriebsratswahlen einleitender Wahlvorstand zudem grundsätzlich von dessen Rechtswirksamkeit ausgehen. Die von der Anschlussrechtsbeschwerde herangezogene Entscheidung des - 7 ABR 42/97 - BAGE 88, 322) besagt nichts Gegenteiliges. In dieser Entscheidung ist ua. ausgeführt, eine Betriebsratswahl sei nichtig, wenn sie in einem Betrieb durchgeführt werde, der nach § 118 Abs. 2 BetrVG nicht unter den Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes falle, weil es sich um eine karitative und erzieherische Einrichtung einer Religionsgemeinschaft handele; insoweit fehle es von Anbeginn an den gesetzlichen Voraussetzungen für die Durchführung einer Betriebsratswahl (vgl. auch  - zu B II der Gründe, BAGE 41, 5; vgl. ferner zur Nichtigkeit eines gesetzlich nicht vorgesehenen unternehmensüberschreitenden Gesamtbetriebsrats  - Rn. 22, AP BetrVG 1972 § 47 Nr. 18 = EzA BetrVG 2001 § 47 Nr. 5). Vorliegend geht es aber nicht um die Frage, ob überhaupt ein Betriebsrat gebildet werden kann, sondern darum, für welchen Betrieb oder welche Repräsentationseinheit er zu wählen ist.

18b) Ein - unterstellter - Fehler bei der Bestellung des Wahlvorstands rechtfertigte gleichfalls nicht die Annahme einer Nichtigkeit der Wahl. In diesem Zusammenhang kann unentschieden bleiben, ob eine nichtige Wahlvorstandsbestellung die Nichtigkeit der Wahl zur Folge hätte (ebenso offengelassen von  - Rn. 45, BAGE 138, 377).

19(1) Zwischen der fehlerhaften und der nichtigen Bestellung des Wahlvorstands ist zu unterscheiden. Im Fall eines bloßen Errichtungsfehlers bleibt die Bestellung des Wahlvorstands wirksam. Die von ihm durchgeführte Betriebsratswahl kann dann zwar anfechtbar sein; sie ist aber nicht nichtig. Die Nichtigkeit der Bestellung des Wahlvorstands ist auf ausgesprochen schwerwiegende Errichtungsfehler beschränkt, die dazu führen, dass das Gremium rechtlich inexistent ist. Erforderlich ist, dass gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Errichtung in so hohem Maß verstoßen wurde, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Bestellung des Wahlvorstands nicht mehr besteht. Es muss sich um einen offensichtlichen und besonders groben Verstoß gegen die Bestellungsvorschriften der §§ 16 bis 17a BetrVG handeln (vgl.  - Rn. 47 mwN, BAGE 138, 377).

20(2) Um einen solchen Fall handelt es sich hier nicht. Zwar hätte wegen der Unwirksamkeit des TV EBS 2004 (siehe dazu B. II. 2. b) bb) der Gründe) kein Wahlvorstand für die Wahl eines Regionalbetriebsrats Mitte errichtet werden dürfen. Dieser Verstoß war aber nicht so offensichtlich und gravierend, dass er die Nichtigkeit der Bestellung des Wahlvorstands zur Folge hätte. Es handelt sich nicht um eine Sachlage, bei der nicht einmal mehr der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Bestellung des Wahlvorstands besteht.

21II. Auch die Rechtsbeschwerde des Regionalbetriebsrats, mit der dieser die dem Wahlanfechtungsantrag stattgebende Entscheidung des Landesarbeitsgerichts angreift, hat keinen Erfolg. Es kann offenbleiben, ob - wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat - bereits die Kündigung des TV EBS 2004 der erneuten Wahl eines Regionalbetriebsrats Mitte entgegenstand. Denn jedenfalls ist die angefochtene Wahl schon deshalb unwirksam und die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts im Ergebnis richtig (§ 561 ZPO), weil der TV EBS 2004 unwirksam ist und daher auf seiner Grundlage keine Betriebsratswahl durchgeführt werden durfte.

221. Die Wahlanfechtung ist zulässig.

23a) Ihre förmlichen Voraussetzungen sind erfüllt. H und E sind als Arbeitgeberinnen nach § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG anfechtungsberechtigt. Sie haben die Wahl, deren Ergebnis nicht vor dem iSv. § 18 Satz 1 WO bekannt gemacht sein kann, mit ihrer am beim Arbeitsgericht eingegangenen Antragsschrift fristgerecht innerhalb der zweiwöchigen Anfechtungsfrist nach § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG angefochten. Auch ein innerhalb der Frist des § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG bei einem örtlich unzuständigen Arbeitsgericht eingegangener Anfechtungsantrag wahrt die Anfechtungsfrist (vgl. für die Anfechtungsfrist bei der Wahl der Arbeitnehmervertreter für den Aufsichtsrat  - zu B II 1 der Gründe, AP BetrVG § 76 Nr. 10; zur Einhaltung der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG bei Eingang der Klage bei einem örtlich unzuständigen Arbeitsgericht und Verweisung an das örtlich zuständige Arbeitsgericht vgl.  - zu B II 1 der Gründe, BAGE 73, 30).

24b) Entgegen der Auffassung des Regionalbetriebsrats Mitte ist der Antrag nicht deshalb unzulässig, weil (vorangegangene) Wahlen von Betriebsräten in anderen nach dem TV EBS 2004 gebildeten Regionen unangefochten geblieben sind. Ungeachtet dessen, dass die auf der Grundlage des TV EBS 2004 im März 2010 durchgeführten Wahlen in den Regionen Süd 2 und West 2 gleichfalls angefochten worden sind, ist die Zulässigkeit einer Wahlanfechtung wegen Verkennung des tarifvertraglich gewillkürten Betriebsbegriffs nicht davon abhängig, dass alle Wahlen in den gebildeten Organisationseinheiten angegriffen werden. Dies gilt umso mehr, wenn die Wahlen nicht zeitgleich, sondern - wie hier wegen der Wahlzeitpunkte in den Regionen Nord und West 1 - zeitlich versetzt stattgefunden haben (vgl.  - Rn. 20 bis 23, AP BetrVG 1972 § 3 Nr. 9 = EzA BetrVG 2001 § 3 Nr. 5).

252. Die Wahlanfechtung ist begründet. Bei der Wahl des Regionalbetriebsrats Mitte wurde der Betriebsbegriff verkannt. Die Wahl hätte nicht in der nach dem TV EBS 2004 festgelegten Wahlregion Mitte durchgeführt werden dürfen. Der TV EBS 2004 ist unwirksam. Er entspricht nicht den Erfordernissen des § 3 Abs. 1 BetrVG. Offenbleiben kann, ob er auch wegen Verstoßes gegen das Gebot der Normenklarheit und Bestimmtheit insgesamt unwirksam wäre.

26a) Nach § 19 Abs. 1 BetrVG kann die Wahl eines Betriebsrats angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, durch den Verstoß konnte das Wahlergebnis nicht verändert oder beeinflusst werden. Ein solcher Verstoß liegt ua. vor, wenn bei der Wahl der betriebsverfassungsrechtliche Betriebsbegriff verkannt wurde (vgl.  - zu C I 1 der Gründe mwN, AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 55 = EzA BetrVG 2001 § 19 Nr. 1). Gleiches gilt, wenn eine Betriebsratswahl unter Anwendung eines unwirksamen Tarifvertrags nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 BetrVG durchgeführt wurde (vgl.  - Rn. 11, BAGE 131, 277) oder der Wahlvorstand bei der Anwendung eines wirksamen Tarifvertrags nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 BetrVG die danach maßgebliche betriebsverfassungsrechtliche Organisationseinheit verkannt hat (vgl.  - Rn. 29, AP BetrVG 1972 § 3 Nr. 9 = EzA BetrVG 2001 § 3 Nr. 5).

27b) Hiernach ist die streitbefangene Wahl anfechtbar. Sie hat unter Anwendung eines unwirksamen Tarifvertrags stattgefunden. Der TV EBS 2004 legt von der gesetzlichen Betriebsverfassung abweichende Strukturen fest, ohne den hierfür vorgesehenen gesetzlichen Voraussetzungen zu genügen.

28aa) Der TV EBS 2004 bestimmt andere als die gesetzlichen Betriebsverfassungsstrukturen.

29(1) Die Wahl von Betriebsräten erfolgt nach § 1 Abs. 1 BetrVG grundsätzlich in den Betrieben. § 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und § 4 BetrVG enthalten Regelungen zu gemeinsamen Betrieben mehrerer Unternehmen und zu Betriebsteilen und Kleinstbetrieben.

30(2) Hiervon abweichend sind im TV EBS 2004 Organisationseinheiten festgelegt, in denen Regionalbetriebsräte gewählt werden. Die Organisationseinheiten sind geografisch-regional bezeichnet und einerseits statisch durch die Aufzählung der der jeweiligen Region zugehörigen Betriebsstätten (vgl. § 3 Satz 1 und Satz 2 TV EBS 2004 iVm. dessen Anlage (1)), andererseits dynamisch durch die Bestimmungen über neu hinzukommende Betriebsstätten (vgl. § 3 Satz 3 bis 5 TV EBS 2004) beschrieben. Nach der Anlage (1) zum TV EBS 2004 sind in den Regionen Nord, Mitte und West 2 Betriebsstätten jeweils zweier Unternehmen zusammengefasst. Außerdem wird gemäß § 5 TV EBS 2004 „für die vom Geltungsbereich dieses Tarifvertrages erfassten Unternehmen“ - also nach § 1 letzter Punkt des TV EBS 2004 für die den Tarifvertrag schließenden Unternehmen - ein einheitlicher Gesamtbetriebsrat „im Sinne des § 47 Abs. 1 BetrVG errichtet“. Auch diese Bildung eines unternehmensübergreifenden Gesamtbetriebsrats weicht von der gesetzlichen Betriebsverfassung ab (vgl. zu einem Verstoß gegen § 47 BetrVG bei der gemeinsamen Bildung eines Gesamtbetriebsrats für verschiedene Unternehmen  - Rn. 15 ff., AP BetrVG 1972 § 47 Nr. 18 = EzA BetrVG 2001 § 47 Nr. 5 im Anschluss an  - Rn. 19 mwN, BAGE 121, 168).

31bb) Die abweichenden Regelungen sind unwirksam. Der TV EBS 2004 entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 3 Abs. 1 BetrVG.

32(1) Die Möglichkeit einer vom Gesetz abweichenden Ausgestaltung der Repräsentationsstrukturen der Arbeitnehmer in der Betriebsverfassung ist den Tarifvertragsparteien nur in dem durch § 3 Abs. 1 BetrVG bestimmten Umfang eröffnet. Danach können durch Tarifvertrag unter bestimmten Voraussetzungen unternehmenseinheitliche oder betriebsübergreifende Betriebsräte (Nr. 1 Buchst. a und Buchst. b), Spartenbetriebsräte (Nr. 2) oder andere Arbeitnehmervertretungsstrukturen (Nr. 3) bestimmt werden. Die vereinbarten Tarifnormen gelten auch für die Arbeitnehmer, die nicht Mitglieder der abschließenden Gewerkschaft sind. Nach § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 2 TVG ist für die unmittelbare und zwingende Wirkung von betriebsverfassungsrechtlichen Tarifnormen die Tarifbindung des Arbeitgebers ausreichend (vgl.  - Rn. 15, BAGE 131, 277). § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 BetrVG ist verfassungsgemäß. Die Vorschrift verstößt nicht gegen die negative Koalitionsfreiheit der nicht oder anders organisierten Arbeitnehmer und beruht auf einer ausreichend legitimierten Delegation staatlicher Normsetzungsbefugnisse (ausf.  - Rn. 16 ff., aaO). Die betriebsverfassungsrechtlichen Tarifnormen treten in ihrem Geltungsbereich aber nur dann an die Stelle der im Betriebsverfassungsgesetz enthaltenen organisatorischen Bestimmungen, wenn sie den Anforderungen des § 3 Abs. 1 BetrVG genügen. Die Gültigkeit eines nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 BetrVG abgeschlossenen Tarifvertrags unterliegt der Kontrolle durch die Gerichte für Arbeitssachen, die bei der Auslegung und der Anwendung der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 BetrVG verwandten unbestimmten Rechtsbegriffe die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Delegation staatlicher Normsetzungsbefugnis an die Tarifvertragsparteien ebenso berücksichtigen müssen, wie die sich aus der Betriebsverfassung ergebenden Grundsätze für die Bildung demokratisch legitimierter Arbeitnehmervertretungen (ausf.  - Rn. 22, aaO).

33(2) Der TV EBS 2004 genügt nicht den Voraussetzungen der von den Tarifvertragsparteien in Anspruch genommenen Gestaltungsbefugnis nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG.

34(a) Der TV EBS 2004 muss den Anforderungen des § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG entsprechen. Es handelt sich nicht um einen Tarifvertrag iSv. § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG, denn er legt keine Spartenbetriebsräte fest. Auch die Gestaltungsmöglichkeit nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ist mit der im TV EBS 2004 vereinbarten Betriebsrats- und Gesamtbetriebsratsstruktur von vornherein überschritten.

35(aa) Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG kann durch Tarifvertrag für Unternehmen mit mehreren Betrieben die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats (Buchst. a) oder die Zusammenfassung von Betrieben (Buchst. b) bestimmt werden, wenn dies die Bildung von Betriebsräten erleichtert oder einer sachgerechten Wahrnehmung der Interessen der Arbeitnehmer dient. Die Gestaltungsmöglichkeiten beziehen sich nach dem Wortlaut von § 3 Abs. 1 Nr. 1 Eingangssatz BetrVG auf „Unternehmen“. Sie eröffnen damit keine Dispositionsbefugnis der Tarifvertragsparteien zur Festlegung unternehmensübergreifender Repräsentationseinheiten, selbst wenn ein Unternehmen gemeinsam mit einem anderen Unternehmen einen Gemeinschaftsbetrieb führt (vgl.  - zu B I 3 b bb (1) der Gründe, AP BetrVG 1972 § 3 Nr. 4 = EzA BetrVG 2001 § 3 Nr. 1, wo die Bildung von unternehmensübergreifenden „Standortbetriebsräten” in einem näher bezeichneten Tarifvertrag als allein nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG in Betracht kommend beurteilt worden ist; so auch Franzen GK-BetrVG 9. Aufl. § 3 Rn. 10; Fitting 26. Aufl. § 3 Rn. 27, 33; H/S/W/G/N/R-Rose 8. Aufl. § 3 Rn. 47; Richardi in Richardi BetrVG 13. Aufl. § 3 Rn. 18; WPK/Preis BetrVG 4. Aufl. § 3 Rn. 10; aA - allerdings nur zum unternehmenseinheitlichen Betriebsrat iSv. § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a BetrVG - ErfK/Koch 13. Aufl. § 3 BetrVG Rn. 3; vgl. auch HaKo-BetrVG/Kloppenburg 3. Aufl. § 3 Rn. 33; DKKW-Trümner 13. Aufl. § 3 Rn. 47, allerdings unter Rn. 48 ff. auch ablehnend zur Begründung eines Gemeinschaftsbetriebs durch Zuordnungstarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG; sogar dies halten wiederum wohl für denkbar Löwisch/Kaiser BetrVG 6. Aufl. § 3 Rn. 6). Ebenso erfasst § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nicht die Bildung eines unternehmensübergreifenden Gesamtbetriebsrats.

36(bb) Der TV EBS 2004 fasst nicht Betriebsstätten eines Unternehmens, sondern solche mehrerer Unternehmen zusammen, wie es in einigen Wahlregionen in seiner Anlage (1) explizit festgelegt und im Hinblick auf neu hinzukommende Betriebsstätten auch in anderen Wahlregionen jederzeit möglich ist. Außerdem installiert der TV EBS 2004 einen unternehmensübergreifenden Gesamtbetriebsrat. Diese Tarifbestimmungen sind nur nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG und nicht nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG möglich.

37(b) Der TV EBS 2004 entspricht nicht der mit § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG eröffneten Gestaltungsbefugnis. Deren Tatbestandsvoraussetzung lag bereits im Zeitpunkt des Abschlusses des TV EBS 2004 nicht vor.

38(aa) Nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG können durch Tarifvertrag „andere Arbeitnehmervertretungsstrukturen“ bestimmt werden, „soweit dies insbesondere aufgrund der Betriebs-, Unternehmens- oder Konzernorganisation oder aufgrund anderer Formen der Zusammenarbeit von Unternehmen einer wirksamen und zweckmäßigen Interessenvertretung der Arbeitnehmer dient“. Hierbei kommt den Tarifvertragsparteien - ebenso wie bei § 3 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BetrVG - ein Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum zu. Allerdings ist mit § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG die Organisation der Betriebsverfassung nicht gänzlich in die Disposition der Tarifvertragsparteien gestellt. § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ermöglicht tarifvertragliche Vereinbarungen vielmehr nur insoweit, als sie den Voraussetzungen der gesetzlichen Öffnungsklausel entsprechen. Die Voraussetzungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG sind von denen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BetrVG abzugrenzen. Erforderlich ist für § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ein Zusammenhang zwischen vornehmlich organisatorischen oder kooperativen Spezifika auf Arbeitgeberseite und wirksamer sowie zweckmäßiger Interessenvertretung der Arbeitnehmer. Die vereinbarte Struktur muss im Hinblick auf diesen Zusammenhang zur Vertretung der Arbeitnehmerinteressen „besser geeignet“ sein als die gesetzliche. Dieses Verständnis folgt aus einer am Wortlaut und der Systematik, vor allem aber an Sinn und Zweck orientierten Auslegung von § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG, für die auch verfassungsrechtliche Gründe streiten.

39(aaa) Bereits der in § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG verwendete Ausdruck „aufgrund“ macht deutlich, dass zwischen der Errichtung anderer Arbeitnehmervertretungsstrukturen einerseits und der „Betriebs-, Unternehmens- oder Konzernorganisation“ oder „anderer Formen der Zusammenarbeit von Unternehmen“ andererseits notwendig ein Kausalzusammenhang bestehen muss. Aus der Verwendung des Wortes „insbesondere“ ergibt sich zwar, dass die Umstände, die eine Vereinbarung alternativer Arbeitnehmervertretungsstrukturen veranlassen können, nicht abschließend beschrieben sind. Sie müssen aber mit den in § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG genannten Gegebenheiten wertungsmäßig vergleichbar sein.

40(bbb) Systematisch ist es geboten, die Voraussetzungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG von denen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BetrVG abzugrenzen. Nach Nrn. 1 und 2 des § 3 Abs. 1 BetrVG ist den Tarifvertragsparteien eine Regelungsbefugnis eröffnet, wenn dies die Bildung von Betriebsräten erleichtert oder einer sachgerechten Wahrnehmung der Interessen der Arbeitnehmer (Nr. 1) bzw. der Aufgaben des Betriebsrats (Nr. 2) dient. Im Unterschied hierzu knüpft § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG an besondere Umstände - vornehmlich betriebs-, unternehmens- oder konzernbezogene organisatorische oder unternehmenskooperative Rahmenbedingungen - an. Die Nrn. 1 und 2 von § 3 Abs. 1 BetrVG wären überflüssig, wenn seiner Nr. 3 kein davon abzugrenzender Regelungsgehalt zukäme.

41(ccc) Sinn und Zweck von § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG gehen nicht dahin, den Tarifvertragsparteien die gesetzlichen Arbeitnehmervertretungsstrukturen zur freien Disposition zu stellen. Vielmehr geht es darum, in besonderen Konstellationen, in denen sich die im BetrVG vorgesehene Organisation für eine wirksame und zweckmäßige Interessenvertretung der Arbeitnehmer als nicht ausreichend erweist, die Möglichkeit zu eröffnen, in einem Tarifvertrag durch eine Änderung der Strukturen der Arbeitnehmervertretung für Abhilfe zu sorgen (so auch Fitting 26. Aufl. § 3 Rn. 48). Sinn und Zweck gebieten daher ein Verständnis dahingehend, dass die wirksame und zweckmäßige Interessenvertretung der Arbeitnehmer eine Relation zu den in der Norm beschriebenen organisatorischen oder kooperativen oder ähnlichen Besonderheiten aufweisen muss. Mit § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG soll die Möglichkeit eröffnet sein, „über die in Nummer 1 und 2 genannten speziellen Fälle hinaus auch dort eine wirksame und zweckmäßige Interessenvertretung der Arbeitnehmer zu errichten, wo dies aufgrund von Sonderformen der Betriebs-, Unternehmens- oder Konzernorganisation oder der Zusammenarbeit von Unternehmen in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht generell mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist. … Darüber hinaus hat die Regelung den Sinn, den Tarifvertragsparteien zu ermöglichen, auf zukünftige neue Entwicklungen von Unternehmensstrukturen in Produktion und Dienstleistung angemessen zu reagieren und entsprechende Arbeitnehmervertretungssysteme errichten zu können, ohne dabei auf ein Tätigwerden des Gesetzgebers angewiesen zu sein“ (vgl. BT-Drucks. 14/5741 S. 34). Der mit dem Ziel einer Flexibilisierung erklärte Regelungsgehalt ist damit einerseits durch einen Bezug zum gesetzlichen Vertretungsmodell beschrieben: Die mit dem Betriebsverfassungsgesetz verfolgten Zwecke müssen innerhalb einer alternativen Repräsentationsstruktur besser erreicht werden können als im Rahmen des gesetzlichen Vertretungsmodells (so auch zB Annuß NZA 2002, 290, 292; ErfK/Koch 13. Aufl. § 3 BetrVG Rn. 6; Franzen GK-BetrVG 9. Aufl. § 3 Rn. 22; Kania/Klemm RdA 2006, 22, 23). Andererseits ist ein Bedürfnis nach alternativen Arbeitnehmervertretungsstrukturen nur insoweit anerkannt, als aufgrund bestimmter - vornehmlich organisatorischer oder funktionaler - Rahmenbedingungen die Errichtung einer wirksamen und zweckmäßigen Interessenvertretung rechtlich oder tatsächlich „generell mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist“.

42(ddd) Verfassungsrechtlich ist es angezeigt, die materiellen Anforderungen an einen Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG nicht allzu weit zu verstehen. Durch einen solchen Tarifvertrag werden auch Arbeitnehmer einer vom Gesetz abweichenden Arbeitnehmervertretungsstruktur unterworfen, gegenüber denen die Geltung des Tarifvertrags nicht mitgliedschaftlich legitimiert ist. Dies ist zwar grundsätzlich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. im einzelnen  - Rn. 19 ff., BAGE 131, 277). Die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit beruht aber gerade auf dem Umstand, dass § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG inhaltliche Anforderungen an den Tarifvertrag stellt, deren Erfüllung die Gerichte für Arbeitssachen überprüfen können ( - Rn. 22, aaO).

43(bb) Gemessen an diesem Normverständnis entspricht die in dem TV EBS 2004 festgelegte andere Arbeitnehmervertretungsstruktur nicht der Voraussetzung von § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Auch unter Berücksichtigung des den Tarifvertragsparteien zustehenden Beurteilungs- und Gestaltungsspielraums ist nicht erkennbar, dass die Bildung von Regionalbetriebsräten und die Errichtung eines unternehmensübergreifenden Gesamtbetriebsrats einen Bezug zu organisatorischen, kooperativen oder in ihrer Wertung ähnlichen Rahmenbedingungen auf Seiten der den TV EBS 2004 schließenden Unternehmen aufweisen. Im Gegenteil: Genau der Aspekt, der für die Dienlichkeit der Tarifgestaltung streiten könnte, lag bei Abschluss des TV EBS 2004 nicht (mehr) vor. In diesem Zeitpunkt war die Regionalstruktur und Regionalleitungsebene der beteiligten Unternehmen aufgegeben. Die offensichtlich von den Tarifvertragsparteien noch mit dem TV EBS 2002 bezweckte Kongruenz von Regionalbetriebsräten und tatsächlichen Entscheidungsträgern auf Seiten der Unternehmen war damit von vornherein nicht - mehr - zu erreichen.

44cc) Danach kann unentschieden bleiben, ob der TV EBS 2004 dem Gebot der Bestimmtheit und Normenklarheit entspricht (hierzu allg. [mit Bezug auf einen Zuordnungstarifvertrag]  - Rn. 36 mwN, AP BetrVG 1972 § 3 Nr. 9 = EzA BetrVG 2001 § 3 Nr. 5). Ungeachtet der Frage, ob sich dies auf den gesamten TV EBS 2004 auswirken würde, liegt allerdings eine Unbestimmtheit von § 3 Satz 3 und Satz 5 TV EBS 2004 nicht fern. Die Tarifbestimmungen ordnen neu hinzukommende Betriebsstätten - zu unterschiedlichen Zeitpunkten - „den jeweiligen Regionen“ zu. Die Regionen sind im TV EBS 2004 iVm. seiner Anlage (1) aber lediglich durch Himmelsrichtungen - zT mit weiteren numerischen Unterteilungen - sowie bereits zugeordnete Betriebsstätten beschrieben und nicht etwa durch geografische Grenzen festgelegt. Es dürfte daher nicht bei jeder hinzukommenden Betriebsstätte klar sein, welche Region die „jeweilige“ sein soll. Diese Unwägbarkeit relativierte sich auch nicht durch ein Verständnis von § 3 Satz 3 und Satz 5 TV EBS 2004 dahingehend, die „jeweilige“ richtige Region in Abhängigkeit von der arbeitgeberseitigen Leitungszuständigkeit zu bestimmen, denn eben diese Regionalleitungsstruktur war bereits seit aufgegeben.

III. Der nur für den Fall des Unterliegens mit dem Wahlanfechtungsantrag gestellte Antrag zu 3. ist dem Senat nicht zur Entscheidung angefallen.

Fundstelle(n):
BB 2013 S. 756 Nr. 13
DB 2013 S. 2156 Nr. 38
DB 2013 S. 28 Nr. 12
DB 2013 S. 6 Nr. 21
GmbHR 2013 S. 121 Nr. 8
BAAAE-36722