Zukunftsvisionen bei der Rechnungslegung
Der Fokus-Beitrag der Autoren Gerd Straub, Bernd Schwab und Anja Morawietz hat beim Editor wieder einmal einige „bilanzphilosophische” Gedankengänge in Bewegung gesetzt. Dabei stellt der erste Aufhänger für die Gehirnakrobatik der Vergleich zu unserer nationalen Rechnungslegung nach HGB/EStG dar. Die Autoren schreiben von einem „langwierigen und komplexen Prozess”, welcher der Veröffentlichung des Standardentwurfs vorangegangen ist. Dabei war der Auslöser die Nicht- bzw. zu späte Berücksichtigung zu erwartender Verluste bei Finanzinstrumenten in den verschiedenen „Krisen” der vergangenen Jahre bei Kreditinstituten.
Der Standardentwurf will eine frühzeitige Erfassung der expected losses erreichen. Der Standardsetzungsprozess unterliegt hier mehr als sonst dem Druck der internationalen Lobbyfronten. Das mag ein Grund für den Ausstieg des IASB aus dem Gemeinschaftsprojekt mit dem FASB gewesen sein. Das langwierige Taktieren mit verschiedenen Ansatzversuchen des Boards kann man bemängeln, sollte dann aber gleichzeitig den Blickwinkel auf die nationale Rechnungslegung richten. Und hier zeigt sich das genaue Gegenteil zur Vorgehensweise des IASB: (Auch) durch das BilMoG hat sich bezüglich der möglichen oder zwingenden Abschreibungserfordernisse auf Finanzinstrumente rein gar nichts geändert. Es verbleibt bei der voraussichtlich dauernden Wertminderung als Abschreibungskriterium, das niemand definieren kann und deshalb dem Bilanzierer weitgehende Ermessensspielräume zur bilanzpolitischen Gestaltung in die Hand gibt. Dabei sollte man von der sterilen Warte eines Editors oder Autors oder Wissenschaftlers oder Richters nicht selbstgerecht mit dem langen Finger auf unbotmäßig erscheinende Bilanzierungsentscheidungen zu (Nicht-)Abschreibungen auf Finanzwerte zeigen. Schließlich ist dem bilanzierenden Vorstand ebenso wenig wie anderen Vertretern der species humana der heißersehnte Blick in die Zukunft eröffnet. Der Bilanzierer bewegt sich gerade im Bereich der Finanzinstrumente in besonders unsicherem Gelände, das der – wenn ich ihn so titulieren darf – Bilanzphilosoph Herman Clemm in den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts als „Nebelfelder” bezeichnet hat. Dieses Faktum stellt den ökonomischen Hintergrund der Präsentation des IASB zur Bilanzierung solcher dem Grunde nach meistens nicht eindeutig oder auch nur näherungsweise quantifizierbarer Verluste bestimmter Kategorien der Finanzinstrumente dar.
Der Entwurf provoziert einmal mehr die Kritiker, die seit einiger Zeit aus der Ecke der deutschen Rechnungslegungs-Kommentatoren verkündet wird, nämlich die ungemeine Komplexität der IFRS-Rechnungslegung. Ist deshalb das rein prinzipienorientierte Recht des HGB vorzugswürdig? Das IASB will die bilanzpolitische Hoheit des Managements auf diesem Gebiet mit – nochmals: sehr komplexen – Regeln einschränken, ob mit Erfolg oder nicht; der Gesetzgeber des HGB macht schon gar nicht erst den Versuch einer Einschränkung dieses bilanziellen Nirwana. Wer beim Bilanzieren diesen Freiraum wünscht, wird sicherlich das HGB bevorzugen und umgekehrt.
Die Bilanzierung bleibt nun einmal eine Mischung aus Dichtung und Wahrheit. Der IASB will die poetische Teilmenge letztlich durch ein immenses Volumen an Anhangerläuterungen einschränken mit der impliziten Aufforderung an die Abschlussadressaten: Wir können dem Management keine Vorgabe zur exakten Erfassung der Wertminderungen liefern, Ihr könnt stattdessen durch Parametervariation selbst den Euch richtig erscheinenden Abschluss zurechtbasteln.
Wolf-Dieter Hoffmann
Fundstelle(n):
PiR 5/2013 Seite 1
NWB KAAAE-35063