BFH Beschluss v. - X R 16/11

Anforderungen an die Büroorganisation

Leitsatz

1. Der Prozessbevollmächtigte darf die Erledigung mechanischer Tätigkeiten untergeordneter Art einer zuverlässigen Bürokraft überlassen; hierzu gehört auch die Berechnung einfacher Fristen. Unterläuft der Fachkraft bei der Notierung oder Überwachung von Fristen ein Versehen, braucht der Prozessbevollmächtigte dieses nicht als eigenes Verschulden zu vertreten, wenn er alle Vorkehrungen getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen geeignet sind, eine Fristversäumnis auszuschließen, und er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für das Befolgen seiner Anordnungen Sorge trägt.
2. Die Begründungsfristen sowohl für Revisionen als auch für Nichtzulassungsbeschwerden gehören nicht zu den üblichen, häufig vorkommenden und einfach zu berechnenden Fristen, so dass der Prozessbevollmächtigte in diesen Fällen bei der Prüfung und Überwachung des Personals zu besonderer Sorgfalt verpflichtet ist.

Gesetze: FGO § 56 Abs. 1

Instanzenzug:

Gründe

1 I. Der erkennende Senat hatte auf eine entsprechende Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) mit Beschluss vom die Revision gegen das klageabweisende Urteil der Vorinstanz zugelassen. Dieser Beschluss wurde dem Prozessbevollmächtigten (P) der Klägerin am zugestellt. In der Folgezeit verlängerte der Vorsitzende des erkennenden Senats auf entsprechende Anträge des P die Revisionsbegründungsfrist mehrfach, zuletzt mit Schreiben der Senatsgeschäftsstelle vom —bei P nach dessen Angaben eingegangen am (Freitag)— bis zum (Montag).

2 Da innerhalb der verlängerten Frist keine Revisionsbegründung beim Bundesfinanzhof (BFH) einging, wies der Senatsvorsitzende P mit einem am zugestellten Schreiben auf den Fristablauf und die Vorschrift des § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hin.

3 Am beantragte P, die Frist für die „Beschwerdebegründung” bis zum zu verlängern und wegen der Versäumung der „Beschwerdebegründungsfrist” Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ebenfalls am reichte er einen Schriftsatz mit Revisionsanträgen und einer kurzen Rechtsmittelbegründung beim BFH ein. Den Wiedereinsetzungsantrag begründete er am dahingehend, dass seine bisher stets zuverlässig arbeitende Fristsachbearbeiterin (F) den Tag des Ablaufs der verlängerten „Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde” nicht als Frist, sondern als Termin in die Fristenüberwachung eingetragen habe. F hat in einer beigefügten „Stellungnahme und eidesstattlichen Versicherung” —die keinen Hinweis auf die Strafbarkeit falscher eidesstattlicher Versicherungen enthält— erklärt, sie habe das Datum des Fristablaufs „als jederzeit verlängerbaren Termin” angesehen, „bei dessen Überschreiten auch keine unmittelbaren Rechtsnachteile zu erwarten waren”.

4 Zur Organisation des Fristenwesens in seiner Kanzlei hat P vorgetragen, alle fristauslösenden oder einen Termin enthaltenden Schreiben würden an ihrem Eingangstag in eine Tabelle mit der Bezeichnung „Bescheid — Fristen — Termin — Übersicht” eingetragen. Zusätzlich würden die Schreiben in einem eigenen Fristenordner gesammelt und dort im Fach des jeweiligen Sachbearbeiters abgelegt. Ab dem Tag des Eingangs würden die Fristen und Termine täglich anhand der Übersicht überwacht. Zusätzlich erfolge am Freitag einer jeden Woche eine Durchsicht zur Feststellung, welche Bescheidprüfungen, Fristen oder Termine in der nächsten Woche bearbeitet werden müssten. Die Bearbeitung durch den Sachbearbeiter werde bis zum ersten, spätestens aber bis zum zweiten Freitag vorgenommen, der dem Eingangstag folge. Seit dem sei P der einzige Berufsträger in der Kanzlei.

5 Die Klägerin beantragt sinngemäß,

ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Revisionsbegründungsfrist zu gewähren, das angefochtene Urteil sowie die Einspruchsentscheidung vom aufzuheben und die Einkommensteuer 1999 unter Änderung des Bescheids vom auf 0 DM festzusetzen.

6 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt) hat keinen ausdrücklichen Antrag gestellt, vertritt aber die Auffassung, dass weder die Revisionsbegründung den Anforderungen des § 120 Abs. 3 Nr. 2 FGO genüge noch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist zu gewähren sei.

7 II. Die Revision ist unzulässig und gemäß § 126 Abs. 1 FGO durch Beschluss zu verwerfen.

8 1. Die Klägerin hat die Revisionsbegründungsfrist des § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO versäumt. Diese Frist war gemäß § 120 Abs. 2 Satz 3 FGO zuletzt bis zum verlängert worden. Eine kurze Revisionsbegründung ist indes erst am —nach Fristablauf— beim BFH eingegangen.

9 2. Wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist kann der Klägerin keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden.

10 a) Die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt voraus, dass der Beteiligte ohne Verschulden verhindert war, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten (§ 56 Abs. 1 FGO). Dabei ist dem Beteiligten ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten gemäß § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 155 FGO zuzurechnen (, BFH/NV 2006, 96, unter II.2.a). Allerdings darf der Prozessbevollmächtigte die Erledigung mechanischer Tätigkeiten untergeordneter Art einer zuverlässigen Bürokraft überlassen; hierzu gehört auch die Berechnung einfacher und in dem jeweiligen Büro geläufiger Fristen. Unterläuft einer solchen Fachkraft bei der Notierung oder Überwachung von Fristen ein Versehen, braucht der Prozessbevollmächtigte dieses nicht als eigenes Verschulden zu vertreten. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass er alle Vorkehrungen getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen geeignet sind, eine Fristversäumnis auszuschließen, und er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für das Befolgen seiner Anordnungen Sorge trägt (vgl. zum Ganzen Senatsbeschluss vom X R 112/92, BFH/NV 1994, 328, unter 2.). Dabei ist zu beachten, dass die Begründungsfristen sowohl für Revisionen als auch für Nichtzulassungsbeschwerden nicht zu den üblichen, häufig vorkommenden und einfach zu berechnenden Fristen gehören, so dass der Prozessbevollmächtigte in diesen Fällen bei der Prüfung und Überwachung des Personals zu besonderer Sorgfalt verpflichtet ist (Senatsbeschluss vom X B 95/07, BFH/NV 2008, 969, unter II.2.b aa, m.w.N.).

11 b) Diese Anforderungen sind im Streitfall nicht erfüllt.

12 Nach dem Vorbringen der Klägerin beruht die Fristversäumnis darauf, dass F die vom BFH verlängerte Revisionsbegründungsfrist nicht als Frist, sondern als Termin eingetragen hatte, und in der Folgezeit die Angelegenheit nicht weiter bearbeitete, weil sie der Auffassung war, dass beim Überschreiten derartiger Termine keine unmittelbaren Rechtsnachteile zu erwarten seien.

13 Dieses Vorbringen lässt darauf schließen, dass in der Kanzlei des P keine den gesetzlichen Anforderungen genügenden Anweisungen zum Umgang mit gerichtlichen Fristen bestanden. Zwar mag die bloße Fehleintragung eines Termins statt einer Frist durch F dem P —und damit der Klägerin— nicht als eigenes Verschulden zuzurechnen sein. Kausal für die Fristversäumnis war aber neben dieser Fehleintragung auch der spätere Umgang der F mit der aus ihrer Sicht bestehenden Terminvorgabe des BFH. Es ist schlechterdings unvorstellbar, dass eine Bürokraft, die durch den Prozessbevollmächtigten ordentlich in die ihr übertragene Frist- und Terminüberwachung eingewiesen worden ist und in ihrer Tätigkeit regelmäßig überwacht wird, annehmen könnte, ein von einem Gericht —aus ihrer Sicht— gesetzter Termin könne ohne Rechtsnachteile überschritten werden. Abgesehen davon, dass P sich im Übrigen nicht dazu geäußert hat, in welcher Weise er seine Bürokräfte in Fragen der Fristüberwachung belehrt und überwacht, deuten diese Angaben darauf hin, dass in der Kanzlei ein nachlässiger Umgang mit gesetzten Terminen besteht. Dieser Organisationsmangel stellt ein eigenes Verschulden des P dar, das der Klägerin zuzurechnen ist.

14 3. Der am gestellte Antrag auf Verlängerung der bereits am abgelaufenen Revisionsbegründungsfrist ist unbeachtlich, da die Revisionsbegründungsfrist gemäß § 120 Abs. 2 Satz 3 FGO nur auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag verlängert werden kann (vgl. , BFH/NV 2001, 608, unter II.4.).

15 4. Danach braucht der Senat nicht mehr zu entscheiden, ob die Revision auch deshalb unzulässig ist, weil die Revisionsbegründung nicht die Anforderungen des § 120 Abs. 3 Nr. 2 FGO erfüllt.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2013 S. 962 Nr. 6
OAAAE-34671