Tarifauslegung - Berücksichtigung von Elternzeit bei der Stufensteigerung - Redaktionsversehen
Gesetze: § 1 TVG
Instanzenzug: ArbG Frankfurt Az: 4 Ca 9457/09 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 17 Sa 938/10 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche der Klägerin und in diesem Zusammenhang über die Auslegung einer tarifvertraglichen Regelung.
Die Klägerin ist bei der Beklagten als Purserette I in Teilzeit beschäftigt. In § 2 des Arbeitsvertrages vom heißt es:
3Die Klägerin wurde zunächst nach der Beschäftigungsgruppe „Stewardessen/Stewards/Kabinenbesatzungen Kontinent Stufe 00“ und ab dem Monat September 1996 nach der Stufe 1 vergütet. Nach Stufensteigerungen erhielt sie seit dem Monat September 2005 eine Vergütung nach der Stufe 10 der maßgebenden Grundvergütungstabelle. In der Zeit vom bis befand sie sich in Elternzeit. Danach zahlte die Beklagte weiterhin eine Vergütung auf Grundlage der Stufe 10 der Grundvergütungstabelle. Die Klägerin verlangte erfolglos eine Anpassung der Stufen unter Berücksichtigung ihrer Elternzeit.
4Mit ihrer Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt und ausgeführt: Sie habe einen Anspruch auf ein Entgelt nach der Stufe 12 und ab dem Monat September 2008 nach der Stufe 13 des Vergütungstarifvertrages Nr. 36 für das Kabinenpersonal (vom - VTV Nr. 36). Die Elternzeit sei bei den Stufensteigerungen zu berücksichtigen. Der VTV Nr. 36 sehe für vor dem eingestellte Mitarbeiter die weitere Geltung des § 3 Vergütungstarifvertrag Nr. 35 für das Kabinenpersonal (vom - VTV Nr. 35) idF vom vor. Anders als § 3 Abs. 5 Unterabs. 2 VTV Nr. 36 nehme der VTV Nr. 35 Elternzeiten bei der Ermittlung der Vergütungsstufe nicht aus.
Die Klägerin hat - soweit für die Revision von Bedeutung - zuletzt beantragt,
6Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie meint, die Tarifvertragsparteien hätten unabhängig vom Einstellungsdatum der Mitarbeiter vereinbart, Beschäftigungszeiten, in denen das Arbeitsverhältnis länger als drei Monate ununterbrochen geruht habe, bei den Stufensteigerungen nicht mehr zu berücksichtigen. Bereits mit der „Konzertierten Aktion Kabine“ vom sei eine Neufassung des VTV vereinbart worden, wie sie sich jetzt im VTV Nr. 36 wiederfinde. Soweit der VTV Nr. 36 nicht auf die mit der „Konzertierten Aktion Kabine“ vom vereinbarte Fassung des VTV Nr. 35 verweise, sondern irrtümlich auf das Datum der Tarifvereinbarung „Konzertierte Aktion Cockpit“ vom Bezug nehme, handele es sich um ein Redaktionsversehen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten - soweit für die Revision von Bedeutung - zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Klageabweisung. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.
Gründe
8Die Revision der Beklagten ist begründet. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist die Klage unbegründet. Die Klägerin kann keine Vergütung nach der Stufe 12 der Grundvergütungstabelle des VTV Nr. 36 beanspruchen. Die Elternzeit der Klägerin ist bei den Stufensteigerungen nicht zu berücksichtigen.
9I. Auf das Arbeitsverhältnis finden aufgrund arbeitsvertraglicher Inbezugnahme die für den Bereich Kabinenbesatzungen Kontinent geltenden Tarifverträge Anwendung.
10II. Danach sind für den vorliegenden Rechtsstreit die folgenden Vereinbarungen der Tarifvertragsparteien maßgebend:
1. Nach dem VTV Nr. 35 gilt für die Grundvergütung und Stufensteigerung:
2. Am vereinbarten die Tarifvertragsparteien die „Konzertierte Aktion Kabine“, die auszugsweise wie folgt lautet:
Anlage 2 zu Buchst. A) Nr. 4 der „Konzertierten Aktion Kabine“ regelt ua.:
3. Der am geschlossene VTV Nr. 36 enthält folgende Bestimmungen:
15III. In Anwendung dieser tariflichen Regelungen bleiben bei der Ermittlung der Stufensteigerungen Zeiten, in denen das Arbeitsverhältnis der Parteien infolge Elternzeit geruht hat, wie es auch § 3 Abs. 5 Unterabs. 2 VTV Nr. 36 vorsieht, nach der Nr. 2 der Anlage 2 zu Buchst. A) Nr. 4 der „Konzertierten Aktion Kabine“ vom unberücksichtigt. Soweit in der Fußnote * zum Wort „Grundvergütung“ des § 3 VTV Nr. 36 im Zusammenhang mit § 3 VTV Nr. 35 die Fassung vom „“ genannt wird, handelt es sich um ein Redaktionsversehen. Für die vor dem eingestellten Mitarbeiter wird vielmehr auf den § 3 VTV Nr. 35 idF der „Konzertierten Aktion Kabine“ verwiesen.
161. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann trotz des Wortlauts der Fußnote * zu dem Wort „Grundvergütung“ in § 3 VTV Nr. 36 - bei der es sich nach den Maßstäben der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. nur - 4 AZR 33/09 - Rn. 17 mwN) um eine tarifliche Regelung mit Normcharakter handelt - nicht davon ausgegangen werden, dass für Mitarbeiter mit Einstellungsdatum vor dem § 3 VTV Nr. 35 mit der „Mindestvergütungstabelle gültig ab “ gelten soll, wie er am vereinbart wurde. Vielmehr ist von einem Redaktionsversehen auszugehen (zu den Anforderungen vgl. - BAGE 82, 1; - 4 AZR 412/93 - zu II 3 b cc der Gründe, AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 175; - 4 AZR 114/90 - BAGE 66, 177). Das ergibt die Auslegung des Tarifvertrages (zu den Maßstäben etwa - Rn. 26 mwN, BAGE 129, 238).
17a) Bereits der Wortlaut der Fußnote * zum Wort „Grundvergütung“ des § 3 VTV Nr. 36 ist unklar.
18aa) Mit der Formulierung „in der Fassung“ wird grundsätzlich auf ein konkretes Abschluss- oder Änderungsdatum eines Tarifvertrages verwiesen. Damit soll der zeitlich maßgebende Regelungsbestand konkretisiert werden. Für einen solchen Sprachgebrauch der Tarifvertragsparteien des VTV Nr. 36 spricht etwa die Fußnote * zu § 3 Abs. 2 VTV Nr. 35 („Für Mitarbeiter mit Einstellungsdatum vor gilt § 3 II in der Fassung des VTV Nr. 34.“).
19Ein VTV Nr. 35 „in der Fassung vom “ existiert jedoch nicht. Allerdings haben die Tarifvertragsparteien für den vorliegend betroffenen Bereich „Kabinenpersonal“ am eine „Konzertierte Aktion Kabine“ vereinbart. Demgegenüber gehört das in der Fußnote genannte Datum zu einer Vereinbarung dieser Tarifvertragsparteien für einen anderen Bereich - die „Konzertierte Aktion Cockpit“. Bereits dieser Zusammenhang legt ein Redaktionsversehen nahe.
20bb) Es kann weiter nicht davon ausgegangen werden, die Fußnote * verweise auf den VTV Nr. 35, wie er zu einem bestimmten Zeitpunkt gegolten hat. Zwar enthält der VTV Nr. 35 in § 3 Abs. 8 für einzelne Zeiträume unterschiedliche Vergütungstabellen, darunter eine „Mindestvergütungstabelle gültig ab “. Diese war jedoch bereits Bestandteil des am geschlossenen VTV Nr. 35. Angesichts dessen wäre bei Zugrundelegen der vom Landesarbeitsgericht vertretenen Auffassung, es solle im Jahre 2005 auf den ab dem geltenden Regelungsbestand verwiesen werden, die Nennung des Datums „in der Fassung vom “ überflüssig.
21b) Für ein Redaktionsversehen sprechen zudem der tarifliche Gesamtzusammenhang und der erkennbare Regelungszweck.
22aa) Der VTV Nr. 36 regelt wie seine Vorgängertarifverträge umfassend die Vergütung für das Kabinenpersonal. § 3 VTV Nr. 36 sieht neben der Grundvergütung und der Schichtzulage Stufensteigerungen unter bestimmten Voraussetzungen vor. § 3 Abs. 8 VTV Nr. 36 enthält die Grundvergütungstabelle „gültig ab *“. Nach der in der Fußnote * zu dieser Tabelle genannten „Protokollnotiz III“ werden „mit Wirkung zum … die individuellen Grundvergütungen sowie die Tabelleneckwerte … um die vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung für das jeweilige Vorjahr veröffentlichte durchschnittliche Entwicklung der Tarifentgeltabschlüsse im gesamten deutschen Wirtschaftsgebiet (West) - mindestens um 2,5 % - erhöht“ und „mit Wirkung zum … um den zu diesem Zeitpunkt“ ermittelten „‚Verbraucherpreisindex’“.
23bb) Nach der Auffassung des Landesarbeitsgerichts fände aufgrund der Fußnote * zum Wort „Grundvergütung“ des § 3 VTV Nr. 36 für die vor dem eingestellten Mitarbeiter § 3 VTV Nr. 35 („in der Fassung vom “) und damit die dort in Abs. 8 für die Zeit ab dem gültige Mindestvergütungstabelle Anwendung. An weiteren Vergütungssteigerungen, die der VTV Nr. 36 regelt, würde dieser Beschäftigtenkreis dann nicht teilhaben. Es kann mangels entsprechender Anhaltspunkte allerdings nicht angenommen werden, die Tarifvertragsparteien wollten für diese Beschäftigten deren Vergütung auf dem Stand vom „einfrieren“. Davon gehen auch weder die Klägerin, die zur Berechnung ihrer begehrten Differenzansprüche die Vergütungsregelungen des VTV Nr. 36 für das Jahr 2008 zugrunde legt, noch das Landesarbeitsgericht aus. Die Beklagte sieht dies ebenfalls nicht anders.
24cc) Gegen einen solchen Regelungswillen spricht schließlich § 3 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 4 VTV Nr. 36, der ausdrücklich zwischen Mitarbeitern, die vor und nach dem eingestellt wurden, unterscheidet. Bei einer vollständigen Verweisung auf § 3 VTV Nr. 35 für die vor dem eingestellten Mitarbeiter wäre diese Unterscheidung überflüssig.
252. Die Auslegung der Fußnote * zum Wort „Grundvergütung“ des § 3 VTV Nr. 36 unter Berücksichtigung des Redaktionsversehens der Tarifvertragsparteien (zu den Maßstäben - BAGE 66, 177) ergibt, dass auf den § 3 VTV Nr. 35 in der Fassung verwiesen wird, die er durch die „Konzertierte Aktion Kabine“ vom erhalten hat.
26a) Bei der „Konzertierten Aktion Kabine“ vom einschließlich deren Anlage 2 handelt es sich um einen Tarifvertrag. Die Tarifvertragsparteien haben diese Vereinbarung zwar nicht ausdrücklich als Tarifvertrag bezeichnet. Nach deren Begrifflichkeit und Inhalt werden tarifliche Rechte und Pflichten der Tarifgebundenen in der Form von Inhaltsnormen iSv. § 4 Abs. 1, § 1 Abs. 1 Halbs. 2 TVG begründet (zu den Beurteilungsmaßstäben im Einzelnen etwa - Rn. 24 mwN, NZA 2013, 220) und nicht nur auf an anderer Stelle vereinbarte oder erst noch zu vereinbarende Regelungen verwiesen (vgl. - Rn. 28).
27In Buchst. A) Nr. 3 wird die Dauer des Erholungsurlaubs bestimmt, durch Buchst. A) Nr. 4 iVm. Nr. 1 der Anlage 2 die bisherigen Vergütungsregelungen des VTV Nr. 35 durch Einführung von Vorschaltstufen in der Vergütungstabelle gem. § 3 Abs. 8 VTV Nr. 35 geändert und weiterhin in Buchst. A) Nr. 4 iVm. Nr. 2 der Anlage 2 die Nichtberücksichtigung von Beschäftigungszeiten bei Stufensteigerungen geregelt, wenn das Arbeitsverhältnis länger als drei Monate ununterbrochen ruht. Zudem wird in Buchst. A) Nr. 5 Buchst. a die Laufzeit des VTV Nr. 35 unter Berücksichtigung der vereinbarten Modifikationen „wieder in Kraft gesetzt“ und bis zum verlängert. Unmittelbar festgelegt werden zudem die Entgelterhöhungen zum und (Buchst. B) Nr. 1 Buchst. a und b). Schließlich wird durch den Buchst. C) über das Inkrafttreten der Bestimmungen der Wille zur Normsetzung deutlich.
28b) Das Auslegungsergebnis - wonach der VTV Nr. 35 in der Fassung gilt, die er durch die tarifvertraglichen Änderungen der „Konzertierten Aktion Kabine“ vom erhalten hat, und es sich bei dem Datum des „“ um ein Redaktionsversehen handelt - entspricht auch einer sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren tariflichen Regelung (zu diesem Kriterium s. nur - Rn. 18, ZTR 2008, 315; - 4 AZR 412/93 - zu II 3 b aa der Gründe, AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 175).
29aa) Durch den in der Fußnote * zum Wort „Grundvergütung“ des § 3 VTV Nr. 36 enthaltenen Verweis auf den VTV Nr. 35 idF der „Konzertierten Aktion Kabine“ werden die durch diesen Tarifvertrag in Buchst. B) Nr. 1 erhöhten Vergütungsregelungen für vor dem eingestellte Mitarbeiter wirksam, die auch § 3 Abs. 8 VTV Nr. 36 iVm. Protokollnotiz III übernommen hat. Dadurch ist gewährleistet, dass der in dieser Fußnote bestimmte Mitarbeiterkreis an den Entgeltsteigerungen teilnimmt.
30bb) Damit wird entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht lediglich auf den VTV Nr. 35 als solchen verwiesen. Die in § 3 Abs. 8 VTV Nr. 36 enthaltene neue Vergütungsstruktur würde ohne diesen Verweis in der Fußnote * zum Wort „Grundvergütung“ auch für Mitarbeiter mit einem Einstellungsdatum vor dem gelten. Dann wären bei deren Stufenzuordnung auch die neuen sog. Vorschaltstufen zu berücksichtigen, weil § 3 VTV Nr. 36 bei den Beschäftigungszeiten insoweit keine Ausnahmen enthält. Durch den Verweis auf den VTV Nr. 35 idF der „Konzertierten Aktion Kabine“ verbleibt es für diesen Mitarbeiterkreis aufgrund der Bestimmung in der Nr. 1 der Anlage 2 zu Buchst. A) Nr. 4 „Konzertierte Aktion Kabine“ bei der bisherigen Regelung des VTV Nr. 35, der diese vorgeschalteten Stufen nicht kennt.
313. In der Folge sind nach § 3 VTV Nr. 35 idF des Buchst. A) Nr. 4 iVm. Nr. 2 der Anlage 2 der „Konzertierten Aktion Kabine“ vom (ebenso wie nach § 3 Abs. 5 Satz 5 VTV Nr. 36) Beschäftigungszeiten, in denen das Arbeitsverhältnis wegen Elternzeit länger als drei Monate ununterbrochen geruht hat, bei den Stufensteigerungen nicht zu berücksichtigen, weshalb der Klägerin, die sich in der Zeit vom bis zum in Elternzeit befand, für den streitgegenständlichen Zeitraum keine Vergütung nach der Stufe 12 der Grundvergütungstabelle des VTV Nr. 36 zusteht.
32Anders als die Nr. 1 der Anlage 2 zu Buchst. A) Nr. 4 der „Konzertierten Aktion Kabine“ vom sieht die Nr. 2 auch keine Einschränkungen oder Ausnahmen für bestimmte Mitarbeiter vor. Es handelt sich bei Nr. 1 und Nr. 2 der Anlage 2 zu Buchst. A) Nr. 4 der „Konzertierten Aktion Kabine“ um unterschiedliche und in keinem unmittelbaren Zusammenhang stehende Regelungskomplexe. Es kann daher auch nicht aus systematischen Gründen angenommen werden, die einschränkende Regelung über den personellen Anwendungsbereich der Vorschaltstufen solle auch für die Nichtberücksichtigung von Beschäftigungszeiten gelten, in denen das Arbeitsverhältnis mehr als drei Monate ununterbrochen ruht.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
DB 2013 S. 8 Nr. 15
CAAAE-34516