Krankenversicherung - häusliche Krankenpflege - mehrere Vereinbarungen über die Vergütung von Leistungen - keine Kündigung nur einer Vereinbarung während Laufzeit der übrigen Vereinbarungen - Klage - Leistungserbringer gegen Krankenkasse - Beteiligtenstreit im sogenannten Gleichordnungsverhältnis
Leitsatz
Stehen Vereinbarungen über die Vergütung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege in einem untrennbaren Zusammenhang, ist eine Kündigung nur einer Vereinbarung während der Laufzeit der übrigen Vereinbarungen nicht möglich.
Gesetze: § 69 S 3 SGB 5 vom , § 69 Abs 1 S 3 SGB 5 vom , § 132a Abs 1 S 4 Nr 6 SGB 5, § 132a Abs 2 S 1 SGB 5, § 132a Abs 2 S 5 SGB 5, § 132a Abs 2 S 6 SGB 5 vom , § 56 SGB 10, § 54 Abs 5 SGG, § 293 BGB, §§ 293ff BGB
Instanzenzug: Az: S 81 KR 2890/07 Urteilvorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Az: L 1 KR 140/09 Urteil
Tatbestand
1Streitig ist die weitergehende Vergütung für Leistungen der häuslichen Krankenpflege in der Zeit von Februar 2008 bis Ende Oktober 2010.
2Die Klägerin erbringt Leistungen der häuslichen Krankenpflege für Versicherte der beklagten Krankenkasse und erhält hierfür nach § 15 des für die Rechtsbeziehungen der Beteiligten grundlegenden "Vertrages gemäß § 132 a Abs. 2 SGB V" vom bzw Entgelte nach Maßgabe der "jeweils gültigen Vergütungsvereinbarung". Diese Vergütungsvereinbarungen sind Folge von Verhandlungen zwischen der Beklagten und dem AnbieterVerband qualitätsorientierter Gesundheitspflegeeinrichtungen eV (AVG), dessen Mitglied die Klägerin ist; die Ergebnisse werden im Anschluss durch Einzelverträge zwischen den Mitgliedern des Verbands und der Beklagten umgesetzt. Zuletzt vor dem hier im Streit stehenden Vergütungszeitraum galt die "Vergütungsvereinbarung zum Vertrag nach § 132 a Abs. 2 SGB V vom " vom (in der Folge: Vergütungsvereinbarung vom ), mit der die beteiligten Leistungserbringer einerseits zum eine gut 4%ige Absenkung der Leistungspauschalen im Vergleich zur vorherigen Vergütungsperiode hinnehmen mussten und die Klägerin andererseits zum "mit Bezug" auf eine zeitgleich ebenfalls über den AVG ausgehandelten "Qualitätsvereinbarung zur Ergänzung des Vertrages gemäß § 132 a Abs. 2 SGB V (häusliche Krankenpflege)" vom (in der Folge: Qualitätsvereinbarung vom ) einer weiteren Kürzung ihrer Leistungsentgelte um 2 % zugestimmt hatte (Ziff 5 Vergütungsvereinbarung vom ). Gleichzeitig hatte die Beklagte der Klägerin und den übrigen teilnehmenden Mitgliedern des AVG in dieser Qualitätsvereinbarung ab dem optional einen Qualitätszuschlag in Höhe von bis zu 3 % der Leistungsentgelte nach Maßgabe der Vergütungsvereinbarung eingeräumt, der im Wesentlichen von der Mitwirkung an Erhebungen zur Leistungsqualität abhängig war (Ziff 1 der Anlage 4 Qualitätsvereinbarung vom ).
4Die Beteiligten führten die Qualitätsvereinbarung vom zunächst fort, konnten sich in der Folgezeit aber offensichtlich nicht auf eine modifizierte Qualitätsvereinbarung einigen. Daraufhin kündigte der Pflegebereichsleiter der Beklagten B. die Qualitätsvereinbarung vom mit Schreiben vom zum .
5Die Klage mit dem Ziel der Feststellung der Fortgeltung der Qualitätsvereinbarung vom über den hinaus ist erfolglos geblieben (), ebenso die anschließende Berufung (): Die Kündigung der Beklagten sei wirksam, insbesondere sei eine isolierte Kündigung der Qualitätsvereinbarung möglich gewesen. Auch dem Schreiben vom lasse sich lediglich die Absicht entnehmen, über eine neue Qualitätsvereinbarung zu verhandeln; der Abschluss einer neuen Qualitätsvereinbarung sei hingegen nicht zugesagt worden. Ebenfalls sei dem Schreiben nicht zu entnehmen, dass die Beklagte auf ihr Kündigungsrecht habe verzichten wollen.
6Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie habe das Angebot der Beklagten, die Qualitätsvereinbarung fortzuführen, angenommen, indem sie die dem Schreiben vom beigefügte Vergütungsvereinbarung unterzeichnet zurückgesandt habe. Eine isolierte Kündigung der Qualitätsvereinbarung sei nicht zulässig gewesen. Zudem sei die Kündigung nicht wirksam erklärt worden, weil der Pflegebereichsleiter der Beklagten B. nur als Bote und nicht als autorisierter Behördenvertreter gehandelt habe.
7In der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat haben die Beteiligten einen an das Ergebnis des Revisionsverfahrens anknüpfenden Teilvergleich über weiteres Entgelt in Höhe von 2417,47 Euro geschlossen, weil die Klägerin den ihr zustehenden Vergütungsanspruch für den hier streitigen Zeitraum auf 37 850,78 Euro beziffert hat, nach Berechnung der Beklagten jedoch mögliche Vergütungsansprüche nur in Höhe von 35 433,31 Euro aufgelaufen sind.
8Die Klägerin beantragt,die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom und des Sozialgerichts Berlin vom zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr für den Zeitraum bis einen weiteren Qualitätszuschlag in Höhe von 35 433,31 Euro zu zahlen.
9Die Beklagte verteidigt die angegriffenen Entscheidungen und beantragt,die Revision zurückzuweisen.
Gründe
10Die Revision der Klägerin ist begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen im Wege der (echten) Leistungsklage (dazu 1.) geltend zu machenden Anspruch auf weitergehende Vergütung für Leistungen der häuslichen Krankenpflege in der Zeit vom bis in Höhe von mindestens 35 433,31 Euro. Dies ergibt sich aus der Qualitätsvereinbarung vom , die auch noch im streitigen Zeitraum - gemeinsam mit der neuen Vergütungsvereinbarung vom - Grundlage für die von der Beklagten geschuldete Vergütung gewesen ist (dazu 2.). Die von der Beklagten am erklärte Kündigung der Qualitätsvereinbarung vom ist unwirksam (dazu 3.). Dem Anspruch der Klägerin steht zudem nicht entgegen, dass sie ihren Verpflichtungen aus der Qualitätsvereinbarung im streitigen Zeitraum nicht mehr nachgekommen ist (dazu 4.). Die Klage ist auch der Höhe nach begründet, soweit der Senat darüber nach dem im Revisionsverfahren geschlossenen Teilvergleich noch zu befinden hatte (dazu 5.).
111. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der von der Klägerin geltend gemachte Qualitätszuschlag als Teil der Vergütung für die Versorgung mit häuslicher Krankenpflege im Zeitraum bis . Diesen Anspruch macht die Klägerin zu Recht mit der (echten) Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG gegen die Beklagte geltend. Die Klage eines Leistungserbringers gegen die Krankenkasse auf Zahlung zu Unrecht nicht erbrachter Vergütung im Sinne des § 132a SGB V ist - wie hier - ein sog Beteiligtenstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt, kein Vorverfahren durchzuführen und keine Klagefrist einzuhalten ist (stRspr, vgl zuletzt zu § 132a SGB V BSG SozR 4-2500 § 132a Nr 1 RdNr 5). Der Zulässigkeit des Klagebegehrens steht nicht entgegen, dass die Klägerin erst im Revisionsverfahren von der ursprünglich erhobenen - unzulässigen - Feststellungsklage zur Leistungsklage übergegangen ist, denn hierin liegt mangels einer Änderung des Klagegrundes keine im Sinne von § 168 S 1 SGG verbotene Klageänderung, sondern eine nach § 99 Abs 3 Nr 2 SGG uneingeschränkt zulässige Antragsänderung (stRspr, vgl zB BSG SozR 4-2500 § 125 Nr 6 RdNr 12; vgl auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 99 RdNr 4 mwN).
122. Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs eines Pflegedienstes gegen die Krankenkasse wegen der Versorgung Versicherter mit häuslicher Krankenpflege ist § 132a Abs 2 S 1 SGB V in Verbindung mit ergänzenden vertraglichen Vereinbarungen. Konkret sieht § 132a Abs 2 S 1 und 5 SGB V den Abschluss von Verträgen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern "über die Einzelheiten der Versorgung mit häuslicher Krankenpflege, über die Preise und deren Abrechnung" vor und verlangt lediglich, dass die Krankenkassen auf das wirtschaftliche und preisgünstige Erbringen von Leistungen zu achten haben (vgl BSG SozR 3-2500 § 132a Nr 1). Zudem hat der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 69 SGB V durch Art 1 Nr 26 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 (GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000) vom (BGBl I 2626) klargestellt, dass die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und der Leistungserbringer insgesamt nur noch nach öffentlichem Recht zu bewerten sind, wobei nach § 69 S 3 SGB V die Vorschriften des Zivilrechts entsprechend anwendbar sein sollen, soweit sie mit den Vorgaben des § 70 SGB V und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach dem Vierten Kapitel SGB V vereinbar sind (BSG SozR 4-2500 § 132a Nr 1 RdNr 6).
13a) Im vorliegenden Fall haben die Beteiligten ergänzende Verträge über die Einzelheiten der Versorgung mit häuslicher Krankenpflege sowie über die Preise und deren Abrechnung geschlossen, und zwar den Rahmenvertrag nach § 132a Abs 2 SGB V vom bzw sowie die für den maßgeblichen Zeitraum maßgebliche Vergütungsvereinbarung vom . Darüber hinaus haben sie sich über die Fortgeltung der Qualitätsvereinbarung vom geeinigt, so dass der hier streitbefangene Qualitätszuschlag auch über den hinaus Bestandteil der zwischen den Beteiligten vereinbarten Vergütungsregelung geblieben ist. Zwar haben die Beklagte und sinngemäß ebenso die Vorinstanzen zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei der Qualitätsvereinbarung vom sowohl nach ihrem Titel ("… zur Ergänzung des Vertrages gemäß § 132 a Abs. 2 SGB V") als auch nach der Präambel und dem Regelungsgehalt in den §§ 1 bis 5 vorrangig um eine zusätzliche Vereinbarung mit dem abgrenzbaren Inhalt der Fortentwicklung des Qualitätsmanagements in der häuslichen Krankenpflege gehandelt habe; diese Bewertung wird jedoch den zwischen den Beteiligten getroffenen - komplexen - Vergütungsregelungen im Ergebnis nicht gerecht. Denn die am zwischen den Beteiligten getroffenen Entgeltvereinbarungen - ca 4%ige Absenkung der Leistungspauschalen im Vergleich zur vorherigen Vergütungsperiode, zusätzlicher 2%iger Vergütungsverzicht der Klägerin und die gleichzeitig vereinbarte bis zu 3%ige Kompensationsmöglichkeit "für die Transparenz und Qualität der Prozesssteuerung" - lassen eine isolierte Betrachtung nicht zu. Die Bestimmungen der jeweils am getroffenen Qualitäts- und Vergütungsvereinbarung greifen derart ineinander, dass bei objektiver Betrachtung von einer einheitlichen Entgeltregelung auszugehen ist.
14Dies folgt auch daraus, dass die Einhaltung der Verpflichtungen der Qualitätsvereinbarung nicht nur Auswirkungen auf das Entstehen und die Höhe des Qualitätszuschlags - also das in der Qualitätsvereinbarung geregelte Entgelt - entfaltet, sondern darüber hinaus auf die gesamte Vergütung durchschlägt, auch soweit diese in der Vergütungsvereinbarung geregelt ist. Denn die Geltung der Vergütungsvereinbarung vom endet für den Fall der Verweigerung der Teilnahme an der AVG-Qualitätsanalyse nach § 3 Abs 1 der Qualitätsvereinbarung, ohne dass es einer gesonderten Kündigung bedarf (Ziff 5 S 1 Vergütungsvereinbarung vom ). Andererseits sieht die Qualitätsvereinbarung keinen eigenständig berechneten Zuschlag vor, sondern koppelt diesen unmittelbar an die "bestehende Vergütung" (Ziff 1 S 1 Anlage 4 zur Qualitätsvereinbarung vom ).
15Der in der Vergütungsvereinbarung geregelte Entgeltverzicht (Ziff 5 S 2 Vergütungsvereinbarung vom ) kann unter Berücksichtigung des Grundsatzes beiderseits interessengerechter Interpretation des Vertragswerks nur im Zusammenhang mit der Option auf den Qualitätszuschlag nach der Qualitätsvereinbarung gelesen werden. Denn es ist objektiv kein Interesse der Klägerin erkennbar, sich den weitgehenden Anforderungen der Qualitätsvereinbarung zu stellen und gleichzeitig nach externer Qualitätsanalyse - unabhängig von deren Ergebnis - auf 2 % der vereinbarten Vergütung zu verzichten. Ein solcher Verzicht kann unter Würdigung der Interessenlage der Klägerin und der Marktmacht der beklagten Krankenkasse vielmehr nur als gerechtfertigt angesehen werden, wenn diesem der nach der Qualitätsvereinbarung mögliche Zuschlag in Höhe von bis zu 3 % der Gesamtvergütung gegenübersteht, so dass die Klägerin bei Nachweis entsprechender Qualität im Ergebnis ein höheres Entgelt erreichen kann. Von diesem Zusammenhang ist auch im Hinblick darauf auszugehen, dass beide Vereinbarungen am und damit an demselben Tag von den Beteiligten unterzeichnet worden sind.
16b) Diese Einheit der Vergütungsregelungen in Qualitäts- und Vergütungsvereinbarung wurde weder durch den Ablauf der Geltungszeit der Qualitätsvereinbarung zum noch durch den Abschluss der neuen Vergütungsvereinbarung vom für die Zeit ab aufgelöst. Die Beteiligten haben sich vielmehr darüber geeinigt, bis zur Einigung über eine modifizierte - neue - Qualitätsvereinbarung neben der Vergütungsvereinbarung vom auch die Qualitätsvereinbarung vom fortzuführen.
17Dies folgt aus dem die neue Vergütungsvereinbarung übermittelnden Anschreiben der Beklagten an die Klägerin vom . Danach sollte die Qualitätsvereinbarung vom zunächst fortgeführt und eine neue Qualitätsvereinbarung auf der Grundlage der Qualitätsanalyse des AVG mit neuen Bewertungsmaßstäben zur erbrachten Pflegequalität und zur Bemessung der Qualitätszuschläge einvernehmlich erarbeitet und zeitnah bis Mitte 2007 in die Praxis umgesetzt werden. Die neu verhandelte Qualitätsvereinbarung sollte die fortgeführte Vereinbarung vom "nahtlos für die verbleibende Restlaufzeit der Vergütungsvereinbarung bis " ablösen. Diese Erklärung ist bei objektiver Würdigung dahin zu verstehen, dass für die Zeit vom bis neben der Vergütungsregelung in der Vergütungsvereinbarung vom weiterhin ein Anspruch auf den variablen Qualitätszuschlag nach der Qualitätsvereinbarung vom besteht, soweit eine neue Qualitätsvereinbarung noch nicht in Kraft gesetzt ist. Dass hiervon - zumindest zu dem für die Auslegung maßgeblichen Zeitpunkt der Angebotsannahme (vgl Ellenberger in Palandt, BGB, 72. Aufl 2013, § 133 RdNr 6b) - auch die Beklagte ausging, ergibt sich schon daraus, dass die Qualitätsvereinbarung vom hinsichtlich des Qualitätszuschlags über den hinaus vollzogen und schlussendlich förmlich von der Beklagten gekündigt worden ist. Letzteres wäre nicht nötig gewesen, wenn man - wie die Beklagte wohl meint - davon ausgehen würde, dass eine wirksame Einigung über die Fortgeltung der Qualitätsvereinbarung vom nicht zustande gekommen ist.
18c) Die neue Vergütungsvereinbarung vom iVm der prolongierten Qualitätsvereinbarung vom ist wirksam in Kraft gesetzt worden, insbesondere ist das Schriftformerfordernis nach § 56 SGB X erfüllt.
19Dabei ist maßgebliche Vertragsurkunde nicht allein die von den Beteiligten unterzeichnete Urkunde über die Vergütungsvereinbarung vom . Vielmehr haben sich die Beteiligten in Form eines Briefwechsels auf den Inhalt der Vergütungsvereinbarung unter Fortgeltung der Qualitätsvereinbarung vom geeinigt. Das entsprechende Angebot der Beklagten besteht im Anschreiben vom , mit dem die Beklagte um Rücksendung der unterzeichneten Vergütungsvereinbarung gebeten und Ausführungen zur Fortgeltung der Qualitätsvereinbarung vom gemacht hat. Die Annahme dieses Angebots durch die Klägerin liegt in der Rücksendung der unterzeichneten Vergütungsvereinbarung an die Beklagte. Darauf, dass sich die beiderseitigen Erklärungen damit nicht auf derselben Urkunde befinden (§ 56 SGB X iVm § 126 Abs 2 BGB), kommt es vorliegend nicht an. Denn eine derartige Urkundeneinheit - also der Unterschrift der Vertragspartner auf nur einer Urkunde - ist bei Verträgen zwischen Leistungsträgern und Leistungserbringern nicht erforderlich. Nach der Rechtsprechung des BSG kann bei koordinationsrechtlichen öffentlich-rechtlichen Verträgen zwischen Leistungsträgern und Leistungserbringern vom Erfordernis der Urkundeneinheit abgesehen werden, denn der mit dem Schriftformerfordernis des § 56 SGB X erstrebten Dokumentations- und Schutzfunktion kommt hier nicht dieselbe Bedeutung zu wie bei subordinationsrechtlichen Verträgen. Ausreichend für die Erfüllung der Schriftform ist in diesen Fällen die willensmäßige Übereinstimmung schriftlich in verschiedenen Urkunden abgegebener Willenserklärungen (vgl BSGE 69, 238, 241 = SozR 3-1200 § 52 Nr 2 S 23 - jeweils mwN; BSG SozR 4-2500 § 133 Nr 6 RdNr 15 mwN; ebenso Engelmann in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 56 RdNr 7 mwN).
20d) Der erkennende Senat ist zu der aufgezeigten Auslegung berechtigt. Das Revisionsgericht kann eine vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung des Vergütungsvertrages allerdings nur in beschränktem Maße überprüfen, denn dieser gehört nicht zum revisiblen Recht nach § 162 SGG. Er stellt weder Bundesrecht dar noch sonstiges Recht, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt; seine Wirkung beschränkt sich auf diesen Bezirk (hier: Land Berlin). Das Revisionsgericht kann die Rechtsanwendung des LSG deshalb nur darauf überprüfen, ob die Art und Weise der Auslegung gegen allgemeine Rechtsgrundsätze, Denkgesetze, allgemeine Auslegungsgrundsätze und Erfahrungssätze verstößt oder ob das Auslegungsergebnis bundesrechtliche Normen verletzt. Ein Verstoß gegen Bundesrecht liegt dabei nicht schon dann vor, wenn das Revisionsgericht aus seiner Sicht zu einer anderen Vertragsauslegung kommen würde. Bundesrecht ist vielmehr erst dann verletzt, wenn das Berufungsgericht den Rahmen zulässiger Auslegung überschritten und damit die Bindung an Gesetz und Recht (Art 20 Abs 3 GG) missachtet - Willkürverbot - oder wenn es bei der Auslegung bundesrechtliche Normen herangezogen hat, die den ihnen beigelegten Regelungsgehalt nicht aufweisen (BSGE 88, 215, 219 = SozR 3-3300 § 9 Nr 1 S 5; BSG SozR 3-6935 Allg Nr 1 und SozR 4-2500 § 112 Nr 3). Bei Verträgen mit normativer Wirkung gegenüber Dritten ist überdies zu beachten, dass die Auslegung nicht am subjektiven Willen der Vertragspartner, sondern an der objektiven Erklärungsbedeutung auszurichten ist (stRspr, vgl zB BSG SozR 4-2500 § 109 Nr 7 RdNr 21 mwN; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 162 RdNr 4 ff mwN).
21Im vorliegenden Fall ist indes zu beachten, dass das LSG die neue Vergütungsvereinbarung vom iVm der prolongierten Qualitätsvereinbarung vom überhaupt nicht geprüft und ausgelegt, sondern sich fast ausschließlich mit dem angeblichen Kündigungsrecht der Beklagten befasst hat. Der erkennende Senat konnte deshalb das streitige Vergütungsregime eigenständig auslegen und anwenden (stRspr, vgl zB BSGE 108, 14 = SozR 4-3300 § 82 Nr 5, RdNr 25 mwN; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 162 RdNr 7b mwN). Darüber hinaus sind Vereinbarungen revisionsgerichtlich immer uneingeschränkt überprüfbar, wenn sie sog "typische" Verträge darstellen, die in einer Vielzahl von Fällen - häufig unter Benutzung von Vertragsformularen - geschlossen werden (BSG SozR 4-2500 § 133 Nr 6 RdNr 24 mwN). Um einen solchen Fall handelt es sich hier, da sowohl die Qualitätsvereinbarung vom als auch die Vergütungsvereinbarungen von demselben Tag sowie vom - wie Musterverträge - zwischen der Beklagten und dem AVG ausgehandelt worden sind und als solche von der Klägerin unverändert übernommen werden konnten. In diesem Sinne ist auch das Anschreiben der Beklagten vom zu werten, das mit gleichem Inhalt nicht nur an die Klägerin, sondern an alle Mitglieder des AVG übermittelt worden ist.
223. Die Beklagte hat die für den streitigen Zeitraum vereinbarten Entgeltregelungen - insbesondere die prolongierte Qualitätsvereinbarung vom - nicht wirksam gekündigt.
23§ 132a SGB V enthält - anders als zB § 112 Abs 4 S 1 SGB V - keine Regelung über die Möglichkeit einer (Teil-)Kündigung. Die Frage, ob eine (Teil-)Kündigung möglich ist, ist damit anhand der konkret zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen zu beantworten. Auf deren Grundlage konnte die Beklagte die Geltung der Qualitätsvereinbarung vom nicht mit ihrem Schreiben vom wirksam kündigen.
24a) Die Ausübung des in § 8 Qualitätsvereinbarung vom dem Grunde nach vorgesehenen Kündigungsrechts war wegen widersprüchlichen Verhaltens der Beklagten rechtsmissbräuchlich und damit unzulässig.
25Die Rechtsordnung missbilligt widersprüchliches Verhalten eines Beteiligten im Grundsatz nicht; Beteiligte dürfen insbesondere ihre Rechtsansicht ändern (vgl - BGHZ 162, 175, 181). Rechtsmissbräuchlich ist widersprüchliches Verhalten erst dann, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen. Eine Rechtsausübung kann deshalb unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf schutzwürdig erscheinen (vgl - WM 2013, 47 mwN). Die Anwendung dieses Sonderfalls des Grundsatzes von Treu und Glauben ist auch im Sozialrecht seit langem anerkannt (stRspr, vgl zuletzt BSG SozR 4-1500 § 67 Nr 10 mwN; - USK 2011, 161, Juris RdNr 21 mwN).
26Die Kündigung der Beklagten ist sachlich unvereinbar mit ihrer Erklärung in dem Schreiben vom . Dort hatte die Beklagte angeboten, dass eine noch auszuhandelnde "modifizierte Qualitätsvereinbarung … die bis dahin prolongierte Vereinbarung nahtlos für die verbleibende Restlaufzeit der Vergütungsvereinbarung bis " ablöst. Bei objektiver Betrachtung dieses Angebots hat die Beklagte ein Abweichen von der Weitergeltung der Qualitätsvereinbarung vom allein auf den Fall bezogen, dass eine neue Qualitätsvereinbarung mit der Klägerin abgeschlossen wird. Eine Änderung insbesondere der in der Qualitätsvereinbarung enthaltenen Entgeltregelung sollte demnach nur im Einvernehmen mit der Klägerin möglich sein. Damit ist es nicht vereinbar, dass die Beklagte sich später mit ihrer Kündigung einseitig von der Weitergeltung der Qualitätsvereinbarung vom zu lösen versucht hat. Bei Zulassung des Kündigungsrechts würden fundamentale Interessen der Klägerin verletzt, weil ihr bis zu 3 % der Gesamtvergütung ohne adäquaten Ersatz entzogen werden sollten. Dies ist unzulässig, weil das Interesse der Klägerin an der bis dato vereinbarten Entgeltregelung schutzwürdig ist und sie auf die Weiterzahlung des 3%igen Entgeltbestandteils vertrauen durfte, als sie die Vergütungsvereinbarung vom unterzeichnet hat.
27b) Der Kündigung der Beklagten stand im Hinblick auf die schwebenden Vertragsverhandlungen über eine weiter zu entwickelnde Qualitätsvereinbarung schließlich auch die Tatsache entgegen, dass nach der Vertragsergänzung zur Schiedsperson (Anlage 4 zum Vertrag gemäß § 132a Abs 2 SGB V vom ) ein Schiedsverfahren einzuleiten gewesen wäre. Dort haben die Beteiligten nämlich in Umsetzung des § 132a Abs 2 S 6 SGB V idF von Art 1 Nr 97 Buchst b DBuchst cc GKV-Modernisierungsgesetz vom (BGBl I 2190) vereinbart, dass im Falle von Nichteinigung eine von ihnen zu bestimmende unabhängige Schiedsperson den Vertragsinhalt festlegt. Im vorliegenden Fall lag der Kündigung der Beklagten offensichtlich eine solche "Nichteinigung" zugrunde, denn die Qualitätsvereinbarung vom war fortzuführen und gleichzeitig sollten ergebnisorientierte Verhandlungen über eine neue Qualitätsvereinbarung geführt werden. Es kann offenbleiben, ob die Beteiligten entsprechende Verhandlungen aufgenommen haben, die später gescheitert sind, oder eine der Parteien bereits kein Interesse an entsprechenden Verhandlungen hatte. Denn in beiden Fällen lag spätestens zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung durch die Beklagte eine Nichteinigung im Sinne von § 132a Abs 2 S 6 SGB V über den Vertragsinhalt einer neuen Qualitätsvereinbarung und damit ua über eine Vergütungsregelung im Sinne von § 132a Abs 1 S 4 Nr 6 SGB V vor. Derartige Konflikte will der Gesetzgeber ab in einem Schiedsverfahren gelöst wissen (BT-Drucks 15/1525 S 123). Diesen Willen des Gesetzgebers haben die Beteiligten auch ihren vertraglichen Vereinbarungen zugrunde gelegt, indem sie ausdrücklich die Durchführung eines Schiedsverfahrens zur Festlegung des maßgeblichen Vertragsinhalts vereinbart hatten. Hieran hätte sich die Beklagte halten müssen; eine Kündigung ist deshalb ausgeschlossen.
28Ist die Kündigung aber bereits aus den vorstehenden Gründen unzulässig, kommt es auf die zwischen den Beteiligten diskutierte Wirksamkeit der Erklärung selbst nicht weiter an.
294. Die Klägerin kann den Qualitätszuschlag auch für Zeiten geltend machen, in denen sie selbst ihren Verpflichtungen aus der Qualitätsvereinbarung nicht mehr nachgekommen ist, da sich die Beklagte in entsprechender Anwendung (§ 69 Abs 1 S 3 SGB V) der §§ 293 ff BGB in Annahmeverzug befand. Nach § 293 BGB kommt ein Gläubiger in Annahmeverzug, wenn er die ihm angebotene Leistung nicht annimmt. Die geschuldete Leistung muss tatsächlich (§ 294 BGB) oder wörtlich (§ 295 BGB) angeboten werden. Beides ist hier der Fall; die Klägerin hat der Kündigung der Qualitätsvereinbarung vom von Anfang an widersprochen und die Beklagte noch während der Kündigungsfrist aufgefordert, ihre Verpflichtungen aus der Qualitätsvereinbarung vom über den hinaus fortzuführen. Diese Aufforderung hat die Beklagte abgelehnt, indem sie auf der Gültigkeit der von ihr ausgesprochenen Kündigung beharrte.
305. Der Anspruch besteht auch in der geltend gemachten Höhe von 35 433,31 Euro; insoweit hatte die Beklagte keine Einwände und sind solche auch nicht von Amts wegen ersichtlich. Der streitige Zuschlag errechnet sich nach Anlage 4 der Qualitätsvereinbarung vom , wobei darauf abgestellt wird, in welchem Umfang und mit welcher Qualität Dokumentationsbögen vorgelegt werden. Insoweit kann eine Zuschlagshöhe von bis zu 3 % erreicht werden (Ziff 1 Anlage 4 zur Qualitätsvereinbarung vom ), die von der Gesamtsumme der abrechnungsfähigen Vergütungen aller Leistungen, die im festgelegten Zeitraum erbracht werden, berechnet wird. Der Zuschlag entfällt im Falle einer negativen Qualitätsprüfung (Ziff 3.2 Anlage 4 zur Qualitätsvereinbarung vom ); eine solche fand hier aber nicht statt.
31Soweit die Beklagte darauf hinweist, dass ohne Prüfung der Dokumentationsbögen der Klägerin für den streitigen Zeitraum eine Feststellung der Höhe des Zuschlags grundsätzlich nicht möglich ist, übersieht sie, dass auch dies eine Konsequenz ihres Annahmeverzugs ist. Das im Widerspruch gegen die Kündigung der Qualitätsvereinbarung vom liegende Angebot der Klägerin zur Fortsetzung der Vereinbarung über Transparenz und Qualität der Prozesssteuerung ist im Zusammenhang mit der bislang von ihr erbrachten Vertragsleistung zu sehen, weshalb bei der Höhe des für den streitigen Zeitraum zu berechnenden Zuschlags darauf abzustellen ist, in welcher Höhe dieser bis von der Beklagten an die Klägerin gezahlt worden war. Beide Beteiligte gehen übereinstimmend davon aus, dass dies in Höhe von 3 % geschehen ist. Die Beteiligten stimmen weiterhin darin überein, dass die Gesamtsumme der abrechnungsfähigen Vergütungen aller Leistungen, die im streitigen Zeitraum erbracht wurden, zumindest 1 181 110,22 Euro beträgt. 3 % hiervon machen einen Betrag von 35 433,31 Euro aus.
326. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 1 VwGO. Der Senat hat im Hinblick auf die geringe Höhe des weiterhin offenen und in diesem Verfahren durch Teilvergleich vom erledigten Betrages von 2417,47 Euro keine Kostenquotelung vorgenommen, zumal nicht erkennbar ist, in welcher Höhe der Klägerin zusätzliche Beträge zustehen.
337. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, §§ 47, 52 Abs 1 und § 40 GKG und berücksichtigt neben dem aus dem Klageantrag im Revisionsverfahren zu entnehmenden Wert den Betrag, über den die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat einen Teilvergleich geschlossen haben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2012:221112UB3KR1011R0
Fundstelle(n):
DB 2013 S. 8 Nr. 34
SAAAE-32814