BGH Urteil v. - 5 StR 526/12

Rücktritt vom unbeendeten Versuch eines Tötungsdelikts: Korrektur des Rücktrittshorizonts

Gesetze: § 24 Abs 1 S 1 Alt 1 StGB, § 211 StGB

Instanzenzug: Az: 21 Ks 2/12

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

21. Das Landgericht hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:

3a) Am gegen 20.00 Uhr geriet der zur Tatzeit mittelgradig alkoholisierte Angeklagte (Blutalkoholkonzentration 1,53 ‰) nach einer Taxifahrt mit dem Führer des Taxis, dem Nebenkläger, in Streit über den Fahrpreis. Er vermutete, der Nebenkläger habe seine Ortsunkenntnis ausgenutzt, um einen höheren Preis zu erzielen. Aus Wut forderte er diesen auf, ihm die Geldbörse zu überlassen, deren gesamten Inhalt er sich verschaffen wollte. Dabei rückte er direkt hinter den Fahrersitz. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen und erwarteten Widerstand zu überwinden, hielt er dem Nebenkläger ein Anglermesser von hinten an den Hals. Der Nebenkläger bemerkte das Messer zunächst nicht und versuchte, den Arm des Angeklagten wegzuschieben. Zudem drückte er sein Kinn nach unten. Als er eine warme Flüssigkeit am Hals bemerkte, wurde ihm bewusst, dass der Angeklagte ihm ein Messer an den Hals hielt und dass er blutete. Er sah von weiterer Gegenwehr ab und reichte seine Geldbörse nach hinten. Der Angeklagte ergriff die Börse und brachte dem Nebenkläger zugleich eine 22 cm lange und 4 cm tiefe waagerechte Schnittverletzung am Hals bei. Damit wollte er sein Opfer außer Gefecht setzen und sich so Beute und Flucht sichern. Es war ihm gleichgültig, ob er den Tod des Nebenklägers herbeiführen würde.

4Der Angeklagte ergriff seine Umhängetasche und verließ fluchtartig das Taxi. Dabei nahm er wahr, dass der Nebenkläger „dazu ansetzte, die Fahrertür zu öffnen und aus dem Taxi auszusteigen“ (UA S. 7). Dass sein Opfer stark blutete, erkannte er nicht. Sein Messer und seine Kleidung waren nicht blutverschmiert. Als er im Laufschritt in Richtung Bahnübergang floh, ging er davon aus, dass der Nebenkläger überleben werde, zumal dieser sich noch selbständig fortbewegen konnte. Unterwegs warf er das Messer ins Gebüsch.

5Die durch den Nebenkläger erlittene Schnittverletzung verlief innerhalb des Unterhautfettgewebes und endete in der Mitte am Schildknorpel bzw. Zungenbein. Die Unterkieferspeicheldrüse und Teile der vorderen Halsmuskulatur waren quer durchtrennt. Zu einer Öffnung der Atemwege kam es nicht. Die großen Blutgefäße des Halses blieben gleichfalls unverletzt. Beides war hauptsächlich dadurch bedingt, dass der Nebenkläger ein besonders ausgeprägtes Unterhautfettgewebe (Doppelkinn) aufwies.

6b) Die Schwurgerichtskammer hat den Tatbestand des versuchten Totschlags als verwirklicht angesehen. Der Angeklagte habe angesichts der hochgradigen Gefährlichkeit des durch ihn geführten Schnitts mit dem Tod des Nebenklägers gerechnet. Um der erstrebten Ziele der Beutesicherung und der Flucht willen sei ihm der Todeseintritt zumindest gleichgültig gewesen. Jedoch sei er vom unbeendeten Versuch des Tötungsdelikts strafbefreiend zurückgetreten und habe neben der besonders schweren räuberischen Erpressung lediglich den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung verwirklicht.

72. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei vom unbeendeten Versuch eines Tötungsdelikts strafbefreiend zurückgetreten (§ 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB), hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

8a) Mit Recht weist der Generalbundesanwalt darauf hin, dass die Einschätzung der Schwurgerichtskammer, der Angeklagte habe im Zeitpunkt seines Weglaufens den Eintritt des Tötungserfolgs nicht (mehr) für möglich gehalten oder sich insoweit zumindest keine Gedanken gemacht (vgl. hierzu , NStZ 2012, 688, 689 mwN), in den Feststellungen keine hinreichende Stütze findet. Der Angeklagte hatte dem Nebenkläger tief in den Hals geschnitten. Dass er hierdurch weder eine Arterie noch die Luftröhre verletzte, war nur einem glücklichen Zufall zu verdanken. Dementsprechend hat sich die Schwurgerichtskammer rechtsfehlerfrei vom Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes überzeugt. Dann liegt aber auch der Schluss nicht nahe, der Angeklagte sei bei der Flucht davon ausgegangen, sein Opfer werde nicht an den Folgen der massiven Schnittverletzung versterben (vgl. BGH aaO). Die auf eine versehentliche Zufügung der Verletzung zielende Einlassung des Angeklagten bietet hierfür schon deswegen keine ausreichende Grundlage, weil die Schwurgerichtskammer sie - ohne Rechtsfehler - als weitgehend nicht glaubhaft gewertet hat.

9b) Ungeachtet dessen ist jedenfalls ohne weitere Darlegungen zweifelhaft, ob die - im Rahmen der Darstellung der Einlassung des Angeklagten nicht erörterte (vgl. UA S. 11) - Wahrnehmung des Angeklagten, dass der Nebenkläger „dazu ansetzte, die Fahrertür zu öffnen und aus dem Taxi auszusteigen“, die Vorstellung des Angeklagten durchgreifend erschüttern könnte, bereits alles zur Erreichung des gewollten Erfolgs getan zu haben. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass eine „Korrektur des Rücktrittshorizonts“ besonderer Erörterung bedarf, wenn das Opfer nach der letzten Ausführungshandlung - vom Täter wahrgenommen - noch zu körperlichen Reaktionen fähig ist, die geeignet sind, Zweifel daran aufkommen zu lassen, das Opfer sei möglicherweise bereits tödlich verletzt (vgl. etwa , NStZ-RR 2008, 335, 336 mwN). Indessen haben auch tödliche Stiche nach der Lebenserfahrung nicht stets die sofortige Bewegungsunfähigkeit des Opfers zur Folge, weswegen ein bloßes „Ansetzen“ zur Bewegung nicht genügend aussagekräftig erscheinen könnte. Soweit die Schwurgerichtskammer ergänzend heranzieht, der Angeklagte habe aufgrund seiner Position hinter dem Nebenkläger die klaffende Wunde nicht gesehen und der Kraftaufwand müsse bei Verwendung eines scharfen Messers nicht erheblich gewesen sein (UA S. 23), tritt dies in Spannung zu den Feststellungen zum übrigen Tatgeschehen. Danach bedurfte es nicht erst eines Blicks auf die Wunde und eines mit beträchtlichem Kraftaufwand geführten Schnittes, um beim Angeklagten das Bewusstsein für die möglicherweise tödlichen Folgen seiner dem Nebenkläger beigefügten Schnittverletzung zu wecken oder aufrechtzuerhalten. Fehlende Blutanhaftungen am Messer und an der Kleidung des Angeklagten wären schließlich allenfalls dann von Belang, wenn dieser beides im maßgeblichen Zeitpunkt der Flucht überprüft hätte. Solches ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen und erscheint wegen des Augenblickscharakters der Situation auch eher fernliegend.

10c) Die Sache bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung. Dabei können auch die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen keinen Bestand haben. Denn dem neuen Tatgericht muss auf der Basis detaillierter Erhebungen etwa zu dem durch den Angeklagten vollführten Messerangriff und zu dessen Wahrnehmungen im Zeitpunkt des Weglaufens eine in sich stimmige tatsächliche und rechtliche Würdigung ermöglicht werden.

113. Für den Fall, dass die neu entscheidende Schwurgerichtskammer unter Ausschluss eines strafbefreienden Rücktritts zur Annahme eines versuchten Tötungsdelikts gelangen sollte, wird sie sich eingehend auch mit den Voraussetzungen des § 211 Abs. 2 StGB auseinanderzusetzen haben. Namentlich die im angefochtenen Urteil angestellten Hilfserwägungen zur Ablehnung des Mordmerkmals der Habgier (UA S. 24) leuchten mit Rücksicht auf die festgestellte Beutesicherungsabsicht des Angeklagten nicht ohne Weiteres ein (vgl. zum - von der Schwurgerichtskammer verneinten - Element übersteigerten Gewinnstrebens LK/Jähnke, StGB, 11. Aufl., § 211 Rn. 9 mwN).

Basdorf                         Raum                        Sander

                  König                        Bellay

Fundstelle(n):
YAAAE-32595