Einmalzahlung bei verspäteter ERA-Einführung - Insolvenz - Betriebsübergang
Gesetze: § 1 TVG, § 613a Abs 1 S 1 BGB, § 55 Abs 1 Nr 2 InsO
Instanzenzug: ArbG Neunkirchen Az: 4 Ca 645/10 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Saarland Az: 1(2) Sa 17/11 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger auch für die ersten drei Monate des Jahres 2009 ein Anspruch auf die sog. Wartezahlung nach § 4c des Tarifvertrags ERA-Anpassungsfonds für das Tarifgebiet Saarland vom / idF vom (im Folgenden: TV ERA-APF) gegen die Beklagte als Betriebsübernehmerin zusteht.
2Der Kläger war seit 1975 bei der W GmbH & Co. KG (im Folgenden: Schuldnerin) beschäftigt, über deren Vermögen mit Beschluss des Amtsgerichts B vom (- 11 IN 6/09 -) am selben Tag das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Am erwarb die Beklagte den Betrieb der Schuldnerin vom Insolvenzverwalter.
Nach § 2 Abs. 1 des Tarifvertrags zur Einführung des Entgeltrahmenabkommens für die Metall- und Elektroindustrie des Saarlands vom (ERA-ETV) sollte das Entgeltrahmenabkommen (fortan: ERA) frühestens ab und spätestens bis zum in den Betrieben eingeführt werden. In dem TV ERA-APF heißt es auszugsweise:
In der Vereinbarung zum Umgang mit den ERA-Strukturkomponenten ab Januar 2009 vom (im Folgenden: Vereinbarung 2008) haben die Tarifvertragsparteien ua. bestimmt:
5Die Beklagte zahlte dem Kläger - und den 282 weiteren Beschäftigten - die ERA-Strukturkomponente nach § 4c TV ERA-APF anteilig für den Zeitraum April bis Dezember 2009.
6Mit der am eingereichten und der Beklagten am zugestellten Klage hat der Kläger die ERA-Strukturkomponente auch für die ersten drei Monate des Jahres 2009 geltend gemacht und die Auffassung vertreten, bei der Einmalzahlung nach § 4c TV ERA-APF handele es sich um eine nach dem Betriebsübergang entstandene und fällig gewordene Sonderzahlung, für die die Beklagte die Haftungserleichterungen bei Betriebsübernahme in der Insolvenz nicht in Anspruch nehmen könne.
Der Kläger hat beantragt,
8Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, bei der Strukturkomponente nach § 4c TV ERA-APF handele es sich um einen Teil der monatlichen Vergütung des Arbeitnehmers, auch wenn sie als Einmalzahlung zusammengefasst ausgezahlt werde.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
Gründe
10Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen.
11I. Die Einmalzahlung nach § 4c TV ERA-APF setzt die Pflicht des Arbeitgebers zur Einführung von ERA voraus (Ziff. 2 e Vereinbarung 2008). Besteht keine Verpflichtung zur betrieblichen Einführung, fehlt es an der Grundlage für einen Zahlungsanspruch (vgl. - Rn. 16, EzA TVG § 4 Metallindustrie Nr. 134). Das Landesarbeitsgericht geht mit den Parteien davon aus, dass die Schuldnerin verpflichtet war, ERA zum in ihrem Betrieb einzuführen. Feststellungen zum Rechtsgrund einer derartigen Verpflichtung hat das Landesarbeitsgericht allerdings nicht getroffen.
12II. Unterstellt, die Schuldnerin sei verpflichtet gewesen, ab ERA betrieblich einzuführen, haftete die Beklagte gleichwohl für den auf das erste Quartal 2009 entfallenden Teil der Einmalzahlung nicht. Das hat das Landesarbeitsgericht zu Recht erkannt.
131. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist die Haftung des Erwerbers eines Betriebs in der Insolvenz aufgrund einer teleologischen Reduktion des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB beschränkt. Für die Abwicklung aller Ansprüche, die zur Zeit der Insolvenzeröffnung bereits entstanden sind, sieht die Insolvenzordnung ein Verfahren vor, das von dem Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung beherrscht ist. Soweit die Verteilungsgrundsätze des Insolvenzrechts greifen, gehen diese als Spezialregelungen vor. Damit wird sichergestellt, dass alle Gläubiger gleichmäßig befriedigt werden. Außerdem werden Betriebsübernahmen in der Insolvenz erleichtert. Die insolvenzrechtliche Beschränkung des Eintritts der Haftung nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB betrifft danach Insolvenz-, nicht jedoch Masseforderungen (vgl. - Rn. 16 f., BAGE 132, 333; - 8 AZR 54/07 - BAGE 128, 229; zu tariflichen Sonderzahlungen - zu II 2 d der Gründe, BAGE 81, 132).
142. Die Einmalzahlung nach § 4c TV ERA-APF ist eine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO nur insoweit, als ihre Erfüllung für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss. Das ist für den auf das erste Quartal 2009 entfallenden Anteil der Einmalzahlung nicht der Fall.
15a) Allerdings ist die Bezeichnung der Leistung nach § 4c TV ERA-APF als „Einmalzahlung“ für die Einordnung der Forderung wenig aussagekräftig. Der Begriff „Einmalzahlung“ ist sowohl als Ausdruck für eine pauschale Lohnerhöhung als auch zur Kennzeichnung einer gegenleistungsunabhängigen Sonderzahlung gebräuchlich ( - Rn. 15, BAGE 127, 319). Immerhin fällt auf, dass der Tarifvertrag die Leistung nach § 4c TV ERA-APF nicht als „Sonderzahlung“ bezeichnet, obwohl den Tarifvertragsparteien der Begriff bekannt ist und sie eine Sonderzahlung in dem Tarifvertrag über eine betriebliche Sonderzahlung für Beschäftigte (Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen) und Auszubildende in der Metall- und Elektroindustrie des Saarlandes (für Betriebe, die das Entgeltrahmenabkommen eingeführt haben) vom geregelt haben. Auf diesen Tarifvertrag wird nur bezüglich des Auszahlungszeitpunkts Bezug genommen für den Fall, dass die Betriebsparteien den Auszahlungszeitpunkt der Einmalzahlung nach § 4c TV ERA-APF nicht einvernehmlich festlegen (Ziff. 2 a Vereinbarung 2008).
16b) Der tarifliche Gesamtzusammenhang zeigt, dass die als Einmalzahlungen geschuldeten ERA-Strukturkomponenten keine vom regulären Arbeitsentgelt losgelösten Sonderzahlungen, sondern Bestandteil der tariflichen Vergütung sind. Gemäß § 3 TV ERA-APF wurden die Tariflohnerhöhungen ab Juni 2002 auf zwei Komponenten verteilt, nämlich auf eine prozentuale Steigerung der Tabellenwerte der jeweiligen Entgelte und ein restliches Erhöhungsvolumen, das in ERA-Strukturkomponenten floss. Jede ERA-Strukturkomponente ist damit integraler Bestandteil der Tariflohnerhöhung (vgl. - AP TVG § 1 Tarifverträge: Metallindustrie Nr. 196 = EzA TVG § 4 Metallindustrie Nr. 132).
17c) Die Einmalzahlung nach § 4c TV ERA-APF ist nach dem ausdrücklichen Wortlaut eine „weitere ERA-Strukturkomponente“. Sie dient neben dem Druck, das Entgeltrahmenabkommen einzuführen, dem Zweck, die tatsächliche Auszahlung des erhöhten, aber wegen der angestrebten Kostenneutralität nicht tabellenwirksam gewordenen Tarifvolumens an die Arbeitnehmer sicherzustellen ( - Rn. 22). Die Betriebsparteien können zwar statt einer Auszahlung die Zuführung der Strukturkomponente an den ERA-Anpassungsfonds mit der Folge vereinbaren (§ 4c Abs. 2 TV ERA-APF, Ziff. 2 b Vereinbarung 2008), dass ein Anspruch auf Auszahlung zunächst nicht entsteht und eine Auszahlung erst bei Auflösung des ERA-Anpassungsfonds nach Maßgabe des § 4e TV ERA-APF iVm. einer entsprechenden, anspruchsbegründenden Betriebsvereinbarung in Betracht kommt (vgl. dazu - Rn. 14; - 1 AZR 314/10 - Rn. 13 ff., EzA TVG § 4 Metallindustrie Nr. 142). Kommt es aber zu einer Auszahlung der weiteren Strukturkomponente nach § 4c TV ERA-APF für das Jahr 2009, weil feststeht, dass die Betriebsparteien die alternativ mögliche Zuführung zum ERA-Anpassungsfonds nicht vereinbaren, ist diese Leistung ab dem Auszahlungszeitpunkt ex tunc Bestandteil des tariflich für das Jahr 2009 geschuldeten Arbeitsentgelts und wird den monatlichen Entgeltperioden zugerechnet. Das belegen Ziff. 2 c und 2 d Vereinbarung 2008. Danach stellt die Berechnungsformel für die auszuzahlende Einmalzahlung auf die von ihr „erfassten Monate des Jahres 2009“ ab und wird die Einmalzahlung bei Eintritt oder Austritt des Beschäftigten in diesem Bezugszeitraum entsprechend gekürzt. Die „Aufteilung“ der Strukturkomponente auf die einzelnen Monate des Jahres 2009 verdeutlicht auch Ziff. 2 e Vereinbarung 2008, die eine Pflicht des Arbeitgebers zur Auszahlung der ERA-Strukturkomponente nur für die Monate ab Januar 2009 vorsieht, in denen ERA betrieblich noch nicht eingeführt ist.
183. Damit wird die Einmalzahlung nach § 4c TV ERA-APF zwar zu einem einheitlichen Auszahlungszeitpunkt fällig, ihre Erfüllung erfolgt jedoch „für“ die jeweilige monatliche Entgeltperiode. Der auf das erste Quartal des Kalenderjahres 2009 entfallende Anteil der Einmalzahlung ist deshalb keine Masseverbindlichkeit, sondern eine Insolvenzforderung.
III. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
KAAAE-32095