Insolvenzanfechtung einer Aufrechnungserklärung: Zeitpunkt des Werthaltigwerdens der Forderung des Schuldners
Leitsatz
Die Forderung eines Schuldners, gegen die ein Gläubiger die Aufrechnung erklärt, wird regelmäßig erst dann werthaltig, wenn der Schuldner die von ihm geschuldete Leistung erbringt; auf den Zeitpunkt der Rechnungstellung kommt es nicht an.
Gesetze: § 96 Abs 1 Nr 3 InsO, § 130 Abs 1 S 1 Nr 2 InsO
Instanzenzug: Az: I-5 U 89/11vorgehend Az: 1 O 329/10
Tatbestand
1Der Kläger ist Verwalter in dem auf eigenen Antrag vom am eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der d. GmbH (fortan: Schuldnerin). Die Schuldnerin war im Bereich der Außenwerbung tätig. Sie ließ sogenannte Riesenposter anfertigen, die großflächig an Baugerüsten angebracht wurden. Zwischen der Schuldnerin und der Beklagten, die für ihre Kunden Außenwerbung durchführte, bestanden laufende Geschäftsbeziehungen. Im Juni 2008 schlossen die Beklagte und die Schuldnerin eine Vermittlungs- und Zahlungsvereinbarung. Danach erhielt die Beklagte für Akquisitionsleistungen eine Vergütung. Diese war im Februar des jeweiligen Folgejahres auf Grundlage des von der Beklagten an die Schuldnerin vermittelten Umsatzes zu errechnen und durch eine Gutschrift auf Aufträge der Beklagten zu verrechnen.
2Am 17./ beauftragte die Beklagte die Schuldnerin mit der Herstellung eines Riesenposters und dessen Aushang in den Monaten Mai und Juni 2009. Die Schuldnerin ließ das Poster erstellen und vereinbarungsgemäß aushängen. Am stellte sie der Beklagten für den Aushang im Monat Juni 27.967,98 € brutto in Rechnung. Die Rechnung trug den Aufdruck: "Zahlbar sofort ohne Abzug." Unter gleichem Datum erteilte sie der Beklagten für deren Vermittlungstätigkeit im Jahr 2008 eine Gutschrift über 16.489,77 € brutto.
3Am bestellte das Gericht den Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter. Dieser wandte sich mit einem an die Kunden der Schuldnerin gerichteten Schreiben auch an die Beklagte. Hierin wies er unter anderem auf das insolvenzrechtliche Aufrechnungsverbot hin und fügte eine von den Kunden zu unterzeichnende Erklärung über einen näher umrissenen Aufrechnungsverzicht bei. Die Beklagte unterzeichnete die Erklärung am unter Vorbehalt. Später rechnete sie gegenüber dem ihr am in Rechnung gestellten Betrag mit der erteilten Gutschrift in Höhe von 16.489,77 € auf.
4Diesen Betrag macht der Insolvenzverwalter nunmehr als Restforderung aus dem Auftrag von Februar 2009 klageweise geltend. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der durch das Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
Gründe
5Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen und zur Verurteilung der Beklagten.
I.
6Das Berufungsgericht hat, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, ausgeführt: Die Aufrechnung der Beklagten sei wirksam, weil sie die Möglichkeit der Aufrechnung nicht durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt habe (§ 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Das Werthaltigmachen der Hauptforderung durch die Schuldnerin führe nicht zu einer nach § 130 Abs.1 Satz 1 Nr. 2 InsO anfechtbaren kongruenten Deckung, weil die Schuldnerin die von ihr geschuldete Leistung schon vor dem Eröffnungsantrag vom vollständig erbracht habe. Die Leistung sei nach Werkvertragsrecht zu beurteilen. Denn die Schuldnerin habe es übernommen, das Riesenposter herzustellen und für einen dauerhaften Aushang am vereinbarten Ort in den Monaten Mai und Juni 2009 zu sorgen. Hierzu habe sie lediglich die Herstellung des Posters und dessen Anbringung veranlassen müssen. Dies sei bereits zum Mai 2009 erfolgt. Weitere Aufwendungen habe die Schuldnerin nicht gehabt. Unabhängig davon sei die Forderung jedenfalls mit Zugang der Rechnung vom fällig und damit vor Stellung des Insolvenzantrages am werthaltig geworden. Die Beklagte habe mit Erklärung vom auf das Recht zur Aufrechnung nur verzichtet, soweit eine Aufrechnung nach den insolvenzrechtlichen Bestimmungen unzulässig sei.
II.
7Diese Ausführungen halten in wesentlichen Punkten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
81. Mit Recht hat das Berufungsgericht die Vorschrift des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO auf die durch die Beklagte vor Insolvenzeröffnung erklärte Aufrechnung für anwendbar gehalten. Die Bestimmung erfasst auch die von einem künftigen Insolvenzgläubiger vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgegebene Aufrechnungserklärung. Liegen die Anfechtungsvoraussetzungen vor, so wird die Aufrechnungserklärung mit der Eröffnung insolvenzrechtlich unwirksam (, ZIP 2003, 2370, 2371; vom - IX ZR 136/05, BGHZ 169, 158 Rn. 11 ff mwN). Dies hat zur Folge, dass der Insolvenzverwalter sich unmittelbar auf die insolvenzrechtliche Unwirksamkeit der Aufrechnung berufen und die Forderung, gegen die anfechtbar aufgerechnet worden ist, für die Insolvenzmasse einklagen und den Aufrechnungseinwand mit der Gegenrede der Anfechtbarkeit abwehren kann (, BGHZ 159, 388, 393; vom , aaO Rn. 16 mwN).
92. Nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO ist unter anderem eine Rechtshandlung anfechtbar, die eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, wenn sie nach dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und der Gläubiger zur Zeit der Handlung den Eröffnungsantrag kannte. Das Berufungsgericht hat die Unzulässigkeit der Aufrechnung nach § 96 Abs.1 Nr. 3 InsO zu Unrecht mit der Begründung ausgeschlossen, die Werklohnforderung (vgl. hierzu , NJW 1984, 2406 f; vom - X ZR 70/06, NJW-RR 2008, 1155 Rn. 13) der Schuldnerin sei bereits vor dem Eröffnungsantrag entstanden und werthaltig gewesen.
10a) Mit zutreffendem Ansatz hat das Berufungsgericht das Werthaltigmachen der Forderung durch die Schuldnerin als die für die Anfechtbarkeit der Aufrechnungslage maßgebliche Rechtshandlung angesehen.
11aa) Der für die Begründung der Aufrechnungslage maßgebliche Zeitpunkt ist nach § 140 Abs. 1 InsO zu bestimmen (, BGHZ 174, 297 Rn. 12; vom - IX ZR 155/08, BGHZ 190, 201 Rn. 9; Gero Fischer, WM 2008, 1, 5). Gemäß § 140 Abs. 1 InsO ist entscheidend, wann das Gegenseitigkeitsverhältnis durch die Verknüpfung der beiden gegenüberstehenden Forderungen begründet worden ist ( aaO mwN; HK-InsO/Kayser, 6. Aufl., § 96 Rn. 36). Soweit abweichend hierzu gemäß § 140 Abs. 3 InsO der Zeitpunkt maßgeblich ist, zu dem die spätere Forderung entstand und damit das Gegenseitigkeitsverhältnis begründet wurde, wenn eine der gegenseitigen durch Rechtsgeschäft entstandenen Forderungen befristet oder von einer Bedingung abhängig ist (vgl. aaO mwN), gilt dies nicht für die Werklohnforderung, weil diese nicht unter einer rechtsgeschäftlichen Bedingung steht ( aaO Rn. 10 mwN).
12bb) Für die Anfechtbarkeit der Aufrechnungslage nach § 96 Abs.1 Nr. 3 InsO kommt es deshalb darauf an, wann die Forderung des Schuldners durch Erbringung seiner Leistung werthaltig geworden ist (, ZIP 2010, 682 Rn. 13; vom , aaO Rn. 11; Gero Fischer, ZIP 2004, 1679, 1683; vgl. auch , ZIP 2001, 2055, 2056 zu § 2 Abs. 4 GesO). Beim Werkvertrag verschafft erst die erbrachte Werkleistung dem Gegner die Möglichkeit, sich durch Aufrechnung zu befriedigen; das Werthaltigmachen der Forderung unterliegt als rechtserheblicher Realakt selbständig der Anfechtung (vgl. aaO Rn. 12; Gero Fischer, WM 2008, 1, 6).
13b) Die Annahme des Berufungsgerichts, die Werklohnforderung der Schuldnerin sei vor dem Eröffnungsantrag werthaltig gewesen, weil die Schuldnerin sämtliche Arbeiten, die den vertraglich geschuldeten Erfolg bewirkten, bereits vor dem vollständig erbracht habe, ist unzutreffend. Ebenso wenig tragfähig ist die Hilfsbegründung, die Werklohnforderung sei jedenfalls mit ihrer Fälligkeit durch Zugang der Rechnung vom werthaltig geworden. Die Werklohnforderung der Schuldnerin konnte frühestens mit Erreichen des vertraglich vereinbarten Werbezeitraumes werthaltig werden. Eine Forderung wird erst werthaltig, wenn die bereits mit Vertragsschluss entstandene Aufrechnungslage dem aufrechnenden Gläubiger einen wirtschaftlichen Nutzen bringt; dieser besteht nicht, solange der Schuldner nichts geleistet hat, wofür der Gläubiger eine Vergütung schuldet (, ZIP 2010, 682 Rn. 13; vom - IX ZR 155/08, BGHZ 190, 201 Rn. 11 jeweils mwN). Die Beklagte erhielt erst im Juni 2009 einen für sie wirtschaftlich nutzbaren Gegenwert aus der Masse. Nach dem festgestellten Vertragsinhalt konnte die Schuldnerin vor Beginn des Monats Juni vergütungspflichtige (Teil-)Leistungen für diesen Monat nicht erbringen (vgl. zu Bauleistungen , BGHZ 129, 336; vom - IX ZR 191/98, BGHZ 147, 28, 33 f; vom - IX ZR 313/99, BGHZ 150, 353, 358 f).
14aa) Mit der Annahme, die Schuldnerin habe mit der Herstellung des Posters und dessen Aushang sämtliche zur Erfüllung des Werkvertrages erforderlichen Arbeiten vollständig erbracht, verkürzt das Berufungsgericht den Inhalt der geschuldeten Werkleistung, zu der es rechtsfehlerfrei festgestellt hat, die Schuldnerin habe es übernommen, das Werbemittel herzustellen und für einen dauerhaften Aushang in den Monaten Mai und Juni 2009 zu sorgen. Die Herstellung des Posters, die vor dessen Aushang erfolgen musste, war schon zum Vormonat geschuldet und konnte im Juni nicht mehr erbracht werden. Gleiches gilt für den Aushang im Mai. Dies folgt auch aus der Rechnung für den Monat Juni, welche nur die "Schaltung" inklusive der Beleuchtung für diesen Monat ausweist und im Übrigen von einem "Durchhang aus Mai 2009" ausgeht. Im Juni war deshalb nur der (fort)dauernde Aushang des Posters am vereinbarten Ort geschuldet; die Schuldnerin hatte dafür zu sorgen, dass das Werbeposter im vereinbarten Leistungszeitraum angebracht blieb und die Beleuchtung funktionierte (vgl. , NJW 1984, 2406). Das Poster war im Monat Juni nur dann erneut anzubringen oder zu befestigen, wenn dies aufgrund witterungsbedingter Einflüsse oder sonstiger Störungen erforderlich wurde. Dass die Herstellung des Posters nicht zu den für Juni abgerechneten Leistungen gehörte, zeigt im Übrigen die Auftragsbestätigung vom . Danach waren die Herstellungskosten in Höhe von 5.760 € schon mit der Rechnung für den Monat Mai vollständig abgegolten. Die Schuldnerin musste im Juni aber noch die Werbefläche für das Poster einschließlich der behördlichen Genehmigung zur Verfügung stellen und für dessen ordnungsgemäße Befestigung und Beleuchtung sorgen. Außerdem hatte sie es am Ende der Aufhängungszeit zu entfernen. Diese Aufgaben konnte sie erst im Lauf des Monats Juni erfüllen, so dass ein Werthaltigmachen der Forderung für Juni 2009 auch erst in diesem Monat möglich war (vgl. , BGHZ 182, 264 Rn. 8).
15bb) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist die Forderung eines Schuldners auch nicht bereits dann werthaltig, wenn dieser seinen vertraglich geschuldeten Leistungserfolg noch nicht erbracht hat, seine Forderung aber bereits fällig ist, ohne dass damit zugleich eine Vorleistungspflicht begründet worden ist. Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass der von ihm angenommene Fälligkeitszeitpunkt auf einer Vorleistungspflicht der Beklagten beruht. Sie kann deshalb auch der revisionsrechtlichen Prüfung nicht zugrunde gelegt werden. Selbst eine aufgrund vertraglicher Vereinbarung entgegen der gesetzlichen Bestimmung des § 641 Abs. 1 BGB bereits vor Abnahme fällige Werklohnforderung ist, wenn keine Vorleistungspflicht des Bestellers vereinbart ist, vor Erbringung der Werkleistung nicht durchsetzbar, weil der Besteller ihr die Einrede des nicht erfüllten Vertrages (§ 320 BGB) entgegenhalten kann (vgl. dazu auch , BGHZ 174, 297 Rn. 37; vom - IX ZR 165/05, ZIP 2008, 372 Rn. 15; vom - IX ZR 144/05, ZIP 2008, 1435, 1437 Rn. 22 f).
III.
16Das Urteil erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Die Anfechtungsvoraussetzungen des § 130 Abs.1 Satz 1 Nr. 2 InsO sind auch im Übrigen erfüllt. Die geltend gemachte Werklohnforderung ist erst im Juni 2009 werthaltig geworden. Die angefochtene Rechtshandlung erfolgte daher nach dem Eröffnungsantrag vom . Der vorläufige Insolvenzverwalter hatte die Beklagte zu diesem Zeitpunkt bereits über den Insolvenzantrag unterrichtet, denn diese hatte am die von dem Verwalter übersandte Erklärung zum Aufrechnungsverzicht unterzeichnet. Die Gläubigerbenachteiligung liegt darin, dass die Werklohnforderung der Gesamtheit der Gläubiger entzogen wurde (vgl. , ZIP 2001, 2055, 2057).
IV.
17Die begründete Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils (§ 562 Abs. 1 BGB). Der Senat kann eine eigene Sachentscheidung treffen, weil die Sache auf Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Der Klage ist stattzugeben. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung restlichen Werklohns in Höhe von 16.489,77 € aus § 631 Abs. 1 BGB, weil die Beklagte diesem Anspruch nicht den Einwand der Aufrechnung entgegenhalten kann (§ 96 Abs.1 Nr. 3, § 130 Abs.1 Satz 1 Nr. 2 InsO).
Kayser Raebel Pape
Grupp Möhring
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2013 S. 577 Nr. 11
DB 2013 S. 8 Nr. 10
DStR 2013 S. 13 Nr. 14
WM 2013 S. 521 Nr. 11
ZIP 2013 S. 5 Nr. 11
ZIP 2013 S. 588 Nr. 12
DAAAE-30904