Enrons Schatten
Enron ist bei aller Schnelllebigkeit unserer Zeit noch nicht vergessen. Der damalige Hurrikan über die internationale Rechnungslegungswelt hat sich in gewisser Weise in den bilanziellen Abbildungen der Finanzkrise fortgesetzt. Bei Enron war nichts mehr zu retten, die „carte blanche” der Systemrelevanz befand sich noch nicht im Spielarsenal der Politik, die den Steuerzahler zum Büttel der internationalen Finanzwelt machte: Dazu musste auch die Rechnungslegung ihren Beitrag durch den Kotau des IASB vor den Akteuren in der obersten Hierarchiestufe weiter Teile der internationalen Finanzwelt leisten.
Dessen eingedenk hat der IASB sein „Konsolidierungspaket” IFRS 10 bis IFRS 12 verabschiedet. Ein wesentliches Ziel bestand in der Unterbindung des „ Enron-Rezepts”, das durch das Gestaltungspotenzial der bright line Tausende von Zweckgesellschaften außerhalb des Konsolidierungsgebots transferieren konnte. Nun soll die Prinzipienbasierung diesen Machenschaften ein Ende bereiten. Ob dieses Vorhaben letztlich glücken wird, bleibt abzuwarten. Kritische Stimmen ob der erforderlichen oder ermöglichten Ermessensentscheidungen des Managements sind jedenfalls nicht zu überhören.
Unseren geneigten Lesern wird ein Teilbereich der (gewollten) Prinzipienbasierung zur Bestimmung des Konsolidierungskreises im Beitrag zum „Kompaktwissen” von Jens Freiberg vorgestellt. Nach der Lektüre ist jedenfalls dem Editor schwummrig vor Augen geworden: Wer soll die Abarbeitung der abstrakten Kriterien bewältigen, wie soll eine Prüfung – durch Abschlussprüfer und Prüfstellen – aufgezogen werden? Irgendwie bewegt man sich letzten Endes wieder in Richtung der bright lines, vorerst abgewandelt in Grenzwerte. Die Hausmeinungen der großen WP-Gesellschaften werden vermutlich auch ihren Beitrag dazu leisten.
Im Fokus-Beitrag von Henning Zülch und Marco Popp sind die löblichen Aktivitäten des EFRAG in Form einer Nachschau (genannt „Feldstudie”) zu den praktischen Erfahrungen mit dem Konsolidierungspaket dargestellt. Wie im „Kompakt” kommt das Thema der Prinzipal-Agent-Gegenüberstellung kritisch zur Sprache. Die befragten Konzerne üben – selbstverständlich – Kritik an der einen oder anderen Neuregelung. Ob nun das eigentliche Ziel der einschlägigen Standards – die Vermeidung der „Enronitis” – erreicht werden kann, konnte durch die Studie nicht geklärt werden.
Ein weiterer Teilbereich des Konsolidierungspakets wird im Fokus-Beitrag von Dieter Christian beleuchtet. Es geht um sog. Anlageunternehmen, die unter bestimmten Voraussetzungen auf die Konsolidierung ihrer Tochterunternehmen verzichten müssen.
Ein beliebtes Bilanzgestaltungsobjekt stellt die Aktivierung von künftigen Steuerentlastungen im Gefolge von Verlustvorträgen am Bilanzstichtag dar. Soeben musste ein gelisteter deutscher Konzern hierzu eine Fehlerfeststellung der DPR veröffentlichen. Die Schranken einer solchen Bilanzgestaltung nach IAS 12.35 scheinen noch nicht ins allgemeine Bewusstsein vorgedrungen zu sein. Auch hier lässt Enron in trauter Eintracht mit vielen US-Großkonzernen grüßen. Die überwiegende Wahrscheinlichkeit des Eintretens ausreichender künftiger Gewinne muss sich an den Beurteilungskriterien des IAS 12.36 messen lassen. Der Fokusbeitrag von Sandra Petermann und Sebastian Schanz gibt das Ergebnis einer empirischen Analyse zur Verlustlatenzierung im Bereich der DAX 30-Unternehmen wieder.
Beste Grüße
Wolf-Dieter Hoffmann
Fundstelle(n):
PiR 3/2013 Seite 1
NWB DAAAE-30768