Entgeltansprüche nach dem Tarifvertrag über Mindestlöhne für die Branche Briefdienstleistungen - Wirksamkeit der PostmindestlohnVO
Gesetze: BriefArbbV, § 1 Abs 3a S 2 AEntG vom
Instanzenzug: Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven Az: 9 Ca 9149/08 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Bremen Az: 1 Sa 206/08 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über Entgeltansprüche des Klägers nach dem zwischen dem Arbeitgeberverband Postdienste e. V. (Arbeitgeberverband Postdienste) und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) am geschlossenen Tarifvertrag über Mindestlöhne für die Branche Briefdienstleistungen (TV Mindestlohn Briefdienstleistungen).
2Der Kläger ist bei der Beklagten als Postzusteller beschäftigt. Die Beklagte bietet Mehrwertbriefdienstleistungen an und besitzt eine Lizenz der Bundesnetzagentur zur gewerbsmäßigen Beförderung von Briefsendungen. Sie ist nicht Mitglied des Arbeitgeberverbands Postdienste.
3Am beantragten der Arbeitgeberverband Postdienste und die Gewerkschaft ver.di beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Allgemeinverbindlicherklärung eines an diesem Tag geschlossenen Tarifvertrages zur Regelung der Mindestlöhne in der Branche Postdienste. Das Bundesministerium leitete ein Verfahren zum Erlass einer Rechtsverordnung nach § 1 Abs. 3a des Gesetzes über zwingende Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen - Arbeitnehmer-Entsendegesetz (zuletzt in der Fassung vom , mit der die Branche der Briefdienstleistungen mit denjenigen Betrieben oder selbständigen Betriebsabteilungen in das Gesetz aufgenommen wurde, in denen überwiegend gewerbs- oder geschäftsmäßig Briefsendungen für Dritte befördert werden; im Folgenden AEntG aF) ein. Im Bundesanzeiger vom wurden der Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrages für die Branche Postdienste und der Entwurf einer Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für Briefdienstleistungen - verbunden mit einer Stellungnahmefrist - bekannt gemacht. Der zugrundeliegende Tarifvertrag vom wurde dann von den Tarifvertragsparteien am unter Ausschluss der Nachwirkung aufgehoben. Sie schlossen am selben Tag den hier streitgegenständlichen TV Mindestlohn Briefdienstleistungen und beantragten beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales seine Allgemeinverbindlicherklärung. Den daraufhin angepassten Verordnungsentwurf leitete das Bundesministerium nur denjenigen mit Gelegenheit zur Stellungnahme zu, die sich bereits auf die Bekanntmachung vom geäußert hatten. Eine neue Bekanntmachung erfolgte nicht. Am wurde die Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Branche Briefdienstleistungen (PostmindestlohnVO, Bundesanzeiger vom Nr. 242 S. 8410) erlassen, in der die wesentlichen Rechtsnormen des TV Mindestlohn Briefdienstleistungen, ua. die Mindestlohnregelung für Briefzusteller in den alten Bundesländern in Höhe von 9,80 Euro pro Stunde, für alle nicht an ihn gebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in seinem Geltungsbereich für verbindlich erklärt wurde.
4Für 139,09 erbrachte Arbeitsstunden im Januar 2008 zahlte die Beklagte dem Kläger pro Stunde 7,50 Euro brutto.
5Mit seiner Klage macht der Kläger die zu dem von ihm begehrten Bruttostundenlohn von 9,80 Euro bestehende - zwischen den Parteien in der Höhe unstreitige - Differenz für den Monat Januar 2008 geltend. Er hat die Auffassung vertreten, ihm stehe nach dem TV Mindestlohn Briefdienstleistungen iVm. der PostmindestlohnVO der höhere Stundenlohn zu. Die PostmindestlohnVO sei unabhängig davon, ob bei ihrem Erlass Verfahrensfehler aufgetreten seien, nicht nichtig und bis zu ihrem Außerkrafttreten am mangels Aufhebung durch den Verordnungsgeber anzuwenden. Das Verfahren zum Erlass der PostmindestlohnVO weise auch keine Verfahrensmängel auf. Selbst wenn ein Verstoß gegen die Anhörungsvorschriften des § 1 Abs. 3a Satz 2 AEntG aF gegeben sei, führe dies nicht zu einer Nichtigkeit der Rechtsverordnung, da es sich nicht um einen evidenten Verfahrensfehler handele. Die Verordnung sei auch nicht aus anderen Gründen rechtsunwirksam.
Der Kläger hat beantragt,
7Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen und dies ua. darauf gestützt, dass das nach § 1 Abs. 3a Satz 2 AEntG aF vorgeschriebene Verfahren wegen fehlender Anhörung der unter den Geltungsbereich der PostmindestlohnVO fallenden Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht eingehalten worden sei, was zur Nichtigkeit der Rechtsverordnung führe.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte hat beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Gründe
9Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten die Klage zu Recht abgewiesen.
10I. Die Klage ist unbegründet, der geforderte Differenzbetrag steht dem Kläger nicht zu. Für den Monat Januar 2008 besteht kein Anspruch auf einen Stundenlohn in Höhe von 9,80 Euro brutto nach § 3 Abs. 2 Buchst. b TV Mindestlohn Briefdienstleistungen. Auch wenn das Arbeitsverhältnis der Parteien vom Geltungsbereich des TV Mindestlohn Briefdienstleistungen erfasst wurde, was zwischen den Parteien unstreitig ist, mangelt es zu dessen Geltung an der erforderlichen Tarifgebundenheit der Beklagten.
111. Der TV Mindestlohn Briefdienstleistungen gilt für das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG). Die Beklagte ist nicht Mitglied im Arbeitgeberverband Postdienste.
122. Er gilt im Streitzeitraum auch nicht gemäß § 5 Abs. 4 TVG, da er nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden ist.
133. Der TV Mindestlohn Briefdienstleistungen gilt im Streitzeitraum auch nicht iVm. der PostmindestlohnVO für das Arbeitsverhältnis der Parteien. Die PostmindestlohnVO ist wegen Verletzung der gemäß § 1 Abs. 3a Satz 2 AEntG aF vorgegebenen Beteiligungsrechte unwirksam.
14a) Dabei geht der Kläger zu Recht davon aus, dass es auf das - 8 C 19.09 - BVerwGE 136, 54 = EzA AEntG § 1 Nr. 13) nicht entscheidend ankommt. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil zwar die PostmindestlohnVO als unwirksam angesehen. Diese Auffassung war jedoch lediglich ein Begründungselement bei der Entscheidung über den Streitgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, nämlich über das Feststellungsbegehren, dass die dortigen Kläger durch die PostmindestlohnVO in ihren Rechten verletzt seien. Eine dazu ergangene Entscheidung entfaltet keine Rechtskraftwirkung über die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger hinaus. Sie bindet auch nicht die Parteien im vorliegenden Rechtsstreit (vgl. zur Bindungswirkung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bereits - AP ZPO § 148 Nr. 9 = EzA ZPO 2002 § 148 Nr. 1).
15b) Die PostmindestlohnVO, deren Wirksamkeit als Vorfrage in jedem arbeitsgerichtlichen Verfahren, in dem es entscheidungserheblich darauf ankommt, zu prüfen ist, ist unwirksam. Das Verordnungsverfahren leidet an einem wesentlichen Verfahrensfehler. Dies hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts bereits mit Urteil vom (- 5 AZR 630/10 - EzA BGB 2002 § 138 Nr. 6) entschieden. Dem schließt sich der Vierte Senat an.
16aa) § 1 Abs. 3a Satz 2 AEntG aF sah vor, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales vor Erlass der Rechtsverordnung den in den Geltungsbereich der Rechtsverordnung fallenden Arbeitgebern und Arbeitnehmern sowie den Parteien des Tarifvertrages Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme zu geben hatte. Dieses Recht zur Stellungnahme soll ausweislich der Gesetzesbegründung gewährleisten, dass der Verordnungsgeber die Interessen aller Betroffenen in das Verordnungsverfahren einbezieht und in dem späteren Abwägungsvorgang widerstreitende Interessen gewichtet und wertet (vgl. Begründung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung BT-Drucks. 14/151 S. 33). Dafür spricht auch die Gesetzessystematik. Mit § 1 Abs. 3a AEntG aF sollte das bis dahin für eine Ausweitung der Geltung eines Tarifvertrages allein zur Verfügung stehende Instrument der Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG um die Möglichkeit der Tariferstreckung kraft Rechtsverordnung ergänzt werden. Da die Voraussetzungen einer Allgemeinverbindlicherklärung mit den Erfordernissen des Einvernehmens mit einem aus jeweils drei Vertretern der Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer bestehenden Ausschuss, der Repräsentativität (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG) und des öffentlichen Interesses (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 TVG) weitaus höhere Anforderungen stellen als das Verfahren nach § 1 Abs. 3a AEntG aF, kommt dem Recht zur Stellungnahme nach § 1 Abs. 3a Satz 2 AEntG aF als Ausgleich ein besonderes Gewicht zu ( - Rn. 24 mwN, EzA BGB 2002 § 138 Nr. 6).
17Die danach erforderliche Möglichkeit zur Stellungnahme zu dem - die Änderung im Geltungsbereich des TV Mindestlohn Briefdienstleistungen vom gegenüber dem vom nachverfolgenden - geänderten Entwurf der Rechtsverordnung wurde nicht eröffnet. Eine Veröffentlichung im Bundesanzeiger unterblieb.
18bb) Die mit dem Tarifvertrag vom erfolgte Änderung war wesentlich. Der Geltungsbereich des ursprünglichen Tarifvertrages sollte alle Betriebe erfassen, die gewerbs- oder geschäftsmäßig Briefsendungen für Dritte befördern, ohne dass es auf den Anteil dieser Tätigkeit an der Gesamttätigkeit angekommen wäre. Dagegen sah der Tarifvertrag vom eine Beschränkung auf Betriebe und selbstständige Betriebsabteilungen vor, die überwiegend gewerbs- oder geschäftsmäßig Briefsendungen für Dritte befördern. Durch diese Änderung des Geltungsbereichs drohte eine erhebliche Verschärfung der Wettbewerbssituation der Hauptkonkurrenten der Deutschen Post AG. Dies betraf weniger den Wettbewerb zur Deutschen Post AG selbst, als den Wettbewerb der Hauptkonkurrenten untereinander. Während ursprünglich jedes Unternehmen, das Briefsendungen beförderte, einen Mindestlohn zu zahlen gehabt hätte, waren durch den Tarifvertrag vom Unternehmen, deren Betriebe bzw. selbstständige Betriebsabteilungen nicht überwiegend Briefsendungen befördern, von der Pflicht zur Zahlung eines Mindestlohns befreit, was deren Wettbewerbssituation verbessern konnte. Dazu nur diejenigen (erneut) anzuhören, die bereits Stellung genommen hatten, reicht unter keinem der vom Kläger genannten Gesichtspunkte aus. Auch wenn die Tarifvertragsparteien und der Verordnungsgeber mit den erfolgten Änderungen lediglich Entscheidungen des Gesetzgebers bei der zeitgleichen Änderung des AEntG nachvollziehen wollten, ändert dies nichts an der Notwendigkeit, allen Betroffenen die erneute Gelegenheit zur Stellungnahme zu eröffnen, insbesondere auch denjenigen Arbeitgebern, die möglicherweise unter der ursprünglichen Wettbewerbssituation auf eine Stellungnahme verzichtet hatten ( - Rn. 26 f., EzA BGB 2002 § 138 Nr. 6).
19cc) Ein Fehler im Verordnungsverfahren ist jedenfalls dann wesentlich, wenn ein Verfahrenserfordernis, das der Gesetzgeber im Interesse sachrichtiger Normierungen statuiert hat, in funktionserheblicher Weise verletzt wurde. Ein Verstoß gegen Anhörungs- und Beteiligungsrechte führt daher in solchen Fällen regelmäßig zur Ungültigkeit der Verordnung ( - Rn. 28, EzA BGB 2002 § 138 Nr. 6 unter Verweis auf - Rn. 126 ff. mwN, BVerfGE 127, 293; 8 C 19.09 - Rn. 68, BVerwGE 136, 54 = EzA AEntG § 1 Nr. 13).
20Gerade wegen der durch den eingeschränkten Geltungsbereich möglichen Veränderung der wettbewerbsrechtlichen Ausgangssituation der Wettbewerber der Deutschen Post AG ist nicht auszuschließen, dass im Rahmen eines erneuten Anhörungsverfahrens gewichtige Argumente vorgebracht worden wären, die der Verordnungsgeber nicht hätte unberücksichtigt lassen dürfen ( - Rn. 29, EzA BGB 2002 § 138 Nr. 6).
21c) Die Nichtaufhebung der PostmindestlohnVO durch den Verordnungsgeber führt - entgegen der Auffassung des Klägers - nicht zu deren weiterer Anwendung. Ob eine Rechtsverordnung durch ihre Ermächtigungsgrundlage gedeckt ist, beurteilt grundsätzlich das zuständige Fachgericht im Rahmen einer Inzidenterkontrolle. Das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1 GG gilt für Rechtsverordnungen nicht. Einer förmlichen Aufhebung der unwirksamen PostmindestlohnVO bedurfte es nicht ( - Rn. 30, EzA BGB 2002 § 138 Nr. 6 unter Verweis auf - BVerfGE 48, 40; - Rn. 15, AP ZPO § 148 Nr. 9 = EzA ZPO 2002 § 148 Nr. 1 und 11 C 13.99 - zu 2 b der Gründe, BVerwGE 111, 276).
224. Soweit das Landesarbeitsgericht seine Entscheidung auch darauf gestützt hat, der Kläger könne sich nicht auf den Tatbestand des Lohnwuchers berufen, ist klarzustellen, dass insoweit ein von Amts wegen zu beachtender Verstoß gegen den Antragsgrundsatz (§ 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO) vorliegt. Der Antragsgrundsatz ist nicht nur dann verletzt, wenn einer Partei etwas zugesprochen wird, ohne dass sie dies beantragt hat, sondern auch dann, wenn ihr ein Anspruch aberkannt wird, den sie nicht zur Entscheidung gestellt hat ( - Rn. 13 mwN, AP TVG § 3 Verbandsaustritt Nr. 15 = EzA TVG § 3 Verbandsaustritt Nr. 4; - 4 AZR 657/08 - Rn. 28 mwN, AP ZPO § 551 Nr. 68; - 4 AZR 98/70 - BAGE 23, 146; - zu I 2 a der Gründe mwN, NJW 1991, 1683).
23Der Kläger hat seine Klage in den Vorinstanzen nicht auf diesen Streitgegenstand gestützt. Das Landesarbeitsgericht hätte nach § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO deshalb nicht über diesen - möglichen - Anspruch entscheiden dürfen.
24Mit der Berichtigung wird, ohne dass es insoweit eines förmlichen Entscheidungsausspruchs bedarf ( - Rn. 17 mwN, AP TVG § 3 Verbandsaustritt Nr. 15 = EzA TVG § 3 Verbandsaustritt Nr. 4; - 4 AZR 657/08 - Rn. 29 mwN, AP ZPO § 551 Nr. 68), eine sonst eintretende Rechtskraft (vgl. - Rn. 17 mwN, aaO unter Hinweis auf - zu II 2 a der Gründe, NJW 1999, 287) hinsichtlich des von dem Kläger nicht geltend gemachten, aber gleichwohl beschiedenen Anspruchs verhindert.
II. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels zu tragen.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
HAAAE-29696