„Vermeidung von Beweisaufnahmen?”
Der Anscheinsbeweis in der Rechtsprechung des BFH
Mit erst kürzlich veröffentlichtem Urteil vom - VIII R 42/09 NWB FAAAE-28009 hat der VIII. Senat des BFH zur sog. 1 %-Regelung entschieden, dass der Beweis des ersten Anscheins, der für eine private Nutzung betrieblicher Pkw spricht, entkräftet ist, wenn für private Fahrten andere Fahrzeuge zur Verfügung stehen, die dem betrieblichen Fahrzeug in Status und Gebrauchswert vergleichbar sind. Damit hat der Senat Beweisregeln angewandt, die sich in jüngster Zeit beim BFH immer größerer Beliebtheit erfreuen. Von den insgesamt 381 seit 1958 nachgewiesenen Entscheidungen des BFH zum Anscheinsbeweis sind, beginnend mit einem Beschluss vom - VI B 258/98 NWB LAAAA-63799, allein 60 Entscheidungen in den letzten 14 Jahren zur privaten Nutzung eines Firmenwagens ergangen. Dabei ging es stets um die Anwendung und Entkräftung oder Widerlegung des Anscheinsbeweises, ohne dass das Gericht auf die dogmatischen Grundlagen dieses auch als prima-facie-Beweis bezeichneten Instituts eingegangen wäre.
Angesichts dieser fast inflationären Verwendung des Anscheinsbeweises bei der Kfz-Nutzung erstaunt es dann doch einigermaßen, dass das BMF in seinem grundlegenden Schreiben zu § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 bis 3 EStG (, BStBl 2012 I S. 1099) den Begriff des Anscheins- oder prima-facie-Beweises überhaupt nicht verwendet, stattdessen aber von einer Vermutung ausgeht. Der widerlegbaren Vermutung nämlich, dass für Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte und für Familienheimfahrten das Kraftfahrzeug mit dem höchsten Listenpreis genutzt wird. Darin zeigen sich schon die Probleme einer Abgrenzung von Anscheinsbeweis und Vermutung, die beide ihrerseits vom Indizienbeweis zu unterscheiden sind. Der klassische Anwendungsbereich des Anscheinsbeweises war und ist der Zivilprozess und der klassische Anwendungsbereich im Zivilprozess ist von jeher das Straßenverkehrsrecht (auch hier geht es um Autos!). Der Blick in einen der Standardkommentare zur ZPO verheißt kaum Klarheit: „Der Anscheinsbeweis ist ungeachtet seiner fehlenden dogmatischen Ableitung gewohnheitsrechtlich anerkannt und aus der gerichtlichen Praxis nicht wegzudenken” (Zöller, ZPO, 20. Aufl. 2012, Vor § 284 Rn. 29). Das dogmatische Defizit offenbart sich durch den Meinungsstreit zwischen der Beweislasttheorie, eine Theorie der Beweiswürdigung, sowie einer Beweismaßtheorie.
Kommen wir aber zurück auf das Urteil vom , das allgemein als für den Steuerpflichtigen günstig beurteilt wird. Eine Erleichterung für die Praxis wird es mit dem neuen streitanfälligen Abgrenzungskriterium eines nach „Status und Gebrauchswert vergleichbaren” Fahrzeugs kaum bewirken. Ist der 928-er als nur bis 1995 produziertes Auslaufmodell dem 911-er wirklich ein nach „Status und Gebrauchswert vergleichbares” Modell; die Baujahre sind im Tatbestand nicht angegeben. Und dann muss die Entkräftung des Anscheinsbeweises zwangsläufig zu der Beweisaufnahme (durch Zeugenvernehmung etwa) führen, die man mit dem Anscheinsbeweis gerade vermeiden wollte.
Hans_Joachim Kanzler
Fundstelle(n):
NWB 2013 Seite 409
NWB QAAAE-28831