BFH Urteil v. - V R 57/10 BStBl 2013 II S. 912

Abzug von Versorgungsleistungen bei Vermögensübergabe im Wege der vorweggenommenen Erbfolge

Leitsatz

Versorgungsleistungen, die das Kind aufgrund einer Vermögensübergabe im Wege vorweggenommener Erbfolge aus den Erträgen des übergebenen Vermögens an den nicht für dieses Kind kindergeldberechtigten Vermögensübergeber leistet, sind bei der Bemessungsgrundlage für den Jahresgrenzbetrag (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) zu berücksichtigen.

Gesetze: EStG § 32 Abs. 4 Satz 2

Instanzenzug: (EFG 2010, 741) (Verfahrensverlauf),

Gründe

I.

1 Streitig ist, ob die von einem Kind aufgrund einer Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge aus der übertragenen Einkunftsquelle bezogenen Einkünfte um vertraglich vereinbarte Versorgungsleistungen zu mindern sind, die an den Vermögensübergeber gezahlt werden. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Vater der am geborenen Tochter (A), die in den Streitzeiträumen (2001, 2003 und 2004) an einer Universität als Studentin immatrikuliert war. Sie erzielte u.a. Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aufgrund einer Beteiligung an einer zusammen mit dem Vater und der Schwester gebildeten Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), die Einkünfte aus der Vermietung und Verpachtung eines gewerblich vermieteten Grundstücks bezog. Das Grundstück war der GbR bereits mit Notarvertrag vom von der Mutter des Klägers (X) im Wege der unentgeltlichen Vermögensübergabe im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge gegen Versorgungsleistungen (dauernde Last), die einkommensteuerrechtlich als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der in den Streitjahren 2001, 2003 und 2004 geltenden Fassung abziehbar sind, übertragen worden. X verstarb am im Oktober 2004.

2 Die auf die A entfallenden Einkünfte lagen in den Streitjahren —je nachdem, ob die Versorgungsleistungen von den Einkünften der A abgezogen werden— über oder unter dem jeweiligen Grenzbeträgen des § 32 Abs. 4 EStG a.F.

3 Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) lehnte mit Bescheid vom die Gewährung von Kindergeld ab. Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruch hiergegen erhobenen Klage statt.

4 Zur Begründung des in „Entscheidungen der Finanzgerichte” 2010, 741 veröffentlichten Urteils führte das FG aus, zwar werde ein über 18 Jahre altes Kind nach § 32 Abs. 4 EStG dann nicht mehr beim Kindergeld berücksichtigt, wenn die eigenen Einkünfte den jeweiligen Grenzbetrag überschritten. Nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 2 EStG seien unter Einkünften die Einnahmen unter Abzug von Betriebsausgaben oder Werbungskosten zu verstehen, nicht aber von Sonderausgaben, wozu die fraglichen Unterhaltskosten gehörten. Bei verfassungskonformer Auslegung des § 32 Abs. 4 EStG dürften Einkünfte und Bezüge des Kindes jedoch nur dann berücksichtigt werden, wenn diese zur Bestreitung des Unterhalts „bestimmt und geeignet” seien. Dies sei in Höhe der vom Vermögensübergeber vorbehaltenen Versorgungsleistungen nicht der Fall. Kerngedanke der Vermögensübertragung gegen Versorgungsleistung sei es, dass der Vermögensübergeber sich Teile des übertragenen Vermögens zur eigenen Versorgung vorbehalte. Diese vorbehaltenen Versorgungserträge seien einkommensteuerrechtlich auch nicht als Zuwendungen des Vermögensübernehmers aufgrund freiwillig begründeter Rechtspflicht zu beurteilen. Das Urteil des (juris), das der III. Senat des nach § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO) bestätigt habe, stehe dem nicht entgegen, weil dort Empfänger der dauernden Last der kindergeldberechtigte Vater selbst gewesen sei.

5 Hiergegen wendet sich die Familienkasse mit der vom FG zugelassenen Revision. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe nur z.B. Abzugsbeträge, wie die Berücksichtigung von Sozialversicherungsbeiträgen, zugelassen, die unabhängig von einer Willensbetätigung des Kindes entstünden. Die Versorgungsleistungen beruhten vorliegend jedoch auf einer freiwillig begründeten Rechtspflicht aufgrund der Vereinbarung im Vermögensübergabevertrag.

6 Die Familienkasse beantragt,

das aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7 Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

8 Nur solche Einkünfte des Kindes könnten den Kindergeldanspruch ausschließen, die zur Bestreitung des Unterhalts und der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet seien. Soweit die Einkünfte zur Erfüllung der Unterhaltsauflage der Übergeberin des Vermögens, der Mutter des Klägers, vorbehalten seien, fehle es daran. Diese Einkünfte seien zur Deckung des Unterhaltsbedarfs der Mutter des Klägers und nicht der Tochter des Klägers bestimmt. Es liege auch keine freiwillig begründete Rechtspflicht vor.

II.

9 Die Revision gegen das Urteil des FG ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

10 1. Nach § 32 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a i.V.m. Satz 2 EStG war ein über 18 Jahre altes, in Berufsausbildung befindliches Kind —wie im Streitfall A— beim Kindergeld nicht mehr zu berücksichtigen, wenn es „Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind” erhält, die in den Streitjahren den Grenzbetrag von 14.040 DM (2001), 7.188 € (2003) und 7.680 € (2004) überschreiten. Die von A erzielten Einkünfte aus ihrer Beteiligung an der GbR überstiegen diese Grenzbeträge; berücksichtigt man —wie die Vorinstanz— die auf die Tochter des Klägers entfallenden Versorgungsleistungen als Abzugsposten, wurden die Grenzbeträge jedoch nicht überschritten.

11 a) Der Begriff der Einkünfte i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG entspricht dem in § 2 Abs. 2 EStG gesetzlich definierten Begriff und ist je nach Einkunftsart als Gewinn oder als Über-schuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu verstehen. Er-zielt das Kind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, sind daher von den Einnahmen die Werbungskosten abzuziehen (stän-dige Rechtsprechung, z.B. , BFH/NV 2011, 251; vom III R 59/09, BFHE 230, 142, BStBl II 2011, 121).

12 Darüber hinaus sind nach der Entscheidung des (BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, 260, Beilage 3) im Wege verfassungskonformer Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG Einkünfte —ebenso wie die Bezüge— nur zu berücksichtigen, soweit sie zur Bestreitung des Unterhalts und der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind. Es ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, welche Teile der Ein-künfte i.S. des § 2 Abs. 2 EStG wegen eines sonst vorliegenden Grundrechtsverstoßes im Wege verfassungskonformer Einschränkung nicht angesetzt werden dürfen (z.B. BFH-Urteile in BFH/NV 2011, 251; vom III R 72/07, BFHE 233, 449, BStBl II 2011, 974).

13 b) Zweck der Begrenzung von Ansprüchen gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist es, diejenigen Eltern von finanziellen Entlastungen durch Freibeträge und Kindergeld auszuschließen, deren Kinder über eigene Einkünfte und Bezüge in einer das zu schützende Existenzminimum übersteigenden Höhe verfügen, so dass zugleich die Unterhaltspflicht der Eltern entfällt oder sich mindert. Die folgerichtige Beachtung dieses Zwecks verlangt, dass für die Einbeziehung von Mitteln des Kindes in die Bemessungsgröße für die Freigrenze die mögliche Entlastungswirkung solcher Mittel bei den unterhaltspflichtigen Eltern entscheidet, denn auf deren Leistungsfähigkeit kommt es für die Gewährung und Begrenzung von Kindergeld und Kinderfreibeträgen an. Mit dem Jahresgrenzbetrag für „unschädliche” Einkünfte und Bezüge des Kindes wird bestimmt, ob und wieweit anderweitige finanzielle Entlastungen der Unterhaltsverpflichteten eine aus öffentlichen Haushalten finanzierte zusätzliche Entlastung ausschließen (BVerfG in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, 260, Beilage 3 Rdnr. 39). Danach sind „diejenigen Beträge, die, wie die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge, von Gesetzes wegen dem Einkünfte erzielenden Kind oder dessen Eltern nicht verfügbar sind und deshalb keine Entlastung bei den Eltern bewirken können, sondern anderen Zwecken als der Bestreitung des Unterhalts zu dienen bestimmt sind, nicht in die Bemessungsgröße des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einzubeziehen (BVerfG in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, 260, Beilage 3 Rdnr. 52).

14 c) Im Streitfall ist zu berücksichtigen, dass die auf die Tochter des Klägers aufgrund ihrer Beteiligung an der GbR entfallenden Einkünfte ebenso wie die Verpflichtung zur Zahlung der Versorgungsleistungen auf einer Vermögensübergabe im Wege der vorweggenommenen Erbfolge beruhen und daher dem Sonderrecht der Vermögensübergabe unterliegen.

15 Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist dabei davon auszugehen, dass der Übernehmer des Vermögens durch die Übernahme der Verpflichtung zur Erbringung der Versorgungsleistungen keine Gegenleistung für die Übernahme des Vermögens an den Übergeber im Sinne eines Anschaffungsvorgangs erbringt, sondern sich der Übergeber vielmehr aus dem übertragenen Vermögen Teile der nunmehr vom Vermögensübernehmer zu erwirtschaftenden Nettoerträge vorbehält (Beschlüsse des Großen Senats des , BFHE 161, 317, BStBl II 1990, 847, und vom GrS 1/90, BFHE 165, 225, BStBl II 1992, 78). Danach stellt die Übernahme der Verpflichtung zu Versorgungsleistungen eine von vornherein vom Übergeber vorbehaltene Minderung des übertragenen Vermögens dar. Wie der Große Senat des BFH ausgeführt hat, unterscheidet sich die Versorgungsleistung von einer Unterhaltsleistung; sie enthält deshalb auch keine Zuwendung des Übernehmenden aufgrund freiwillig begründeter Rechtspflicht (Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 161, 317, BStBl II 1990, 847 Leitsatz 2, unter C.II.1.c). Der Vorbehalt der Erträge stelle sich vielmehr dar als ein „Transfer steuerlicher Leistungsfähigkeit” (vgl. z.B. , BFHE 219, 160, BStBl II 2008, 123; vom X R 32/09, BFHE 228, 291, BStBl II 2011, 162, unter II.3.a) und führe zu einem vergleichbaren Ergebnis wie bei der unentgeltlichen Übertragung einer Einkunftsquelle unter Nießbrauchsvorbehalt (Beschlüsse des Großen Senats des BFH in BFHE 161, 317, BStBl II 1990, 847, unter C.II.1.c, und vom GrS 1/00, BFHE 202, 464, BStBl II 2004, 95, unter C.II.2.c; BFH-Urteil in BFHE 228, 291, BStBl II 2011, 162, unter II.3.b). Dies gebietet eine Gleichhandlung einer Vermögensübertragung gegen Versorgungslast mit der Übertragung einer Einkunftsquelle unter Nießbrauchsvorbehalt.

16 d) Es liegen auch keine anderen Bezüge i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG vor. Bezüge im Sinne der Vorschrift sind alle Zuflüsse in Geld oder Naturalleistungen, die nicht im Rahmen der einkommensteuerrechtlichen Einkünfteermittlung erfasst werden (z.B. , BFHE 225, 141, BStBl II 2010, 346; vom III R 33/06, BFH/NV 2008, 1664, jeweils m.w.N.). Ob und in welchem Umfang bei einer Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen der Vermögenserwerb als Bezüge i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu erfassen ist, kann im Streitfall offenbleiben, denn das im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertragene Grundstück hat die GbR bereits 1994 und damit vor den Streitzeiträumen erhalten.

17 e) Nach Abzug der auf A entfallenden anteiligen Versorgungsleistungen sind die zu berücksichtigenden Einkünfte der A in den Streitjahren geringer als der Grenzbetrag, so dass dem Kläger Kindergeld in der beantragten Höhe für die Streitjahre zusteht.

18 2. Der Senat weicht mit seiner Entscheidung nicht vom (nicht veröffentlicht) nach § 126a FGO ab, durch den der BFH die Revision gegen das Urteil des (juris) als unbegründet zurückgewiesen hat.

19 In dem vom III. Senat entschiedenen Sachverhalt waren die Versorgungsleistungen an die Kindergeldberechtigte selbst zu zahlen und führten daher zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Kindergeldberechtigten, sodass deren Entlastung durch Kindergeld nicht geboten war, denn nach der Rechtsprechung des BVerfG gebietet der Zweck des § 32 Abs. 4 EStG, dass für die Einbeziehung von Mitteln des Kindes in die Bemessungsgröße für die Freigrenze die mögliche Entlastungswirkung solcher Mittel bei den unterhaltspflichtigen Eltern entscheidet, weil es auf deren Leistungsfähigkeit für Gewährung und Begrenzung von Kindergeld und Kinderfreibeträgen ankommt (BVerfG in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, 260, Beilage 3 Rdnr. 39). Anders als in dem vom III. Senat entschiedenen Fall stehen im Streitfall die Versorgungsleistungen nicht dem Kindergeldberechtigten, sondern einem Dritten zu. Der III. Senat hat auf Anfrage mitgeteilt, dass er wegen der unterschiedlichen Sachverhalte keine Abweichung von seinem Beschluss vom III R 20/06 sehe.

20 3. Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2, § 121 Satz 1 FGO).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BStBl 2013 II Seite 912
BFH/NV 2013 S. 456 Nr. 3
BFH/PR 2013 S. 120 Nr. 4
BStBl II 2013 S. 912 Nr. 21
DB 2013 S. 272 Nr. 6
DB 2013 S. 6 Nr. 5
DStR 2013 S. 8 Nr. 5
DStRE 2013 S. 343 Nr. 6
DStZ 2013 S. 134 Nr. 5
EStB 2013 S. 132 Nr. 4
ErbBstg 2013 S. 57 Nr. 3
ErbStB 2013 S. 73 Nr. 3
FR 2013 S. 820 Nr. 17
HFR 2013 S. 235 Nr. 3
KÖSDI 2013 S. 18247 Nr. 2
NJW 2013 S. 1552 Nr. 21
NWB-Eilnachricht Nr. 6/2013 S. 339
StB 2013 S. 58 Nr. 3
StBW 2013 S. 148 Nr. 4
StBW 2013 S. 207 Nr. 5
BAAAE-28006