BFH Beschluss v. - V S 11/12

Ablehnungsgesuch ist eine Prozesshandlung; Absehen von einer Begründung; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Gesetze: FGO § 51 Abs. 1, FGO § 56 Abs. 1, FGO § 78 Abs. 3, FGO § 115 Abs. 2, FGO § 116 Abs. 3, FGO § 116 Abs. 5, FGO § 133a, ZPO § 42 Abs. 2, ZPO § 43, ZPO § 44 Abs. 1, ZPO § 47, GG Art. 101 Abs. 1, GG Art. 103

Instanzenzug:

Gründe

1 I. Mit Beschluss vom V B 41/11, zugestellt am , hat der Senat die Beschwerde des Klägers, Beschwerdeführers und Rügeführers (Rügeführer) wegen Nichtzulassung der Revision gegen das als unbegründet zurückgewiesen.

2 Hiergegen wendet sich der Rügeführer mit seiner Anhörungsrüge (§ 133a der FinanzgerichtsordnungFGO—). Er rügt die Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Der Beschluss des Senats sei nicht mit Gründen versehen, da eine Prüfung seiner Richtigkeit und Rechtmäßigkeit anhand der gegebenen Begründung nicht möglich sei. Zudem habe der Senat bei seiner Überzeugungsbildung den tatsächlichen Sachverhalt nur unvollständig berücksichtigt. Es handele sich aufgrund dessen um eine Überraschungsentscheidung. Darüber hinaus habe der Senat die nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist eingereichten Schriftsätze zu Unrecht nicht berücksichtigt.

3 Mit Schriftsätzen vom und beantragte der Rügeführer „hilfsweise insofern und insoweit” Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, als die im Schriftsatz vom enthaltenen Ausführungen nicht erläuternder, ergänzender oder vervollständigender Natur seien.

4 Mit Schriftsatz vom beantragte der Rügeführer unter vorsorglicher Geltendmachung der Besorgnis der Befangenheit gegen gegebenenfalls noch zu benennende Mitglieder des Senats Einsicht in den gerichtsinternen Schriftverkehr und andere gerichtsinterne Vorgänge, die die Geschäftsstelle betref-fen. Die Besorgnis der Befangenheit könne dadurch begründet sein, dass die Entscheidungen zweier Senate des Bundesfinanzhofs (BFH) über Nichtzulassungsbeschwerden im Abstand von nur einer Woche zugestellt wurden, dadurch eine Überschneidung der nur zweiwöchigen Frist zur Erhebung der Anhörungsrügen eingetreten sei und die Verteidigung in beiden gleichzeitig zu führenden Rügeverfahren wesentlich erschwert worden sei.

5 II. 1. Der Senat entscheidet über die Anhörungsrüge in seiner nach dem Geschäftsverteilungsplan vorgesehenen Besetzung, da kein wirksames Ablehnungsgesuch vorliegt.

6 a) Nach § 51 Abs. 1 FGO i.V.m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen dessen Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Die Ablehnung erfordert zur Geltendmachung des Ablehnungsgrundes ein Ablehnungsgesuch (vgl. § 44 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO).

7 Das Ablehnungsgesuch ist eine Prozesshandlung (, BFH/NV 1999, 476). Aus Gründen der Prozessklarheit und angesichts des verfassungsrechtlichen Grundsatzes des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des GrundgesetzesGG—) muss sich aus der Erklärung eindeutig ergeben, dass es sich um ein Ablehnungsgesuch handelt. Ein abgelehnter Richter darf bis zur Erledigung des Ablehnungsgesuches nur noch unaufschiebbare Amtshandlungen vornehmen (vgl. § 47 ZPO i.V.m. § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO). Schon diese Beschränkung der Handlungsbefugnis des abgelehnten Richters macht es unerlässlich, dass insoweit Klarheit besteht, ob ein Ablehnungsgesuch vorliegt. Klarheit und Eindeutigkeit ist auch erforderlich, um einen Verlust des Ablehnungsrechtes nach § 43 ZPO sicher feststellen zu können (vgl. BFH-Beschlüsse vom VIII S 11/93, BFH/NV 1995, 540, 542; in BFH/NV 1999, 476).

8 b) Die vorsorgliche Geltendmachung der Besorgnis der Befangenheit für gegebenenfalls noch zu benennende Mitglieder des Senats erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Die Erklärung lässt nicht erkennen, welcher Richter bzw. welche Richter abgelehnt werden. Es handelt sich auch nicht um eine Ablehnung des gesamten Spruchkörpers. Die Ankündigung eines Ablehnungsgesuches —wie hier— führt nicht zum Ausschluss eines Richters (vgl. BFH-Beschlüsse vom I S 8/12, BFH/NV 2012, 1813; vom VII S 22/06 (PKH), BFH/NV 2007, 1903).

9 2. Die Anhörungsrüge ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 133a Abs. 4 Satz 2 FGO). Der Senat hat den Anspruch des Rügeführers auf rechtliches Gehör nicht verletzt.

10 a) Gemäß § 133a Abs. 1 FGO ist auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Daran fehlt es hier.

11 b) Der beanstandete Beschluss bedurfte keiner weiteren Begründung. Innerhalb seiner Gesamtwürdigung brauchte der Senat nicht auf alle Punkte des umfangreichen Vortrags des Rügeführers ausdrücklich einzugehen. Dies ergibt sich aus § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO. Da in dieser Vorschrift der Verzicht auf eine Begründung vorgesehen ist, kann aus einer entsprechenden Handhabung nicht gefolgert werden, der BFH habe das Vorbringen der Beteiligten nicht erwogen und den Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör i.S. von Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. , BFH/NV 2007, 750, m.w.N.), zumal nach § 116 Abs. 5 Satz 2 2. Halb-satz FGO auch von jeglicher Begründung abgesehen werden kann. Die Vorschrift ist auch unter verfassungsrechtlichen Gesichts-punkten unbedenklich (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2007, 750; vom I S 11/05, BFH/NV 2006, 97, m.w.N.).

12 c) Der Senat hat auch die in den nach Ablauf der Begründungsfrist und damit verspätet eingereichten Schriftsätzen vom , und enthaltenen Ausführungen, soweit sie nicht nur erläuternder, ergänzender oder vervollständigender Natur sind, zu Recht unberücksichtigt gelassen. Nach § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO ist die Beschwerde innerhalb von zwei Monaten zu begründen. Diese Frist kann —wie im Streitfall geschehen— gemäß § 116 Abs. 3 Satz 4 FGO um einen weiteren Monat verlängert werden. Innerhalb der Frist sind nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO darzulegen. Daher ist nach ständiger Rechtsprechung das Vorbringen nach Ablauf der Beschwerdefrist unbeachtlich, soweit es nicht die innerhalb der Beschwerdefrist schon abgegebene Begründung nur erläutert, ergänzt oder vervollständigt (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom IX B 3/11, BFH/NV 2012, 700; vom V B 37/11, BFH/NV 2012, 956). Neue Revisionszulassungsgründe können nach Ablauf der Frist des § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO daher nicht mehr geltend gemacht werden.

13 d) Entgegen der Auffassung des Rügeführers liegt zudem auch keine Überraschungsentscheidung vor.

14 Der Anspruch auf rechtliches Gehör wird durch eine Überraschungsentscheidung verletzt, wenn das Gericht aufgrund von Gesichtspunkten entscheidet, mit denen ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte, ohne zuvor darauf hinzuweisen und Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (vgl. z.B. , BFH/NV 2011, 1523). Daran fehlt es hier.

15 Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren erfordern weder eine Sachverhaltswürdigung noch die rechtliche „Lösung” des Streitfalles, bei der sich gegenüber dem bisherigen Verfahren neue Aspekte ergeben könnten, sondern lediglich die Prüfung, ob Zulassungsgründe i.S. von § 115 Abs. 2 FGO vorliegen und bis zum Ablauf der Begründungsfrist (§ 116 Abs. 3 Satz 1 FGO) auch dargelegt wurden. Überraschungsentscheidungen sind daher im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren praktisch ausgeschlossen (vgl. , BFH/NV 2011, 1902, m.w.N.).

16 Mit seiner Rüge, der Senat habe eine Überraschungsentscheidung getroffen, macht der Rügeführer letztlich Einwendungen gegen die materielle Richtigkeit des Senatsbeschlusses vom geltend. Einwendungen gegen die materielle Richtigkeit der Entscheidung sind jedoch im Verfahren über die Anhörungsrüge nicht zu prüfen, da diese auf die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs beschränkt ist (vgl. z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2011, 1902).

17 3. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Anhörungsrüge hat keinen Erfolg.

18 Gemäß § 56 Abs. 1 FGO kann auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, wenn unverschuldet eine gesetzliche Frist versäumt worden ist. Der Rügeführer hat im Streitfall jedoch keine gesetzliche Verfahrensfrist versäumt. Er hat den Schriftsatz, mit dem er die Anhörungsrüge erhoben und begründet hat, innerhalb der Begründungsfrist eingereicht und damit die ihm für die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde zugebilligte Frist eingehalten. Das Institut der Wiedereinsetzung dient nicht dazu, inhaltliche Mängel oder Unvollständigkeiten einer fristgerecht eingereichten Begründung zu heilen (z.B. , BFH/NV 1990, 47, m.w.N.; , juris, m.w.N.).

19 Auf die Frage, ob den Prozessbevollmächtigten ein Verschulden an einer unvollständigen Begründung der Anhörungsrüge trifft, kommt es in diesem Verfahren daher nicht an.

20 4. Der Antrag auf Akteneinsicht hat keinen Erfolg. Der Prozessbevollmächtigte des Rügeführers hat bereits am die Akten eingesehen. Die nunmehr begehrte Einsicht in den gerichtsinternen Schriftverkehr und andere gerichtsinterne Vorgänge ist nicht möglich. Hierbei handelt es sich um Entwürfe zu Beschlüssen und Verfügungen und Arbeiten zu ihrer Vorbereitung, die gemäß § 78 Abs. 3 FGO weder vorgelegt noch abschriftlich mitgeteilt werden (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2012, 1813).

21 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 i.V.m. § 143 Abs. 1 FGO. Die Gerichtskosten für die Anhörungsrüge richten sich nach Nr. 6400 des Kostenverzeichnisses zum GerichtskostengesetzGKG— (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG). Es fällt eine Festgebühr von 50 € an.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2013 S. 237 Nr. 2
PAAAE-25872