Jugendstrafverfahren: Bemessung der Jugendstrafe bei erheblichem Therapiebedarf nach einer Sexualstraftat; Anforderungen an die Darlegung in den Urteilsgründen
Gesetze: § 18 Abs 2 JGG, § 21 Abs 1 JGG
Instanzenzug: LG Würzburg Az: JK KLs 833 Js 17098/11 JSch
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung (Tat 1; B. 1. der Urteilsgründe) und Vergewaltigung (Tat 2; B. 2. der Urteilsgründe) zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revision. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel ist nur noch auf die Sachrüge gestützt, nachdem eine zudem erhobene Verfahrensrüge nicht mehr weiterverfolgt wird. Es hat Erfolg.
21. a) Nach den landgerichtlichen Feststellungen hatten sich der Angeklagte und die spätere Geschädigte R. etwa im April 2010 kennengelernt. Im Rahmen einer sexuellen Beziehung war es Anfang Juli 2011 einmal zum Geschlechtsverkehr gekommen. Obwohl R. dem Angeklagten anschließend „deutlich gemacht hatte, dass sie mit ihm keine Beziehung eingehen möchte, versuchte“ dieser sie „in der Folgezeit mehrmals zum Geschlechtsverkehr zu überreden“ (UA S. 9). Bei der Begehung der beiden Taten war der Angeklagte etwa 19 ½ Jahre alt, R. 16 Jahre:
3In der Nacht zum hatten sich beide im Auto des Angeklagten getroffen und etwa eine halbe Stunde „über unverfängliche Dinge unterhalten“. Plötzlich stieg der Angeklagte auf den Beifahrersitz, setzte sich rittlings auf R. , versuchte sie zu küssen, zog trotz ihrer Gegenwehr das Top nach oben, öffnete den BH, fasste an ihre Brust und schob seine Hand unter den Leggings in den Scheidenbereich. Nach etwa 20 Minuten ließ er aufgrund der lauten Schreie R. s von ihr ab (Tat 1).
4Ohne dass es bis dahin zu einem weiteren Kontakt zwischen beiden gekommen war, kündigte der Angeklagte am R. , die allein zuhause war, per SMS sein Erscheinen im Laufe des Abends an. Dabei sicherte er ihr mehrmals zu, dass sich ein Vorfall wie die Tat 1 nicht wiederholen würde. Nachdem der Angeklagte gegen 23.00 Uhr in R. s Elternhaus eingetroffen war und beide ca. eine halbe Stunde ferngesehen und sich unterhalten hatten, setzte sich der Angeklagte breitbeinig auf R. , schob trotz ihrer Gegenwehr das Top nach oben und riss den BH mittig auseinander, so dass er ihre Brust küssen und mit seiner Hand berühren konnte. Vom Sessel auf den Boden gerutscht, zog er ihr Hose und Unterhose aus, führte mehrere Finger in die Scheide ein und sagte, sie solle dies zulassen, „da sie ansonsten noch größere Schmerzen verspüren würde“. Danach entkleidete sich der Angeklagte, übte den vaginalen Geschlechtsverkehr aus, ohne zum Samenerguss zu gelangen, und versuchte im Anschluss vergeblich, der ihre Lippen zusammenpressenden R. seinen Penis in den Mund zu drücken. Nachdem der Angeklagte gleichwohl zum Samenerguss gelangt war, sagte er: „Was war denn daran jetzt so schlimm?“ und verließ nach einiger Zeit das Haus. Noch in der Nacht forderte er R. per SMS auf, über die Geschehnisse Stillschweigen zu bewahren (Tat 2).
5b) Das Landgericht hat die Höhe der allein wegen der Schwere der Schuld verhängten Jugendstrafe auch deshalb als „gerade noch angemessen“ angesehen (UA S. 24), weil der bereits durch sexuell motivierte Straftaten in Erscheinung getretene Angeklagte sich bereit erklärt hat, „sich einer entsprechenden sexualtherapeutischen Maßnahme zu unterziehen“ (UA S. 20). Eine zwischen zwei und drei Jahren betragende Jugendstrafe wäre zwar „im Hinblick auf einen Schuld- und Unrechtsausgleich gegebenenfalls noch vertretbar gewesen“, kam aber „schon aus erzieherischen Gründen … nicht in Betracht“. Hierfür bestimmend war die Annahme, dass die wegen des „erhöhten Rückfallrisikos des Angeklagten“ gebotene „mindestens zwei Jahre lang dauernde Sexualtherapie im geschützten Umfeld einer JVA“ bei dieser Strafhöhe nicht abgeschlossen werden könne und aus diesem Grund nicht begonnen werde (UA S. 24). Die Verhängung einer noch höheren Jugendstrafe sei unverhältnismäßig.
62. Die Beschwerdeführerin beanstandet insbesondere, das Landgericht habe die zur Begrenzung der Jugendstrafe auf zwei Jahre herangezogenen „erzieherischen Gründe“ nicht hinreichend belegt. Soweit dem Angeklagten eine günstige Prognose i.S.d. § 21 Abs. 1 JGG gestellt worden ist, stehe dies schon im Widerspruch zu dem vom Landgericht angenommenen „erhöhten Rückfallrisiko“.
73. Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf Grund der Hauptverhandlung die wesentlichen ent- und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Das Revisionsgericht kann nach ständiger Rechtsprechung nur eingreifen, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen wird oder sich die verhängte Strafe von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatgericht eingeräumten Spielraums liegt (BGHSt 34, 345, 349; 29, 319, 320).
8Hieran gemessen erweist sich die landgerichtliche Strafzumessung als rechtsfehlerhaft; die Jugendstrafe kann aus folgenden Gründen keinen Bestand haben:
9a) Zur Berücksichtigung „erzieherischer Gründe“ bei der Bemessung der Jugendstrafe war das Landgericht durch § 18 Abs. 2 JGG verpflichtet. Insofern war es ihm auch erlaubt, die von ihm - sachverständig beraten - für „erzieherisch geboten“ erachtete Durchführung einer mindestens zwei Jahre dauernden Sexualtherapie als maßgeblichen Gesichtspunkt heranzuziehen.
10Das Landgericht hat es aber versäumt, die für die Annahme der Notwendigkeit einer derartigen Therapie bestimmenden Anknüpfungstatsachen mitzuteilen (zu den besonderen Darlegungsanforderungen des § 54 Abs. 1 JGG s. , StV 1993, 531; Urteil vom - 5 StR 556/09, NStZ-RR 2010, 290; jeweils mwN). Insofern bleibt vor allem offen, aus welchen Gründen und aufgrund welcher Untersuchungen des Sachverständigen es beim Angeklagten ein erhöhtes Rückfallrisiko bejaht hat. Den Urteilsgründen lassen sich als insofern relevante, nicht unbedingt miteinander vereinbare Umstände lediglich die sexuell geprägten Vorbelastungen (UA S. 7 f.) sowie die Bereitschaft des Angeklagten, „sich einer sexualtherapeutischen Maßnahme“ (UA S. 20) bzw. „einer Sexualtherapie zu unterziehen“ (UA S. 25), einerseits und die bei der Prüfung der Schuldfähigkeit erfolgte Mitteilung, es liege keines der medizinischen Eingangsmerkmale der §§ 20, 21 StGB - namentlich keine Störung der Sexualpräferenz (UA S. 17) - vor, andererseits entnehmen. Dem Revisionsgericht ist daher die Nachprüfung nicht möglich, ob das Landgericht die Therapiebedürftigkeit des Angeklagten überhaupt zu Recht bejaht und Art, Ausgestaltung sowie Dauer der Therapie zutreffend bestimmt hat.
11b) Nach dem Vorstehenden kommt es nicht mehr darauf an, dass es erstens widersprüchlich erscheint, wenn das Landgericht eine zweijährige Jugendstrafe als „gerade noch angemessen“, eine ggf. auch nur knapp darüber liegende Strafhöhe dagegen als nur „gegebenenfalls noch vertretbar“ einstuft, und der Senat zweitens vorliegend eine unzulässige Vermischung des Vorgangs der Festsetzung der Jugendstrafe und der grundsätzlich nachrangigen Frage, ob deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werden kann, besorgt (vgl. hierzu mwN).
12c) Das neue Tatgericht wird - entsprechend dem Hinweis des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom - Gelegenheit haben, im Rahmen der seiner Entscheidung zugrundeliegenden Gesamtwürdigung die Frage des Vorliegens schädlicher Neigungen (§ 17 Abs. 2 1. Alt. JGG) zu prüfen. Sofern erneut „erhebliche, derzeit noch nicht absehbare psychische Folgen“ für die Geschädigte „erheblich zu Lasten des Angeklagten“ gewertet werden sollen (UA S. 22), würde es notwendig sein, diese in den Urteilsgründen konkret darzulegen. Hierfür erscheinen die Wiedergabe der Angaben eines Polizeibeamten, „die Geschädigte sei“ nach seinem Eintreffen in ihrem Elternhaus „weinerlich gewesen, habe in sich gekehrt gewirkt und habe ersichtlich unter Schock gestanden“ (UA S. 14), sowie die Angst der Geschädigten vor der Reaktion ihrer Eltern (UA S. 15) als nicht ausreichend (§ 301 StPO).
134. Die Entscheidung des Landgerichts, die Vollstreckung der Jugendstrafe zur Bewährung auszusetzen, ist auch für sich genommen nicht rechtsfehlerfrei begründet worden. Denn es bleibt offen, weshalb das angenommene „erhöhte Rückfallrisiko“ der dem Angeklagten günstigen Prognose i.S.d. § 21 Abs. 1 JGG nicht entgegensteht. Zwar durften in diesem Zusammenhang „enge Bewährungsauflagen und Weisungen“ (UA S. 25) als für die Prognose grundsätzlich relevante sog. flankierende Maßnahmen berücksichtigt werden (vgl. BGH StV 1987, 63; 1992, 230; BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 19, 20 und 21; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung 5. Aufl. Rn. 216). Da jedoch - wie zu 3. a) dargelegt - weder das Rückfallrisiko spezifiziert noch die Bewährungsauflagen und -weisungen in den Urteilsgründen konkretisiert werden, ist dem Senat die Prüfung der landgerichtlichen Einschätzung, dass mit den Bewährungsentscheidungen „diesem Rückfallrisiko … Rechnung getragen werden kann“, verwehrt.
14Im Übrigen hat das Landgericht als für eine zukünftige Straffreiheit des Angeklagten sprechende Umstände vor allem solche herangezogen, die bereits vor der Begehung der Taten vorlagen (UA S. 25). Es hätte deshalb näherer Erörterung bedurft, weshalb ihnen dennoch für eine günstige Prognose maßgebliche Bedeutung zukommen kann (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren aaO Rn. 214).
Nack Wahl Jäger
Sander Radtke
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HAAAE-25412