BAG Urteil v. - 6 AZR 483/11

Grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl bei Verkennung des Betriebsbegriffs

Gesetze: § 125 Abs 1 S 1 Nr 2 InsO, § 1 Abs 3 KSchG

Instanzenzug: ArbG Gießen Az: 6 Ca 568/09 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 3 Sa 1095/10 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung, die der beklagte Insolvenzverwalter auf der Grundlage eines Interessenausgleichs mit Namensliste erklärt hat.

2Der Kläger war seit 1994 zunächst bei der Q AG, später bei der Schuldnerin tätig. Zuletzt leitete er das Q-Technik-Center (QTC) der Schuldnerin in G. Nach § 1 Abs. 3 des Anstellungsvertrags vom 13. April/ konnte der Kläger im gesamten Bundesgebiet eingesetzt werden.

3Die Schuldnerin beschäftigte bundesweit rund 3.500 Arbeitnehmer, von denen 1.022 in den insgesamt 109 QTC arbeiteten. In diesen wurden hauptsächlich technische Geräte an Endverbraucher verkauft. Bei der Schuldnerin war ein Gesamtbetriebsrat gebildet.

Am wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Dieser entschloss sich zu einer grundlegenden Umstrukturierung, die sich auf alle Betriebe der Schuldnerin auswirkte. Am vereinbarte er mit dem Gesamtbetriebsrat der Schuldnerin für alle Arbeitnehmer der von dieser unterhaltenen Betriebe einen Interessenausgleich mit Namensliste, der am Folgetag unterzeichnet wurde. Nach § 2 Ziff. 2 a dieses Interessenausgleichs sollten 107 der 109 QTC bis zum ersatzlos stillgelegt werden. § 4 Ziff. 1 des Interessenausgleichs bestimmte zu den personellen Konsequenzen dieser Betriebsänderung im Einzelnen:

5In den Anlagen 1 und 2 zu diesem Interessenausgleich sind das QTC G und der Kläger aufgeführt.

6Die Schuldnerin unterhielt, wie sich aus § 2 Ziff. 2 h (4) des Interessenausgleichs ergibt, einen weitgehend eigenständigen Bereich, in dem sie mit insgesamt 270 Arbeitnehmern Küchen vertrieb. Diesem Bereich waren vier sog. Küchen-Megastores mit insgesamt 28 Arbeitnehmern, nämlich Leitung, stationären Küchenplanern und Servicemitarbeitern, zugeordnet. Der Küchen-Megastore H sollte geschlossen werden, außerdem sollte ein weiterer den Küchen-Megastores zugeordneter Arbeitsplatz entfallen. Die beiden gemäß § 2 Ziff. 2 a des Interessenausgleichs nicht geschlossenen QTC R und F, in denen 16 bzw. sieben Arbeitnehmer beschäftigt waren, sollten zu Küchen-Megastores umgestaltet werden. Aus § 4 Ziff. 1 Abs. 2 des Interessenausgleichs folgt, dass der Einsatz als Küchenfachverkäufer besondere Vorkenntnisse verlangt. Weil sie diese Vorkenntnisse nicht aufwiesen, wurden von den sieben Arbeitnehmern des QTC F drei und von den 16 Arbeitnehmern des QTC R acht Arbeitnehmer gekündigt.

7Mit Schreiben vom , das dem Kläger am Folgetag, einem Samstag, zuging, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis zum . Mit seiner am , einem Montag, beim Arbeitsgericht eingegangen Klage greift der Kläger diese Kündigung an. Der Beklagte hat zwischenzeitlich am vorsorglich eine weitere ordentliche Kündigung zum erklärt. Der dagegen vom Kläger angestrengte Kündigungsrechtsstreit ist bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im vorliegenden Verfahren ausgesetzt worden.

8Der Kläger hat - soweit für die Revision noch von Bedeutung - vorgetragen, der Interessenausgleich mit Namensliste sei nicht wirksam, weil die Betriebspartner den Betriebsbegriff verkannt hätten. Bereits deshalb sei die Sozialauswahl grob fehlerhaft. Keines der QTC sei selbständig iSv. § 23 KSchG gewesen. Er habe als Leiter des QTC keine Personalverantwortung gehabt. Diese sei komplett zentralisiert gewesen. Die Sozialauswahl habe darum bezogen auf alle QTC bundesweit durchgeführt werden müssen. Er hätte in den beiden verbliebenen QTC als Leiter eingesetzt werden können und müssen, ebenso in den anderen Küchen-Megastores.

9Im letzten Kammertermin vor dem Arbeitsgericht hat der Kläger gerügt, der Beklagte habe nicht dargelegt, dass er den Anforderungen des § 17 KSchG genügt habe.

Der Kläger hat - soweit für die Revision von Bedeutung - zuletzt beantragt

11Der Beklagte hat zur Begründung seines Klageabweisungsantrags die Auffassung vertreten, die Betriebspartner hätten den Betriebsbegriff nicht grob verkannt. Die QTC seien eigenständige Betriebe iSv. § 23 KSchG gewesen. Im Übrigen hätten die Betriebspartner die bewusste Entscheidung getroffen, die Arbeitnehmer der QTC nicht mit anderen Arbeitnehmern zu vergleichen. Jedenfalls im Ergebnis sei die Sozialauswahl mangels vergleichbarer Arbeitnehmer nicht fehlerhaft. Der Kläger habe nicht vorgetragen, mit welchen nicht gekündigten Arbeitnehmern er vergleichbar sei. Die Küchen-Megastores verfolgten einen anderen Geschäftszweck als die QTC, mit dem der Kläger - unstreitig - nie etwas zu tun gehabt habe. Eine Massenentlassungsanzeige sei nicht erforderlich gewesen, weil der Schwellenwert des § 17 KSchG bezogen auf das QTC G nicht erreicht worden sei.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren, die Unwirksamkeit der Kündigung feststellen zu lassen, weiter. Er greift das Urteil des Landesarbeitsgerichts nur mit Rügen an, die die Sozialauswahl sowie § 17 KSchG betreffen.

Gründe

13Die Revision ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung des Beklagten vom mit Ablauf der Kündigungsfrist des § 113 InsO am beendet worden.

14A. Die Revision ist entgegen der Auffassung des Beklagten zulässig. Sie setzt sich mit dem angegriffenen Urteil in einer den gesetzlichen Anforderungen noch genügenden Weise auseinander (zu diesen Anforderungen vgl.  - Rn. 10, NZA 2011, 878). Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Interessenausgleich entfalte die Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO. Darauf basierend hat es die Sozialauswahl als nicht grob fehlerhaft angesehen. Mit seiner Rechtsauffassung, die Betriebspartner hätten den Betriebsbegriff verkannt und bereits deswegen sei die Sozialauswahl grob fehlerhaft, stellt der Kläger das angefochtene Urteil ebenso insgesamt in Frage wie mit der von ihm näher begründeten Auffassung, das Landesarbeitsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass die Betriebspartner den Betriebsgriff jedenfalls nicht offenkundig verkannt hätten. Mit dieser Sachrüge hat die Revisionsbegründung den angenommenen Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufgezeigt, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit den Gründen des angegriffenen Urteils war für die Zulässigkeit der Revision nicht erforderlich (vgl.  - Rn. 15, ZTR 2012, 468). Darauf, ob die rechtlichen Angriffe haltbar sind, kommt es für die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht an.

15B. Die Revision ist unbegründet.

16I. Der allgemeine Feststellungsantrag ist unzulässig. Er bezieht sich infolge der gesondert erhobenen Kündigungsschutzklage gegen die vorsorgliche Kündigung vom nur noch auf die Zeit nach Zugang dieser Kündigung (vgl.  - zu III 2 b der Gründe, BAGE 81, 371). Zu dem Vorliegen eines Feststellungsinteresses für den von der Feststellungsklage erfassten Zeitraum hat der Kläger nichts vorgetragen. Dazu wäre es erforderlich gewesen, wenigstens die Möglichkeit weiterer Beendigungstatbestände darzulegen (vgl.  - zu II 1 b der Gründe, BAGE 85, 262). Das ist nicht geschehen.

17II. Die Kündigung des Beklagten vom ist nicht iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozialwidrig. Das hat das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt.

181. Der Interessenausgleich vom hat die Wirkungen des § 125 InsO entfaltet. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass er wirksam zustande gekommen ist und dass sich die ihm zugrunde liegende Sachlage nicht wesentlich geändert hat. Gegen diese Würdigung des Berufungsgerichts führt die Revision keine Angriffe (vgl. zum Vorliegen einer Betriebsänderung iSd. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG bezogen auf die einzelnen QTC als Voraussetzung für den Abschluss eines Interessenausgleichs  - Rn. 34 ff., EzA BGB 2002 § 613a Nr. 132; zur Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats zum Abschluss eines Interessenausgleichs mit Namensliste bei einer betriebsübergreifenden Betriebsänderung  - Rn. 24 ff., AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 165 = EzA BetrVG 2001 § 26 Nr. 3).

192. Das Landesarbeitsgericht hat ebenfalls ohne Rechtsfehler angenommen, dass der Kläger die Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO nicht widerlegt hat. Auch insoweit erhebt die Revision keine Rügen.

203. Anders als die Revision im Ausgangspunkt ihrer Angriffe gegen die angefochtene Entscheidung annimmt, ist eine Sozialauswahl, der eine Verkennung des Betriebsbegriffs zugrunde liegt, nicht stets als grob fehlerhaft anzusehen.

21a) Die Verkennung des Betriebsbegriffs ist ein Unterfall einer Verkennung des auswahlrelevanten Personenkreises. Bei der Frage, ob Arbeitnehmer einer anderen Betriebsstätte in die Auswahl einzubeziehen sind, gilt deshalb der Maßstab der groben Fehlerhaftigkeit. Die Sozialauswahl ist dabei nur dann grob fehlerhaft, wenn im Interessenausgleich der Betriebsbegriff selbst grob verkannt worden ist, seine Fehlerhaftigkeit also „ins Auge springt“. Sprechen dagegen gut nachvollziehbare und ersichtlich nicht auf Missbrauch zielende Überlegungen für die - ggf. fehlerhaft - getroffene Eingrenzung des auswahlrelevanten Personenkreises, ist die Grenze der groben Fehlerhaftigkeit unterschritten (vgl. für einen Interessenausgleich nach § 1 Abs. 5 KSchG  - Rn. 16 f., AP KSchG 1969 § 1 Namensliste Nr. 17 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 15).

22b) Bewerten die Betriebspartner, zumal unter dem Druck eilbedürftiger Entscheidungen in der Insolvenz, die tatsächlichen Verhältnisse bei der Abgrenzung, ob ein eigenständiger Betrieb im Sinne des Betriebsbegriffs des § 23 KSchG vorliegt, in nachvollziehbarer und ersichtlich nicht auf Missbrauch zielender Weise falsch, liegt noch ein vom Maßstab der groben Fehlerhaftigkeit gedeckter Auswahlfehler vor. Dies gilt umso mehr, als sich bei einer Vielzahl von Filialen, wie sie hier von den Betriebspartnern zu beurteilen waren, die Kompetenzen der Filialleiter durchaus unterscheiden können (vgl. für einen Interessenausgleich nach § 1 Abs. 5 KSchG  - Rn. 25, AP KSchG 1969 § 1 Namensliste Nr. 17 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 15). Erst jenseits dieser Grenze, wenn sich also die Betriebspartner bewusst über die nicht zu ihrer Disposition stehenden gesetzlichen Grundbedingungen der sozialen Auswahl hinwegsetzen, entfaltet ein auf dieser Basis geschlossener Interessenausgleich mit Namensliste die gesetzliche Vermutungswirkung nicht mehr (vgl. ErfK/Gallner 12. Aufl. § 125 InsO Rn. 10; vgl. für § 1 Abs. 5 KSchG APS/Kiel 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 802). Die Betriebspartner können deshalb auch in der Insolvenz über die Definition des Betriebsbegriffs im Interessenausgleich nicht bewusst den Kreis der in die Sozialauswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer enger oder weiter ziehen, als es das Kündigungsschutzgesetz in seiner Auslegung durch das Bundesarbeitsgericht zulässt. § 125 InsO eröffnet ihnen insoweit keinen über den des § 1 KSchG hinausgehenden Spielraum.

23c) Ob das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen hat, dass die Betriebspartner im Interessenausgleich vom bei Anlegung dieses Maßstabs den Betriebsbegriff nicht grob verkannt haben, unterliegt nur einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts kann nur dahin überprüft werden, ob es die unbestimmten Rechtsbegriffe des Betriebs iSv. § 1, § 23 Abs. 1 KSchG und seiner groben Verkennung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 125 InsO Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob die Entscheidung in sich widerspruchsfrei ist (st. Rspr., vgl.  - Rn. 16, AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 97 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 17).

244. Es kann dahinstehen, ob insoweit dem Landesarbeitsgericht revisionsrechtlich relevante Fehler unterlaufen sind. Der Kläger berücksichtigt bei seinen Revisionsangriffen nicht, dass selbst dann, wenn die Betriebspartner bei ihrer durch § 4 Ziff. 1 des Interessenausgleichs vom dokumentierten Entscheidung, die Sozialauswahl auf die einzelnen QTC zu beschränken, den kündigungsschutzrechtlichen Betriebsbegriff grob verkannt hätten, die Kündigung nur unwirksam wäre, wenn die Sozialauswahl im Ergebnis unwirksam wäre (vgl. ErfK/Gallner 12. Aufl. § 125 InsO Rn. 10). Die der Kündigung vom zugrunde liegende Sozialauswahl war jedoch auch bei Anwendung des nach Auffassung der Revision zutreffenden Maßstabs des § 1 Abs. 3 KSchG im Ergebnis eindeutig fehlerfrei.

25a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist eine Sozialauswahl nur dann unwirksam, wenn sich ihr Ergebnis als fehlerhaft erweist. Auch ein mangelhaftes Auswahlverfahren kann zu einem richtigen, nicht fehlerhaften Auswahlergebnis führen (vgl.  - Rn. 19, AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 98 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 22; - 2 AZR 812/05 - Rn. 24, BAGE 120, 137). Ist eine Sozialauswahl gar nicht oder methodisch fehlerhaft durchgeführt worden, ist die Kündigung jedenfalls nicht aus diesem Grund unwirksam, wenn mit der tatsächlich getroffenen Auswahl des Gekündigten eine, sei es auch zufällig, objektiv vertretbare Auswahl getroffen worden ist (vgl.  - Rn. 48). Die Würdigung des Gerichts, die soziale Auswahl sei nicht ausreichend bzw. fehlerhaft, setzt deshalb die Feststellung voraus, dass der vom Arbeitnehmer konkret gerügte Auswahlfehler tatsächlich vorliegt, also ein bestimmter mit dem Gekündigten vergleichbarer Arbeitnehmer in dem nach dem Gesetz erforderlichen Maß weniger schutzbedürftig ist (vgl.  - aaO).

26b) Eine solche Feststellung hat das Landesarbeitsgericht ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt, eine grobe Fehlerhaftigkeit liege nicht vor, weil die Verkennung des Betriebsbegriffs nicht „ins Auge springe“, nicht getroffen. Dass die soziale Auswahl selbst bei einer derartigen Verkennung des Betriebsbegriffs im Ergebnis nicht fehlerhaft ist, kann jedoch vom Senat selbst beurteilt werden. Mit der in der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer erfolgten vorbehaltlosen Antragstellung ist grundsätzlich der gesamte bisherige Inhalt der Verfahrensakten in Bezug genommen, der damit insgesamt iSv. § 559 Abs. 1 ZPO der revisionsrechtlichen Beurteilung unterliegt ( - Rn. 22, AP BGB § 123 Nr. 68 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 9; - 6 AZR 151/08 - Rn. 24, BAGE 129, 265). Der Interessenausgleich, aus dem sich die für die Beurteilung der Sozialauswahl maßgeblichen Tatsachen ergeben, ist Teil dieses Akteninhalts.

27c) Die Entscheidung, den Kläger zu entlassen, ist auch am Maßstab des § 1 Abs. 3 KSchG gemessen im Ergebnis nicht zu beanstanden. Allerdings spricht eine vom Arbeitgeber auszuräumende tatsächliche Vermutung dafür, dass die Auswahl auch im Ergebnis sozialwidrig ist, wenn er entgegen § 1 Abs. 3 KSchG keine Sozialauswahl vorgenommen hat. Hat der Arbeitgeber unter Verkennung des Betriebsbegriffs die Sozialauswahl auf einzelne Filialen beschränkt, die keine eigenständigen Betriebe iSd. § 23 KSchG sind, führt die Unterlassung der sozialen Auswahl aber dann nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung, wenn sich aus dem Vorbringen des Arbeitgebers bzw. dem Parteivorbringen ergibt, dass in den anderen Filialen keine vergleichbaren Arbeitnehmer beschäftigt waren ( - Rn. 30 f., AP KSchG 1969 § 1 Namensliste Nr. 17 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 15). Dies ist vorliegend der Fall. Der Beklagte hat nicht nur das QTC G, in dem der Kläger beschäftigt war, stillgelegt, sondern hat auch alle anderen 108 QTC entweder ebenfalls stillgelegt oder einem anderen Geschäftszweck zugeführt. Kein anderes QTC ist unverändert weiterbetrieben worden. Ein Einsatz des Klägers wäre nur noch in einem Küchen-Megastore möglich gewesen. Der Kläger war jedoch mit den in den Küchen-Megastores tätigen Arbeitnehmern nicht vergleichbar. Ein etwaiger, auf der Verkennung des Betriebsbegriffs beruhender Auswahlfehler hätte sich deshalb auf das Ergebnis der Sozialauswahl nicht ausgewirkt.

28(1) Der Beklagte hat mitgeteilt, dass er in die Sozialauswahl nur die Arbeitnehmer des QTC G einbezogen hat und die Arbeitnehmer aller anderen QTC als nicht vergleichbar angesehen hat. Die Namen der von ihm für vergleichbar gehaltenen Arbeitnehmer ergaben sich aus der Anlage 2 zum Interessenausgleich. Damit hat der Beklagte dem Kläger Auskunft über die von ihm zugrunde gelegten Auswahlkriterien, deren Gewichtung und die Namen der seiner subjektiven Auffassung nach in die Auswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer erteilt. Er hat dadurch, wie das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat, auch dann seiner Auskunftspflicht nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 KSchG genügt, wenn sich aus der erteilten Auskunft ergäbe, dass seine Auffassung unrichtig gewesen wäre (vgl.  - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 17 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 26).

29(2) Der Kläger nimmt bei seiner Argumentation zwar im Ansatzpunkt zur Kenntnis, dass der Beklagte nicht nur das QTC G, sondern 106 weitere der bisher 109 QTC geschlossen hat. Er lässt bei seiner Rüge, er hätte in den beiden verbleibenden QTC oder in den übrigen Küchen-Megastores als Leiter eingesetzt werden können und müssen, aber außer Acht, dass sich das Anforderungsprofil dafür von seinem bisherigen erheblich unterscheidet. Auch die QTC R und F sollten nicht in der bisherigen Form weitergeführt werden, sondern zu Küchen-Megastores umgestaltet werden. Für den Vertrieb von Küchen reichen aber die für den Verkauf technischer Geräte an den Endverbraucher, wie er in den QTC und auch im QTC G erfolgt ist, verlangten Kenntnisse und Fähigkeiten nicht aus. Der Beklagte hat unter Hinweis auf den anders gelagerten Geschäftszweck der Küchen-Megastores die Vergleichbarkeit des Klägers mit den dort beschäftigten Leitern in Abrede gestellt. Dass für die Tätigkeit in einem Küchen-Megastore besondere Kenntnisse erforderlich sind, ergibt sich aus § 4 Ziff. 1 Abs. 2 des Interessenausgleichs und ist im Übrigen offenkundig iSv. § 291 ZPO. Zum Vertrieb von Küchen gehören neben vertieften Kenntnissen der dafür benötigten technischen Geräte auch solche der Küchenplanung und des damit zwingend verbundenen Möbelbaus. Das gilt grundsätzlich auch für den Leiter eines solchen Stores, zumal angesichts der geringen Anzahl der dort jeweils beschäftigten Arbeitnehmer, die es erfordern dürfte, dass der Leiter auch selbst beim Küchenvertrieb tätig wird. Der Beklagte hat unwidersprochen vorgetragen, der Kläger sei mit dem Vertrieb von Küchen in seiner bisherigen Tätigkeit nicht befasst gewesen. Wieso der Kläger ungeachtet dessen die Leitung eines Küchen-Megastores nach allenfalls kurzer Einarbeitungszeit hätte übernehmen können, hätte er deshalb näher darlegen müssen. Er hat dies jedoch nicht einmal behauptet, sondern sich darauf beschränkt, auf seine sich aus § 1 Abs. 3 seines Anstellungsvertrags ergebende bundesweite Einsetzbarkeit zu verweisen. Dieser Hinweis ersetzt den erforderlichen Tatsachenvortrag zur Vergleichbarkeit des Klägers mit den Leitern der (künftigen) Küchen-Megastores nicht.

30(3) Der Kläger hat auch nicht behauptet, dass er mit Arbeitnehmern in anderen Betrieben der Schuldnerin außerhalb der QTC vergleichbar gewesen sei.

31III. Die Kündigung vom ist nicht nach § 102 BetrVG unwirksam. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, das Anhörungsverfahren sei fehlerfrei eingeleitet worden, der Betriebsrat sei ausreichend informiert worden und eine eventuell fehlerhafte Besetzung des Betriebsrats sei für die Wirksamkeit der Anhörung unschädlich, lässt keine Rechtsfehler erkennen und wird von der Revision nicht angegriffen.

32IV. Auch die Rüge einer Verletzung des § 17 KSchG verhilft der Revision nicht zum Erfolg.

331. Der Kläger hat sich in der mündlichen Verhandlung erster Instanz und damit noch innerhalb des von § 6 Satz 1 KSchG gezogenen Zeitrahmens auf § 17 KSchG berufen.

342. Ob neben der Präklusionsvorschrift des § 6 KSchG (zu dieser rechtlichen Einordnung  - Rn. 12, 18, EzA KSchG § 6 Nr. 4) noch die allgemeinen Präklusionsbestimmungen des § 61a Abs. 5 ArbGG sowie des § 46 Abs. 2 ArbGG iVm. § 282, § 296 Abs. 2 ZPO zur Anwendung kommen, wie es das Arbeitsgericht angenommen hat, oder ob § 6 KSchG insoweit eine abschließende Spezialvorschrift darstellt, ist umstritten (für die Annahme einer Spezialvorschrift Bader NZA 2004, 65, 69; APS/Hesse 4. Aufl. § 6 KSchG Rn. 3; wohl auch Eylert NZA 2012, 9, 10; dagegen Raab RdA 2004, 321, 328 f.; Stahlhacke/Vossen 10. Aufl. Rn. 1931; Bender/Schmidt NZA 2004, 358, 365; Preis DB 2004, 70, 77). Ob der Gesetzgeber im Versuch, die widerstreitenden Interessen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber auszugleichen, ersterem uneingeschränkt die Möglichkeit eröffnen wollte, neue Unwirksamkeitsgründe bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz nicht nur zu rügen, sondern dadurch gegebenenfalls unter Vertagung auch neuen Sachvortrag des Arbeitgebers erzwingen zu können, letztlich also die Sachentscheidung hinauszuzögern (vgl. BT-Drucks. 15/1204 S. 13; aA Raab RdA 2004, 321, 329), kann dahinstehen. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob § 6 KSchG auf die Rüge des § 17 KSchG überhaupt anzuwenden ist (offengelassen auch von  - Rn. 29, EzA KSchG § 6 Nr. 4). Das Landesarbeitsgericht hat ohne erkennbaren Rechtsfehler festgestellt, dass die Voraussetzungen einer Massenentlassungsanzeige nicht vorlagen, weil der Schwellenwert des § 17 KSchG bezogen auf das QTC G nicht erreicht war (vgl. zur Maßgeblichkeit des Schwellenwerts bezogen auf die einzelnen QTC auch  - Rn. 71 ff., EzA BGB 2002 § 613a Nr. 132). Dagegen erhebt die Revision keine Angriffe.

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Fundstelle(n):
BB 2012 S. 3072 Nr. 49
DB 2013 S. 240 Nr. 5
ZIP 2013 S. 284 Nr. 6
XAAAE-23334