Beweiswürdigung im Strafverfahren: Anforderungen bei Schilderung eines alternativen Handlungsablaufs durch einen Mitangeklagten
Gesetze: § 261 StPO
Instanzenzug: Az: (534) 251 Js 342/12 KLs (38/11)
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Unterschlagung und versuchten Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat bereits mit der Sachrüge Erfolg; auf die Verfahrensrügen und das hierzu gestellte Wiedereinsetzungsgesuch kommt es daher nicht mehr an.
2Nach den Feststellungen des Landgerichts beschloss der Angeklagte als Geschäftsführer einer in Zahlungsschwierigkeiten geratenen GmbH, ein geleastes und im Eigentum der Bank stehendes Firmenfahrzeug ohne deren Wissen und Wollen in Marokko zu veräußern, um von den noch ausstehenden Leasingraten befreit zu werden und einen Versicherungsfall vortäuschen und so die Schadenssumme erlangen zu können. Die ehemaligen Mitangeklagten S. und B. sollten für die Überführung des Fahrzeuges zwei Fahrer beauftragen; B. oblag darüber hinaus die Organisation der konkreten Umsetzung des Tatplans. S. vermittelte dem Angeklagten als Fahrer den am verstorbenen ehemaligen Mitangeschuldigten Sch. ; B. vermittelte wiederum den ehemaligen Mitangeklagten A. . Der Angeklagte beauftragte spätestens am Sch. , das betreffende Fahrzeug zusammen mit A. nach Marokko zu verbringen. Zu diesem Zweck erteilte er ihm am eine notariell beglaubigte Vollmacht, sich mit dem Fahrzeug „in Europa und Nordafrika frei zu bewegen“ (UA S. 4). In Ausführung des gemeinsamen und im Detail von B. ausgearbeiteten Tatplans fuhren Sch. und A. noch am selben Tag mit dem geleasten Fahrzeug in Richtung Marokko und verkauften es dort schließlich am unter Verwendung eines gefälschten Fahrzeugscheins, der auf den Zeugen Sch. als Halter ausgestellt war (Fall II.1). Der Angeklagte und sein Bruder, der Mitangeklagte G. G. , meldeten mit Schreiben vom den durch einen angeblichen Diebstahl des betreffenden Fahrzeugs entstandenen Schaden bei der Versicherung, um die ihnen nicht zustehende Schadenssumme ausgezahlt zu bekommen. Dazu kam es nicht mehr (Fall II.2).
3Der Angeklagte hat erklärt, er habe mit den ihm vorgeworfenen Taten nichts zu tun. Im Wesentlichen hat sich der Angeklagte dahingehend eingelassen, dass er sich bereits im Jahr 2009 zunehmend aus den Geschäften der GmbH zurückgezogen und sich immer öfter bei seiner kranken Ehefrau in Italien aufgehalten habe. Spätestens ab Anfang 2010 habe sein Bruder G. alleine die Geschäfte geführt. Er habe mit dem Unternehmen im Jahr 2010 nur noch insoweit zu tun gehabt, als es darum gegangen sei, „irgendwelche Unterschriften“ zu leisten. Er habe gelegentlich das Büro aufgesucht und seinem Bruder geholfen „irgendwelchen Papierkram“ zu erledigen, mithin in der Regel als Geschäftsführer vorbereitete Dokumente unterschrieben (UA S. 5). Der Notartermin vom sei ihm noch erinnerlich. Sein Bruder habe ihm im Vorfeld dieses Termins mitgeteilt, dass er versuche, für das in finanziellen Schwierigkeiten befindliche Unternehmen „irgendwelche Aufträge in Nordafrika zu akquirieren“, und in diesem Zusammenhang mit Sch. nach Nordafrika reisen wolle, wofür die Vollmacht benötigt würde (UA S. 6). Hinsichtlich der Schadensanzeige vom , die er unterschrieben habe, sei ihm von seinem Bruder mitgeteilt worden, dass „das Kraftfahrzeug wohl zwischenzeitlich entwendet“ worden sei; einen Verdacht, dass das Fahrzeug außer Landes gebracht und ein Versicherungsbetrug geplant sei, habe er zu diesem Zeitpunkt nicht gehegt (UA S. 6). Der Angeklagte meint jedoch, dass sicher sein Bruder und auch Sch. „die Finger im Spiel“ hätten; offensichtlich sei auch der Mitangeklagte S. involviert (UA S. 7). Die anderen Mitangeklagten A. und B. habe er erst während des Verfahrens kennengelernt. Er sei sich auch zeitweise sicher gewesen, dass „sogar gezielt versucht worden“ wäre, ihn „als den eigentlichen Haupttäter darzustellen“. Hierfür spräche, dass er am eine „völlig sinnlose Vollmacht“ unterschrieben habe, die gar nicht benötigt worden wäre, weil die „Tätergruppe“ über eine Totalfälschung des Fahrzeugscheins verfügt habe (UA S. 7).
4Das Landgericht stützt seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten im Fall II.1 der Urteilsgründe im Wesentlichen auf die notariell beglaubigte Vollmacht (UA S. 8), die Geständnisse der früheren Mitangeklagten B. und S. (UA S. 9) und die durch Verlesung und über einen Vernehmungsbeamten eingeführten Angaben des verstorbenen früheren Mitangeschuldigten Sch. (UA S. 9 f.). Die Täterschaft des Angeklagten in Fall II.2 der Urteilsgründe begründet die Strafkammer im Wesentlichen mit ihrer Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten im Fall II.1 und dem Geständnis seines mitangeklagten Bruders (UA S. 11, 12).
5Die vom Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung erweist sich als lückenhaft und hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
6Die Besonderheit der Beweissituation liegt hier darin begründet, dass der Angeklagte in seiner Einlassung ein Alternativtatgeschehen schildert, mit dem er überwiegend seinen mitangeklagten Bruder und den früheren Mitangeschuldigten Sch. belastet, während der Angeklagte selbst im Wesentlichen durch diese sowie zusätzlich durch die Mitangeklagten S. und B. als Auftraggeber bzw. Mittäter benannt wird. Hinzu kommt, dass die mit der Tatversion des Angeklagten unkonfrontiert gebliebenen Angaben des Sch. – was das Landgericht im Grunde zutreffend erkannt hat – sorgfältig und kritisch zu würdigen sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 345/06, NStZ 2008, 50, 51, und vom – 2 StR 263/11, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 37) und durch andere gewichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage bestätigt werden müssen (vgl. , aaO).
7Ob als gewichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage Sch. s bereits die notarielle Vollmacht und andere Anhaltspunkte genügen, in denen das Landgericht die Angaben des Sch. bestätigt sah (UA S. 10 f.), vermag der Senat nicht zu beurteilen, denn das Landgericht hat seine Überzeugungsbildung auch auf die Geständnisse der früheren Mitangeklagten S. und B. (Fall II.1) und seines mitangeklagten Bruders (Fall II.2) gestützt.
8Indem es jedoch die Angaben Sch. s in den lediglich pauschal wiedergegebenen Geständnissen der früheren Mitangeklagten S. und B. bestätigt sieht, wird die Beweiswürdigung der sich aus der besonderen Beweislage ergebenden Erörterungspflicht nicht gerecht. Den Urteilsgründen lässt sich nicht entnehmen, inwieweit die Mitangeklagten mit der Tatversion des Angeklagten konfrontiert worden sind und welchen Inhalt und Hintergrund die von ihnen erklärten Geständnisse hatten. Insofern erschöpft sich die Würdigung in Fall II.1 in der Feststellung, dass die „Mitangeklagten S. und B. mit ihren Geständnissen in der Hauptverhandlung glaubhaft eingeräumt haben, im Auftrag des Angeklagten die Übergabe des Fahrzeugs an die Fahrer vermittelt zu haben“ (UA S. 9) und im Fall II.2 in der Darlegung, sein mitangeklagter Bruder habe sich „geständig zur gemeinschaftlichen Tatbegehung mit dem Angeklagten eingelassen und diesen insoweit glaubhaft als Mittäter belastet“. Es erschließt sich aber nicht, aus welchen Gründen das Landgericht die Tatversion des Angeklagten durch die Geständnisse der Mitangeklagten als widerlegt erachtet.
9Der Senat hat dabei insbesondere die Möglichkeit bedacht, dass die Mitangeklagten unter Umständen nur detailarme Geständnisse abgegeben haben. Namentlich solches entbindet jedoch das erkennende Gericht nicht von seiner Pflicht, die Angaben der Mitangeklagten besonders kritisch auf ihre Glaubhaftigkeit hin zu überprüfen und in den Urteilsgründen seine Überzeugungsbildung plausibel zu machen (vgl. , BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung, unzureichende 15). Daran fehlt es hier. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb das Landgericht die Geständnisse der Mitangeklagten als glaubhaft bewertet. Denn die Begründung erweist sich – angesichts des vom Angeklagten geschilderten Alternativtatgeschehens – nur als formelhaft.
Basdorf Raum Schaal
Dölp Bellay
Fundstelle(n):
NJW 2012 S. 3736 Nr. 51
XAAAE-22469