Berufungsbegründungsschrift: Notwendiger Inhalt bei Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichts
Leitsatz
1. Wendet sich der Berufungsführer gegen eine ihm nachteilige Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Gerichts, so genügt er den Anforderungen an die Zulässigkeit seiner Berufung, wenn er deutlich macht, dass und aus welchen Gründen er die Beweiswürdigung für unrichtig hält. Eine noch weiter gehende Auseinandersetzung mit der (Beweis-)Würdigung durch das Erstgericht ist grundsätzlich nicht erforderlich. Es kommt insoweit auch nicht darauf an, ob die Berufungsbegründung inhaltlich schlüssig ist und begründeten Anlass für eine erneute und vom Erstgericht abweichende Würdigung (Feststellung) gibt.
2. Ergibt sich die Entscheidungserheblichkeit eines Rechtsverstoßes oder einer beanstandeten Tatsachenfeststellung unmittelbar aus dem Prozessstoff, so bedarf sie keiner gesonderten Darlegung in der Berufungsbegründung.
Gesetze: § 520 Abs 3 S 2 Nr 2 ZPO, § 520 Abs 3 S 2 Nr 3 ZPO
Instanzenzug: OLG Bamberg Az: 6 U 32/11vorgehend LG Coburg Az: 12 O 310/10
Gründe
I.
1Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einem von ihr geltend gemachten abgetretenen Recht ihres Ehemanns, des Zeugen R. M. , unter dem Vorwurf einer fehlerhaften Kapitalanlageberatung im Zusammenhang mit der Zeichnung einer Beteiligung über 200.000 DM zuzüglich 5 % Agio an dem Medico Fonds Nr. 31, einem geschlossenen Immobilienfonds, auf Schadensersatz in Anspruch.
2Das Landgericht hat die Klage nach persönlicher Anhörung der Klägerin und Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugen R. M. und K. H. mit der Begründung abgewiesen, dass es der Klägerin nicht gelungen sei, einen Abtretungsvertrag zwischen ihr und ihrem Ehemann hinsichtlich der streitgegenständlichen Schadensersatzansprüche nachzuweisen; es lägen erhebliche Widersprüche zwischen den Angaben der Klägerin bei ihrer persönlichen Anhörung und den Bekundungen des Zeugen M. vor.
3Das Oberlandesgericht hat die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin - nach vorherigem Hinweis - als unzulässig verworfen und hierzu ausgeführt, dass die Berufungsbegründung den Anforderungen nach § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO nicht genüge. Die Berufungsbegründung setze sich mit der ausführlichen Beweiswürdigung des Landgerichts nicht auseinander und lege nicht dar, weshalb diese Beweiswürdigung unrichtig sein solle. Darüber hinaus fehle es an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit des behaupteten Rechtsverstoßes. Aus der Berufungsbegründung erschließe sich nicht, dass bei Bejahung der Aktivlegitimation das Landgericht zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis hätte kommen müssen.
4Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.
II.
51. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).
62. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt die Klägerin in ihrem Verfahrensgrundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Das Berufungsgericht hat die in § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO beschriebenen Anforderungen an den Inhalt der Berufungsbegründung überspannt und hierdurch der Klägerin den Zugang zur Berufungsinstanz in unzulässiger Weise versagt.
7a) Wendet sich der Berufungskläger - wie hier - gegen die Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Gerichts, so kann als Maßstab für den erforderlichen Inhalt der Berufungsbegründung neben § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO auch - etwa, soweit Verfahrensfehler in Rede stehen - § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO in Betracht zu ziehen sein (vgl. dazu , BGHZ 158, 269, 276 f; Hk-ZPO/Wöstmann, 4. Aufl., § 520 Rn. 25; Musielak/Ball, ZPO, 9. Aufl., § 520 Rn. 34). Diese Frage bedarf hier indes keiner abschließenden Entscheidung, weil den Voraussetzungen gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO gleichermaßen Genüge getan worden ist.
8aa) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO hat, wenn die Berufung darauf gestützt wird, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 513 Abs. 1, § 546 ZPO), die Berufungsbegründung die Bezeichnung der Umstände zu enthalten, aus denen sich nach Ansicht des Rechtsmittelführers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Da die Berufungsbegründung erkennen lassen soll, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält, hat dieser - zugeschnitten auf den Streitfall und aus sich heraus verständlich - diejenigen Punkte rechtlicher Art darzulegen, die er als unzutreffend beurteilt ansieht, und dazu die Gründe anzugeben, aus denen sich die Fehlerhaftigkeit jener Punkte und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung herleitet. Zur Darlegung der Fehlerhaftigkeit ist somit lediglich die Mitteilung der Umstände erforderlich, die das Urteil aus der Sicht des Berufungsführers in Frage stellen. Besondere formale Anforderungen werden nicht gestellt; für die Zulässigkeit der Berufung ist es insbesondere ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind (ständige Rechtsprechung, vgl. Senat, Beschlüsse vom - III ZB 71/02, NJW 2003, 2532, 2533; vom - III ZB 41/08, NJW 2009, 442, 443 Rn. 12 und vom - III ZB 67/08, BeckRS 2009, 08726 Rn. 11; , NJW-RR 2003, 1580; Urteile vom - IX ZR 228/02, NJW 2003, 3345 f, insoweit in BGHZ 155, 199 nicht abgedruckt; vom - XII ZR 75/04, NJW 2006, 142, 143 Rn. 12, 15 und vom - II ZR 16/04, NJW-RR 2006, 499, 500 Rn. 9; Beschlüsse vom - XII ZB 130/02, BeckRS 2006, 15202 Rn. 6; vom - XI ZB 41/06, NJW-RR 2008, 1308 Rn. 11; vom - VIII ZB 13/10, WuM 2011, 48 Rn. 7; vom - XI ZB 26/08, BeckRS 2011, 07182 Rn. 11; vom - II ZB 21/10, NJW-RR 2012, 440 Rn. 7 mwN und vom - V ZB 184/11, NJW-RR 2012, 397 Rn. 6).
9bb) Gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO hat der Berufungsführer konkrete Anhaltspunkte zu bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Da das Berufungsgericht an die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen grundsätzlich gebunden ist (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), muss die Berufung, die den festgestellten Sachverhalt angreifen will, eine Begründung dahin enthalten, warum die Bindung an die festgestellten Tatsachen ausnahmsweise nicht bestehen soll (s. dazu Senatsbeschluss vom aaO; , NJW 2003, 2531, 2532).
10b) Den Erfordernissen nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO hat die Berufungsbegründung der Klägerin - noch - genügt.
11aa) Die Klägerin hat in ihrer Berufungsbegründung zu erkennen gegeben, dass sie die Würdigung des Berufungsgerichts bekämpfen möchte, wonach sie einen Abtretungsvertrag zwischen ihr und ihrem Ehemann hinsichtlich der streitgegenständlichen Schadensersatzansprüche nicht nachgewiesen habe. Sie hat in diesem Zusammenhang im Einzelnen auf die Aussage des Zeugen Müller Bezug genommen und dessen Bekundung zum Zeitpunkt der Abtretung mit dem Hinweis auf die Angabe zur Abtretung der Schadensersatzforderung im Mahnantrag zu stützen versucht. Sie hat gemeint, hiernach ergebe sich insgesamt ein genügender Nachweis für ihre Aktivlegitimation, zumal eine Abtretung auch formlos wirksam sei. Auf diese Weise hat die Klägerin schon hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass und aus welchen Gründen sie die Würdigung des Landgerichts für unrichtig und eine erneute - ihr günstige - Würdigung (Feststellung) durch das Berufungsgericht für geboten hält. Damit ist den Anforderungen von § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO entsprochen. Für die Zulässigkeit der Berufung ist eine noch weiter gehende Auseinandersetzung mit der (Beweis-)Würdigung durch das Erstgericht nicht erforderlich; es kommt insoweit auch nicht darauf an, ob die Berufungsbegründung inhaltlich schlüssig ist und begründeten Anlass für eine erneute und vom Erstgericht abweichende Würdigung (Feststellung) gibt.
12bb) Soweit das Berufungsgericht in der Berufungsbegründung eine Darlegung der Entscheidungserheblichkeit des behaupteten Rechtsverstoßes vermisst, hat es - worauf die Rechtsbeschwerde mit Recht hinweist - nicht berücksichtigt, dass sich die Entscheidungserheblichkeit der Aktivlegitimation der Klägerin unmittelbar aus dem Prozessstoff ergibt und somit keiner gesonderten Darlegung bedarf (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom - V ZB 9/03, NJW 2003, 3765 und vom - XI ZB 39/03, BGHZ 159, 135, 138). Das Landgericht hat die Begründetheit der Klage allein mangels Nachweises der Aktivlegitimation der Klägerin verneint und dementsprechend ausdrücklich offen gelassen, ob eine der Beklagten zurechenbare Pflichtverletzung vorliegt oder ein etwaiger Schadensersatzanspruch verjährt ist. Bei dieser Lage ist es nicht geboten, dass der Berufungsführer ausdrücklich noch einmal sein gesamtes erstinstanzliches Vorbringen zu den Voraussetzungen des von ihm verfolgten Klageanspruchs - das mit der (zulässigen) Berufung ohnehin vollständig in die Berufungsinstanz gelangt ( aaO S. 278 und vom - II ZR 35/10 juris Rn. 29 mwN) - wiederholt und auf diese Weise die Entscheidungserheblichkeit seiner Aktivlegitimation dartut.
133. Nach alledem durfte das Berufungsgericht die Berufung nicht als unzulässig verwerfen, so dass der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist, damit es über die Begründetheit der Berufung befindet (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
Schlick Wöstmann Seiters
Tombrink Remmert
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2012 S. 8 Nr. 45
WM 2013 S. 903 Nr. 19
GAAAE-19800