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LSG Thüringen Urteil v. - L 8 SO 640/09

Die Beteiligten streiten über die Gewährung eines Zuschusses in Höhe von (noch) 125,00 Euro für eine Gruppenreise vom 18. bis 22. Juni 2007 nach P. am See. Der 1968 geborene Kläger ist alleinstehend und bewohnte im streitbefangenen Zeitraum eine eigene Mietwohnung in G. (Warmmiete 337,45 Euro). Er leidet laut neurologisch-psychiatrischem Gutachten des Dipl. med. R. vom 18. Dezember 2006 unter einem zerebralen Anfallsleiden (Epilepsie), welches (jedenfalls) 2006 unter einer antiepileptischen Therapie anfallsfrei verlief. Daneben liegt eine rezidivierende depressive Verstimmung auf der Grundlage einer persönlichen Disposition sowie reaktiv verstärkt eine Neurasthenie mit Einschränkung der allgemeinen psychischen und physischen Belastbarkeit und körperlichen Beschwerden vor allem im Bereich des Stütz- und Bewegungsapparates vor. Der Kläger ist laut dem Gutachten vor allem wegen fehlender Sozialkontakte unzufrieden und leidet unter dynamischen Defiziten, einem leicht verlangsamten Sprachfluss und Verlangsamung der grob motorischen Abläufe, einer Antriebsschwäche sowie mangelnder Eigenmotivation und Spontaneität. Im subjektiven Erleben werden kognitive Beeinträchtigungen (teils als Medikamentennebenwirkungen) berichtet. Neben den fehlenden Sozialkontakten folge daraus vor allem eine fehlende Initiative zur Alltagsstrukturierung. Der Kläger ist schwerbehindert mit einem GdB von 60 ohne Merkzeichen. Seine einzige Einkommensquelle ist eine Rente der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland in Höhe von 575,16 Euro netto ab Mai 2005. Die Warmmiete wurde ab Oktober 2006 auf monatlich 349,69 Euro warm angehoben. Für eine Hausrat- und Haftpflichtversicherung zahlt der Kläger monatlich 13,02 Euro. Seinen Kontoauszügen bis Dezember 2006 war maximal ein Guthaben von 600,00 Euro zu entnehmen. Über weiteres Vermögen verfügt er nicht. Unter dem 7. Dezember 2006 beantragte der Kläger die Gewährung von Hilfen in besonderen Lebenslagen. Mit seinem daraufhin erstellten Gutachten vom 18. Dezember 2006 empfahl der Neurologe und Psychiater Dipl. med. R. die Eingliederung in ein tagesstrukturierendes Angebot wegen der obengenannten Erkrankungen und deren Folgen. Die Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft schätzt er als anhaltend beeinträchtigt ein; der Kläger zähle zum Personenkreis des § 53 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) i. V. m. § 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) wegen einer seelischen Behinderung in Form einer neurotischen Störung und Belastungsstörung. Auf die daraufhin eingeleitete Hilfeplanungskonferenz wurde unter dem 7. Dezember 2006 ein integrierter Behandlungs-/Rehabilitationsplan erstellt, mit welchem der Besuch einer Tagesstätte empfohlen wurde. Ziel der Maßnahme sollte seine Integration sein, die Wiedererlangung einer geregelten Tagesstruktur, die Wiedererlangung von Selbstständigkeit und das Training von lebenspraktischen Kompetenzen. Dazu wurde die Teilnahme an einem Programm zur Aktivierung durch Beteiligung an Gymnastik bzw. Walken, ein hauswirtschaftliches Training, ein kognitives Training, die Beteiligung an Gruppenaktivitäten wie Wandern, Besuch kultureller Veranstaltungen, Kegeln, Fitness und Kennenlernen kreativer Angebote zur Beförderung manueller Fähigkeiten empfohlen. Mit Bescheid vom 1. Februar 2007 bewilligte die Beklagte den Besuch der Tagesstätte für psychisch Kranke für den Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juli 2007 für fünf Tage die Woche. Daneben wurde festgelegt, dass die Kosten für die Teilnahme an Veranstaltungen, Ausflügen und Ähnlichem innerhalb der Tagesstätte vom Kläger selbst zu tragen sind. Die Entscheidung wurde nicht angefochten. Parallel hierzu wurde mit Bescheid gleichen Datums festgesetzt, dass aufgrund fehlender häuslicher Ersparnis kein Kostenbeitrag erhoben werde. Die monatlichen Kosten für die Tagesstätte beliefen sich in der Folgezeit auf circa 1300,00 Euro. Unter dem 15. Februar 2007 beantragte der Kläger einen Kostenzuschuss in Höhe von 135,00 Euro für eine gemeinsame Fahrt der Tagesstättenbesucher vom 18. bis 22. Juni 2007 nach P. am See. Die Gesamtkosten wurden mit 220,00 Euro veranschlagt (40,00 Euro Fahrtkosten plus 180,00 Euro Unterkunft und Halbpension) wobei der Eigenanteil des Klägers von der Tagesstättenleitung in Höhe des beantragten Zuschusses festgesetzt wurde. Die beigelegten Kopien der aktuellen Kontoauszüge wiesen kein höheres Guthaben als maximal 620,00 Euro aus. Ein Programm der Urlaubsfahrt war nicht beigefügt. Unter dem 26. April 2007 lehnte der Beklagte die Gewährung eines Zuschusses ab, da das Ziel der Förderung des Umgangs mit Nichtbehinderten auch ohne die Reise erreicht werde. Erholungsreisen würden nicht gefördert. Der Aufenthalt am Urlaubsort beinhalte nicht zwangsläufig den Umgang mit nichtbehinderten Menschen. Die Förderung einer solchen Reise sei insbesondere dann eine geeignete Maßnahme, wenn sonst das Leben in stationären Einrichtungen und daher ohne ausreichende Außenkontakte geführt werde. Nichtbehinderte Menschen können auch nicht immer jährlich eine Urlaubsreise antreten. Mit seinem dagegen gerichteten Widerspruch vom 8. Mai 2007 machte der Kläger geltend, die Reise sei durch das Verlassen der heimischen Umgebung für seine Aktivierung erforderlich. Außerdem werde seine Integration in die Gemeinschaft der Tagesstätte gefördert und seine sozialen Kontakte somit aufgebaut. Mit Fortschreibung des integrierten Behandlungs- und Rehabilitationsplanes unter dem 12. Juni 2007 wurde festgestellt, dass es dem Kläger gut gelungen sei, sich in der Tagesstätte einzufinden und zu entwickeln. Außer seiner Familie und einzelnen Tagesstättenbesuchern habe er kaum soziale Kontakte. Mit der Behandlungsplanung habe er weiterhin Schwierigkeiten und benötige Fremdmotivation bei Misserfolgen. Vor Veränderungen, auch beruflichen, äußere er, noch Angst zu haben. Ziel einer weiteren Teilnahme an der Tagesstätte sei unter anderem die Steigerung der Belastungsfähigkeit durch Konfrontation mit neuen Herausforderungen und der Ausbau sozialer Kontakte unter Einschluss privater Möglichkeiten. Ausdrücklich wurde zur Angstbewältigung die Konfrontation mit neuen, unbekannten Situationen durch Beteiligung an einer gemeinsamen Urlaubsfahrt (neue Herausforderung, neue Umgebung) aufgeführt. Mit Bescheid vom 5. Juli 2007 wurde die Förderung des Tagesstättenbesuchs unter denselben Bedingungen wie zuvor nun für den Zeitraum Juli ´07 bis Juni ´08 bewilligt. Ergänzend teilte der Kläger mit, dass die beabsichtigte Urlaubsfahrt unter Begleitung von Betreuern der Tagesstätte stattfinde. Erst unter dem 4. Juni 2008 legte er das Programm der Urlaubsfahrt vor. Danach war für den Anreisetag, dem 18. Juni 2007, die Erkundung der näheren Umgebung sowie gemütliches Zusammensein und ein Spielabend vorgesehen. Der Folgetag sollte mit Frühsport bzw. Walking beginnen, gefolgt von einer Stadtrundfahrt und der anschließenden Erkundung der Stadt in kleinen Gruppen mit der Möglichkeit Museen, Ausstellungen und Kirchen zu besuchen. Für den Nachmittag waren eine Wanderung und Führung durch eine Imkerei mit Honigverkostung (Wahrnehmungstraining) und ein Spieleabend (kognitives Training) geplant. Der 20. Juni sollte wiederum mit Frühsport bzw. Walking beginnen und von einer geführten Wanderung mit einem Förster durch die Tier- und Pflanzenwelt im Seen-Gebiet (Wahrnehmungstraining) gefolgt werden. Am Nachmittag war wahlweise eine Radtour oder Schwimmen am See bzw. kreatives Gestalten vorgesehen. Für den Abend waren Gesellschaftsspiele und Gespräche vorgesehen. Auch der 21. Juni sollte mit Frühsport bzw. Walking beginnen, gefolgt von einer Dampferfahrt auf der Seen-Landschaft bei freier Gestaltung des Nachmittags. Schließlich sollte er mit einem Spieleabend und Gesprächen abschließen. Für den 22. Juni 2006 war die Abreise vorgesehen. Die Unterbringung war im Hotel/Pension "R." geplant. Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Juni 2008 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Nach § 17 Abs. 2 SGB XII bestehe ein Auswahlermessen der Beklagten hinsichtlich der Art und des Maßes der Leistungserbringung. Behindertenpädagogische Gruppenfahrten seien förderungsfähig, wenn sie weder Urlaubsreisen noch Kurmaßnahmen seien. Sie müssten geeignet sein, den Behinderten am Zielort die Begegnung und den Umgang mit nichtbehinderten Personen zu ermöglichen und zu erleichtern. Hier könne dieser Bedarf indes anderweitig gedeckt werden, nämlich entsprechend den Festlegungen des Behandlungs- und Rehabilitationsplans in der Tagesstätte selbst. Der Erfolg dieser Maßnahme werde im Plan selbst bestätigt. Die Aktivitäten auf der Reise beschränkten sich im Wesentlichen auf solche innerhalb der Gruppe der Tagesstättenbesucher selbst. Es erfolge nur eine örtliche Verlagerung der Hilfe an den Urlaubsort. Folglich sei kein weiterer notwendiger zu deckender Bedarf vorhanden. Das Problem des Klägers sei es nicht den Kontakt zu nichtbehinderten Menschen herzustellen, sondern überhaupt Kontakte herzustellen. Dazu diene die Tagesstätte. Aufgrund des selbstständigen Wohnens des Klägers würden sich ohnehin genügend Kontakte zu nichtbehinderten Menschen im Alltag ergeben. Die Tagesstätte solle hierfür lediglich den Grundstein legen. In dem Fortschreibungsplan vom 28. Mai 2009 werden noch Schwierigkeiten bei der geordneten Lebensführung berichtet. Daneben wird von einer positiven Entwicklung des Selbstwertgefühls gesprochen. Die zunächst mit dem Ziel der Verurteilung zur Gewährung eines Zuschusses von 135,00 Euro eingereichte Klage ist entsprechend der Höhe einer in Folgenden vorgelegten, quittierten Darlehenserklärung des Klägers über 125,00 Euro zur Finanzierung der Urlaubsreise durch seinen Vater in der mündlichen Verhandlung des Sozialgerichts auf 125,00 Euro reduziert worden. Entsprechend einer Erklärung der Tagesstättenleitung hat der Kläger neben seinem Eigenanteil weitere 50,00 Euro für die Kosten der Tagesausflüge zahlen müssen. Der Kläger ist der Auffassung, die Fahrt nach P. am See fördere einen Fall nach § 55 Nr. 2 SGB IX und diene dem Kontakt zu anderen Maßnahmeteilnehmern sowie nichtbehinderten Dritten. Es handele sich insbesondere nicht um eine aufwendige Reise, sondern um eine einwöchige Erholungsfahrt, die auch Behinderten zustehen solle. Unter dem 12. Mai 2009 hat das Sozialgericht Altenburg die Beklagte zur Zahlung eines Zuschusses von 125,00 Euro unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verurteilt. Die Kosten sind mit 93 % entsprechend der Antragsreduzierung während des Verfahrens festgelegt worden. Zur Begründung hat es sich im Wesentlichen auf eine Veröffentlichung von Gagel bezogen. Danach sei § 58 SGB IX eine sehr offene und weite Vorschrift mit dem Ziel, die Defizite auszugleichen, die sich im Umgang mit dem Umfeld durch die Behinderung ergeben würden. Dazu sei eine möglichst weitgehende Kommunikationsmöglichkeit zu schaffen, wie bei nichtbehinderten Menschen; es sei nicht die Erhaltung eines Minimums an Kommunikation das Ziel, sondern ein weitestgehender Behinderungsausgleich. Der behinderte Mensch dürfe nicht von Tätigkeiten ausgeschlossen werden, die im normalen Leben üblich seien, wie den Wechsel des Umfeldes in Gemeinschaft. So sei der vorliegende Fall gelagert. Die Reise fördere die Persönlichkeit durch die Aktivitäten sowie die Sozialisationsfähigkeit; dies sei eine gegenüber Tagesausflügen grundsätzlich andere Situation. Diese Situation unterscheide sich auch vom Alltagsleben des Klägers in seiner eigenen Wohnung. Die Fahrt diene der Konfrontation mit dem Ziel der Angstbewältigung. Der vorliegenden Entscheidung stünde auch nicht die Bedingung aus dem Bescheid vom 1. Februar 2007 entgegen, dass die Finanzierung von Tagesausflügen ausgeschlossen sei. Dies gelte nämlich nicht für mehrtägige Reisen. Weil der Kläger seinen Bedarf wegen der Ablehnung der Beklagten darlehensweise gedeckt habe, sei der Zuschuss auch für vergangene Bedarfe zu gewähren. Über einzusetzendes Einkommen oder Vermögen verfüge der Kläger nicht. Dagegen hat die Beklagte Berufung eingelegt. Beigeschlossen worden ist ein Tagesstättenkonzept der Beklagten, welches teilstationäre Hilfen unter anderem durch Einsatz von Sozialpädagogen, Ergotherapeuten, Heilerziehungspflegern und Erziehern vorsieht. Ziel sei die Integration in die Gesellschaft durch Förderung von Alltagskompetenz und Lebenspraxis, Tages- und Kontaktgestaltung sowie Teilnahme am öffentlichen Leben und gegebenenfalls spezifische Förderungen. Ausdrücklich ist auch die Urlaubsgestaltung durch einmal jährliche Urlaubsfahrt als Ziel genannt worden. Beigeschlossen worden ist ferner die Kopie eines Zeitschriftenartikels des Klägers, mit welchem er die Urlaubsfahrt als jährlichen Höhepunkt der Aktivitäten der Tagesstätte bezeichnete, welche auch für sozial Schwache kostengünstig sei. Die Beklagte ist der Auffassung, es handele sich im Ergebnis um einen nichtförderungsfähigen Erholungsurlaub und wiederholt im Übrigen ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsbescheid.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BAAAE-18484

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