Sittenwidrige Vergütung - subjektive Voraussetzungen - Darlegungslast
Gesetze: § 611 Abs 1 BGB, § 612 Abs 2 BGB, § 138 Abs 2 BGB
Instanzenzug: ArbG Neuruppin Az: 3 Ca 1764/09 Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg Az: 20 Sa 1430/10 Urteilnachgehend Az: 1 BvR 426/13 Nichtannahmebeschluss
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Höhe der geschuldeten Vergütung.
Der 1985 geborene Kläger ist gelernter Tierwirt (Rinderhaltung) und war vom bis zum bei der Beklagten als Tierpfleger und Melker beschäftigt. Der Arbeitsvertrag lautet auszugsweise:
3Einschließlich der Zuschläge erzielte der Kläger einen Durchschnittsstundenlohn in Höhe von 5,66 Euro brutto im Jahr 2006, 5,82 Euro brutto im Jahr 2007, 6,09 Euro brutto im Jahr 2008 und 7,06 Euro brutto im Jahr 2009.
4Mit der am eingereichten Klage hat der Kläger geltend gemacht, der vertraglich vereinbarte Stundenlohn sei im Vergleich zu dem nach der Lohngruppe 5 der Entgelttarifverträge für die Arbeitnehmer in den „Land- und Forstwirtschaftlichen Unternehmen des Landes Brandenburg“ sittenwidrig. Er erreiche nicht zwei Drittel des einschlägigen tariflichen Stundenlohns. Dieser habe bei Beginn des Arbeitsverhältnisses 8,36 Euro brutto und zuletzt 9,20 Euro brutto betragen. Durch dieses Missverhältnis werde der subjektive Tatbestand des Lohnwuchers indiziert. Hilfsweise hat der Kläger geltend gemacht, nach der Lohnstatistik des Statistischen Bundesamts für das Jahr 2006 habe das allgemeine Lohnniveau im Land Brandenburg für qualifizierte Arbeiter in der Landwirtschaft 7,73 Euro brutto je Stunde betragen. Damit seien alle Stundenlöhne unter 5,16 Euro brutto sittenwidrig. Für im Beschäftigungszeitraum geleistete 7.800 Stunden könne er als - restliche - übliche Vergütung die Differenz zu den jeweiligen tariflichen Stundenlöhnen beanspruchen.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
6Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, der Kläger habe nicht ausreichend dargelegt, dass maßgebliche Bezugsgröße für die Prüfung der Sittenwidrigkeit die Entgelttarifverträge seien. Der Organisationsgrad der Arbeitgeber im Land Brandenburg für den Bereich Landwirtschaft betrage weniger als 50 %, auch der Anteil der organisierten Arbeitnehmer liege weit unterhalb dieser Grenze. Zum subjektiven Tatbestand des § 138 BGB habe der Kläger nichts vorgetragen. Sie sei bei Abschluss des Arbeitsvertrags davon ausgegangen, mit dem Kläger einen Vertrag zu den im Land Brandenburg üblichen Bedingungen geschlossen zu haben. Das ortsübliche Lohnniveau eines Tierwirts und Melkers ergebe sich auch nicht aus den Erhebungen des Statistischen Bundesamts.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen - der Klage in Höhe von 20.436,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
Gründe
8Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage zu Unrecht in Höhe der Differenz zwischen dem vereinbarten und einem vermeintlich üblichen Stundenlohn von 7,73 Euro brutto für 7.800 Stunden stattgegeben.
9I. Die Klage ist in vollem Umfang unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine übliche Vergütung in Höhe eines Stundenlohns von 7,73 Euro brutto. Die Höhe seiner Vergütung ist durch die arbeitsvertragliche Entgeltvereinbarung bestimmt iSv. § 612 Abs. 2 BGB, diese ist nicht sittenwidrig.
101. Ob im Streitfall ein iSd. Rechtsprechung ( - Rn. 17 mwN, BAGE 130, 338; - 5 AZR 630/10 -) auffälliges Missverhältnis zwischen dem Wert der Arbeitsleistung des Klägers und der Lohnhöhe besteht und damit der objektive Tatbestand des Lohnwuchers (§ 138 Abs. 2 BGB) und des wucherähnlichen Geschäfts (§ 138 Abs. 1 BGB) erfüllt wären, bedarf keiner Entscheidung. Denn der Kläger hat weder den subjektiven Tatbestand des Lohnwuchers noch des wucherähnlichen Geschäfts dargelegt.
112. In subjektiver Hinsicht verlangt der Tatbestand des Lohnwuchers eine Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen. Der subjektive Tatbestand des wucherähnlichen Geschäfts erfordert eine verwerfliche Gesinnung des Arbeitgebers ( - Rn. 26 f. mwN, BAGE 130, 338; - 5 AZR 331/11 - und - 5 AZR 268/11 -). Zu beidem hat der Kläger nichts vorgebracht, obwohl die Beklagte bereits erstinstanzlich das Fehlen entsprechenden Sachvortrags gerügt hatte.
12a) Der Kläger hat sich ausschließlich darauf berufen, das Unterschreiten der Zwei-Drittel-Grenze indiziere den subjektiven Tatbestand des Lohnwuchers. Das Landesarbeitsgericht hat den subjektiven Tatbestand des wucherähnlichen Geschäfts im Wesentlichen mit der Begründung als erfüllt angesehen, die Beklagte habe keine Tatsachen dafür vorgetragen, Leistung und Gegenleistung seien im Rahmen des Üblichen vereinbart. Damit missverstehen der Kläger und das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des - 5 AZR 436/08 - Rn. 27, BAGE 130, 338 unter Hinweis auf - zu 4 b der Gründe, NJW 2002, 55) und gehen zu Unrecht davon aus, die Beklagte müsse sich im Streitfall entlasten, also einen irgendwie indizierten subjektiven Tatbestand ausräumen.
13b) Dem ist nicht so. Nach dem allgemeinen Grundsatz, dass derjenige die Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründeten Tatsachen trägt, wer den Anspruch erhebt (vgl. - mwN), ist der Kläger - auch - für die Erfüllung des subjektiven Tatbestands des Lohnwuchers bzw. des wucherähnlichen Geschäfts, die seinen Anspruch auf eine übliche Vergütung begründen sollen, darlegungs- und beweispflichtig. Nur bei einem besonders groben Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, das anzunehmen ist, wenn der Wert der Leistung (mindestens) doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung, kann ein tatsächlicher Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten gezogen werden. Zur Behauptung der verwerflichen Gesinnung genügt in diesem Falle die Berufung des Arbeitnehmers auf die tatsächliche Vermutung einer verwerflichen Gesinnung des Arbeitgebers ( - Rn. 36). Dass die vereinbarte Vergütung nicht einmal die Hälfte der verkehrsüblichen Vergütung erreichen würde, hat der Kläger nicht behauptet.
14Spricht keine tatsächliche Vermutung für eine verwerfliche Gesinnung, bedarf es zusätzlicher Umstände, aus denen geschlossen werden kann, der Arbeitgeber habe die Not oder einen anderen den Arbeitnehmer hemmenden Umstand in verwerflicher Weise zu seinem Vorteil ausgenutzt. Dafür hat der Kläger nichts vorgetragen.
II. Der Kläger hat gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
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Fundstelle(n):
VAAAE-18165