BFH Beschluss v. - X S 18/12 (PKH)

Laufzeit eines finanzgerichtlichen Verfahrens bis zu einem Jahr nicht unangemessen; keine Entschädigungsklage nach § 198 GVG wegen überlanger Verfahrensdauer

Leitsatz

1. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG eröffnet die Entschädigungsklage nur in Fällen unangemessener Dauer eines "Gerichtsverfahrens". Der Gesetzgeber hat bewusst von einer Erweiterung des Anwendungsbereichs der §§ 198 ff. GVG auf behördliche Verfahren abgesehen, weil insoweit schon vor Inkrafttreten der Vorschriften über die Entschädigungsklage mit dem Untätigkeitseinspruch und der Untätigkeitsklage hinreichende Rechtsschutzmöglichkeiten in Fällen überlanger Dauer behördlicher Verfahren bestanden und weiterhin bestehen.
2. Weder in der Rechtsprechung des BVerfG und des EGMR noch in der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass in finanzgerichtlichen Verfahren, die nicht Eilverfahren sind, bereits eine Laufzeit von weniger als einem Jahr als unangemessen lang i.S. der §§ 198 ff. GVG anzusehen sein könnte.

Gesetze: AO § 347 Abs. 1 Satz 2, GVG § 198, FGO § 46

Instanzenzug:

Gründe

1 Der Antrag ist unbegründet.

2 Prozesskostenhilfe (PKH) kann nicht gewährt werden, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (vgl. § 142 Abs. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO— i.V.m. § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung).

3 1. Aus der im Januar 2012 eingereichten Klageschrift geht hervor, dass der Antragsteller die angebliche Verzögerung in einem finanzgerichtlichen Klageverfahren rügt, das —ausweislich des Aktenzeichens— erst seit dem Jahr 2011 beim Finanzgericht anhängig ist. Es wird aber —soweit ersichtlich— weder in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts oder des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte noch in der Literatur vertreten, dass in finanzgerichtlichen Verfahren, die nicht Eilverfahren sind, bereits eine Laufzeit von weniger als einem Jahr als unangemessen lang i.S. der §§ 198 ff. des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) anzusehen sein könnte (vgl. den Rechtsprechungsüberblick bei Böcker, Deutsches Steuerrecht 2011, 2173, 2175).

4 2. Soweit der Antragsteller rügt, die Bearbeitungsdauer des FA für die von ihm begehrten Steuerfestsetzungen für die Veranlagungszeiträume 2005 bis 2010 sei zu lang, kann dies nicht Gegenstand einer Entschädigungsklage nach §§ 198 ff. GVG sein. Denn § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG eröffnet die Entschädigungsklage nur in Fällen unangemessener Dauer eines „Gerichtsverfahrens”. Wie sich aus der in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG enthaltenen Definition dieses Begriffs ergibt, sind behördliche Verfahren hiervon nicht erfasst. Die in § 199 GVG für strafrechtliche Ermittlungsverfahren —auch soweit diese von einer Finanzbehörde geführt werden— enthaltene Ausnahme ist vorliegend nicht einschlägig.

5 Aus den Gesetzesmaterialien (Regierungsentwurf vom , BTDrucks 17/3802, 17) geht hervor, dass der Gesetzgeber bewusst von einer Erweiterung des Anwendungsbereichs der §§ 198 ff. GVG auf behördliche Verfahren abgesehen hat, weil insoweit schon vor Inkrafttreten der Vorschriften über die Entschädigungsklage hinreichende Rechtsschutzmöglichkeiten in Fällen überlanger Dauer behördlicher Verfahren bestanden und weiterhin bestehen. Insoweit sind der Untätigkeitseinspruch (§ 347 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung) und die Untätigkeitsklage (§ 46 FGO) zu nennen.

6 3. Gerichtsgebühren sind für das Verfahren wegen Bewilligung von PKH in Ermangelung eines Gebührentatbestands nicht zu erheben.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2012 S. 1822 Nr. 11
NWB-Eilnachricht Nr. 41/2012 S. 3292
UAAAE-18015