Ernstliche Zweifel, ob die im (BStBl I 2011, 14) vorgesehene Vereinfachungsregelung zur Ermittlung des Gewinns aus privaten Veräußerungsgeschäften der Rechtsprechung des BVerfG entspricht
Leitsatz
Es bestehen ernstliche Zweifel i.S. des § 69 FGO, ob es sich bei den gemäß § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG im Rahmen der Ermittlung des Gewinns aus privaten Veräußerungsgeschäften zu berücksichtigenden Abschreibungs- bzw. Absetzungsbeträgen - ggf. anteilig - um (typisierte) "Wertzuwächse" i.S. der Rechtsprechung des , 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05 handelt und auf welcher Rechtsgrundlage die vom (BStBl 2011 I S. 14) unterstellte lineare Wertentwicklung von Grundstücken beruht.
Gesetze: EStG § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, FGO § 69
Instanzenzug:
Gründe
1 I. Der Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) erklärte für das Streitjahr (2003) neben anderen Einkünften einen Gewinn aus privaten Veräußerungsgeschäften von 91.890 €. Damit hatte es folgende Bewandtnis: Der Antragsteller hatte im Jahr 1995 von seinen Eltern ein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück zu einem Kaufpreis von 272.007,28 € erworben und im Streitjahr —nach Vermietung des Objekts in den Jahren 1995 bis 2003— für 345.000 € veräußert. Bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns berücksichtigte der Antragsteller auch die bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abgezogenen linearen Absetzungen für Abnutzung.
2 Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt —FA—) unterwarf den Gewinn der Besteuerung. Der Einspruch hiergegen, der sich gegen die Berücksichtigung des Gewinns nach Ablauf der zweijährigen Spekulationsfrist wandte, ruhte bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) über die Vorlage des (BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284). Nach Ergehen des , 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05 (BVerfGE 127, 1, BStBl II 2011, 76 —Rückwirkung im Steuerrecht I—) und des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom IV C 1-5-2256/07/10001:006, 2010/1015920 (BStBl I 2011, 14) nahm das FA das Verfahren wieder auf, ermittelte den Gewinn nach dem vom BMF vorgegebenen vereinfachten Verfahren bei unterstellter linearer Wertermittlung in Höhe von 48.033,41 € und setzte die Einkommensteuer des Streitjahres mit Einspruchsentscheidung vom entsprechend fest. Mit der Klage beantragte der Antragsteller Aussetzung der Vollziehung, die das FA ablehnte, das Finanzgericht (FG) indes gewährte. In seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 1148 zweifelte das FG an der Rechtmäßigkeit der in der Einspruchsentscheidung festgesetzten Einkommensteuer für das Streitjahr. Die vom BMF angebotene Vereinfachungsregelung spiegele mit ihrer linearen Wertermittlung die realen Gegebenheiten bei der Preisentwicklung auf dem Immobilienmarkt nicht ansatzweise wider und könne als Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nicht gerechtfertigt werden. Hinzu komme eine unzulässige Beweislastumkehr.
3 Hiergegen richtet sich die vom FG zugelassene Beschwerde des FA. Im BFH-Beschluss in BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284 sei die im (a.a.O.) vorgegebene und vom FA angewandte Methode ausdrücklich als mögliche Lösung dargestellt.
4 II. Die Beschwerde des FA ist unbegründet. Das FG hat die angefochtene Einkommensteuerfestsetzung in Gestalt der Einspruchsentscheidung zu Recht von der Vollziehung ausgesetzt.
5 1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) soll die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. Das ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH der Fall, wenn bei summarischer Prüfung des Verwaltungsakts gewichtige Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (vgl. z.B. , BFH/NV 2010, 409, m.w.N.).
6 2. Bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage hat das FG im Streitfall zutreffend ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Einkommensteuerfestsetzung bejaht.
7 a) Sie betreffen zunächst die vom FA auf der Grundlage des (a.a.O.) angewandte vereinfachte Wertermittlung aufgrund linearen Verlaufs. Hier wird im Hauptverfahren die Rechtsgrundlage zu klären sein, aufgrund dessen das BMF eine lineare Wertentwicklung von Grundstücken unterstellt (vgl. hierzu auch , BStBl II 2012, 335, Rz 19). In Betracht kommt eine Norminterpretation oder Typisierung, wobei die Regelungsdelegation auf die Verwaltung zweifelhaft ist (vgl. , BFHE 223, 563, BStBl II 2009, 447).
8 Möglich und nahe liegend wäre überdies die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 der Abgabenordnung. Dabei dürfte aber —worauf das FG zur Recht abstellt— eine lineare Wertsteigerung des Objekts von der Anschaffung bis zur Veräußerung die realen Gegebenheiten bei der Preisentwicklung auf dem Immobilienmarkt nicht widerspiegeln, insbesondere auch deshalb, weil die unterstellten linearen Wertsteigerungen für das gesamte Inland ersichtlich nicht zutreffen. Zwar lässt die Verwaltung eine „Günstigerregelung für den Steuerpflichtigen” zu ( a.a.O., unter II.2.). Wenn diese indes die Feststellungslast dem Steuerpflichtigen auferlegt, gerät sie in Konflikt mit der Rechtsprechung des BFH zur Feststellungslast bei vergleichbaren Wertentwicklungen im Bereich des § 17 des Einkommensteuergesetzes —EStG— (, BFHE 232, 335, Rz 10).
9 Für eine derartige Vereinfachungsregelung kann sich das FA nicht auf die Erwägungen im Vorlagebeschluss des BFH in BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284 (unter B.III.5.b) berufen. Die Ausführungen betreffen eine mögliche Übergangsregelung, also eine Typisierung durch das Gesetz, während es bei der Vereinfachungsregelung um eine Verwaltungsanweisung geht.
10 b) Unentschieden ist überdies die Rechtsfrage, ob es sich bei den gemäß § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG im Rahmen der Ermittlung des Gewinns aus privaten Veräußerungsgeschäften zu berücksichtigenden Abschreibungs- bzw. Absetzungsbeträgen —ggf. anteilig— um (typisierte) „Wertzuwächse” im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG handelt und der Antragsteller zudem darauf vertrauen durfte, diese —ggf. anteilig— steuerfrei vereinnahmen zu können (, BFH/NV 2012, 1130).
Fundstelle(n):
BFH/NV 2012 S. 1782 Nr. 11
KÖSDI 2012 S. 18160 Nr. 12
KAAAE-16634