BVerwG Urteil v. - 1 C 6/11

Niederlassungserlaubnis für einen türkischen Staatsangehörigen; Regelerteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts; assoziationsrechtliches Daueraufenthaltsrecht; Dokumentation des Aufenthaltsrechts durch Aufenthaltserlaubnis

Leitsatz

1. Ein assoziationsrechtliches Daueraufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1, 2. Spiegelstrich ARB 1/80 (juris: EWGAssRBes 1/80) rechtfertigt es für sich genommen nicht, bei der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 AufenthG (juris: AufenthG 2004) vom Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG abzusehen (im Anschluss an BVerwG 1 C 12.10 - juris).

2. Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 5 AufenthG zum Nachweis eines Daueraufenthaltsrechts nach Art. 7 Satz 1, 2. Spiegelstrich ARB 1/80 muss eine Gültigkeitsdauer von mindestens fünf Jahren aufweisen und das Bestehen des zugrunde liegenden assoziationsrechtlichen Daueraufenthaltsrechts einschließlich seiner Rechtsgrundlage textlich eindeutig erkennen lassen.

Gesetze: § 4 Abs 5 AufenthG 2004, § 5 Abs 1 Nr 1 AufenthG 2004, § 28 Abs 2 AufenthG 2004, Art 7 S 1 Ss 2 EWGAssRBes 1/80, Art 6 Abs 1 GG, Art 8 MRK

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Az: 12 B 20.08 Urteilvorgehend Az: 19 A 218.07 Urteil

Tatbestand

1Die 1977 geborene Klägerin türkischer Staatsangehörigkeit reiste 1990 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo sie zunächst bei ihrem Vater, einem türkischen Arbeitnehmer, wohnte. Von Mai 1992 bis Juni 1993 besuchte sie einen Eingliederungslehrgang für ausländische Jugendliche. Sie ist seit dem mit dem türkischen Staatsangehörigen A. verheiratet und hat fünf minderjährige Kinder, von denen zumindest zwei neben der türkischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Die Klägerin hat auf ihren Antrag jeweils eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, zunächst auf zwei, seit 2003 auf der Grundlage des § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG auf bis zu drei Jahre befristet. Sie stand mehrfach in abhängiger Beschäftigung, bezieht allerdings seit Jahren zumindest ergänzende Leistungen nach dem SGB II für sich und ihre Familie.

2Im November 2006 beantragte die Klägerin die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 AufenthG mit der Begründung, sie lebe in häuslicher Gemeinschaft mit ihren beiden Kindern deutscher Staatsangehörigkeit. Der Beklagte lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom mit der Begründung ab, der Lebensunterhalt der Klägerin sei nicht gesichert. Das Verwaltungsgericht hat ihre Klage mit Urteil vom abgewiesen, weil der geltend gemachte Anspruch jedenfalls daran scheitere, dass die Klägerin und ihre Familie laufend Sozialleistungen bezögen.

3Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Klägerin durch Urteil vom zurückgewiesen. Zwar besäßen zwei der Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit, doch stehe § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG einem Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis entgegen. Die Vorschrift sei auch im Rahmen des § 28 Abs. 2 AufenthG zu prüfen. Eine Ausnahmesituation, die einen Verzicht auf die nach dieser Vorschrift zu erfüllende Voraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts rechtfertige, liege nicht vor. Weder folge eine solche Ausnahme aus Art. 8 EMRK noch aus Art. 7 ARB 1/80, aus Art. 3 Abs. 3 des Europäischen Niederlassungsabkommens oder aus Art. 10 ARB 1/80. Die genannten Vorschriften sollten zwar den Aufenthalt der Betroffenen sichern, nicht aber die Entscheidung über die Art des Aufenthaltstitels beeinflussen.

4Die Klägerin hat die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt und rechtzeitig begründet. Nach Wortlaut und Systematik des § 28 AufenthG liege die Annahme nahe, dass § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG im Rahmen des § 28 Abs. 2 AufenthG nicht zu prüfen sei. Hierfür sprächen auch die gebotene Berücksichtigung der in Art. 6 GG enthaltenen Wertentscheidung für die Förderung von Ehe und Familie sowie die Überlegung, dass nach Art. 8 EMRK spätestens bei Volljährigkeit der deutschen Kinder der Mutter aufgrund ihres langjährigen Aufenthalts in Deutschland ein Daueraufenthaltsrecht zukomme. Selbst wenn man der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts zur Anwendbarkeit des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG folgen wolle, stehe der Klägerin die beantragte Niederlassungserlaubnis zu, weil sie eine Ausnahme vom Erfordernis der Sicherung ihres Lebensunterhalts für sich in Anspruch nehmen könne. Sie widme sich der Erziehung ihrer fünf Kinder; ihr könne nicht zugemutet werden, daneben durch eine abhängige Beschäftigung den Lebensunterhalt der Bedarfsgemeinschaft zu sichern.

5Sollte die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nicht in Betracht kommen, müsse hilfsweise zumindest die ihr jeweils ausgestellte Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 5 AufenthG so ausgestaltet sein, dass das ihr zustehende Daueraufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1, 2. Spiegelstrich ARB 1/80 textlich eindeutig daraus hervorgehe. Auch die bisher übliche Beschränkung der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltserlaubnis auf zwischen zwei und drei Jahren werde dem assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrecht der Klägerin nicht gerecht; sie müsse vielmehr mindestens fünf Jahre betragen.

6Der Beklagte hat den mit dem Hilfsantrag geltend gemachten Anspruch der Klägerin, ihr eine mindestens fünf Jahre gültige Aufenthaltserlaubnis auszustellen, aus der sich das Bestehen eines assoziationsrechtlichen Daueraufenthaltsrechts textlich eindeutig ergebe, in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat anerkannt und hält die Revision im Übrigen für unbegründet.

7Nach der Systematik des Aufenthaltsgesetzes seien die in § 5 geregelten Erteilungsvoraussetzungen von grundlegendem staatlichem Interesse und nur dann entbehrlich, wenn dies in den speziellen Erteilungsvorschriften ausdrücklich so geregelt sei. Auch liege kein atypischer Sachverhalt vor. Die Klägerin könne die Lebensgemeinschaft mit ihren Kindern auch auf der Grundlage befristeter Aufenthaltstitel führen. Auch der Umstand, dass sie über ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht verfüge, führe nicht zwingend zu einem Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis.

Gründe

8Die zulässige Revision ist mit dem Hauptantrag unbegründet (1.). Auf den Hilfsantrag ist der Beklagte seinem Anerkenntnis entsprechend zu verurteilen, der Klägerin eine den Anforderungen des Art. 7 Satz 1, 2. Spiegelstrich ARB 1/80 genügende Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe der Urteilsbegründung auszustellen (2.).

91. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 1 AufenthG; insoweit ist das Urteil des Oberverwaltungsgerichts nicht zu beanstanden.

101.1 Nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist Ausländern, die in Lebensgemeinschaft mit Familienangehörigen deutscher Staatsangehörigkeit leben, in der Regel eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn sie drei Jahre im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sind, die Lebensgemeinschaft mit dem oder den Familienangehörigen deutscher Staatsangehörigkeit im Bundesgebiet fortbesteht, kein Ausweisungsgrund vorliegt (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) und sie sich auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen können. Zusätzlich müssen nach Gesetzessystematik sowie Sinn und Zweck der Norm auch die übrigen allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG in der Regel gegeben sein, insbesondere muss der Lebensunterhalt der familiären Bedarfsgemeinschaft, der die betroffenen Ausländer angehören, gesichert sein (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, BVerwG 1 C 21.09 - BVerwGE 138, 148 sowie vom - BVerwG 1 C 12.10 - InfAuslR 2012, 53). Denn das Ziel des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, neue Belastungen für die öffentlichen Haushalte zu vermeiden, setzt sich auch gegenüber dem Begehren eines Ausländers durch, aus dem Zusammenleben mit deutschen Familienangehörigen einen Anspruch auf Erteilung der Niederlassungserlaubnis ableiten zu können, weil diese nach der Konzeption des Gesetzes eine gelungene wirtschaftliche Integration nicht vorbereitet, sondern voraussetzt. Die Verfestigung des Aufenthaltsstatus soll deshalb erst dann durch eine Niederlassungserlaubnis weiter befördert werden, wenn die betroffenen Ausländer den Lebensunterhalt für sich und die familiäre Bedarfsgemeinschaft, der sie angehören, ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel (§ 2 Abs. 3 AufenthG) sichern können.

11Allerdings ist die Sicherung des Lebensunterhalts - abweichend von § 9 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG - nur im Regelfall Tatbestandsvoraussetzung für einen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 AufenthG. Verfassungs-, unions- oder völkerrechtliche Gewährleistungen sowie atypische Umstände des Einzelfalles, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, können Ausnahmen vom Regelfall des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG rechtfertigen (Urteile vom a.a.O. Rn. 18 sowie vom - BVerwG 1 C 32.07 - BVerwGE 131, 370 Rn. 27). Ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, unterliegt keinem Einschätzungsspielraum der Behörde, sondern ist gerichtlich in vollem Umfang überprüfbar ( BVerwG 1 C 3.08 - Buchholz 402.242 § 5 AufenthG Nr. 5 Rn. 14).

121.2 Im vorliegenden Fall sind die in § 28 Abs. 2 AufenthG normierten Tatbestandsvoraussetzungen nach den für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts gegeben. Demgegenüber ist die Voraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht erfüllt, da die Klägerin und die ihrer familiären Bedarfsgemeinschaft angehörenden Personen Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) beziehen.

13Ein Ausnahmefall, in dem von einer Prüfung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG im Rahmen des § 28 Abs. 2 AufenthG abzusehen wäre, liegt nicht vor.

141.2.1 Aus Art. 6 Abs. 1 GG kann die Klägerin einen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ohne Sicherung des Lebensunterhalts nicht ableiten. Zwar ist die verfassungsrechtliche Wertentscheidung für Ehe und Familie bei der Auslegung und Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG im Rahmen des § 28 Abs. 2 AufenthG zu berücksichtigen ( BVerwG 1 C 40.07 - BVerwGE 133, 72 Rn. 20, 25). Doch vermag sie in aller Regel einen Anspruch auf Erteilung eines bestimmten Aufenthaltstitels - insbesondere eines unbefristeten an Stelle eines vorhandenen befristeten Titels - nicht zu begründen (vgl. BVerwG 1 C 34.07 - Buchholz 402.242 § 26 AufenthG Nr. 3 Rn. 24). Der Schutz von Ehe und Familie ist durch die Erteilung bzw. Ausstellung eines befristeten Aufenthaltstitels regelmäßig sichergestellt. Der Vortrag der Klägerin zur Anzahl und Betreuungsbedürftigkeit ihrer Kinder, zur gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Bedeutung von Kindern sowie zur besseren Erreichbarkeit von Darlehen auf der Grundlage eines unbefristeten Aufenthaltstitels stellt dies nicht in Frage.

151.2.2 Nichts anderes gilt auch für Art. 3 Abs. 3 des Europäischen Niederlassungsabkommens vom (Gesetz vom , BGBl II S. 997), der die Ausweisung von Staatsangehörigen der Vertragsstaaten erschwert, die seit mehr als zehn Jahren ihren ordnungsmäßigen Aufenthalt im Gebiet eines anderen Vertragsstaates haben. Der auf die Regelung von Ausweisungsgründen beschränkten Vorschrift lässt sich entgegen der Auffassung der Klägerin nichts zu einem etwaigen Anspruch auf Ersetzung eines befristeten durch einen unbefristeten Aufenthaltstitel entnehmen.

161.2.3 Auch aus Art. 7 Satz 1, 2. Spiegelstrich des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG - Türkei (ARB 1/80) - dessen Voraussetzungen die Klägerin nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts erfüllt - ist kein Anspruch auf eine Niederlassungserlaubnis ohne Sicherung des Lebensunterhalts an Stelle der nach § 4 Abs. 5 AufenthG ausgestellten (befristeten) Aufenthaltserlaubnis abzuleiten.

17Zwar ist Art. 7 Satz 1, 2. Spiegelstrich ARB 1/80 ein Aufenthaltsrecht zu entnehmen, da das von der Vorschrift eingeräumte Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt ohne ein korrespondierendes Aufenthaltsrecht nicht ausgeübt werden könnte (vgl. , Pehlivan - InfAuslR 2011, 272 Rn. 43 und vom - Rs. C-7/10 und C-9/10, Kahveci und Inan - AuAS 2012, 98, Rn. 28). Aus diesem Grund können Assoziationsberechtigte die Ausstellung einer (deklaratorischen) Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 5 AufenthG beanspruchen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass das Assoziationsrecht und das mitgliedstaatliche Aufenthaltsrecht im Ausgangspunkt getrennte Rechtskreise darstellen, die teilweise unterschiedliche Ziele verfolgen: Während das Assoziationsabkommen ausschließlich wirtschaftlichen Zwecken dient und sich deshalb auf die schrittweise Herstellung der Arbeitnehmerfreizügigkeit beschränkt (vgl. , Ziebell - InfAuslR 2012, 43, Rn. 57 - 77 <68>), verfolgt das innerstaatliche Aufenthaltsrecht weiter gefasste Ziele, insbesondere die Steuerung der Zuwanderung unter Berücksichtigung der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit (§ 1 Abs. 1 AufenthG). Aus diesem Grund lässt sich aus der assoziationsrechtlichen Vorschrift des Art. 7 Satz 1, 2. Spiegelstrich ARB 1/80 kein Anspruch auf eine Niederlassungserlaubnis ableiten. Denn diese ist als rechtliche Bestätigung einer erfolgreichen wirtschaftlichen Integration konstruiert und sie kann deshalb regelmäßig nur derjenige erhalten, der wirtschaftlich von der Inanspruchnahme öffentlicher Mittel (vgl. § 2 Abs. 3 AufenthG) unabhängig ist. Die mit der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis beabsichtigte und verbundene aufenthaltsrechtliche Verfestigung hängt von anderen Voraussetzungen ab als das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht, weil das Assoziationsrecht einen ausschließlich wirtschaftlichen Zweck verfolgt ( a.a.O. Rn. 63 ff.).

181.2.4 Für Art. 13 und Art. 10 ARB 1/80 gilt nichts anderes, da der Klägerin unbeschränkter Zugang zu Arbeitsmarkt und Beschäftigung zusteht und sie auch keine Diskriminierung im Bereich der Arbeitsbedingungen oder im Hinblick auf die Unterstützung durch die Bundesagentur für Arbeit bei der Beschaffung eines Arbeitsplatzes geltend macht.

191.2.5 Die Klägerin kann sich für den geltend gemachten Anspruch auf eine Niederlassungserlaubnis ohne Sicherung des Lebensunterhalts auch nicht auf Art. 8 EMRK stützen.

20Art. 8 EMRK gewährleistet das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Dabei ist unter Privatleben die Summe der persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zu verstehen, die für das Leben eines Menschen in der Gesellschaft konstitutiv sind und denen - angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen - bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zukommt ( BVerwG 1 C 18.09 - Buchholz 402.242 § 104a AufenthG Nr. 5, Rn. 14). Eingriffe in die Ausübung dieses Rechts sind nur zulässig, soweit sie gesetzlich vorgesehen und aus Gründen notwendig sind, die in Art. 8 Abs. 2 EMRK im Einzelnen aufgeführt sind.

21Es ist bereits zweifelhaft, ob die im Hinblick auf die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts ausgesprochene Verweigerung eines unbefristeten Aufenthaltstitels an Stelle befristeter Aufenthaltserlaubnisse in diesem Sinne einen Eingriff in das Recht auf Privatleben darstellt. Denn der Aufenthalt der Klägerin in Deutschland ist rechtlich gesichert und wird durch die ihr jeweils ausgestellte Aufenthaltserlaubnis dokumentiert. Die Verweigerung eines unbefristeten Aufenthaltstitels wirkt sich vor diesem Hintergrund auf ihr Recht, ihre Konventionsrechte ungehindert auszuüben, allenfalls geringfügig - etwa im Bereich der wirtschaftlichen Integration - aus.

22Jedenfalls aber ist die Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG im Rahmen des § 28 Abs. 2 AufenthG durch hinreichende Gründe im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt. Sie ist gesetzlich vorgesehen, da das Zusammenspiel von § 28 Abs. 2 und § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG diese Entscheidung als Regelfall vorsieht, und verfolgt das legitime Ziel, die öffentlichen Haushalte zu schonen. Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit bestehen im vorliegenden Fall nicht (zu diesem Erfordernis vgl. EGMR, Urteil vom - 41548/06, Trabelsi - Newsletter Menschenrechte 2011, 300 Rn. 53 ff. m.w.N., - InfAuslR 2007, 275, Rn. 33). Denn der Aufenthalt der Klägerin ist unabhängig davon, ob sie über eine Niederlassungserlaubnis verfügt, dauerhaft gesichert und steht nicht in Frage; die Klägerin unterliegt lediglich dem Erfordernis periodischer Verlängerung der ihr jeweils ausgestellten Aufenthaltserlaubnis. Dies ist ihr auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass sie nicht straffällig geworden ist und dass angesichts ihrer Verweildauer in Deutschland von einer stabilen Verwurzelung im Aufenthaltsstaat auszugehen ist, zumutbar. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte überlässt die Konvention den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Konvention in innerstaatliches Recht die Wahl der dafür am besten geeigneten Mittel, so dass Art. 8 EMRK grundsätzlich nicht dahin verstanden werden kann, dass er ohne Weiteres einen bestimmten Aufenthaltstitel unter mehreren zur Verfügung stehenden garantiert (EGMR, Urteil der Großen Kammer vom , 60654/00, Sisojeva - NVwZ 2008, 979 Rn. 90, 91).

231.2.6 Schließlich liegt auch keine Ausnahme vom Regelfall des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vor, der die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis unabhängig vom Erfordernis einer Sicherung des Lebensunterhalts erzwingen würde. Von einem solchen Einzelfall ist bei besonders atypischen Umständen auszugehen, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen (vgl. BVerwG 1 C 12.10 - Rn. 18). Die Klägerin hat jedoch neben den bereits genannten Gesichtspunkten derartige atypische Umstände nicht vorgetragen. Zwar sind zumindest zwei ihrer Kinder deutsche Staatsangehörige, deren Anteil an der familiären Bedarfsgemeinschaft bei der Prüfung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG außer Betracht zu bleiben hat (vgl. Urteil vom a.a.O. Rn. 18, 19). Dies ändert indes nichts daran, dass auch der Lebensunterhalt der übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, insbesondere der Klägerin selbst sowie ihres Ehemannes und derjenigen Kinder, die keine deutschen Staatsangehörigen sind, ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel nicht gesichert werden kann. Die von der Klägerin hierfür geltend gemachten Gründe - vor allem Anzahl und besondere Betreuungsbedürftigkeit der Kinder und die gesellschaftliche sowie wirtschaftliche Bedeutung der Kindererziehung - weisen den vorliegenden Fall nicht als eine atypische Konstellation aus, bei der davon auszugehen wäre, dass sie dem Gesetzgeber bei Erlass der maßgeblichen Vorschriften nicht vor Augen gestanden hätte.

242. Der Beklagte ist seinem Anerkenntnis entsprechend (§ 173 Satz 1 VwGO, § 307 ZPO) auf den zulässigen Hilfsantrag zu verpflichten, der Klägerin eine mindestens fünf Jahre gültige Aufenthaltserlaubnis auszustellen, aus der sich eindeutig das Bestehen eines assoziationsrechtlichen Daueraufenthaltsrechts gemäß Art. 7 Satz 1, 2. Spiegelstrich ARB 1/80 ergibt. Soweit die Urteile des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts dem entgegenstehen, sind sie abzuändern.

25Bedenken im Hinblick auf die Zulässigkeit des im Revisionsverfahren erstmals gestellten Hilfsantrages (vgl. § 142 Abs. 1 VwGO) bestehen nicht, da dieses Begehren der Sache nach bereits im Klageantrag enthalten war. Der Beklagte war auch nicht gehindert, den hilfsweise geltend gemachten Anspruch anzuerkennen, da ein solches Anerkenntnis auch im Verwaltungsprozess möglich ist (vgl. § 87 a Abs. 1 Nr. 2, § 156 VwGO). Dies hat zur Folge, dass eine kontradiktorische Entscheidung über den betroffenen Teil des Streitgegenstandes nicht mehr erforderlich ist. Vielmehr hat nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 307 ZPO ein Anerkenntnisurteil zu ergehen; grundsätzliche Unterschiede zwischen den Verfahrensarten der Verwaltungsgerichtsordnung und der Zivilprozessordnung schließen dies jedenfalls für die Verpflichtungsklage nicht aus ( BVerwG 4 A 20.95 - BVerwGE 104, 27). Maßgebliche Voraussetzung für ein wirksames Anerkenntnis ist, dass der Beklagte berechtigt ist, über den streitgegenständlichen Anspruch zu verfügen. Das ist hier der Fall, da der Beklagte die mit dem Hilfsantrag geltend gemachte Ausgestaltung der der Klägerin ausgestellten Aufenthaltserlaubnis nach seinem Ermessen im Rahmen der einschlägigen Rechtsvorschriften verwirklichen kann.

26Der Klägerin ist auf ihren Antrag in den Jahren 1993 bis 2001 eine auf jeweils zwei, in den Jahren 2003 und 2006 eine auf jeweils drei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 5 AufenthG ausgestellt worden. 2009 hat sie eine in zeitlicher Hinsicht mit dem Aufenthaltstitel ihres Ehemannes abgestimmte Aufenthaltserlaubnis erhalten, die bis zum Ablauf des befristet ist. Den Aufenthaltserlaubnissen war jeweils nicht zu entnehmen, dass die Klägerin Inhaberin eines assoziationsrechtlichen Daueraufenthaltsrechts ist. Diese Praxis steht mit Art. 7 Satz 1, 2. Spiegelstrich ARB 1/80 nicht im Einklang.

27Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 AufenthG hat ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht, das Bestehen dieses Aufenthaltsrechts durch eine Aufenthaltserlaubnis nachzuweisen, sofern er weder eine Niederlassungserlaubnis noch eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG besitzt. Nach Satz 2 der Vorschrift wird die Aufenthaltserlaubnis als deklaratorischer Aufenthaltstitel zum Nachweis des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts auf Antrag ausgestellt. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 AufenthG muss die Aufenthaltserlaubnis befristet werden; über die Dauer der Befristung entscheidet die zuständige Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung des Aufenthaltszwecks. Für eine nach § 4 Abs. 5 AufenthG ausgestellte Aufenthaltserlaubnis zur Dokumentation eines Aufenthaltsrechts nach Art. 7 Satz 1, 2. Spiegelstrich ARB 1/80 bedeutet dies, dass der Titel seine Rechtsgrundlage sowie das Bestehen eines Daueraufenthaltsrechts erkennen lassen und dass seine Gültigkeitsdauer der Bedeutung des zugrunde liegenden Daueraufenthaltsrechts gerecht werden muss. Diese Anforderungen werden verfehlt, wenn die Aufenthaltserlaubnis mangels eindeutiger erläuternder Zusätze im Rechtsverkehr den Anschein erwecken kann, ihr Inhaber verfüge lediglich über eine konstitutiv befristete Aufenthaltserlaubnis, oder wenn die Gültigkeitsdauer deutlich unterhalb der zur Dokumentation eines Daueraufenthaltsrechts üblichen Gültigkeitsdauer bleibt.

28Das assoziationsrechtliche Daueraufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1, 2. Spiegelstrich ARB 1/80 sichert das Recht von Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers auf freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, sobald seine Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen, insbesondere ein mindestens fünfjähriger ordnungsgemäßer Wohnsitz bei dem türkischen Arbeitnehmer. Das Aufenthaltsrecht soll den Familienangehörigen neben der dauerhaften Aufrechterhaltung der familiären Gemeinschaft ggf. die Fortdauer ihres einmal erworbenen Rechts auch nach Wegfall der Voraussetzungen des Art. 7 ARB 1/80 ermöglichen und kann deshalb nur unter engen Voraussetzungen erlöschen (vgl. , Aydinli - Rn. 23 ff., Slg. 2005, I-6181). Dieses Ziel ist uneingeschränkt jedoch nur erreichbar, wenn das Bestehen eines assoziationsrechtlichen Daueraufenthaltsrechts nach Art. 7 Satz 1, 2. Spiegelstrich ARB 1/80 im Rechts- und Wirtschaftsverkehr ohne Weiteres erkennbar ist. Denn nur wenn alle Behörden sowie die Geschäfts- und Vertragspartner der betroffenen Ausländer ohne Weiteres feststellen können, dass diese nicht nur einen befristet gesicherten Status innehaben, sondern dauernd aufenthaltsberechtigt sind, ist in der Rechtswirklichkeit ihre Gleichbehandlung mit anderen Ausländern, die einen vergleichbaren Status innehaben, zu erwarten. Fehlt es daran, ist nach aller Lebenserfahrung nicht auszuschließen, dass die Ausübung des Daueraufenthaltsrechts - etwa beim Abschluss von Darlehens- oder Mietverträgen oder ähnlichen langfristigen rechtlichen Bindungen - auf nicht unerhebliche Hindernisse stoßen kann.

29Aus denselben Gründen wird auch eine regelmäßig auf drei Jahre befristete Gültigkeitsdauer der Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 5 AufenthG den assoziationsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht und ist daher ermessensfehlerhaft. Zwar erfordert das Ziel des Art. 7 Satz 1, 2. Spiegelstrich ARB 1/80 nicht die Ausstellung eines unbefristeten Aufenthaltstitels, weil den Mitgliedstaaten auch weiterhin die Befugnis zum Erlass von Maßnahmen zusteht, die den innerstaatlichen Behörden die genaue Kenntnis der Bevölkerungsbewegungen in ihrem Hoheitsgebiet ermöglichen sollen (, Ergat - Slg. I-1506, Rn. 54). Dies lässt die Ausgestaltung der deklaratorischen Aufenthaltstitel als befristete Titel zu, steht aber einer zeitlich allzu eingeschränkten Gültigkeitsdauer entgegen. Denn das Erfordernis einer in relativ kurzen Zeitabständen jeweils erforderlichen Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis schränkt den Gebrauch des assoziationsrechtlichen Daueraufenthaltsrechts stärker ein als dies durch das Interesse des Aufenthaltsstaates an periodischer Kontrolle gerechtfertigt wäre und ist deshalb unverhältnismäßig. Als unionsrechtlicher Bezugsrahmen für die Dokumentation des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts nach Art. 7 Satz 1, 2. Spiegelstrich ARB 1/80 durch einen Aufenthaltstitel bietet sich vielmehr Art. 8 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl EG Nr. L 16 vom S. 44) an, der eine Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels von mindestens fünf Jahren vorsieht (vgl. , Ziebell - Rn. 79). Eine solche Gültigkeitsdauer trägt sowohl dem legitimen Kontrollbedürfnis des Aufenthaltsstaates als auch dem Bedürfnis des zum Daueraufenthalt berechtigten Ausländers Rechnung, seine aufenthaltsrechtliche Privilegierung im Rechtsverkehr ohne unzumutbaren Aufwand nachweisen zu können.

30Nach diesen Grundsätzen hat die Klägerin im vorliegenden Fall einen Anspruch darauf, dass die ihr ausgestellte Aufenthaltserlaubnis zum einen eine Gültigkeitsdauer von nicht weniger als fünf Jahren aufweist. Zum anderen muss sie erkennen lassen, dass ihr ein assoziationsrechtliches Daueraufenthaltsrecht zugrunde liegt und um welches es sich dabei handelt. Hierbei reicht die bloße Nennung einer Rechtsvorschrift als Zusatz zur Art des Titels nicht aus. Dem Zweck, einen unproblematischen und im Rechtsverkehr ohne besondere Rechtskenntnisse erkennbaren Nachweis des zu Grunde liegenden Daueraufenthaltsrechts führen zu können, genügt vielmehr nur die ausdrückliche Erwähnung des Begriffs "Daueraufenthaltsrecht" und seiner Rechtsgrundlage in der Urkunde der Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 5 AufenthG. Eine solche Eintragung lässt sich auch dann, wenn der betroffene Ausländer über mehrere Aufenthaltstitel verfügt, als Zusatz zur Art des Titels oder im Anmerkungsfeld des Dokuments vornehmen (vgl. § 78 Abs. 1 Satz 3 Nr. 8 und 12 AufenthG, § 59 Abs. 2 i.V.m. Anl. D 14a AufenthVO, Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Anhang a) Verordnung <EG> Nr. 1030/2002 des Rates vom zur einheitlichen Gestaltung des Aufenthaltstitels für Drittstaatsangehörige, ABl EG L 157 S. 1 in der durch VO <EG> Nr. 380/2008 des Rates vom geänderten Fassung).

Fundstelle(n):
LAAAE-16009