Jahressteuergesetz 2010 (JStG 2010); Verjährungsregelung zu § 4 Nr. 20 Buchst. a Umsatzsteuergesetz (UStG)
Durch Artikel 4 Nr. 6 Buchstabe a des JStG 2010 vom (BGBl I S. 1768) wurde § 4 Nr. 20 Buchstabe a UStG mit Wirkung zum geändert und folgender Satz „Für die Erteilung der Bescheinigung gilt § 181 Abs. 1 und 5 der Abgabenordnung (AO) entsprechend.“ eingefügt.
Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt hierzu Folgendes:
I. Erlass und Aufhebung von Bescheinigungen nach § 4 Nr. 20 Buchstabe a UStG
Mit der Einfügung des § 4 Nr. 20 Buchstabe a Satz 3 UStG durch das JStG 2010 wurde in Anlehnung an die Regelungen zur Feststellungsverjährung eine Befristung für den rückwirkenden Erlass der für die Steuerbefreiung maßgebenden Bescheinigung geschaffen. Damit geht einher, dass eine Abwicklung bzw. Rückabwicklung von Vorsteuerbeträgen sowohl durch den Steuerpflichtigen als auch durch die Finanzbehörden nur noch für einen zeitlich begrenzten Zeitraum möglich ist.
Für die Erteilung oder die Aufhebung der Bescheinigung sowie alle anderen damit im Zusammenhang stehenden Aspekte des Verwaltungsverfahrens ist das jeweilige Verwaltungsverfahrensgesetz des Landes maßgebend, dem die bescheinigende Behörde angehört. Im Gegensatz zur AO enthalten die Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder aber keine Verjährungsregelungen. Dieser Tatsache trägt die gesetzliche Änderung in § 4 Nr. 20 Buchstabe a Satz 3 UStG Rechnung; allerdings sollen nach dem Willen des Gesetzgebers nur die Regelungen über die Feststellungsverjährung entsprechend anzuwenden sein. Hinsichtlich der allgemeinen Verfahrensvorschriften sind daher weiterhin die Regelungen der jeweils maßgebenden Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder anzuwenden.
Dabei ist im Einzelnen Folgendes zu beachten:
Die Frist für den rückwirkenden Erlass oder die rückwirkende Aufhebung der Bescheinigung beträgt grundsätzlich vier Jahre (§ 4 Nr. 20 Buchstabe a Satz 3 UStG i. V. m. § 181 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 2 AO).
Der Beginn dieser Frist richtet sich danach, für welchen Besteuerungszeitraum die Bescheinigung erteilt werden soll (sinngemäße Anwendung des § 170 Abs. 1 AO gemäß dem nach § 4 Nr. 20 Buchstabe a Satz 3 UStG entsprechend anzuwendenden § 181 Abs. 1 Satz 1 AO). Hierbei ist zu beachten, dass die Bescheinigung regelmäßig einen Dauer-Verwaltungsakt darstellt, der das Vorliegen bestimmter Verhältnisse ab einem bestimmten Zeitpunkt bis auf weiteres bestätigt. Die nach § 4 Nr. 20 Buchstabe a UStG erforderliche Bescheinigung darf daher von den zuständigen Landesbehörden mit steuerlicher Wirkung grundsätzlich rückwirkend nur noch für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren (§ 4 Nr. 20 Buchstabe a Satz 3 UStG i. V. m. § 181 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 2 und § 170 Abs. 1 AO) nach Ablauf des Jahres, für das die Bescheinigung gilt, bzw. bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung der Umsatzsteuer (§ 4 Nr. 20 Buchstabe a Satz 3 UStG i. V. m. § 181 Abs. 5 AO) ausgestellt werden.
Die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO kommt nicht zur Anwendung, weil für den Unternehmer keine Verpflichtung besteht, eine Bescheinigung im Sinne des § 4 Nr. 20 Buchstabe a UStG zu beantragen. Insoweit greift als Korrektiv die Befugnis der Finanzbehörden, unabhängig vom Unternehmer – und ggf. auch gegen dessen Willen – eine Bescheinigung zu beantragen. Die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 3 AO ist auf die Fälle der Aufhebung einer bereits erteilten Bescheinigung beschränkt. Die Frist für die Aufhebung der Bescheinigung beginnt frühestens mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem vom Steuerpflichtigen oder der Finanzbehörde der entsprechende Antrag gestellt wurde.
Die Regelungen zu den Ablaufhemmungen (z. B. nach § 171 Abs. 1, 2, 3 und 3a AO) kommen bei Berechnung der Frist für die Erteilung der Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchstabe a UStG entsprechend zur Anwendung.
Zudem ist das verjährungsrechtliche Wechselspiel zwischen der Umsatzsteuerfestsetzung und der Erteilung der Bescheinigung zu beachten:
Wird eine Bescheinigung vor Ablauf der nach § 4 Nr. 20 Buchstabe a Satz 3 UStG geltenden Frist erteilt oder aufgehoben, gilt hinsichtlich der Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 10 AO, d. h. es besteht insoweit für den jeweiligen Umsatzsteuerbescheid eine Anpassungsfrist von zwei Jahren nach Bekanntgabe der Bescheinigung (vgl. AEAO zu § 171, Nummer 6). Für die betroffenen Kalenderjahre sind die jeweiligen Umsatzsteuerbescheide nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern.
Wird eine Bescheinigung nach Ablauf der nach § 4 Nr. 20 Buchstabe a Satz 3 UStG geltenden Frist erteilt oder aufgehoben, gilt Folgendes:
Eine Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchstabe a UStG kann auch nach Ablauf der nach § 4 Nr. 20 Buchstabe a Satz 3 UStG geltenden Frist insoweit erteilt oder aufgehoben werden, als sie für eine Umsatzsteuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der Erteilung oder Aufhebung der Bescheinigung noch nicht abgelaufen ist. § 181 Abs. 5 Satz 1 zweiter Halbsatz und Satz 2 AO sind dabei zu beachten (vgl. dazu auch AEAO zu § 181, Nummer 1). Wird eine Bescheinigung für einen mehr als vier Jahre zurückliegenden Zeitraum erteilt oder aufgehoben und war die Verjährungsfrist im Bescheinigungsverfahren selbst nicht gehemmt, ist in die Bescheinigung der Hinweis nach § 181 Abs. 5 Satz 2 AO aufzunehmen. Dieser Hinweis kann wie folgt lauten:
„Diese Bescheinigung ist für die Jahre … nach Ablauf der nach § 4 Nr. 20 Buchstabe a Satz 3 UStG geltenden Frist erteilt/aufgehoben worden. Sie ist für diese Jahre nur für solche Umsatzsteuerfestsetzungen bedeutsam, bei denen die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist (vgl. § 181 Abs. 5 AO).“
Die konkrete Feststellung, für welche Umsatzsteuerfestsetzung die Bescheinigung bzw. deren Aufhebung von Bedeutung ist, trifft das dafür zuständige Finanzamt. Soweit die Voraussetzungen des § 4 Nr. 20 Buchstabe a UStG i. V. m. § 181 Abs. 5 AO erfüllt sind, sind die Umsatzsteuerfestsetzungen der noch nicht festsetzungsverjährten Kalenderjahre nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO entsprechend zu erlassen, zu ändern oder aufzuheben.
Unternehmer U hat im Jahre 00 seine Tätigkeit aufgenommen. Eine Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchstabe a UStG hat U nicht beantragt; aus seinen Eingangsumsätzen hat er den Vorsteuerabzug geltend gemacht. Auf Antrag des zuständigen Finanzamtes (gestellt im Januar 12) will die zuständige Landesbehörde im Jahr 12 rückwirkend bescheinigen, dass U die gleichen kulturellen Aufgaben wie die in § 4 Nr. 20 Buchstabe a Satz 1 UStG genannten Einrichtungen erfüllt. Die Leistungen des U wären demnach umsatzsteuerfrei.
Für die Umsatzsteuer des Kalenderjahres 07 läuft die Festsetzungsfrist aufgrund der Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO (Abgabe der Steuererklärung für 07 in 08) erst mit Ablauf des Jahres 12 ab.
Für die Folgejahre tritt die Festsetzungsverjährung entsprechend später ein.
Die Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer der Kalenderjahre vor 07 ist Anfang 12 bereits abgelaufen.
Lösung:
Die Bescheinigung kann mit umsatzsteuerlicher Wirkung grundsätzlich nur über einen zurückliegenden Zeitraum von vier Jahren (§ 4 Nr. 20 Buchstabe a Satz 3 UStG i. V. m. § 181 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 1 und 2 Satz 1 und § 170 Abs. 1 AO) erteilt werden. Die Vier-Jahres-Frist beginnt dabei mit Ablauf des Jahres, für das die Bescheinigung (erstmalig) erteilt werden soll.
Diese vierjährige Frist ist für die Jahre bis einschließlich 07 im Zeitpunkt der Antragstellung bereits abgelaufen. Für das Jahr 08 läuft sie erst mit Ablauf des Jahres 12 ab. Die Bescheinigung kann daher grundsätzlich nur mit Wirkung ab 08 erteilt werden.
Allerdings darf eine Bescheinigung auch nach Ablauf der nach § 4 Nr. 20 Buchstabe a Satz 3 UStG geltenden Frist insoweit erteilt oder aufgehoben werden, als sie für eine Umsatzsteuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der Erteilung oder Aufhebung der Bescheinigung noch nicht abgelaufen ist (§ 4 Nr. 20 Buchstabe a Satz 3 UStG i. V. m. § 181 Abs. 5 AO).
Da die Festsetzungsfrist der Umsatzsteuer des Kalenderjahrs 07 vorliegend im Zeitpunkt der Erteilung der Bescheinigung noch nicht abgelaufen ist, kann die Bescheinigung auch mit Wirkung für das Jahr 07 erteilt werden. Sie muss aber, um steuerliche Wirkung zu haben, den Hinweis enthalten, dass die Bescheinigung nach Ablauf der für sie geltenden Frist erteilt wird und nur für Umsatzsteuerfestsetzungen von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der Erteilung der Bescheinigung noch nicht abgelaufen ist (§ 181 Abs. 5 Satz 2 AO).
Die Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchstabe a UStG kann uneingeschränkt für die Zeit ab erteilt werden. Die Umsatzsteuerfestsetzungen ab 08 sind nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO anzupassen. Der Vorsteuerabzug, soweit er auf die nunmehr steuerfreien Umsätze entfällt, ist zu korrigieren (Hinweis auf § 15 Abs. 2 UStG).
Da die Voraussetzungen des § 4 Nr. 20 Buchstabe a UStG i. V. m. § 181 Abs. 5 AO in Bezug auf das Jahr 07 vorliegen, kann die Bescheinigung unter Beifügung des Hinweises auf § 181 Abs. 5 Satz 2 AO auch mit Wirkung für dieses Kalenderjahr erteilt werden. Ist dies geschehen, ist die Umsatzsteuerfestsetzung 07 ebenfalls nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO anzupassen und der Vorsteuerabzug für die nunmehr steuerfreien Umsätze insoweit zu korrigieren.
Soweit die Bescheinigung auch mit Wirkung für Zeiträume vor 07 erteilt werden sollte, ist dies steuerlich – trotz eines etwaigen Hinweises auf § 181 Abs. 5 Satz 2 AO – ohne Bedeutung.
II. Änderung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE)
Ferner wird Abschnitt 4.20.5 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE) vom (BStBl I S. 864), der zuletzt durch das , BStBl I S. 876, geändert worden ist, wie folgt gefasst:
„4.20.5. Bescheinigungsverfahren
(1) 1Für die Erteilung der Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde gilt Abschnitt 4.21.5 Abs.2 und 3 entsprechend. 2Gastieren ausländische Theater und Orchester im Inland an verschiedenen Orten, genügt eine Bescheinigung der Landesbehörde, in deren Zuständigkeitsbereich das ausländische Ensemble erstmalig im Inland tätig wird.
(2) 1Für den rückwirkenden Erlass der Bescheinigung gilt eine Befristung entsprechend den Regelungen der Abgabenordnung zur Feststellungsverjährung. 2Danach darf die Bescheinigung von der zuständigen Landesbehörde grundsätzlich nur für einen Zeitraum von vier Jahren (§ 4 Nr. 20 Buchstabe a Satz 3 UStG i. V. m. § 181 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 1 und 2 Satz 1 und § 170 Abs. 1 und 3 AO) nach Ablauf des Jahres, für das die Bescheinigung gilt, bzw. bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung der Umsatzsteuer (§ 4 Nr. 20 Buchstabe a Satz 3 UStG i. V. m. § 181 Abs. 5 AO) ausgestellt oder aufgehoben werden (vgl. im Einzelnen Abschn. I des BStBl I S. 877).“
Die Grundsätze dieses Schreibens gelten für alle Fälle des Erlasses oder der Aufhebung von Bescheinigungen nach § 4 Nr. 20 Buchstabe a UStG nach dem .
BMF v. - IV D 3 –
S 7177/07/10001-02
Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2012 I Seite 877
BB 2012 S. 2146 Nr. 35
DB 2012 S. 15 Nr. 34
DB 2012 S. 2016 Nr. 36
StB 2012 S. 301 Nr. 9
StBW 2012 S. 877 Nr. 19
UR 2012 S. 732 Nr. 18
UStB 2012 S. 285 Nr. 10
UVR 2012 S. 295 Nr. 10
TAAAE-15779