BGH Beschluss v. - EnVR 93/10

Anreizregulierung für Stromnetzbetreiber: Berücksichtigung des generellen sektoralen Produktivitätsfaktors, der Eigenkapitalverzinsung und der kalkulatorischen Gewerbesteuer bei der Bestimmung der Erlösobergrenze

Gesetze: § 9 ARegV, § 21a Abs 4 S 7 ARegV, § 21a Abs 6 S 2 Nr 5 ARegV, § 34 Abs 3 ARegV

Instanzenzug: OLG Celle Az: 13 VA 23/09

Gründe

I.

1Die Betroffene betreibt ein Elektrizitätsverteilernetz. Mit Bescheid vom erhielt sie eine auf den Daten des Geschäftsjahres 2004 beruhende und später bis zum verlängerte Genehmigung der Entgelte für den Netzzugang gemäß § 23a EnWG. Für die Folgezeit wurde der Betroffenen die Teilnahme am vereinfachten Verfahren der Anreizregulierung gemäß § 24 ARegV genehmigt.

2Mit Beschluss vom legte die Bundesnetzagentur die einzelnen Erlösobergrenzen für die Jahre 2009 bis 2013 niedriger als von der Betroffenen begehrt fest. Sie begründete dies im Rahmen der Ermittlung des Ausgangsniveaus nach § 34 Abs. 3 ARegV unter anderem mit Kürzungen bei der Eigenkapitalverzinsung und der kalkulatorischen Gewerbesteuer sowie mit der Einrechnung des generellen sektoralen Produktivitätsfaktors nach § 9 ARegV. Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen hat das Beschwerdegericht den Beschluss mit Ausnahme der Ablehnung des - im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht weiterverfolgten - Antrags auf Anpassung der Erlösobergrenzen nach § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ARegV aufgehoben und die Bundesnetzagentur verpflichtet, die Erlösobergrenzen unter Berücksichtigung seiner Rechtsauffassung neu zu bestimmen. Die weitergehende Beschwerde der Betroffenen hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen.

3Hiergegen richten sich die - vom Beschwerdegericht zugelassene - Rechtsbeschwerde der Bundesnetzagentur und die Anschlussrechtsbeschwerde der Betroffenen. Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

II.

4Die Rechtsbeschwerde der Bundesnetzagentur und die Anschlussrechtsbeschwerde der Betroffenen haben Erfolg.

51. Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor (§ 9 ARegV)

6a) Das Beschwerdegericht hat angenommen, die Bundesnetzagentur habe bei der Ermittlung der Erlösobergrenzen zu Unrecht den generellen sektoralen Produktivitätsfaktor nach § 9 ARegV berücksichtigt, obwohl es hierfür an einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung fehle. Insbesondere sei § 9 ARegV nicht von § 21a Abs. 6 Satz 2 Nr. 5 bzw. § 21a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 EnWG gedeckt.

7b) Diese Beurteilung hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht stand. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts hat die Bundesnetzagentur bei der Ermittlung der Erlösobergrenzen den generellen sektoralen Produktivitätsfaktor nach § 9 ARegV im Ergebnis zu Recht berücksichtigt.

8aa) Der Senat hat zwar mit Beschluss vom (EnVR 48/10, RdE 2011, 308 Rn. 36 ff. - EnBW Regional AG) entschieden, dass § 21a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 EnWG i.V.m. § 21a Abs. 6 Satz 2 Nr. 5 EnWG a.F. nicht dazu ermächtigt hat, einen generellen sektoralen Produktivitätsfaktor - wie in § 9 Abs. 1 ARegV a.F. vorgegeben - unter Berücksichtigung der Abweichung des netzwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritts vom gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritt zu ermitteln. Diese Rechtsprechung ist aber - wie der Senat mit Beschluss vom (EnVR 16/10, RdE 2012, 203 Rn. 17 ff. - Gemeindewerke Schutterwald) im Einzelnen begründet hat - durch das Zweite Gesetz zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften vom (BGBl. I S. 3034) gegenstandslos geworden, weil der Gesetzgeber darin mit § 21a Abs. 4 Satz 7, Abs. 6 Satz 2 Nr. 5 EnWG n.F. mit Rückwirkung zum eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die Einbeziehung des generellen sektoralen Produktivitätsfaktors in die Erlösobergrenzen geschaffen und § 9 ARegV neu erlassen hat. Die von der Rechtsbeschwerdeerwiderung insbesondere gegen die Rückwirkung angeführten Argumente hat der Senat geprüft, jedoch nicht für durchgreifend erachtet.

9bb) Die konkrete Festlegung des generellen sektoralen Produktivitätsfaktors in § 9 Abs. 2 ARegV und dessen konkrete Berechnung durch die Bundesnetzagentur für die einzelnen Jahre der Regulierungsperiode sind - wie der Senat ebenfalls mit Beschluss vom (EnVR 16/10, RdE 2012, 203 Rn. 26 ff. - Gemeindewerke Schutterwald) im Einzelnen begründet hat - ebenfalls nicht zu beanstanden. Auch insoweit bringt die Rechtsbeschwerdeerwiderung keine Argumente vor, die dem Senat Anlass für eine Änderung seiner Rechtsprechung geben könnten.

102. Bestimmung des Ausgangsniveaus der Erlösobergrenzen (§ 34 Abs. 3 ARegV)

11Die Anschlussrechtsbeschwerde der Betroffenen hat ebenfalls Erfolg.

12a) Das Beschwerdegericht hat angenommen, dass die Bundesnetzagentur für die Bestimmung des Ausgangsniveaus der Erlösobergrenzen für die erste Regulierungsperiode das Ergebnis der Kostenprüfung der letzten - bestandskräftigen - Entgeltgenehmigung zugrunde legen durfte. Dies ergebe sich aus § 34 Abs. 3 und § 6 Abs. 2 ARegV, wonach als Ausgangsniveau das Ergebnis der Kostenprüfung der letzten Genehmigung der Netzentgelte nach § 23a EnWG vor Beginn der Anreizregulierung heranzuziehen sei. Sinn und Zweck dieser Übergangsregelung sei es, eine erneute Kostenprüfung und den damit verbundenen Aufwand nach dem Inkrafttreten der Anreizregulierungsverordnung angesichts des engen zeitlichen Rahmens zu vermeiden. Aufgrund dessen sei für die von der Betroffenen begehrte Anpassung des Ergebnisses der in der letzten Entgeltgenehmigung vorgenommenen Kostenprüfung kein Raum. Dies gelte insbesondere auch für solche Kostenpositionen, die nach der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an sich korrekturbedürftig seien. Dementsprechend seien weder ein Risikozuschlag bei den Fremdkapitalzinsen vorzunehmen noch die kalkulatorische Gewerbesteuer anzupassen.

13b) Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

14Wie der Senat mit Beschluss vom (EnVR 13/10, N&R 2012, 94 Rn. 7 f. - PVU Energienetze GmbH) entschieden und im Einzelnen begründet hat, ist - entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts - bei der Ermittlung des Ausgangsniveaus zur Bestimmung der Erlösobergrenzen nach § 34 Abs. 3 ARegV die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Auslegung und Anwendung der Stromnetzentgeltverordnung zu berücksichtigen. Die unveränderte Übernahme des Ergebnisses der Kostenprüfung der letzten - bestandskräftigen - Entgeltgenehmigung ist rechtsfehlerhaft, soweit diese zu jener Rechtsprechung in Widerspruch steht.

15aa) Aufgrund dessen hätte die Bundesnetzagentur bei der Ermittlung des Ausgangsniveaus zur Bestimmung der Erlösobergrenzen gemäß § 34 Abs. 3 ARegV in Bezug auf die Verzinsung des die zugelassene Eigenkapitalquote übersteigenden Anteils des Eigenkapitals (sog. EK II) bei den dafür maßgeblichen Fremdkapitalzinsen einen Risikozuschlag (siehe hierzu , WuW/E DE-R 2395 Rn. 54 ff. - Rheinhessische Energie) berücksichtigen müssen. Dies wird sie nachzuholen haben.

16bb) Ebenso hätte die Bundesnetzagentur die kalkulatorische Gewerbesteuer anpassen müssen (vgl. Senatsbeschluss vom - EnVR 48/10, RdE 2011, 308 Rn. 14 - EnBW Regional AG).

III.

17Der Senat verweist die Sache nicht an das Beschwerdegericht zurück. Die noch offenen Fragen des angefochtenen Bescheids vom können durch die Regulierungsbehörde in dem neu eröffneten Verwaltungsverfahren entschieden werden. Für die Neubescheidung ist der rechtliche Rahmen durch die Entscheidung des Senats vorgegeben.

IV.

18Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 Satz 1 EnWG.

Tolksdorf                               Raum                             Strohn

                     Grüneberg                          Bacher

Fundstelle(n):
TAAAE-15659