Aussetzung eines Verfahrens wegen Vorgreiflichkeit eines beim EuGH anhängigen Vorabentscheidungsverfahrens: Europarechtskonformität von Bestimmungen der AVBGasV und der GasGVV
Gesetze: § 148 ZPO, § 4 Abs 1 AVBGasV, § 4 Abs 2 AVBGasV, § 5 Abs 2 GasGVV, § 267 Abs 3 AEUV
Instanzenzug: Az: VI-3 U (Kart) 4/11vorgehend Az: 13 O 179/08 Kart
Gründe
1Der Beklagte bezieht seit Jahren von der Klägerin, einem Gasversorgungsunternehmen, leitungsgebunden Erdgas für seinen privaten Haushalt.
2Die Klägerin erhöhte zum den Arbeitspreis und machte dies vorher öffentlich bekannt. Der Beklagte widersprach der beabsichtigten Preiserhöhung der Klägerin mit Schreiben vom und forderte die Klägerin auf, die Erforderlichkeit und Angemessenheit der Preiserhöhung durch Offenlegung ihrer Kalkulationsgrundlagen darzulegen. Mit Schreiben vom teilte er der Klägerin weiter mit, dass er seinen Widerspruch aufrechterhalte und daher Zahlungen allein auf der Grundlage des bisherigen Preises zuzüglich eines Zuschlags von 2 % leisten werde.
3Zum , und erhöhte die Klägerin - jeweils nach vorheriger öffentlicher Bekanntgabe - drei weitere Male ihren Arbeitspreis. Mit Wirkung zum senkte sie den Arbeitspreis wieder etwas ab.
4Der Beklagte zahlte auf die Jahresabrechnungen der Klägerin aus den Jahren 2005 bis 2008 nur die im Schreiben vom angekündigten Beträge. Mit ihrer Klage macht die Klägerin die Differenz aus den abgerechneten Beträgen und den erbrachten Zahlungen geltend. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und den Beklagten zur Zahlung des Differenzbetrags verurteilt.
5Das Berufungsgericht hat den Beklagten als Tarifkunden angesehen und vor diesem Hintergrund angenommen, dass der Klägerin ein einseitiges Preisänderungsrecht gemäß § 4 Abs. 1, 2 AVBGasV beziehungsweise § 5 Abs. 2 GasGVV zugestanden habe. Diese Vorschriften hält das Berufungsgericht für europarechtskonform. Andernfalls müsste, so meint das Berufungsgericht, der Klägerin wegen des für den Tarifkundenbereich beziehungsweise die Grundversorgung bestehenden Kontrahierungszwangs ein einseitiges Preisänderungsrecht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zugebilligt werden. Es hat daher und im Hinblick darauf, dass Art. 267 Satz 3 AEUV nur denjenigen Gerichten eine Vorlagepflicht auferlegt, deren Entscheidungen nicht mit Rechtsmitteln angefochten werden können, von einem Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union abgesehen. Eine Aussetzung des Verfahrens in entsprechender Anwendung des § 148 ZPO hat es aus verfahrensökonomischen Gründen abgelehnt.
6Die Billigkeit der angegriffenen Preiserhöhungen hat das Berufungsgericht mit einer kumulierten Betrachtung der jeweils in einem Gaswirtschaftsjahr (von 1. Oktober 6 Uhr bis zum 1. Oktober 5.59 Uhr des Folgejahres) vorgenommenen Preisänderungen bejaht.
7Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Er hält eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union, jedenfalls aber eine Aussetzung in entsprechender Anwendung des § 148 ZPO für geboten. Weiter hält er die vom Berufungsgericht angestellte Billigkeitskontrolle für rechtsfehlerhaft. Die Klägerin erhebt gegen eine Aussetzung des Verfahrens keine Einwände.
II.
8Das vorliegende Verfahren ist gemäß § 148 ZPO analog bis zu der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in dem dort anhängigen Verfahren C-359/11 auszusetzen.
91. Der Senat hat durch Beschluss vom in dem Verfahren VIII ZR 71/10 (ZIP 2011, 1620 ff.) dem Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) folgende Frage zur Vorabentscheidung gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV vorgelegt:
Ist Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A Buchst. b und/oder c der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG dahin auszulegen, dass eine nationale gesetzliche Regelung über Preisänderungen in Erdgaslieferungsverträgen mit Haushalts-Kunden, die im Rahmen der allgemeinen Versorgungspflicht beliefert werden (Tarifkunden), den Anforderungen an das erforderliche Maß an Transparenz genügt, wenn in ihr Anlass, Voraussetzungen und Umfang einer Preisänderung zwar nicht wiedergegeben sind, jedoch sichergestellt ist, dass das Gasversorgungsunternehmen seinen Kunden jede Preiserhöhung mit angemessener Frist im Voraus mitteilt und den Kunden das Recht zusteht, sich durch Kündigung vom Vertrag zu lösen, wenn sie die ihnen mitgeteilten geänderten Bedingungen nicht akzeptieren wollen?
102. Diese Frage ist - wie die Revision zutreffend ausführt - auch im vorliegenden Fall entscheidungserheblich. Anders als das Berufungsgericht offenbar meint, kann die Frage der Europarechtskonformität der § 4 Abs. 1, 2 AVBGasV und § 5 Abs. 2 GasGVV nicht im Hinblick auf die vom Berufungsgericht erwogene ergänzende Vertragsauslegung offenbleiben. Eine ergänzende Vertragsauslegung hat sich nicht - nur an dem hypothetischen Parteiwillen, sondern auch an dem objektiven Maßstab von Treu und Glauben zu orientieren und muss zu einer die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigenden Regelung führen. Es geht daher darum zu ermitteln, was die Parteien bei einer angemessenen, objektiv-generalisierenden Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben redlicherweise vereinbart hätten, wenn sie bedacht hätten, dass die Wirksamkeit der angewendeten Preisänderungsbestimmung jedenfalls unsicher war (vgl. Senatsurteil vom - VIII ZR 113/11, NJW 2012, 1865 Rn. 24 mwN). Vor diesem Hintergrund hat der Senat bereits entschieden, dass es bei unwirksamen Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht in Betracht kommt, an die Stelle einer unwirksamen Preisänderungsbestimmung im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung eine (wirksame) Bestimmung gleichen Inhalts zu setzen (vgl. Senatsurteil vom - VIII ZR 113/11, aaO). Diese Erwägungen lassen sich - jedenfalls im Grundsatz - auch auf die Fälle übertragen, in denen - wie hier - die Europarechtskonformität von Verordnungsbestimmungen, nämlich der § 4 Abs. 1, 2 AVBGasV, § 5 Abs. 2 GasGVV, in Frage steht.
113. Aufgrund der Entscheidungserheblichkeit der unter Ziffer 1 genannten Frage kann der Senat in dieser Sache unter Beachtung seiner in Art. 267 Abs. 3 AEUV enthaltenen Vorlageverpflichtung keine abschließende Sachentscheidung treffen. Eine Vorlage auch dieses Verfahrens an den Gerichtshof würde jedoch dort nicht zu einer schnelleren Beantwortung der maßgeblichen Rechtsfrage führen (Senatsbeschluss vom - VIII ZR 236/10, juris Rn. 7 mwN). Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass der Gerichtshof seinerseits das Verfahren C-359/11 bis nach der Urteilsverkündung in den Rechtssachen C-8/11 und C-92/11 ausgesetzt hat.
12Im Gegenteil würde die Funktion des Gerichtshofs im Vorabentscheidungsverfahren beeinträchtigt, wenn die gleiche Rechtsfrage mehrfach vorgelegt würde. Zwar ist die verbindliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts dem Gerichtshof vorbehalten. Dem Gerichtshof kommt aber nicht die Funktion eines Rechtsmittelgerichts für sämtliche mitgliedschaftlichen Verfahren zu (vgl. , BGHZ 162, 373, 378; Senatsbeschluss vom - VIII ZR 236/10, aaO Rn. 8). Es genügt daher, wenn dort über eine klärungsbedürftige Rechtsfrage lediglich in einem Verfahren verhandelt und entschieden wird.
134. Der Senat hält es nach alledem in Übereinstimmung mit den Parteien für angemessen, das vorliegende Verfahren in entsprechender Anwendung des § 148 ZPO wegen Vorgreiflichkeit des beim Gerichtshof anhängigen Rechtsstreits auszusetzen (vgl. Senatsbeschluss vom - VIII ZR 236/10, aaO Rn. 9 mwN).
Ball Dr. Frellesen Dr. Achilles
Dr. Schneider Dr. Fetzer
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FAAAE-15292