Wiedereinsetzung bei Versäumung der Berufungsbegründungsfrist: Rechtsanwaltsverschulden bei überlanger Dauer der Telefaxübermittlung der Berufungsbegründungsschrift
Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 520 ZPO
Instanzenzug: OLG Dresden Az: 10 U 1681/11vorgehend LG Chemnitz Az: 1 HKO 883/08
Gründe
I.
1Die Beklagte hat gegen das ihr am zugestellte Urteil des Landgerichts Chemnitz vom fristgerecht Berufung eingelegt. Die Frist zur Begründung der Berufung ist bis zum verlängert worden. Die Übertragung der per Fax übermittelten, aus 13 Seiten bestehenden Berufungsbegründung hat ausweislich des Protokolls des Empfangsgerätes des Berufungsgerichts am um 23.52 Uhr begonnen und bis zum 0.00 Uhr gedauert. Die Beklagte hat zur Begründung ihres Antrags auf Wiedereinsetzung in die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist vorgetragen, ihr Prozessbevollmächtigter habe mit der Übermittlung der Berufungsbegründung um 23.50 Uhr begonnen und angesichts seiner bisherigen Erfahrungen mit der Übermittlung von Telefaxschriftsätzen an das Berufungsgericht darauf vertrauen dürfen, dass pro Seite nur zwischen 22 und 33 Sekunden benötigt würden und deshalb eine fristgerechte Übermittlung sichergestellt sei. Die längere Übertragungsdauer von rund 40 Sekunden je Seite müsse deshalb auf einer von ihm nicht zu erkennenden und nicht zu verantwortenden Leitungsstörung beruhen.
2Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten abgelehnt und die Berufung als unzulässig verworfen. Den Prozessbevollmächtigten der Beklagten treffe ein der Beklagten zuzurechnendes Verschulden an der Fristversäumung, weil er mit der Übermittlung zu spät begonnen habe. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hätte mit der Belegung des Faxgerätes durch eine andere Sendung rechnen und deshalb früher als 23.50 Uhr mit der Übersendung beginnen müssen. Die von ihm vorgelegten Sendeberichte mit kürzeren Übermittlungszeiten seien nicht aussagekräftig, weil es sich nicht um Telefaxsendungen an ein Gericht zur Nachtzeit handele.
II.
3Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
41. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 236 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gefordert ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Die angegriffene Entscheidung verletzt die Verfahrensgrundrechte der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).
52. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
6a) Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass die Berufungsbegründung nicht fristgerecht erfolgte. Die Frist endete mit dem Ablauf des . Die Berufungsbegründung ist aber erst mit der vollständigen Übermittlung am , 0.00 Uhr und damit verspätet eingegangen. Zu diesem Zeitpunkt war die Begründungsfrist bereits abgelaufen, weil um 0.00 Uhr der auf den Fristablauf folgende Tag begann (vgl. , NJW 2005, 678 unter II 1 mwN).
7b) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht jedoch ein der Wiedereinsetzung entgegenstehendes Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten an der Fristversäumung darin gesehen, dass er nicht die Belegung des gerichtlichen Faxgeräts mit anderen Sendungen in Betracht gezogen und deshalb eine zusätzliche Zeitreserve einkalkuliert hat. Ein etwaiges Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten in dieser Hinsicht ist für die Fristversäumung nicht ursächlich geworden und deshalb nicht zu berücksichtigen. Denn das Faxgerät des Berufungsgerichts war, wie sich aus dem Protokoll des Empfangsgeräts ergibt, in der maßgeblichen Zeit nicht durch andere Sendungen belegt; die letzte vor der Berufungsbegründung der Beklagten an das Berufungsgericht übermittelte Sendung hatte um 23.48 Uhr begonnen und war nach 1 Minute 46 Sekunden beendet worden.
8Zu Unrecht hat das Berufungsgericht ferner dem Vortrag der Beklagten zur ungewöhnlich langen Übertragungsdauer des Faxschreibens mit der Berufungsbegründung keine Bedeutung beigemessen.
9Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs trifft den Rechtsanwalt kein Verschulden an dem verspäteten Eingang eines fristgebundenen Schriftsatzes, wenn die Telefaxübermittlung - etwa wegen technischer Störungen am Empfangsgerät oder wegen Leitungsstörungen - einen Zeitraum beansprucht, mit dem er nicht rechnen musste (, aaO unter II 2; Beschluss vom - XII ZB 701/10, NJW 2011, 1972 Rn. 8 f.).
10Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist nach dem glaubhaft gemachten Vorbringen der Beklagten von einem solchen Fall auszugehen. Denn aus den von ihr vorgelegten Sendungsprotokollen des Faxgeräts ihres Prozessbevollmächtigten ergibt sich, dass andere Faxsendungen, die von diesem Gerät aus an das Berufungsgericht übermittelt worden sind, eine wesentlich kürzere Übertragungsdauer benötigt haben, bei deren Zugrundelegung die rechtzeitige Übermittlung der Berufungsbegründung sichergestellt gewesen wäre. Anders als das Berufungsgericht meint, waren die kürzeren Übertragungszeiten der Vergleichssendungen nicht deshalb bedeutungslos, weil es sich nicht um zur Nachtzeit an ein Gericht gerichtete Faxschreiben gehandelt hat. Für die Annahme, dass die Übersendung eines Faxschreibens an ein Gericht zur Nachtzeit auch dann generell eine längere Übertragungszeit benötigt, wenn das Empfangsgerät nicht belegt ist, bestehen keine Anhaltspunkte. Im Gegenteil ergibt sich aus dem Empfangsprotokoll des Faxgerätes des Berufungsgerichts, dass andere Sendungen in den Abend und Nachtstunden des wesentlich schneller übermittelt worden sind als die Berufungsbegründung des Beklagten - so etwa um 22.43 Uhr eine 44seitige Sendung in 13 Minuten 39 Sekunden und um 23.48 Uhr eine fünfseitige Sendung in 1 Minute 47 Sekunden. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten durfte daher darauf vertrauen, dass die Übermittlung der Berufungsbegründung innerhalb der üblichen Übertragungsdauer entsprechend seiner - glaubhaft gemachten - Erfahrungswerte erfolgen würde; an der möglicherweise auf Leitungsstörungen beruhenden längeren Übertragungsdauer bei der Übermittlung der Berufungsbegründungsschrift trifft ihn daher kein der Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden.
Ball Dr. Milger Dr. Achilles
Dr. Schneider Dr. Fetzer
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
HFR 2013 S. 267 Nr. 3
NJW-RR 2012 S. 1341 Nr. 21
LAAAE-15277