BFH Beschluss v. - III B 166/11

Rechtsmittel zur Änderung der Lohnsteuerkarte unzulässig, wenn Lohnsteuerabzug nicht mehr geändert werden kann

Gesetze: EStG § 26b, EStG § 38b Satz 2 Nr. 1, EStG § 41b, EStG § 42b Abs. 3, FGO § 69 Abs. 3, FGO § 69 Abs. 4, FGO § 114

Instanzenzug:

Gründe

1 I. Die Antragstellerinnen und Beschwerdeführerinnen (Antragstellerinnen) leben seit April 2007 im Inland als eingetragene Lebenspartnerinnen zusammen. Beide erzielen Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit.

2 Im Februar 2011 beantragten sie unter Hinweis auf einen Zusammenveranlagungsantrag aus dem Jahr 2008, die Eintragungen auf ihren Lohnsteuerkarten für das Jahr 2011 dahingehend zu ändern, dass für die Antragstellerin zu 1. die Lohnsteuerklasse III und für die Antragstellerin zu 2. die Lohnsteuerklasse V eingetragen wird. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) lehnte dies mit Schreiben vom ab. Eine Rechtsmittelbelehrung enthielt das Ablehnungsschreiben nicht.

3 Das Finanzgericht (FG) lehnte den daraufhin gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 114 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ab (Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1619). Es führte aus, vorläufiger Rechtsschutz zur Abänderung der auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Lohnsteuerklassen bei eingetragenen Lebenspartnern sei nicht durch einstweilige Anordnung, sondern durch Aussetzung der Vollziehung (AdV) zu gewähren. Eine Umdeutung in einen Antrag auf gerichtliche AdV führe jedoch nicht zum Erfolg, da kein Einspruch gegen den Ablehnungsbescheid eingelegt worden sei. Der Antrag sei jedenfalls auch unbegründet. Weder sei ein Hauptsacheverfahren bezüglich der Eintragung anderer Lohnsteuerklassen anhängig noch der Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Abwehr schwerwiegender Nachteile unumgänglich. Zu ihrer finanziellen Situation im Jahr 2011 hätten die Antragstellerinnen nichts vorgetragen; angesichts der für 2009 erklärten Einkünfte von insgesamt ca. 120.000 € sei nicht nachvollziehbar, dass die Mittel für eine Kinderfrau fehlten. Die Antragstellerinnen könnten ihr Begehren im Rahmen des späteren Veranlagungsverfahrens weiter verfolgen; ein etwaiger Zinsverlust rechtfertige eine einstweilige Anordnung nicht.

4 Zur Begründung ihrer vom FG zugelassenen Beschwerde tragen die Antragstellerinnen vor, das FG verkenne, dass die Voraussetzungen für ihre Einstufung in die Lohnsteuerklasse I nicht vorlägen, da sie nicht ledig seien. Die verfassungsrechtliche Situation sei aufgrund der Beschlüsse des (BVerfGE 124, 199, betr. Hinterbliebenenversorgung nach § 38 der Satzung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder) und vom 1 BvR 2464/07 (BVerfGE 126, 400, betr. Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft im Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz) in ihrem Sinne geklärt. Die klare Rechtslage begründe auch einen wesentlichen Nachteil i.S. von § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO.

5 II. Die Beschwerde ist unzulässig, sie wird durch Beschluss zurückgewiesen (§ 132 FGO).

6 1. Gemäß § 52b Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG), der durch das Jahressteuergesetz 2010 vom (BGBl I 2010, 1768) mit Wirkung zum in das EStG eingefügt wurde, gilt die Lohnsteuerkarte 2010 mit den eingetragenen Lohnsteuerabzugsmerkmalen auch für den Steuerabzug vom Arbeitslohn ab dem bis zur erstmaligen Anwendung der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale. Danach hat die Eintragung der Lohnsteuerklasse auf der Lohnsteuerkarte 2010 (§§ 38b, 39 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 EStG) auch für den Lohnsteuerabzug im Jahr 2011 noch Bedeutung.

7 2. Die Voraussetzungen der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes für die Änderung der Eintragung der Steuerklasse in den Lohnsteuerkarten sind im Streitfall nicht gegeben, ohne dass es darauf ankäme, ob dieser durch AdV oder nach § 114 FGO durch eine einstweilige Anordnung erfolgen müsste.

8 a) Die Beschwerde ist wegen Zeitablaufs unzulässig.

9 Bei Beendigung des Dienstverhältnisses oder am Ende des Kalenderjahres hat der Arbeitgeber das Lohnkonto des Arbeitnehmers —nach einem eventuellen Lohnsteuer-Jahresausgleich (§ 42b EStG)— abzuschließen und die Eintragungen bis zum 28. Februar des Folgejahres der Steuerverwaltung zu übermitteln (elektronische Lohnsteuerbescheinigung). Damit wird gemäß § 41b EStG der Lohnsteuerabzug —auch hinsichtlich der danach zu bemessenden Zuschlagsteuern— abgeschlossen. Die Bescheinigung enthält die für eine etwaige Einkommensteuerveranlagung erforderlichen Angaben. Nach der Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung ist eine Änderung des Lohnsteuerabzugs sowie der danach zu bemessenden Zuschlagsteuern nicht mehr zulässig; der Lohnsteuer-Jahresausgleich ist nach § 42b Abs. 3 EStG spätestens bei der Lohnabrechnung für den im März des Folgejahres endenden Lohnzahlungszeitraum durchzuführen. Etwaige Fehler beim Lohnsteuerabzug können dann nur noch im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung berichtigt werden; für eine Berichtigung der Lohnsteuerbescheinigung besteht nach diesem Zeitpunkt kein Rechtsschutzbedürfnis mehr (, BFH/NV 2002, 340; , BFH/NV 2008, 944).

10 Kann der Lohnsteuerabzug nicht mehr geändert werden, so verliert auch die Änderung der Lohnsteuerkarte ihre rechtliche Bedeutung. Für einen auf Änderung der Lohnsteuerkarte gerichteten Antrag entfällt daher ebenfalls das Rechtsschutzbedürfnis. Der Arbeitnehmer wird dadurch nicht rechtlos gestellt, denn etwaige Fehler beim Lohnsteuerabzug können im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung berichtigt werden, bei der keine Bindung an den Inhalt der Lohnsteuerbescheinigung besteht (BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 340).

11 b) Der Senat weist darauf hin, dass der Antrag auch bei einer früheren Beschlussfassung keine Aussichten auf Erfolg gehabt hätte.

12 aa) Eine Änderung der Lohnsteuerkarten im Wege der AdV (§ 69 Abs. 3 FGO) kam nicht in Betracht, denn ein Antrag auf AdV an das Gericht ist nur zulässig, wenn die Finanzbehörde zuvor einen bei ihr gestellten Aussetzungsantrag abgelehnt hat (§ 69 Abs. 4 Satz 1 FGO). Bei dieser sog. Zugangsvoraussetzung ist eine nachträgliche Heilung nicht möglich (ständige Rechtsprechung, z.B. (PKH), BFH/NV 2008, 1489). Einen entsprechenden vorherigen Antrag bei dem FA haben die Antragstellerinnen jedoch nicht gestellt.

13 bb) Dem Erlass einer einstweiligen Anordnung stand entgegen, dass es an einem Anordnungsgrund fehlte. Eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis setzt nach § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO voraus, dass die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Der Antragsteller hat daher sowohl einen Grund für die zu treffende Regelung (sog. Anordnungsgrund) als auch den Anspruch, aus dem er sein Begehren herleitet (sog. Anordnungsanspruch), schlüssig darzulegen und deren tatsächliche Voraussetzungen glaubhaft zu machen (§ 114 Abs. 3 FGO i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung).

14 Ein Anordnungsgrund ist gegeben, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Betroffenen durch die Ablehnung der beantragten Maßnahme unmittelbar bedroht ist. Die für den Erlass einer Anordnung geltend gemachten Gründe müssen jedenfalls ähnlich gewichtig und bedeutsam sein wie die im Gesetz ausdrücklich genannten („wesentliche Nachteile” und „drohende Gewalt”) und so schwerwiegend sein, dass sie eine einstweilige Anordnung unabweisbar machen (z.B. , BFHE 216, 38, BStBl II 2009, 839). Derartige Gründe haben die Antragstellerinnen indessen weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsgrund liegt insbesondere auch nicht in einem möglichen Zinsverlust, wenn einbehaltene Steuerabzugsbeträge —hier die Lohnsteuer— erst im Veranlagungsverfahren angerechnet werden können (z.B. , BFHE 175, 205, BStBl II 1994, 899; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 114 FGO Rz 80).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2012 S. 1605 Nr. 10
FAAAE-14764