Keine Umdeutung eines Einspruchs gegen eine Einspruchsentscheidung in eine Klage; fehlender Absendevermerk auf der Einspruchsentscheidung
Gesetze: FGO § 47, FGO § 56 Abs. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, AO § 122, GG Art. 19 Abs. 4
Instanzenzug:
Gründe
1 I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) bezog Kindergeld für ihre im Februar 1986 geborene Tochter, die Ende März 2005 eine im November 2004 begonnene Einstiegsqualifizierungsmaßnahme abgebrochen hatte.
2 Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) hob die Kindergeldfestsetzung mit Bescheid vom ab April 2005 auf und forderte das für die Monate April bis Oktober 2005 gezahlte Kindergeld zurück. Den dagegen eingelegten Einspruch wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurück.
3 Gegen die Einspruchsentscheidung legte die Klägerin am erneut Einspruch ein und erhob am Klage, nachdem die Familienkasse zuvor mitgeteilt hatte, ein erneuter Einspruch gegen die Einspruchsentscheidung sei unzulässig.
4 Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unzulässig ab. Es führte aus, die Klagefrist habe am geendet. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht zu gewähren. Die Klägerin sei nach ihren Angaben durch eine fehlerhafte telefonische Auskunft der Familienkasse davon abgehalten worden, fristgerecht Klage zu erheben. Dieses Hindernis sei jedoch durch das Schreiben der Familienkasse vom entfallen. Die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist (§ 56 Abs. 2 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) habe sie jedoch nicht gewahrt. Soweit die Klägerin erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragen habe, das Hinweisschreiben der Familienkasse erst später erhalten zu haben, sei dem nicht zu folgen; es bleibe insoweit bei der Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung.
5 Zur Begründung ihrer Nichtzulassungsbeschwerde trägt die Klägerin sinngemäß vor, das FG-Urteil beruhe auf einem Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Der Einspruchsentscheidung sei nicht zu entnehmen, wann diese in die Post gegangen sei; der sei das Bescheid- und nicht das Postausgangsdatum. Das Schreiben vom , mit dem ihr —der Klägerin— mitgeteilt worden sei, dass gegen die Einspruchsentscheidung nur Klage erhoben werden könne, sei erst mehrere Wochen nach dem zur Post gegeben worden. Die Wiedereinsetzungsfrist habe sie daher gewahrt. Ihr erneuter Widerspruch vom sei zudem in eine Klage umzudeuten.
6 II. Die Beschwerde ist unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO). Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen, soweit ihre Darlegung überhaupt den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügt, nicht vor.
7 1. Das FG-Urteil beruht nicht auf einem Verfahrensfehler.
8 a) Wird über eine Klage objektiv fehlerhaft nicht zur Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden, so liegt darin ein Verfahrensmangel (, BFH/NV 2008, 248). Dies gilt insbesondere dann, wenn das Gericht zu Unrecht davon ausgeht, dass die Klagefrist versäumt wurde (, BFH/NV 2010, 2080).
9 Das FG hat aber in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise entschieden, dass die Klage verfristet war: Die Einspruchsentscheidung und das Hinweisschreiben tragen zwar keine gesonderten Absendevermerke. In beiden Fällen sind die Reinschriften jedoch vom Sachbearbeiter an den im Briefkopf angegebenen Tagen gezeichnet worden. Die Annahme der Klägerin, bis zur Aufgabe zur Post hätten mehrere Wochen vergehen können, könnte daher nur bei außergewöhnlichen Abläufen zutreffen, z.B. einem zwischenzeitlichen Verlegen der Schreiben. Dafür ist indessen nichts ersichtlich.
10 Selbst wenn die Schriftstücke erst einen oder zwei Tage später die Behörde verlassen haben sollten, wären Klage- und Wiedereinsetzungsfrist deutlich überschritten. Schließlich lassen sich weder dem zweiten Einspruchsschreiben noch der Klageschrift Hinweise auf einen verspäteten Zugang der Schriftstücke entnehmen. Die Klageschrift führt im Gegenteil aus, dass die Klägerin am die Nachricht bekommen habe, dass das von ihr gewählte Rechtsmittel nicht mehr zulässig sei.
11 b) Die Rüge der Klägerin, das FG habe durch den Verzicht auf eine Zeugenvernehmung der Cousine der Klägerin seine Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) verletzt, genügt den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO nicht.
12 Eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht liegt zudem nicht vor. Die Klägerin hatte zwar schriftsätzlich am behauptet, ihre Cousine „am Tage des Posteinwurfs…von dem Eingang dieses Briefes in Kenntnis gesetzt” zu haben. Diesem Vortrag konnte das FG aber nicht entnehmen, dass die Cousine im Falle ihrer Vernehmung Wahrnehmungen bekunden würde, die zu einer anderen Beurteilung der Einhaltung der zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist hätten führen können.
13 2. Mit dem Vortrag, der erneute Widerspruch der Klägerin hätte in eine Klage umgedeutet werden müssen, wird kein Revisionszulassungsgrund i.S. von § 115 Abs. 2 FGO bezeichnet.
14 Eine derartige Umdeutung kam zudem nicht in Betracht, denn das Schreiben der Klägerin vom lässt nicht erkennen, dass sie um gerichtlichen Rechtsschutz nachsucht. Dagegen spricht im Übrigen auch, dass sie nach der telefonisch erteilten Auskunft der Ansicht war, ein erneuter Einspruch sei ausreichend.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2012 S. 1456 Nr. 9
VAAAE-14523