Anforderungen an die Verlautbarungsfunktion
Gesetze: Art 20 Abs 3 GG
Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz Az: 6 C 11098/11 Urteil
Gründe
1Der 1961 geborene Antragsteller ist als angestellter Rechtsanwalt Mitglied des Antragsgegners. Er wendet sich gegen die in der Satzung des Antragsgegners mit Wirkung vom enthaltene stufenweise Erhöhung des Renteneintrittsalters. Danach wird die Altersgrenze, mit der der Anspruch auf ungekürzte lebenslange Altersrente entsteht, für die ab dem Geborenen pro Jahrgang in 1-Monatsschritten von 65 Jahren auf 67 Jahre angehoben. Das Oberverwaltungsgericht lehnte den Normenkontrollantrag, mit dem der Antragsteller die Unwirksamerklärung der geänderten Fassung des § 10 Abs. 1 der Satzung des Antragsgegners vom begehrte, ab.
2Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und des Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.
31. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die bislang höchstrichterlich nicht oder nicht hinlänglich geklärt ist und die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf (stRspr; vgl. z.B. Beschlüsse vom - BVerwG 6 B 9.09 - NVwZ 2009, 1569 = Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 166 und vom - BVerwG 8 B 15.11 - ZOV 2011, 226). Daran fehlt es hier.
4Die vom Antragsteller aufgeworfene Frage,
ob es mit dem sich aus dem verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsgrundsatz nach Art. 20 Abs. 3 GG ergebenden Gebot des zumutbaren und transparenten Zugangs zu den Rechtsquellen vereinbar ist anzunehmen, dass durch eine über längeren Zeitraum praktizierte Bekanntmachungspraxis eine ungeschriebene normative Anpassung der Bekanntmachungsregelung herbeigeführt werden kann,
bezeichnet keine die Auslegung revisiblen Verfassungsrechts betreffende Rechtsfrage, sondern will die konkrete Subsumtion des Oberverwaltungsgerichts am verfassungsrechtlichen Maßstab überprüfen lassen. Welche Anforderungen das bundesverfassungsrechtliche Rechtsstaatsprinzip an die Verkündung von Rechtsnormen stellt, ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Danach enthält das Rechtsstaatsprinzip keine in allen Einzelheiten eindeutig bestimmten Gebote und Verbote. Es bedarf der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten; dabei müssen allerdings fundamentale Elemente des Rechtsstaates und die Rechtsstaatlichkeit im Ganzen gewahrt bleiben ( - BVerfGE 65, 283 <290> m.w.N.). Grundsätzlich ist es Sache des Gesetzgebers, dem Rechtsstaatsprinzip bei der Normsetzung Rechnung zu tragen. Erst wenn sich bei Berücksichtigung aller Umstände - und nicht zuletzt der im Rechtsstaatsprinzip selbst angelegten Gegenläufigkeit - unzweideutig ergibt, dass rechtsstaatlich unverzichtbare Erfordernisse nicht mehr gewahrt sind, kann eine Regelung als rechtsstaatswidrig beanstandet werden ( a.a.O.).
5Das Rechtsstaatsprinzip gebietet, dass förmlich gesetzte Rechtsnormen verkündet werden. Verkündung bedeutet regelmäßig, die Rechtsnormen der Öffentlichkeit in einer Weise förmlich zugänglich zu machen, dass die Betroffenen sich verlässlich Kenntnis von ihrem Inhalt verschaffen können. Diese Möglichkeit darf nicht in unzumutbarer Weise erschwert sein. Konkrete weitere Gebote für die Ausgestaltung des Verkündungsvorganges im Einzelnen ergeben sich aus dem Rechtsstaatsprinzip unmittelbar nicht. Es obliegt vielmehr dem zuständigen Normgeber, das Verkündungsverfahren so auszugestalten, dass es seine rechtsstaatliche Funktion erfüllt, der Öffentlichkeit die verlässliche Kenntnisnahme vom geltenden Recht zu ermöglichen ( a.a.O. S. 291; BVerwG 10 CN 2.05 - BVerwGE 126, 388 <392> Rn. 17 = Buchholz 11 Art. 20 GG Nr. 185). Die Aufgabe der Konkretisierung obliegt dem Landesgesetzgeber, soweit die Regelung eines Normsetzungsverfahrens - wie hier - in seine Zuständigkeit fällt. Insoweit bleibt es grundsätzlich dem Gericht des Landes vorbehalten, Streitigkeiten über den Inhalt der konkretisierenden landesrechtlichen Bestimmungen durch deren Auslegung verbindlich zu entscheiden (vgl. BVerwG 4 CN 3.03 - DVBl 2004, 379 f.; BVerwG 10 CN 2.05 - a.a.O. m.w.N.). Die Auslegung der Bekanntmachungsregelung des § 35 der Satzung des Antragsgegners durch das Oberverwaltungsgericht unterliegt somit nicht revisionsgerichtlicher Überprüfung.
6Allerdings folgen aus dem Rechtsstaatsprinzip Mindestanforderungen, denen eine Bekanntmachung unabhängig von ihrer gesetzlichen Konkretisierung genügen muss (vgl. a.a.O. S. 290; a.a.O. m.w.N.). Dazu gehört als zwingendes Bekanntmachungserfordernis die Möglichkeit einer verlässlichen Kenntnisnahme vom geltenden Recht (vgl. a.a.O.; a.a.O. Rn. 18 m.w.N.). Um der Verlautbarungsfunktion, die der Bekanntmachung als letztem Akt des Rechtsetzungsverfahrens zukommt, gerecht zu werden, muss die Bekanntmachung einerseits zum Ausdruck bringen, dass Gegenstand der Publikation eine Rechtsnorm ist, und andererseits muss sie im Gegensatz zu einer bloß nachrichtlichen Information als amtliche Verlautbarung im Sinne eines zum Rechtsetzungsverfahren gehörigen Formalakts erkennbar sein. Weitergehende Anforderungen lassen sich aus der Funktion der Rechtsnormverkündung, den Bürgern ohne Schwierigkeit die Kenntnisnahme vom Erlass der Rechtsnorm zu ermöglichen, nicht ableiten (Urteil vom a.a.O. Rn. 19 m.w.N.). Diese Voraussetzung ist bei der Veröffentlichung der Satzungsänderung im Staatsanzeiger ersichtlich gegeben, da es die Aufgabe des Staatsanzeigers ist, amtliche Verlautbarungen bekannt zu machen.
7Auch die Forderung des Rechtsstaatsprinzips, dass bestehende Vorschriften über Bekanntmachungsformen eingehalten werden müssen (vgl. Urteil vom a.a.O. Rn. 20), ist gewahrt, da nach der nichtrevisiblen Auslegung des Landesrechts durch das Oberverwaltungsgericht § 35 der Satzung des Antragsgegners sich nicht auf die Bekanntgabe von Satzungen und Satzungsänderungen, sondern lediglich auf sonstige Bekanntmachungen bezieht und es damit für die Bekanntmachung von Satzungsänderungen bei der Regelung des § 4 des Verkündungsgesetzes verbleibt, der eine Veröffentlichung im Staatsanzeiger für Rheinland-Pfalz vorschreibt.
8Den vom Antragsteller in diesem Zusammenhang in Bezug genommenen Art. 6 und Art. 10 EMRK sowie der Charta der Grundrechte der Europäischen Union lassen sich weitergehende Anforderungen nicht entnehmen.
92. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
10a) Die Rüge des Antragstellers, das Oberverwaltungsgericht habe die Garantie des gesetzlichen Richters verletzt, weil es kein Vorabentscheidungsverfahren beim Europäischen Gerichtshof durchgeführt habe, greift nicht durch. Zwar kann in einem Verstoß gegen die durch Art. 267 AEUV begründete Pflicht zur Vorlage einer Frage über die Auslegung der Verträge oder über die Gültigkeit und die Auslegung von Rechtsakten der Stellen der Europäischen Union eine Verletzung der Garantie des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) liegen (stRspr; vgl. u.a. - BVerfGE 82, 159 <192 ff.>; Kammerbeschluss vom - 1 BvR 1103/11 - NVwZ 2012, 297). Eine Pflicht zur Vorlage bestand für das Oberverwaltungsgericht jedoch nicht. Eine solche hätte nur bestanden, wenn es die Gültigkeit eines Rechtsakts der Stellen der Europäischen Union in Zweifel gezogen hätte (, Foto Frost - Slg. 1987, 4199 = NJW 1988, 1451); das ist nicht ersichtlich und wird vom Antragsteller auch nicht behauptet. Bei Fragen zur Auslegung des sekundären Gemeinschaftsrechts sind hingegen nur einzelstaatliche Gerichte, deren Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, zur Anrufung des Europäischen Gerichtshofs verpflichtet. Das Oberverwaltungsgericht hat jedoch nicht in diesem Sinne als letztinstanzliches Gericht entschieden.
11Im Übrigen wäre das Oberverwaltungsgericht auch als letztinstanzliches Gericht nicht zur Anrufung des Europäischen Gerichtshofs verpflichtet gewesen. Es unterliegt keinem vernünftigen Zweifel, dass die vom Antragsteller angegriffene Regelung keine nach der Richtlinie 2000/78/EG des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf vom (ABl EU Nr. L 303 S. 16) verbotene Altersdiskriminierung darstellt. Die Richtlinie ist für das Versorgungswerk des Antragsgegners nicht einschlägig, weil dieses ein staatliches System der sozialen Sicherheit ist, auf die die Richtlinie nach ihrem Art. 3 Abs. 3, präzisiert durch den Erwägungsgrund 13, nicht anwendbar ist. Danach findet die Richtlinie keine Anwendung auf Sozialversicherungs- und Sozialschutzsysteme, deren Leistungen nicht einem Arbeitsentgelt in dem Sinne gleichgestellt werden, der diesem Begriff für die Anwendung des Art. 141 des EG-Vertrags (jetzt Art. 157 AEUV) gegeben wurde. Die Beiträge des Versorgungswerks werden ausschließlich von den Mitgliedern erbracht; Arbeitgeberbeiträge sind nicht vorgesehen. Deshalb sind die Leistungen des Versorgungswerks kein nachgezogenes Entgelt für die Arbeit (vgl. zum ärztlichen Versorgungswerk BVerwG 6 C 27.06 - BVerwGE 129, 129 Rn. 38, 42 = Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr. 48).
12Selbst wenn die Richtlinie anwendbar wäre, führte das nicht zu einer Vorlagepflicht. Gemäß Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit die Festsetzung von Altersgrenzen als Voraussetzung für den Bezug von Altersrente die Verwendung von Alterskriterien für versicherungsmathematische Berechnungen keine Diskriminierung wegen des Alters darstellt, solange dies nicht zu Diskriminierungen wegen des Geschlechts führt. Letzteres ist hier ausgeschlossen, da die Verschiebung der Altersgrenze geschlechtsunabhängig erfolgt. Der Antragsteller wendet sich auch nicht gegen die Altersgrenze als solche, sondern nur gegen die Verschiebung und stufenweise Anpassung von 65 auf 67 Jahre. Dass dieser die Richtlinie 2000/78/EG nicht entgegensteht, unterliegt keinem vernünftigen Zweifel, der die vom Antragsteller geforderte Vorlage an den Europäischen Gerichtshof gebieten könnte.
13b) Dass das Oberverwaltungsgericht schon vor Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist über die (Nicht-)Abhilfe entschieden hat, begründet keinen Verfahrensfehler, der nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zur Zulassung der Revision führen könnte. Das angefochtene Urteil kann hierauf nicht beruhen (vgl. BVerwG 3 B 12.94 - Buchholz 316 § 26 VwVfG Nr. 1). Im Übrigen hat das Oberverwaltungsgericht nicht gegen Verfahrensrecht verstoßen. Es hat zwar den Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist nicht abgewartet. Hierzu bestand aber kein Anlass, nachdem die Beschwerdebegründung bereits eingegangen war und nichts darauf hindeutete, dass diese nicht abschließend sein sollte, vielmehr eine Ergänzung beabsichtigt gewesen wäre.
143. Soweit sich der Antragsteller darüber hinaus mit seiner Beschwerde weitgehend in Form einer Berufungsbegründung gegen die Richtigkeit des Urteils des Oberverwaltungsgerichts wendet, kann dies ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision führen.
15Von einer weiteren Darlegung der Gründe wird gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO abgesehen.
Fundstelle(n):
YAAAE-13229