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InfoCenter - Stand: 10.04.2023

Erwartungslücke

Dr. Thies Lentfer und Prof. Dr. Stefan C. Weber

I. Problemstellung

Aus nationaler und internationaler Sicht weisen Vertreter der betriebswirtschaftlichen Forschung und der Unternehmenspraxis bezüglich der Aussagekraft der Prüfungsqualität auf die Existenz einer Erwartungslücke hin. Die Erwartungslücke kann wesentlich zu einem Vertrauensverlust in die Qualität der Abschlussprüfung beitragen. Vor diesem Hintergrund versuchen die nationalen und internationalen Standardsetter seit vielen Jahren, durch gezielte Reformmaßnahmen der Erwartungslücke bei der Prüfung von Unternehmen im Allgemeinen, insbesondere aber solchen des öffentlichen Interesses (Public Interest Entities – PIEs) zu begegnen. In jüngerer Zeit sollten die Neuregelungen des Abschlussprüfungsreformgesetzes (AReG) zur Umsetzung der überarbeiteten Achten EU-Richtlinie (Abschlussprüfungs-Richtlinie) sowie insbesondere der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 einen wesentlichen Beitrag zur Verringerung der Erwartungslücke leisten. Jüngst sollte durch das Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz (FISG) dem Vertrauensverlust in die Abschlussprüfung im Zuge des Wirecard-Skandals entgegengewirkt werden. Im Folgenden werden die wesentlichen Komponenten (Accounting-, Performance- und Reporting Gap) und ausgewählte Reformbestrebungen zur Reduktion der Erwartungslücke dargestellt.

II. Definition

Der Begriff der Erwartungslücke geht auf Liggio und den empirischen Befund durch die Commission on Auditors’ Responsibilities (CAR) des American Institute of Certified Public Accountants (AICPA) zurück. Das Theorem der Erwartungslücke stellt eine Basisdeterminante der Prüfungstheorie dar und besitzt unabhängig vom zugrunde liegenden Rechtssystem eine hohe Praxis- und Forschungsrelevanz. Die Erwartungslücke misst den Unterschied zwischen dem Verständnis der Öffentlichkeit über Umfang sowie Zweck der Abschlussprüfung und der tatsächlichen Berufsausübung durch den Wirtschaftsprüfer. Sie lässt sich auf die Principal Agent-Theorie zurückführen. Nach dieser Theorie bestehen Informationsasymmetrien und Interessenkonflikte zwischen dem geprüften Unternehmen, dem Abschlussprüfer und den externen Unternehmensadressaten. Diese Agency-Probleme können den ökonomischen Nutzen der Abschlussprüfung für die Stakeholder wesentlich beeinträchtigen. So haben z. B. Ruhnke und Deters nachgewiesen, dass zu hohe Erwartungen, eine unzureichende Aussagekraft der Abschlussprüfung und eine fortwährende Medienkritik zu den drei bedeutendsten Ursachen der Erwartungslücke zählen. Empirische Nachweise der Erwartungslücke in Deutschland erbrachten zuerst Hunger, später Ruhnke/Schmiele/Schwind. Aufgrund von unterschiedlichen kulturellen und verhaltensbedingten Einflüssen und nationalen Entwicklungen des Berufsstands lassen sich signifikante länderspezifische Unterschiede hinsichtlich der Reichweite der Erwartungslücke feststellen.

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