Strafbarkeit des Leugnens des Holocaust und der Verwendung nationalsozialistischer Symbole in Schreiben an Gerichte und Behörden; Einsichtsfähigkeit von Wahnkranken
Gesetze: § 20 StGB, § 86a Abs 1 Nr 1 StGB, § 130 Abs 2 Nr 1 Buchst a StGB, § 130 Abs 5 StGB
Instanzenzug: Az: 24 KLs 23/10
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten "des Verwendens von Kennzeichen von verfassungswidrigen Organisationen in 30 Fällen, davon in 17 Fällen in Tateinheit mit Volksverhetzung und davon in 2 Fällen weiterhin in Tateinheit mit Bedrohung; davon in 6 Fällen in Tateinheit mit Beleidigung; davon in 1 Fall in Tateinheit mit Bedrohung; davon in 1 Fall in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte", in "weiteren 3 Fällen der Volksverhetzung sowie in einem weiteren Fall der Verunglimpfung des Staates sowie in einem weiteren Fall der Sachbeschädigung sowie in weiteren 3 Fällen der Beleidigung sowie in weiteren 3 Fällen der Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung" und "der versuchten gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung" schuldig gesprochen. Es hat ihn deshalb zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt, ausgesprochen, dass wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung sechs Monate der Strafe als vollstreckt gelten, und einen PC sowie einen Drucker eingezogen. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
2I. Nach den Feststellungen des Landgerichts entwickelte der Angeklagte bereits in seiner Jugend eine rechtsradikale, nationalsozialistische, antisemitische Gesinnung. Seit dem Jahr 2004 sah er es als seine Aufgabe an, die Menschheit über die - aus seiner Sicht - "wahren" geschichtlichen Hintergründe aufzuklären. Dazu verfasste er zahlreiche, vor allem an Gerichte und Behörden gerichtete Schreiben, in denen er teilweise den Holocaust leugnete, Hakenkreuze sowie sonstige nationalsozialistische Symbole oder Ausdrucksweisen verwendete und andere beleidigte. Bei einem Versteigerungstermin im Amtsgericht L. am kam er der Aufforderung, den Saal zu verlassen, nicht nach und griff den Justizwachtmeister an, der ihn hinausgeleiten sollte. Zudem warf er nationalsozialistische Propagandablätter in die Luft. Am sollte ein Haftbefehl gegen den Angeklagten zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung vollstreckt werden. Dem widersetzte er sich, drohte dem Gerichtsvollzieher sowie den anwesenden Polizeibeamten mit einem Hammer, schlug damit in Richtung eines der Beamten und klammerte sich schließlich an dessen Bein, um zu verhindern, in den Polizeiwagen verbracht zu werden. Zudem äußerte er: "Wenn ich jetzt eine Waffe hätte, würde ich euch alle erschießen." In weiteren Fällen beschimpfte er andere Personen oder drohte diesen. Beispielsweise bezeichnete er am eine Mitarbeiterin der ARGE K. unter anderem als "Fotze" sowie "dreckige Schlampe" und trat danach gegen die Beifahrertür ihres Dienstwagens, die dadurch zerbeulte.
3Das - sachverständig beratene - Landgericht hat eine Schuldunfähigkeit des Angeklagten bei sämtlichen Taten ausgeschlossen. Dabei ist es im Anschluss an die Ausführungen des Sachverständigen davon ausgegangen, dass bei dem Angeklagten eine wahnhafte Störung (ICD-10 F22.0) vorliege. Diese habe zwar eine erhebliche Einschränkung, nicht aber die Aufhebung der Steuerungsfähigkeit zur Folge: "Der Angeklagte sei demnach grundsätzlich in der Lage, sein Handeln zu steuern. Er sei nur nicht mehr in der Lage zu erkennen, dass seine wahnhafte Überzeugung, die auch Teil einer narzistischen Selbstwertstabilisierung nach dem Verlust beruflicher Existenzgrundlagen sei, falsch sein könnte."
4II. Das Landgericht hat eine etwaige Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) des Angeklagten nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen. Es hat die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten nicht erörtert, obschon dazu Anlass bestand (vgl. , NStZ-RR 1998, 5 f.).
5Die Kammer ist ebenso wie der Sachverständige davon ausgegangen, dass der Angeklagte nicht mehr habe erkennen können, dass seine Überzeugung falsch sei. Dies lässt es jedenfalls als möglich erscheinen, dass der Angeklagte bei den jeweiligen Taten nicht einzusehen vermochte, Unrecht zu tun. Dass er gleichwohl das Unerlaubte seines Tuns erkannte, ergibt sich weder von selbst noch aus den Urteilsgründen. Es bleibt bereits offen, von welcher der Eingangsvoraussetzungen des § 20 StGB die Kammer ausgegangen ist (vgl. , NJW 1997, 3101, 3102); die Einordnung einer wahnhaften Störung als schwere andere seelische Abartigkeit ist in Abgrenzung zur krankhaften seelischen Störung keineswegs selbstverständlich (vgl. Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 5. Aufl., S. 180). Unabhängig davon bedurfte es angesichts der getroffenen Feststellungen einer näheren Begründung, wieso der Angeklagte in den konkreten Tatsituationen das Unrecht seines Tuns einsehen konnte oder dazu bei Anspannung seiner Geisteskräfte imstande gewesen wäre (s. , NStZ 1991, 31, 32), da Wahnkranken in vom Wahn geprägten Situationen eine Handlungsalternative nicht zur Verfügung stehen und damit zugleich die Einsicht in das Tatunrecht fehlen kann (, NStZ-RR 1998, 5 f.; Nedopil, Forensische Psychiatrie, 3. Aufl., S. 145).
6Demnach ist die Aufhebung der Schuldfähigkeit nicht derart fernliegend, dass der Senat sie trotz fehlender Darlegung der Einsichtsfähigkeit in den Urteilsgründen sicher ausschließen könnte.
7III. Das angefochtene Urteil gibt dem Senat Anlass zu folgenden Hinweisen:
81. Das Tatbestandsmerkmal des Verbreitens im Sinne der § 86a Abs. 1, § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a StGB ist in den Fällen, in denen der Angeklagte verschiedene Schreiben an einzelne Adressaten verfasste, näher zu belegen.
9Verbreiten im Sinne dieser Vorschriften ist die mit einer körperlichen Weitergabe einer Schrift verbundene Tätigkeit, die darauf gerichtet ist, die Schrift ihrer Substanz nach einem größeren Personenkreis zugänglich zu machen, wobei dieser nach Zahl und Individualität so groß sein muss, dass er für den Täter nicht mehr kontrollierbar ist (, NJW 2005, 689, 690; LK/Laufhütte/Kuschel, StGB, 12. Aufl., § 86 Rn. 19). Dazu reicht die Weitergabe an einzelne bestimmte Dritte nicht aus, wenn nicht feststeht, dass der Dritte seinerseits die Schrift weiteren Personen überlassen werde (, NJW 2012, 1498, 1499 f. mwN). Dies ergibt sich bei den vom Angeklagten abgesandten Briefen jedenfalls nicht ohne Weiteres und ist daher näher zu belegen, insbesondere auch in Bezug auf einen entsprechenden Vorsatz.
10Dabei ist in den Blick zu nehmen, dass ein (beabsichtigtes) Verbreiten nicht nur hinsichtlich des individuellen Inhalts der verschiedenen Schreiben, sondern auch bezüglich etwaiger vorgefertigter "Briefbögen" oder standardmäßiger Beilagen mit inkriminiertem Inhalt (wie beispielsweise des "Merkblatts für Kollaborateure") in Betracht kommt. Indes sind genauere Feststellungen dazu zu treffen, inwieweit der Angeklagte für die Schreiben im Einzelnen jeweils vorgefertigte Formulare verwendete und welche subjektiven Vorstellungen dem zugrunde lagen.
112. Falls der Angeklagte durch mehrfaches Versenden des gleichen formularmäßigen Schriftstücks (etwa des "Briefbogens" oder des "Merkblatts") eine Schrift verbreitete, bedarf die konkurrenzrechtliche Bewertung näherer Erörterung.
12a) Soweit das Verbreiten mehrerer Exemplare einer bestimmten Schrift aufgrund eines einheitlichen Vorsatzes in mehreren Schritten erfolgte, kann eine tateinheitliche Begehungsweise gegeben sein (vgl. zum sukzessiven Verbreiten , BGHSt 33, 271, 274 f. mwN; LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 130 Rn. 140; LK/Rissing-van Saan, StGB, 12. Aufl., Vor § 52 Rn. 23 ff.; S/S-Sternberg-Lieben, StGB, 28. Aufl., § 86a Rn. 9d; Warda in Festschrift Geilen, 2003, S. 199 ff.).
13b) Liegen neben einem Verbreiten gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a StGB oder § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB auch Vorbereitungshandlungen des § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. d StGB oder des § 86a Abs. 1 Nr. 2 StGB (Herstellen oder Vorrätig-Halten) vor, kann das Verbreiten die jeweilige Vorbereitungshandlung verdrängen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 174/09, juris Rn. 26 zu § 184 StGB; vom - 3 StR 193/80, juris Rn. 4).
143. Es ist - gerade im Hinblick auf § 130 StGB - Sache des Tatrichters, den tatsächlichen Gehalt von Äußerungen auszulegen und aufzuzeigen, welche Begehungsweise des Tatbestandes dadurch erfüllt sein soll (vgl. , BGHSt 40, 97, 101 ff.).
15Die pauschale Annahme des Landgerichts (Fall III. 1. 1. der Urteilsgründe), die Leugnung des Holocaust stachele zum Hass gegen Teile der Bevölkerung und gegen eine religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe im Sinne des § 130 Abs. 2 Nr. 1 StGB auf, genügt den Anforderungen an eine dabei vorzunehmende Gesamtwürdigung nicht (vgl. BGH aaO 100 f.; s. auch BT-Drucks. 12/8588 S. 8).
16Eine daneben in Betracht zu ziehende Strafbarkeit nach § 130 Abs. 2, Abs. 3, Abs. 5 StGB setzt voraus, dass das Leugnen einer unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Tat geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören (vgl. , NJW 2005, 689, 690; BVerfG, Beschlüsse vom - 1 BvR 461/08, NJW 2012, 1498, 1500; vom - 1 BvR 2150/08, BVerfGE 124, 300, 334 f.; BT-Drucks. 12/8588 S. 8; BT-Drucks. 10/1286 S. 9; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 130 Rn. 41 mwN; LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 130 Rn. 121; MünchKommStGB/Schäfer, 2. Aufl., § 130 Rn. 86; aA NK-StGB-Ostendorf, 3. Aufl., § 130 Rn. 21). Eine solche Eignung ist bei Schreiben, die sich allein an staatliche Stellen richten und sich dazu teilweise in einem schlichten In-Abrede-Stellen des Holocausts erschöpfen, nicht aus sich heraus ersichtlich.
17Auch in den übrigen Fällen ist auf die Auslegung der Äußerungen und die Darlegung des konkreten Tatbestandes sorgfältiger Bedacht zu nehmen.
184. Im Hinblick auf das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist eine Verunglimpfung des Staates gemäß § 90a Abs. 1 Nr. 1 StGB (Fall III. 1. 3. der Urteilsgründe) nach neuerer Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (, NJW 2012, 1273, 1274) nur gegeben, wenn aufgrund der konkreten Art und Weise der Meinungsäußerung der Staat dermaßen verunglimpft wird, dass dies zumindest mittelbar geeignet erscheint, den Bestand der Bundesrepublik Deutschland, die Funktionsfähigkeit seiner staatlichen Einrichtungen oder die Friedlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Diese Voraussetzung ist im Fall III. 1. 3. der Urteilsgründe nicht dargetan.
195. Hinsichtlich des Strafantrags im Fall III. 4. 1. der Urteilsgründe und der Strafbarkeit wegen Bedrohung (§ 241 StGB) in mehreren Fällen wird auf die Darlegungen des Generalbundesanwalts in seiner Zuschrift vom Bezug genommen.
206. Im Rahmen der Strafzumessung erscheint bedenklich, zu Lasten des Angeklagten die Vehemenz zu berücksichtigen, mit der er sich seiner Festnahme widersetzte; denn die Art der Tatausführung darf einem Angeklagten nur dann ohne Abstriche strafschärfend zur Last gelegt werden, wenn sie in vollem Umfang vorwerfbar ist, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer von ihm nicht oder nur eingeschränkt zu vertretenden geistig-seelischen Beeinträchtigung liegt ( mwN, juris Rn. 5). Die Kammer ist von einer erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit bei den Taten ausgegangen.
21Überdies ist die Einziehung des Computers und des Druckers bei der Bemessung der Rechtsfolgen zu berücksichtigen (vgl. , NStZ-RR 2011, 370). Die Kammer wird zudem zu bedenken haben, dass es sich bei der Einziehung um eine Ermessensentscheidung handelt (vgl. , BGHR StGB § 74 Abs. 1 Ermessensentscheidung 1).
227. Bei der Abfassung des Urteils ist durch ein Mindestmaß an Sorgfalt sicherzustellen, dass - anders als im angegriffenen Urteil - der tenorierte Schuldspruch mit den in der rechtlichen Würdigung der Urteilsgründe genannten Delikten übereinstimmt und dementsprechend jeder einzelnen Tat eine Einzelstrafe zugeordnet wird. Dazu bietet sich an, in den Urteilsgründen für die einzelnen Taten im Rahmen der Sachverhaltsdarstellung einheitliche Ordnungsnummern zu vergeben und diese bei Beweiswürdigung, rechtlicher Würdigung sowie Strafzumessung weiterzuverwenden (s. , wistra 2003, 229, 230).
23Bei mehrfacher Verwirklichung eines Straftatbestandes, der in wechselnden Kombinationen mit unterschiedlichen anderen Delikten tateinheitlich zusammentrifft, empfiehlt es sich, in der Entscheidungsformel jede Tat einzeln zu bezeichnen und nur dann unter Angabe der Zahl der tatmehrheitlichen Tatbegehungen zusammenzufassen, wenn die rechtliche Bezeichnung der Einzeltaten identisch ist (BGH aaO). Eine darüberhinausgehende Zusammenfassung kann die Verständlichkeit erheblich erschweren, was sich hier gerade daran zeigt, dass die erkennende Kammer selbst die Abweichungen zwischen der Urteilsformel und den Urteilsgründen nicht bemerkt hat.
24Gemäß § 260 Abs. 5 Satz 1 StPO sind nach der Urteilsformel die angewendeten Vorschriften aufzuführen.
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IAAAE-12916