Anwendung des § 3c Abs. 2 EStG bei Veräußerungs- und Aufgabeverlusten nach § 17 EStG sowie bei im Betriebsvermögen gehaltenen Beteiligungen an Kapitalgesellschaften
Mit Urteil vom ( BStBl 2010 II, S. 220) und Beschluss vom ( BStBl 2010 II, S. 627) hat der BFH entgegen der bisherigen Verwaltungsauffassung entschieden, dass der Abzug von Erwerbsaufwand (z. B. Betriebsvermögensminderungen, Anschaffungskosten oder Veräußerungskosten) im Zusammenhang mit Einkünften aus der Veräußerung oder Auflösung einer Beteiligung nach § 17 Absatz 1 und Absatz 4 EStG jedenfalls dann nicht nach § 3c Absatz 2 Satz 1 EStG begrenzt ist, wenn der Steuerpflichtige keinerlei durch seine Beteiligung vermittelten Einnahmen erzielt hat.
Den hierzu ergangenen Nichtanwendungserlass vom ( BStBl 2010 I, S. 181) hat das ( BStBl 2010 I, S. 599) aufgehoben, sodass die Grundsätze der BFH-Rechtsprechung zu beachten sind.
Bei der Bearbeitung der Fälle bis einschließlich VZ 2010 ist Folgendes zu beachten:
1. Schädliche Einnahmen
Ein Verlust nach § 17 EStG ist ohne Anwendung des Halb- (bis VZ 2008) bzw. Teilabzugsverbots (ab VZ 2009) nur dann in voller Höhe zu berücksichtigen, wenn der Stpfl. keinerlei durch seine Beteiligung vermittelten Einnahmen – weder auf der Vermögensebene (im Rahmen der Veräußerungsgewinnbesteuerung) noch auf der Ertragsebene (Einkünfte aus Kapitalvermögen) – erzielt hat. Die im Rahmen der Einkünfte aus Kapitalvermögen zugeflossenen Zinseinnahmen aus einem Darlehen, das zu nachträglichen Anschaffungskosten einer Beteiligung i. S. d. § 17 EStG führt, stehen nicht direkt mit der Beteiligung an sich in Zusammenhang. Hierbei handelt es sich vielmehr um ein eigenständiges Schuldverhältnis, das von der Beteiligung als solche – unbeschadet ihrer gesellschaftsrechtlichen Veranlassung – zu unterscheiden ist (vgl. ; BStBl 2009 II, S. 674). Zu den Einnahmen, die eine volle Verlustberücksichtigung ausschließen, gehören:
offene und verdeckte Gewinnausschüttungen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG),
Veräußerungserlöse (§ 17 Abs. 2 EStG),
Kapitalrückzahlungen (§ 17 Abs. 4 EStG),
Auskehrung von Wirtschaftsgütern im Rahmen der Abwicklung in Liquidations- und Insolvenzfällen.
Ausschüttungen aus dem steuerlichen Einlagekonto nach § 27 KStG sind auch dann zu berücksichtigen, wenn der Betrag der Ausschüttung nicht die Anschaffungskosten der Beteiligung übersteigt und damit zunächst keine steuerpflichtigen Einkünfte nach § 17 Abs. 4 EStG vorliegen.
In Liquidations- und Insolvenzfällen bitte ich besonders zu prüfen, ob dem Anteilseigner im Rahmen der Abwicklung Wirtschaftsgüter aus dem Gesellschaftsvermögen (insbesondere abgeschriebene Wirtschaftsgüter der Betriebs- und Geschäftsausstattung) ausgekehrt wurden. Soweit diese zu fremdüblichen Bedingen an den Anteilseigner veräußert werden, handelt es sich nicht um eine Einnahme aus der Beteiligung, die zur Einschlägigkeit des Halb- bzw. Teilabzugsverbots führt.
Erzielt der Stpfl. während des Zeitraums, in dem er die Beteiligung gehalten hat, zu irgendeinem Zeitpunkt (noch so geringe) Einnahmen, ist das Halb- bzw. Teilabzugsverbot anzuwenden (Ausnahmen siehe 2.2.2 und 2.2.4). In die Prüfung, ob durch die Beteiligung vermittelte Einnahmen erzielt wurden, ist für Beteiligungen, die
vor dem VZ 2002 erworben wurden, der Zeitraum ab 2002 (vgl. Tz. 2.1) maßgeblich.
ab dem VZ 2002 erworben wurden, der gesamte Zeitraum einzubeziehen, in dem der Stpfl. die Beteiligung gehalten hat (vgl. Tz. 2.2.1).
Hierfür sind z. B. Verträge, Gesellschafterbeschlüsse, Unterlagen des Insolvenzverfahrens sowie die Inhalte der ESt-Akten heranzuziehen. Zudem sollte Kontakt mit dem für die Kapitalgesellschaft zuständigen Veranlagungsbezirk aufgenommen werden, um ggf. vorhandene Informationen über Gewinnausschüttungen oder Kapitalrückzahlungen zu gewinnen.
2. Zeitpunkt der Einnahmeerzielung
Anschließend ist zu prüfen, wann die Einnahmen angefallen sind. Das Halbeinkünfteverfahren ist für offene Gewinnausschüttungen ab dem VZ 2002, für verdeckte Gewinnausschüttungen und Vorabausschüttungen bereits ab dem VZ 2001 anzuwenden (§ 52 Abs. 4d Satz 1 Nr. 1 EStG i. V. m. § 34 Abs. 12 Satz 1 Nr. 2 KStG). Es sind daher zwei Fallgruppen zu unterscheiden:
2.1 Beteiligungserwerb vor Inkrafttreten des Halbeinkünfteverfahrens
Der (Az. IX R 28/10, BStBl 2011 II, S. 814) die Auffassung des Niedersächsischen FG (Urteil vom , EFG 2010, S. 1588) bestätigt, dass § 3c Abs. 2 EStG bei der Ermittlung des Auflösungsverlustes nach § 17 Abs. 4 i. V. m. Abs. 2 EStG nicht bei ausschließlich im Anrechnungsverfahren zugeflossenen Einnahmen einschlägig ist.
Soweit Einspruchsverfahren aufgrund dieses Verfahrens ruhen, können sie nunmehr wieder aufgenommen werden. Das anderslautende rechtskräftige (EFG 2010, S. 318) ist damit obsolet.
2.2 Beteiligungserwerb ab Inkrafttreten des Halbeinkünfteverfahrens
Die Rechtsgrundsätze des (a. a. O.), wie auch des Beschlusses vom (a. a. O.) sind grundsätzlich zu beachten.
2.2.1 Prüfung der schädlichen Einnahmen
Aufgrund der nunmehr gesicherten Rechtslage (siehe 2.1) sind bei Prüfung der Anwendung des § 3c Abs. 2 EStG im Zusammenhang mit der Ermittlung eines Veräußerungs- bzw. Auflösungsverlustes nach § 17 Abs. 2 EStG nur die Veranlagungszeiträume ab Erwerb oder Begründung der Beteiligung ab Geltung des Halbeinkünfteverfahrens einzubeziehen.
Sind dem Steuerpflichtigen neben Einnahmen, die dem Anrechnungsverfahren oder aber der Abgeltungssteuer (siehe 2.2.4) unterlegen haben, zusätzlich Einnahmen zugeflossen, die nach § 3 Nr. 40 EStG nur zur Hälfte versteuert wurden, ist § 3c Abs. 2 EStG bei der Ermittlung eines Veräußerungs- bzw. Auflösungsverlustes nach § 17 Abs. 1, Abs. 4 und Abs. 2 EStG zu berücksichtigen.
2.2.2 symbolischer Veräußerungspreis von 1,00 EUR
Der (Az. IX R 61/10, BStBl 2012 II, S. 8) die Rechtsfrage, ob ein vereinbarter symbolischer, real aber nicht geflossener Kaufpreis von 1,00 EUR für die Veräußerung objektiv wertloser Anteile zur Einschlägigkeit des Halbabzugsverbots führt, verneint. Darüber hinaus ist vom BFH unter Hinweis auf die Entscheidungsgründe seines vorgenannten Urteils die jeweils vorinstanzlich durch das EFG 2010, S. 1589 und vom , EFG 2010, S. 1676) entschiedene Einschlägigkeit des Halb- bzw. Teilabzugsverbots (§ 3c Abs. 2 EStG) auch bei nur geringfügigen Einnahmen (im Streitfall ein Veräußerungspreis von 1,00 EUR) bei der Veräußerung objektiv wertloser Anteile abgelehnt worden (, BFH/NV 2011, S. 2028 sowie , BFH/NV 2012, 13).
Soweit Einspruchsverfahren aufgrund dieser Verfahren ruhen, können sie nunmehr wieder aufgenommen werden. Hierbei bitte ich zu beachten, dass lediglich in Fällen, bei denen neben der Veräußerung objektiv wertloser Anteile für einen vertraglich vereinbarten, real (nicht) geflossenen symbolischen Kaufpreis in Höhe von 1,00 EUR keinerlei sonstige die Beteiligung vermittelnden Einnahmen erzielt wurden, das Halb- bzw. Teilabzugsverbot nicht einschlägig ist. Beruht der Kaufpreis von 1,00 EUR hingegen auf einer Wertermittlung und spiegelt den Wert der Beteiligung wieder, liegt eine schädliche Einnahme vor, die zur Einschlägigkeit des Halb- bzw. Teilabzugsverbots führt.
Denkbar sind ebenso Fälle, in denen werthaltige Anteile zu einem lediglich symbolischen Kaufpreis übertragen werden. Der Realisationstatbestand des § 17 EStG wird damit nicht ausgelöst; die Berücksichtigung eines Veräußerungsverlustes kommt daher dem Grunde nach nicht in Betracht.
2.2.3 Veräußerungspreis von mehr als 1,00 EUR
Der BFH hat mit seinen Urteilen vom ( BStBl 2011 II, S. 785) und ( BStBl 2011 II S. 815) entschieden, dass das Halbeinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchstabe c EStG) und das Halbabzugsverbot (§ 3c Abs. 2 EStG) auch anzuwenden sind, wenn der Steuerpflichtige wegen lediglich geringfügiger Veräußerungseinnahmen im Ergebnis einen Verlust erwirtschaftet hat. Mit diesen Urteilen hat der BFH die Auffassung der Finanzverwaltung bestätigt, wonach auf Beteiligungsverluste nach § 17 EStG weiterhin das Halb- bzw. Teilabzugsverbot Anwendung findet.
Soweit Einspruchsverfahren aufgrund dieser Verfahren ruhen, können sie nunmehr wieder aufgenommen und entschieden werden.
Gegen das wurde Verfassungsbewerde beim BVerfG eingelegt (Az. 2 BvR 2690). Veräußerungsverluste i. S. d. § 17 EStG, in denen nur geringfügige Einnahmen erzielt wurden, sind weiterhin nach dem Halb- bzw. Teileinkünfteverfahren mit 50 % bzw. 60 % zu berücksichtigen. Hiergegen gerichtete Einsprüche ruhen gem. § 363 Abs. 2 Satz 2 AO kraft Gesetzes. Aussetzung der Vollziehung ist nicht zu gewähren.
2.2.4 Gewinnausschüttungen, die der Abgeltungssteuer unterlegen haben
Erzielte der Stpfl. aus seiner Beteiligung für die VZ 2009 und 2010 lediglich Einnahmen, die mangels Inanspruchnahmen der Optionsmöglichkeit zur Tarifbesteuerung (§ 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG) der Abgeltungssteuer unterlegen haben, ist das Teilabzugsverbot des § 3c Abs. 2 EStG nicht anzuwenden. Ich bitte zu beachten, dass ein einmal gestellter Antrag gem. § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 EStG für den Veranlagungszeitraum der Antragstellung (VZ 2009) nur dann für die vier folgenden Veranlagungszeiträume (u. a. VZ 2010) als gestellt gilt, wenn die Beteiligung nicht unter die nach § 32d Abs. 2 Nummer 3 Satz 1 Bustabe a) oder b) EStG geltenden Grenzen gesunken ist.
3. Beteiligung im Betriebsvermögen
Das Halb- bzw. Teilabzugsverbot ist auch bei im Betriebsvermögen gehaltenen Beteiligungen an Kapitalgesellschaften zu beachten, wenn bereits durch die konkrete Beteiligung vermittelte Einnahmen angefallen sind oder solange nicht endgültig ausgeschlossen werden kann, dass künftig noch Betriebseinnahmen i. S. d. § 3 Nr. 40 EStG aus dieser Beteiligung anfallen können. Das gilt bei der Vornahme von Teilwertabschreibungen auf die Beteiligung sowohl für den Ansatz eines niedrigeren (Zwischen-)Teilwerts als auch für den Fall der Vollabschreibung der Beteiligung auf 0 EUR. Im Übrigen verweise ich auf die Rundverfügung vom – S 2128 – 16 – St 222/St 221 –.
4. Nachträgliche Aufwendungen (nach Veräußerung/Liquidation)
Hierzu verweise ich auf meine Rundverfügung vom – S 2252 – 323 – St 231 – zum Thema Schuldzinsen als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen in Zusammenhang mit der Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft. Soweit diesbezüglich Anträge auf Änderung gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO gestellt werden, sind diese mangels Rechtserheblichkeit (AEAO zu § 173, Tz. 3.1) abzulehnen, soweit die betreffenden Veranlagungen vor Änderung der Rechtsprechung ( BStBl 2010 II, S. 787) durchgeführt wurden. Bei Veranlagungen nach Änderung der Rechtsprechung ist die Verschuldensfrage zu klären (AEAO zu § 173, Tz. 5).
5. Verfassungsmäßigkeit des Halbabzugsverbots
Die Frage, ob das Halbabzugsverbot des § 3c Abs. 2 EStG mit dem Grundgesetz vereinbar ist, hat das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen (Az. 2 BvR 2221/07 – Vorinstanz , BStBl 2008 II, 551 – und Az. 2 BvR 2659/07 – Vorinstanz –).
6. Programmtechnische Umsetzung
Um eine (Über-)Korrektur der Kirchensteuerfestsetzung nach § 51a Abs. 2 Satz 2 EStG und damit eine zu niedrige Kirchensteuerfestsetzung zu verhindern, sind die in voller Höhe zu berücksichtigenden Verluste nicht zu Kz. 45.26/27 (Verluste aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften nach § 17 EStG), sondern zu Kz. 45.22/23 (Verluste aus der Veräußerung nach § 16 EStG) einzutragen.
7. Beteiligungsverluste ab VZ 2011
Durch das JStG 2010 wurde gem. § 52 Abs. 8a Satz 2 EStG mit Wirkung ab VZ 2011 in § 3c Abs. 2 ein neuer Satz 2 eingefügt, wonach die Absicht zur Erzielung von Betriebsvermögensmehrungen oder Einnahmen i. S. d. § 3 Nr. 40 EStG für die Anwendung des Teileinkünfteverfahrens ausreichend ist. Die BFH-Rechtsprechung ist daher ab VZ 2011 nicht mehr anwendbar und das Teileinkünfteverfahren damit uneingeschränkt einschlägig.
OFD Niedersachsen v. - S 2244 – 110 – St 244
Fundstelle(n):
DB 2012 S. 16 Nr. 40
DB 2012 S. 1897 Nr. 34
DStR 2012 S. 1387 Nr. 28
EStB 2012 S. 333 Nr. 9
GmbHR 2012 S. 1031 Nr. 18
Ubg 2012 S. 556 Nr. 8
ZAAAE-12663