Soldatenversorgung: Zulassungsschein; Übergangsbeihilfe
Gesetze: § 12 Abs 5 SVG, § 9 Abs 6 SVG, § 9 Abs 5 SVG
Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein Az: 3 LB 17/10 Beschluss
Gründe
1Die Beschwerde des Klägers hat mit der Maßgabe Erfolg, dass die Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO unter Aufhebung der Berufungsentscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen ist. Die Berufungsentscheidung beruht auf einem Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, weil das Oberverwaltungsgericht den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verletzt hat.
21. Der Kläger war bis zum Soldat auf Zeit. Zur Vorbereitung der beruflichen Eingliederung nach Ablauf seiner zwölfjährigen Dienstzeit erhielt er eine Vorbehaltsstelle als Verwaltungsfachangestellter bei der Wehrbereichsverwaltung Nord. Die laufbahnrechtliche Befähigung erwarb der Kläger durch eine dreijährige Ausbildung am Standort Kiel. Das anschließende Angebot einer Stelle im Bereich des Bundeswehrdienstleistungszentrums Wilhelmshaven lehnte der Kläger ab.
3Seinen Antrag auf Herausgabe des ihm erteilten Zulassungsscheins lehnte die Beklagte ab. Der Kläger habe die Unterbringung aus persönlichen Gründen verweigert und den Anspruch auf den Zulassungsschein damit verwirkt. Die Klage ist erfolglos geblieben. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, aufgrund der Ablehnung der Stelle müsse das Recht aus dem Zulassungssein in entsprechender Anwendung des § 9 Abs. 6 SVG als erloschen betrachtet werden. Hierauf hat das Oberverwaltungsgericht verwiesen. Auch müsse der Kläger den herausverlangten Zulassungsschein in jedem Falle sofort wieder an die Beklagte herausgeben.
42. Die Berufungsentscheidung beruht auf einem Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, weil das Oberverwaltungsgericht über die Berufung des Klägers ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss nach § 130a Satz 1 VwGO entschieden hat, ohne den Ablauf der hierzu gegebenen Äußerungsfrist (§ 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO) abzuwarten. Damit hat es den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verletzt.
5Nach den tatsächlichen Feststellungen in der Berufungsentscheidung ist die dem Kläger eingeräumte Stellungnahmefrist letztmalig bis verlängert worden. Da das Fristende somit auf einen Sonntag fiel, endete die Frist gemäß § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 2 ZPO mit Ablauf des nächsten Werktages. Diese, der generellen Regelung in § 193 BGB entsprechende Anordnung zur Berechnung des Fristendes gilt "als Ausdruck allgemeiner Rechtsgrundsätze" ( BVerwG 10 A 1.94 - BVerwGE 100, 206 <209> = Buchholz 232.3 § 16 EUrlV Nr. 1, S. 3) nicht nur für gesetzliche Fristen, sondern auch für richterlich bestimmte Äußerungsfristen (vgl. - BVerfGE 18, 380 <383 f.>). Der am beim Oberverwaltungsgericht eingegangene Schriftsatz vom selben Tage war daher noch fristgerecht und hätte vom Oberverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung berücksichtigt werden müssen. Der Kläger durfte darauf vertrauen, dass die vom Gericht selbst eröffnete Möglichkeit, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt "gehört" zu werden, nicht unzulässig verkürzt wird.
6Auch inhaltlich sind die vom Kläger im Schriftsatz vom vorgetragenen Gesichtspunkte nicht berücksichtigt. Das Oberverwaltungsgericht hat weder die vorgetragene Möglichkeit der Inanspruchnahme des Zulassungsscheins für eine Bewerbung bei einer anderen Behörde noch die geltend gemachte Überlegungsfrist gewürdigt. Die Berufungsentscheidung kann auf dem Gehörsverstoß beruhen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Oberverwaltungsgericht bei Würdigung der vorgetragenen Argumente anders entschieden hätte.
7Der Rechtsstreit ist daher zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung gemäß § 133 Abs. 6 VwGO an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen. Über den vom Kläger darüber hinaus geltend gemachten Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) kann nicht entschieden werden, weil es an nachvollziehbaren Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts fehlt (vgl. hierzu auch Beschlüsse vom - BVerwG 3 B 57.99 - NVwZ-RR 2000, 259 und vom - BVerwG 11 B 12.92 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 10). Die vom Oberverwaltungsgericht praktizierte pauschale Bezugnahme auf die Gründe der vorinstanzlichen Entscheidung entspricht nicht den Vorgaben des § 130b VwGO (vgl. zuletzt BVerwG 2 B 86.11 - juris). Unklar ist aber insbesondere auch, ob der Kläger bereits mit Aufnahme seiner Ausbildung die ihm zugewiesene Vorbehaltsstelle als Verwaltungsfachangestellter in Anspruch genommen hat (vgl. zur Verbindlichkeit der Inanspruchnahme des Zulassungsscheins bereits für eine Ausbildungsstelle nach § 10 Abs. 1 Satz 2 SVG etwa - juris). Denn die laufbahnrechtlichen Voraussetzungen hierfür hat er erst mit erfolgreichem Ausbildungsabschluss erlangt.
8Für die erneute Verhandlung wird das Oberverwaltungsgericht zu berücksichtigen haben, dass der Gesetzgeber dem Inhaber eines Zulassungsscheins in § 12 Abs. 5 Satz 1 SVG einen Zeitraum von acht Jahren zur Ausübung des Wahlrechts eingeräumt hat (vgl. zum Erfordernis der Ausübung des Wahlrechts BVerwG 6 B 42.89 - Buchholz 239.2 § 12 SVG Nr. 8). Der Kläger ist daher nicht verpflichtet, den Zulassungsschein sofort wieder an die Beklagte herauszugeben, sodass der Anknüpfungspunkt für die vom Oberverwaltungsgericht angenommene Treuwidrigkeit entfällt. Dass der Kläger die letztlich erstrebte Auszahlung der ungeschmälerten Überbrückungsbeihilfe auch ohne "Rückgabe" des Zulassungsscheins begehren könnte, hat das Oberverwaltungsgericht aber offenkundig nicht angenommen.
9Ausgeschlossen ist die Wahl der ungeschmälerten Übergangsbeihilfe gemäß § 12 Abs. 5 Satz 1 SVG neben dem Ablauf der Achtjahresfrist nur, wenn das Recht aus dem Zulassungsschein nach § 9 Abs. 6 SVG erloschen ist. Hierfür reicht es aber nicht bereits aus, dass der Kläger eine nach § 10 SVG den Inhabern eines Eingliederungs- oder Zulassungsscheins vorbehaltene Ausbildungsstelle in Anspruch genommen hat. Bereits aus dem Wortlaut des § 9 Abs. 6 Satz 1 SVG folgt, dass der Erlöschenstatbestand zeitlich an das Stadium nach Abschluss der Ausbildung anknüpft. Für Angestellten- und Arbeitsverhältnisse ergibt sich dies aus der Klarstellung, dass in Fällen ohne vorgeschaltete Ausbildung erst auf den Zeitpunkt "nach Ablauf der Probezeit" abgestellt wird. Der Erlöschenstatbestand knüpft daher an das Stadium einer nach Abschluss der Ausbildung aufgenommenen Beschäftigung an, sodass die Inanspruchnahme einer vorbehaltenen Ausbildungsstelle noch nicht in den Anwendungsbereich der Norm fällt.
10Deutlicher wird diese zeitliche Abstufung in der bis zum gültigen Gesetzesfassung. Ein eigenständiger Erlöschenstatbestand für den Zulassungsschein war damals - anders als für den Eingliederungsschein, der unmittelbare Wirkungen auf die Dienstzeitlänge entfalten kann (vgl. hierzu BVerwG 2 C 30.01 - Buchholz 239.2 § 9 SVG Nr. 2) - in § 9 SVG nicht geregelt; § 12 Abs. 5 Satz 1 SVG a.F. stellte aber klar, dass die volle Übergangsbeilhilfe nicht mehr gewählt werden konnte, wenn der ehemalige Soldat als Angestellter "in ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit" übernommen worden war. Allein die Inanspruchnahme der Rechte aus dem Zulassungsschein zur Ableistung des Vorbereitungsdiensts auf einer Vorbehaltsstelle erfüllte den Erlöschenstatbestand folglich nicht. Erforderlich hierfür war vielmehr das Fortwirken bis zur Anstellung als Beamter auf Probe oder als Angestellter in einem Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit. Vor diesem Zeitpunkt konnte der ehemalige Soldat - durch freiwillige Aufgabe oder aufgrund endgültigen Scheiterns der angestrebten Eingliederung - den Zulassungssein zurückgeben und stattdessen die ungekürzte Übergangsbeihilfe wählen (vgl. BVerwG 2 C 9.91 - Buchholz 239.2 § 12 SVG Nr. 10).
11Dass die Neufassung des Soldatenversorgungsgesetzes hieran - trotz des entgegenstehenden Wortlauts - etwas hätte ändern sollen, kann den Gesetzesmaterialien nicht entnommen werden. Vielmehr sollte mit der Einfügung des § 9 Abs. 5 SVG n.F. lediglich ein eigenständiger Erlöschenstatbestand auch für das Recht aus dem Zulassungsschein eingeführt werden (vgl. BRDrucks 877/04, S. 30). Dass hiermit inhaltlich eine Veränderung der hieraus folgenden Einschränkung des Rechts zur Inanspruchnahme der ungekürzten Übergangsbeihilfe verbunden sein sollte, ist nicht ersichtlich (vgl. hierzu auch die Gesetzesbegründung zu § 12 SVG in BRDrucks 877/04, S. 33).
12Ein Ausschluss der Gewährung ungekürzter Übergangsbeihilfe ist schließlich auch durch Sinn und Zweck der Unterstützungsleistung nicht vorgegeben. Die Übergangsbeihilfe bezweckt in erster Linie die Erleichterung eines in späteren Lebensjahren verbundenen Berufswechsels, hier also des Übergangs eines Soldaten auf Zeit in das zivile Berufsleben (vgl. BVerwG 6 B 42.89 - Buchholz 239.2 § 12 SVG Nr. 8). Erfolgt die Eingliederung durch Anstellung auf eine Vorbehaltsstelle nach § 10 SVG, ist eine Kürzung der finanziellen Übergangsbeihilfe berechtigt. Denn der Übergang wird hier durch andere Förderinstrumente erleichtert. Findet eine dauerhafte Eingliederung im öffentlichen Dienst unter Inanspruchnahme eines Zulassungsscheins dagegen nicht statt, so stellt sich für den ehemaligen Soldaten noch die Schwierigkeit eines Übertritts in ein anderes Beschäftigungsverhältnis, die mit der Gewährung einer Übergangsbeihilfe abgemildert werden soll.
13Angesichts dieser Gesetzeslage verbietet sich auch die vom Verwaltungsgericht vertretene Auffassung, aus § 9 Abs. 6 Satz 2 SVG lasse sich der allgemeine Grundgedanke entnehmen, bei einem Fehlschlagen der Eingliederung aufgrund des Verhaltens des Soldaten erlösche die Rechtsstellung aus dem Zulassungsschein. Diese Fallkonstellationen sind vom Gesetzgeber gesehen und für den Fall des Eingliederungsscheins in § 9 Abs. 5 SVG einer ausdrücklichen Regelung zugeführt worden. Die Fälle, in denen die endgültige Eingliederung aus einem von dem ehemaligen Soldaten zu vertretenden Grund vor der Ernennung zum Beamtenverhältnis auf Lebenszeit geendet hat (§ 9 Abs. 5 Nr. 4 SVG), die Einstellung nicht mehr angestrebt wird (§ 9 Abs. 5 Nr. 2 SVG) oder der Inhaber des Eingliederungsscheins einer Aufforderung zur Mitwirkung im Eingliederungsverfahren schuldhaft nicht Folge geleistet hat (§ 9 Abs. 5 Nr. 1 SVG), sind dort als eigenständige Erlöschenstatbestände ausgestaltet. Entsprechendes gilt für den Zulassungsschein aber gerade nicht. § 9 Abs. 6 SVG hat hierfür vielmehr ein eigenständiges Regelungssystem geschaffen, das vergleichbare Verlustregelungen nicht enthält.
14Schließlich liegt auch keine vergleichbare Lage zu den in § 9 Abs. 6 Satz 2 SVG normierten Tatbeständen vor. Unabhängig von der allgemeinen Frage einer analogen Erstreckung auf dort nicht geregelte Fallgruppen (vgl. zum abschließenden Charakter der gesetzlichen Erlöschenstatbestände BVerwG 2 C 30.01 - Buchholz 239.2 § 9 SVG Nr. 2) umfasst § 9 Abs. 6 Satz 2 SVG jedenfalls nur Konstellationen, in denen "das Beamtenverhältnis aus disziplinarischen Gründen endet oder das Arbeitsverhältnis aus verhaltensbedingten Gründen gekündigt wird". Ausreichend ist daher nicht bereits ein vom ehemaligen Soldaten zu vertretender Umstand; erforderlich ist vielmehr ein Fehlverhalten, dessen Schwere bei einem Beamten die Entfernung aus dem Dienst sowie bei einem Angestellten die Kündigung des Vertragsverhältnisses rechtfertigen würde. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts setzt dies aber voraus, dass der Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsverhältnisse angemessen erscheint (vgl. zuletzt etwa - juris). Ein entsprechendes Verhalten des Klägers ist von den Tatsachengerichten bislang nicht festgestellt worden.
Fundstelle(n):
TAAAE-12545