BGH Beschluss v. - IX ZB 31/10

Insolvenzrecht: Gerichtszuständigkeit für die Entscheidung über die Massezugehörigkeit von Lohnbestandteilen aus einem ausländischen Arbeitsverhältnis

Leitsatz

Über die Massezugehörigkeit von Lohnbestandteilen hat das Prozessgericht zu entscheiden, wenn deutsche Gerichte für die Einzelzwangsvollstreckung nicht zuständig sind.

Gesetze: § 36 Abs 1 S 2 InsO, § 36 Abs 4 S 1 InsO, § 148 Abs 2 InsO, § 850f Abs 1 ZPO

Instanzenzug: LG Chemnitz Az: 3 T 494/09vorgehend AG Chemnitz Az: 1109 IN 1811/08

Gründe

I.

1Auf Eigenantrag eröffnete das Amtsgericht am das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners, der im Oktober 2008 zur Arbeitsaufnahme in die Schweiz verzog. In den Jahren 2009 und 2010 verdiente er dort monatlich netto 5.338,80 Schweizer Franken. Am beantragte der Schuldner, den Pfändungsfreibetrag wegen der hohen Lebenshaltungskosten in der Schweiz auf 5.070 Schweizer Franken zu erhöhen.

2Das Amtsgericht hat den Antrag des Schuldners abgelehnt. Seine Beschwerde hatte teilweise Erfolg. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner seinen ursprünglichen Antrag weiter.

II.

3Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 793 ZPO statthaft, weil sie vom Landgericht zugelassen worden ist (§ 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Das Insolvenzgericht hat bei der Prüfung der § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 850f Abs. 1 ZPO als besonderes Vollstreckungsgericht nach § 36 Abs. 4 Satz 1 InsO entschieden, so dass sich der Rechtsmittelzug nach den vollstreckungsrechtlichen Vorschriften bestimmt (vgl. , WuM 2011, 486 Rn. 4). Die Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen (§ 575 Abs. 1 bis 3 ZPO) zulässig, sie hat aber in der Sache keinen Erfolg.

41. Das Beschwerdegericht hat zur Bestimmung der Masse nach den §§ 35, 36 Abs. 1 Satz 2, § 335 InsO, §§ 850c, 850e, 850f Abs. 1 ZPO deutsches Recht angewendet. Es hat ausgeführt: Ob pfändbares Vermögen zur Masse gehöre und welche Gegenstände gegebenenfalls unpfändbar seien, entscheide sich nach dem Insolvenzrecht des Landes, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei. Das Insolvenzverfahren erfasse auch den Neuerwerb im Ausland, sofern er nach § 36 Abs. 1 InsO und den in Bezug genommenen Vorschriften der Zivilprozessordnung der Zwangsvollstreckung unterliege. Der Schuldner habe die Voraussetzungen des § 850f Abs. 1 Buchstabe a ZPO nicht dargelegt; nur die ihm entstandenen Beerdigungskosten seien nach § 850f Abs. 1 Buchstabe b ZPO zu berücksichtigen.

52. Die in den Grenzen seiner Beschwer vom Schuldner angegriffene Entscheidung des Beschwerdegerichts ist im Ergebnis richtig; jedoch ist der Antrag auf Erhöhung des Pfändungsfreibetrags vor dem Insolvenzgericht als Vollstreckungsgericht bereits unzulässig.

6a) Die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts nach § 36 Abs. 4 InsO folgt noch nicht aus der Anwendung der in § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO genannten vollstreckungsrechtlichen Beurteilungsnormen. Der Streit zwischen Insolvenzverwalter und Schuldner über die Massezugehörigkeit von Lohnbestandteilen kann nur im Wege des Rechtsstreits vor dem Prozessgericht entschieden werden, wenn er - wie vorliegend - keine Vollstreckungshandlung und keine Anordnung des Vollstreckungsgerichts betrifft. Ob das Insolvenzgericht als Vollstreckungsgericht gemäß § 36 Abs. 4 InsO oder das Prozessgericht in einem Rechtsstreit entscheidet, hängt davon ab, ob die Auseinandersetzung zwischen Insolvenzverwalter und Schuldner um die Massezugehörigkeit als solcher geführt wird - dann gehört der Rechtsstreit vor das Prozessgericht - oder ob über die Zulässigkeit der Vollstreckung gestritten wird - dann entscheidet das Insolvenzgericht im Rahmen des § 36 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 InsO als Vollstreckungsgericht (vgl. , BGHZ 92, 339, 340; vom – IX ZR 94/06, NZI 2008, 244 Rn. 7; Beschluss vom - IX ZB 268/09, NZI 2010, 584 Rn. 2; vgl. Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, § 35 Rn. 169; Uhlenbruck/Hirte, InsO, 13. Aufl., § 35 Rn. 126; § 36 Rn. 54; Berkowsky, NZI 2010, 855; Vosberg/Klawa, EWiR 2011, 57; vgl. für Vollstreckungshandlungen in Deutschland , Rn. 5, ZIP 2012, 1096).

7Allerdings bestimmt vielfach das als Vollstreckungsgericht handelnde Insolvenzgericht (vgl. Hirte aaO, § 36 Rn. 55) den Pfändungsfreibetrag nach § 850f Abs. 1 ZPO, § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, wenn der Arbeitgeber des Schuldners seinen Sitz in Deutschland hat. Dann ergeht die Anordnung des Insolvenzgerichts regelmäßig im Rahmen der Vollstreckung. Anders liegt es jedoch, wenn die Einzelvollstreckung im Ausland erforderlich wird, weil der Schuldner und sein Arbeitgeber sich im Ausland befinden. Das deutsche Vollstreckungsgericht ist dann für die im Ausland erforderlich werdende Einzelzwangsvollstreckung aus der vollstreckbaren Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses international nicht zuständig. Durch Gerichte der Bundesrepublik Deutschland angeordnete Vollstreckungsmaßnahmen können nicht in die Hoheitsgewalt eines anderen Staats eingreifen (, WM 2010, 520 Rn. 11 mwN). Für das Insolvenzverfahren gilt nichts anderes, sofern im Ausland belegene Massebestandteile betroffen sind (vgl. etwa Art. 18 Abs. 3 Satz 2 EuInsVO für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union; vgl. auch Hirte, aaO, § 35 Rn. 130; vgl. auch , BGHZ 68, 16, 17 f; vom - VIII ZR 246/82, BGHZ 88, 147, 150 f).

8b) Im vorliegenden Fall hat der Insolvenzverwalter im Wege der Vollstreckungshilfe Schweizer Gerichte Lohnbestandteile zur Masse gezogen. Mithin streiten die Verfahrensbeteiligten nicht über die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung in der Schweiz außerhalb der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte, sondern allein über die Massezugehörigkeit der Lohnbestandteile als solcher. Der Schuldner hätte deshalb den Insolvenzverwalter vor dem Prozessgericht (§ 19a ZPO) auf Feststellung verklagen können, dass nur ein über 5.070 Schweizer Franken hinausgehender Betrag seines monatlichen Arbeitslohns als Neuerwerb in die Insolvenzmasse fällt. Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse wäre gegeben. Das Prozessgericht hätte dann für Insolvenzverwalter und Schuldner verbindlich über die Zugehörigkeit des Arbeitseinkommens zur Insolvenzmasse zu befinden gehabt.

93. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden. Der durch das Insolvenz- und das Beschwerdegericht zu Unrecht sachlich beschiedene Antrag des Schuldners auf Erhöhung des Pfändungsfreibetrags ist deswegen in dem Umfang als unzulässig abzulehnen, wie die sofortige Beschwerde zurückgewiesen und der Antrag des Schuldners als unbegründet abgewiesen worden ist. Insoweit steht das Verschlechterungsverbot nicht entgegen (vgl. , NJW 2009, 1671 Rn. 15; Hk-ZPO/Kayser, 4. Aufl., § 563 Rn. 17).

Kayser                                                  Raebel                                                   Lohmann

                            Pape                                                      Möhring

Fundstelle(n):
DB 2012 S. 1567 Nr. 28
NJW-RR 2012 S. 1396 Nr. 22
RIW 2012 S. 570 Nr. 8
WM 2012 S. 1444 Nr. 30
ZIP 2012 S. 1371 Nr. 28
IAAAE-12514