BVerwG Beschluss v. - 7 VR 4/12

Errichtung und Betrieb einer Höchstspannungsleitung; Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss; summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage

Gesetze: § 43e Abs 1 S 1 EnWG, § 80 Abs 5 VwGO, § 1 EnLAG, § 50 Abs 1 Nr 6 VwGO, § 9 Abs 3 EEG, Art 14 Abs 1 GG, Art 28 GG, § 11 Abs 1 S 1 EnWG

Gründe

I.

1Die Antragstellerin zu 1, eine Gemeinde mit staatlicher Anerkennung als Erholungsort, und der Antragsteller zu 2, Inhaber der Gaststätte "R." und Eigentümer eines landwirtschaftlich genutzten Grundstücks, begehren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss des Thüringer Landesverwaltungsamts vom für die Errichtung und den Betrieb des zweiten, 57 km langen Abschnitts der sog. Thüringer Strombrücke ("Südwestkuppelleitung") zwischen dem Umspannwerk Vieselbach und dem Umspannwerk Altenfeld. Dieser Abschnitt (einschließlich der 110-kV-Anbindung zum Umspannwerk Stadtilm) ist Teil der insgesamt ca. 210 km langen 380-kV-Höchstspannungsleitung zwischen dem Umspannwerk Lauchstädt in Sachsen-Anhalt und dem Umspannwerk Redwitz in Bayern. Das Vorhaben quert im südlichen Teil des Abschnitts den westlichsten Bereich des Gemeindegebiets der Antragstellerin zu 1 auf einer Länge von ca. 700 m. Die dort gequerten Grundstücke stehen im Eigentum der Gemeinde und werden überwiegend als Straßen genutzt; zudem befinden sich dort eine Wasserfläche und ein aufgelassenes Bahngleis. Auf dem Gemeindegebiet wird lediglich ein Mast (Nr. 166) - auf einem Privatgrundstück - errichtet.

2Die Gaststätte des Antragstellers zu 2 liegt in der vom Vorhaben im nördlichen Teil des Abschnitts durchquerten Gemeinde E. am "R.". Sie ist ca. 1 km von der nordwestlich verlaufenden, im Wesentlichen durch Waldflächen abgeschirmten Trasse des Neubauvorhabens entfernt, das in diesem Streckenbereich parallel zur 380-kV-Bestandsleitung Mecklar-Vieselbach geführt wird und die (ebenfalls bereits vorhandene und zurückzubauende) 110-kV-Bahnstromfreileitung Weimar-Bebra ersetzt bzw. mitnimmt. Für beide bestehenden Hochspannungsfreileitungen sind auf dem im Eigentum des Antragstellers zu 2 stehenden, landwirtschaftlich genutzten Grundstück Flurstück ... der Gemeinde R. Grunddienstbarkeiten zu Gunsten von Rechtsvorgängerinnen der Beigeladenen im Grundbuch eingetragen. Am nördlichen Rand des Grundstücks ist die Errichtung eines Tragmastes vorgesehen (Mast Nr. 42).

3Die geplante 380-kV-Höchstspannungsfreileitung war Gegenstand eines Raumordnungsverfahrens. Die landesplanerische Beurteilung vom März 2007 bestätigte die "Westvariante" als Vorzugstrasse, die auf Teilstrecken der 380-kV-Höchstspannungsfreileitung Mecklar-Vieselbach, der Bundesautobahn A 71 und der ICE-Neubaustrecke folgt.

4Die Antragsteller haben gegen die ausgelegten Pläne Einwendungen erhoben, die durch den Planfeststellungsbeschluss zurückgewiesen worden sind (PFB S. 73 f.). Zur Begründung ihres Begehrens auf vorläufigen Rechtsschutz machen sie insbesondere geltend, es fehle an der erforderlichen Planrechtfertigung. Auch die Abschnittsbildung sei fehlerhaft. Der Fremdenverkehr werde erheblich beeinträchtigt. Die Abwägung entspreche zudem nicht den Erfordernissen der Raumordnung und den Belangen des Natur-, Arten- und Landschaftsschutzes.

5Der Antragsgegner und die Beigeladene treten dem vorläufigen Rechtsschutzantrag entgegen und verteidigen den angegriffenen Planfeststellungsbeschluss.

II.

61. Der Antrag ist zulässig. Der angegriffene Planfeststellungsbeschluss betrifft ein Vorhaben nach § 43 Satz 1 Nr. 1 EnWG. Die von den Antragstellern hiergegen erhobene Klage entfaltet keine aufschiebende Wirkung (§ 43e Abs. 1 Satz 1 EnWG). Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet im ersten und letzten Rechtszug über Streitigkeiten gegen Planfeststellungsbeschlüsse, die Vorhaben des dem Energieleitungsausbaugesetz als Anlage angefügten Bedarfsplans zum Gegenstand haben (§ 1 Abs. 3 EnLAG i.V.m. § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO), und ist folglich nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO als Gericht der Hauptsache für die Entscheidung über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zuständig; das streitgegenständliche Vorhaben unterfällt der Nummer 4 des Bedarfsplans unbeschadet der Tatsache, dass das dort benannte Vorhaben in seiner Umsetzung in drei Abschnitte unterteilt planfestgestellt wird.

7Entgegen der Auffassung des Antragsgegners und der Beigeladenen begegnet die Antragsbefugnis des Antragstellers zu 2 bei summarischer Prüfung keinen Bedenken. Er wird jedenfalls durch die Errichtung des Mastes Nr. 42 auf seinem Ackergrundstück Flurstück ... in seinem Eigentumsrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG betroffen. Daran ändert nichts, dass im Grundbuch bereits Grunddienstbarkeiten für die 380-kV-Bestandsleitung Mecklar-Vieselbach sowie die 110-kV-Bahnstromfreileitung, die zurückgebaut und mitgenommen wird, eingetragen sind und der quantitative Umfang der Grundstücksinanspruchnahme sich durch die Errichtung der (zusätzlichen) neuen 380-kV-Trasse wohl nicht ändert. Der Senat geht im einstweiligen Rechtsschutzverfahren davon aus, dass diese Grunddienstbarkeiten, die sich bezüglich der Bahnstromleitung nur auf eine Hochspannungsleitung bezieht, weder die Errichtung einer weiteren 380-kV-Höchstspannungsleitung noch eines Mastes umfassen. Dafür spricht auch, dass im Rechtserwerbsverzeichnis hinsichtlich des Grundstücks Flurstück ... unter der lfd. Nummer 15 als Schutzflächenart "erstmals überspannt" verzeichnet ist.

8Zumindest fraglich ist dagegen, ob auch die Antragstellerin zu 1 antragsbefugt ist. Im Hinblick auf die geltend gemachte Betroffenheit in ihrer kommunalen Selbstverwaltungsgarantie aus Art. 28 GG hat die Antragstellerin zu 1 nichts Substantielles vorgetragen. Vielmehr hat sie sich im Wesentlichen darauf beschränkt, eine Beeinträchtigung ihres Status als "Staatlich anerkannter Erholungsort" und "Regional bedeutsamer Tourismusort" sowie eine Verletzung touristischer Belange durch einen Rückgang des Fremdenverkehrs und die deshalb drohende massive und nachhaltige Verschlechterung ihrer Wirtschaftsstruktur und Leistungsfähigkeit zu behaupten.

9Ob die Antragstellerin zu 1 ihre Antragsbefugnis daraus herleiten kann, dass ihre Grundstücke für die Überspannung mit Grunddienstbarkeiten belastet werden (im Rechtserwerbsverzeichnis ist insoweit in der Spalte Schutzflächenart ebenfalls "erstmals überspannt" eingetragen) und sie deshalb in ihrem abwägungsbeachtlichen einfachgesetzlichen Eigentum betroffen ist oder - wie der Antragsgegner und die Beigeladene meinen - die Belange der Antragstellerin zu 1 als Eigentümerin dieser Grundstücke objektiv geringwertig oder nicht schutzwürdig sind, weil diese Grundstücke in ihrer Nutzbarkeit als Wasserflächen und durch die Widmung als Straßen- und Bahnflächen von vornherein beschränkt sind, kann im vorläufigen Rechtsschutzverfahren dahinstehen. Der Antrag kann jedenfalls in der Sache keinen Erfolg haben.

102. Der Antrag ist unbegründet, weil die Interessen der Antragsteller an der Beibehaltung des bisherigen Zustandes bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache gegenüber dem öffentlichen Interesse an der gesetzlich vorgesehenen sofortigen Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses (§ 43e Abs. 1 Satz 1 EnWG) nicht überwiegen. Denn nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage wird die auf Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses gerichtete Klage voraussichtlich keinen Erfolg haben.

11a) Die Antragstellerin zu 1 kann ihr Begehren auf Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses nicht auf Verstöße gegen objektiv-rechtliche Bestimmungen stützen. Einen Anspruch auf eine insoweit umfängliche Vollüberprüfung des Planfeststellungsbeschlusses kann sie weder aus der in Art. 28 Abs. 2 GG verbürgten Planungshoheit (vgl. hierzu BVerwG 9 VR 14.02 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 171) noch aus einer Inanspruchnahme ihrer Grundstücke, die von den Leiterseilen des Bauvorhabens der Beigeladenen überspannt werden, herleiten. Denn auf den aus Art. 14 GG folgenden Vollüberprüfungsanspruch des Eigentümers, dessen Grundstück vom Planfeststellungsbeschluss mit enteignungsgleicher Vorwirkung in Anspruch genommen wird (§ 45 Abs. 2 EnWG), kann sich die Antragstellerin zu 1, die nicht Grundrechtsträger ist, nicht berufen (stRspr, BVerwG 4 C 80.79 - BVerwGE 67, 74 <76 f.> und vom - BVerwG 4 C 26.94 - BVerwGE 100, 388 <391>; BVerwG 7 VR 4.10 - NVwZ 2010, 1486).

12b) Der Antragsteller zu 2 kann wegen der Betroffenheit in seinem Eigentum aus Art. 14 Abs. 1 GG zwar dem Grunde nach eine Vollüberprüfung des Planfeststellungsbeschlusses beanspruchen. Gleichwohl führt nicht jeder objektiv-rechtliche Fehler zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses.

13Diese Rechtsfolge scheidet aus, wenn der geltend gemachte Fehler für die Eigentumsinanspruchnahme aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht erheblich, insbesondere nicht kausal wäre (Urteile vom a.a.O., vom - BVerwG 4 A 47.96 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 148, juris Rn. 42 ff., vom - BVerwG 9 A 20.08 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 208 <Rn. 29> und vom - BVerwG 9 A 13.09 - BVerwGE 138, 226 <Rn. 23> = Buchholz 406.11 § 7 BauGB Nr. 4). Dies ist etwa dann der Fall, wenn ein als verletzt geltend gemachter öffentlicher Belang nur von örtlicher Bedeutung ist und auch die fehlerfreie Beachtung dieses Belangs nicht zu einer Veränderung der Planung im Bereich des betroffenen Grundstücks führen würde. Daher kann z.B. ein behaupteter Verstoß gegen die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung der Anfechtungsklage eines Eigentumsbetroffenen nur dann zum Erfolg verhelfen, wenn dieser Verstoß gerade für seine Eigentumsinanspruchnahme kausal ist. Verstöße gegen zwingende Vorschriften des nationalen oder unionsrechtlichen Naturschutzrechts, namentlich des Habitats- und Vogelschutzes, können danach dann nicht zu einer Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses führen, wenn die Planung lediglich an Mängeln leidet, die für die Sachentscheidung nicht von Einfluss gewesen sind ( BVerwG 9 A 64.07 - BVerwGE 134, 308 <Rn. 24> = Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 203 S. 76).

14So liegen die Dinge hier, soweit der Antragsteller zu 2 die Verletzung von Vorschriften des Natur- und Artenschutzrechts und die unzureichende Berücksichtigung von Belangen des auch durch Vorgaben der Raumordnung konkretisierten Landschaftsschutzes rügt.

15Der Antragsteller zu 2 hat im Verwaltungsverfahren mit Schreiben vom zwar eine Gefährdung der Vögel im Vogelschutzgebiet Nr. 31 "Muschelkalkgebiet südöstlich Erfurt" durch die Leiterseile der Trasse, die das Vogelschutzgebiet entlang eines FFH-Gebiets quert, geltend gemacht. Er hat aber nicht dargetan, dass bei einer Vermeidung der von ihm gerügten, den Artenschutz betreffenden Fehler sein landwirtschaftlich genutztes Grundstück von einer Inanspruchnahme verschont bliebe (vgl. BVerwG 4 C 19.94 - BVerwGE 100, 370 <382> = Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 113 S. 113). Diese Möglichkeit dürfte vielmehr schon deswegen ausscheiden, weil die Planung des neuen Vorhabens vorrangig und entsprechend der landesplanerischen Beurteilung unter Berücksichtigung bereits vorhandener Eingriffe in Natur und Landschaft im Bereich der Gemarkung R. durch Parallelführung zur Hochspannungsfreileitung Mecklar-Vieselbach bis hin zur Bundesautobahn A 71 im Westen erfolgte.

16Soweit der Antragsteller zu 2 im Klageverfahren nunmehr zusätzlich eine Beeinträchtigung des Luftraums für Jagd- und Balzflüge sowie für Bodenbrüter durch Leiterseile einwendet und befürchtet, dass Grauspechte, Mittelspechte, Neuntöter, Rot- und Schwarzmilane, Wespenbussarde sowie Kraniche und Kiebitze trotz Anbringen von Vogelschutz-Spiralen gefährdet würden, ist er mit diesem Vorbringen zudem bereits gemäß § 43a Nr. 6 Satz 1 EnWG (i.V.m. § 73 Abs. 4 VwVfG) ausgeschlossen, weil es insoweit an substantiierten Einwendungen im Anhörungsverfahren fehlt (zu den Anforderungen hierzu, vgl. BVerwG 9 A 27.06 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 195 <Rn. 30 ff.>).

17Hinsichtlich der Belange des Landschaftsschutzes ist ebenso wenig ersichtlich, dass eine Trassenplanung, die das Grundstück des Antragstellers zu 2 ausspart, in Betracht kommen könnte. Denn es entspricht, wie bereits ausgeführt, den Zielen des Landschaftsschutzes, Eingriffe zu bündeln, um so bislang unzerschnittene, störungsarme Gebiete zu erhalten.

18c) Die Planrechtfertigung für das planfestgestellte Vorhaben ist gegeben. Der Bedarfsplan für die Vorhaben nach § 1 Abs. 1 EnLAG sieht unter Nr. 4 als Vorhaben des vordringlichen Bedarfs den "Neubau der Höchstspannungsleitung Lauchstädt-Redwitz (als Teil der Verbindung Halle/Saale-Schweinfurt), Nennspannung 380 kV" vor. Der vorliegend planfestgestellte 2. Bauabschnitt von Vieselbach bis Altenfeld ist Teil dieser im Bedarfsplan ausgewiesenen Höchstspannungsleitung. Der Bedarfsplan stellt ausdrücklich auf einen "Neubau" und nicht - wie bei den Nr. 10, 22 bis 24 - auf eine "Umrüstung" oder - wie bei den Nr. 7 und 8 - eine "Zubeseilung" ab.

19Das Energieleitungsausbaugesetz ist vorliegend auch anwendbar. Für die Rechtmäßigkeit eines Planfeststellungsbeschlusses kommt es nach ständiger Rechtsprechung auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seines Erlasses an (Beschlüsse vom - BVerwG 4 B 62.08 - NuR 2009, 414 <Rn. 19> m.w.N. und vom - BVerwG 7 VR 2.10 - NuR 2010, 646 <Rn. 21>). Zu diesem Zeitpunkt war das Energieleitungsausbaugesetz bereits in Kraft getreten. Es sieht auch keine Übergangsvorschrift vor, nach der es auf zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens bereits begonnene Verfahren keine Anwendung findet. Anhaltspunkte dafür, dass es insoweit eine planwidrige Lücke aufweist, sind nicht ersichtlich.

20Die Anwendbarkeit des Energieleitungsausbaugesetzes begegnet auch nicht deshalb Bedenken, weil - wie die Antragsteller geltend machen - die Regelung zu Pilotprojekten für Erdverkabelungen in § 2 EnLAG verfassungswidrig ist und die Verfassungswidrigkeit dieser Teilregelung auf das gesamte Gesetz, mithin auch § 1 durchschlägt. Es kann dahinstehen, ob die vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages in einem Gutachten "Gesetzgebungskompetenz für das Energieleitungsausbaugesetz" (Deutscher Bundestag WD 3-451/09) geäußerten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 2 EnLAG durchgreifen. Entgegen der Auffassung der Antragsteller besteht zwischen der Bedarfsfestlegung in § 1 und der Regelung zur Erdverkabelung in § 2 EnLAG kein untrennbarer Regelungszusammenhang. Die Erdverkabelung - die im streitgegenständlichen Planfeststellungsbeschluss ohnehin nicht vorgesehen ist - stellt nur eine technische Variante dar, die von der gesetzlichen Bedarfsfestlegung zu trennen ist.

21Aufgrund der Aufnahme in den Bedarfsplan ist das planfestgestellte Vorhaben gemäß § 1 Abs. 2 EnLAG entsprechend der Zielsetzungen des § 1 EnWG energiewirtschaftlich notwendig. Diese Feststellung ist für die Planfeststellung nach den §§ 43 bis 43d des Energiewirtschaftsgesetzes verbindlich (§ 1 Abs. 2 Satz 3 EnLAG). Gleiches gilt - grundsätzlich - auch für das gerichtliche Verfahren (stRspr, vgl. BVerwG 9 A 14.10 - NuR 2012, 52 <Rn. 15>).

22Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit der Bedarfsplanung für den Neubau Höchstspannungsleitung Lauchstädt-Redwitz, Nennspannung 380 kV, die Grenzen seines gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums überschritten hat, sind nicht ersichtlich. Davon könnte mit der Folge, dass die normative Festlegung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes unbeachtlich ist, nur dann ausgegangen werden, wenn die gesetzliche Bedarfsfeststellung evident sachwidrig wäre (vgl. - NVwZ 1998, 1060). Das ist entgegen der Auffassung der Antragsteller nicht der Fall. Ausweislich der Begründung des Planfeststellungsbeschlusses (S. 193) ist das Vorhaben Teil des deutschen und europäischen Verbundnetzes und dient als nationale Kuppelleitung der Zusammenschaltung des früheren westdeutschen Verbundnetzes und des vormaligen DDR-Verbundnetzes. Bereits seit 2006 ist das Vorhaben auf Unionsebene Bestandteil festgelegter Leitlinien für die transeuropäischen Energienetze.

23Die gesetzliche Bedarfsfeststellung ist auch nicht etwa deshalb evident sachwidrig, weil - wie die Antragsteller unter Berufung auf ein Gutachten von Jarass/Obermair von Oktober 2007 zur "Notwendigkeit der geplanten 380-kVVerbindung Raum Halle-Raum Schweinfurt" sowie eine ergänzende gutachtliche Stellungnahme von Jarass von Dezember 2010 meinen - es ausreichen würde, die bestehende Leitung durch Freileitungsmonitoring und Hochtemperaturseile zu ertüchtigen.

24Nach derzeitigem Erkenntnisstand können Maßnahmen der Netzoptimierung durch Freileitungs- bzw. Temperaturmonitoring und der Netzverstärkung durch den Einsatz von Hochtemperaturseilen den erforderlichen Leitungsneubau für die anstehenden Übertragungsaufgaben nicht ersetzen. Nach den von den Antragsstellern nicht substantiiert in Zweifel gezogenen Angaben der Beigeladenen trifft schon nicht zu, dass die Übertragungsleistung der 380-kV-Bestandsleitung Remptendorf-Redwitz in windstarken Zeiten auf das Doppelte erhöht werden könnte. Abgesehen davon kann durch den Zubau von Stromkreisen im Vergleich zur Verstärkung eines vorhandenen Stromkreises ein Vielfaches an Transportkapazität geschaffen werden (PFB, S. 199). Zudem ist nicht ersichtlich, wie diese Maßnahmen selbst in Teilabschnitten verwirklicht werden sollten, ohne die Leitung jedenfalls teilweise abzuschalten. Überdies ist fraglich, ob die von den Antragstellern angesprochenen Maßnahmen dem Stand der allgemein anerkannten Regeln der Technik (§ 49 Abs. 1 Satz 1 EnWG) entsprechen. Nach den Ausführungen im Planfeststellungsbeschluss befinden sich nahezu alle von Jarass/Obermair benannten Installationsbeispiele für Freileitungsmonitoring in Europa noch im "R&D"-Stadium, d.h. noch im Stadium der Forschung und Entwicklung. Aus dem Hinweis der Antragsteller auf S. 146 f. der dena-Netzstudie II zur "Integration erneuerbarer Energien in die deutsche Stromversorgung im Zeitraum 2015-2020 mit Ausblick 2025" ergibt sich nichts anderes. Die Antragsteller übersehen, dass sich an die von ihnen wiedergegebene Passage ein ausdrücklicher Hinweis darauf anschließt, dass die Zuerkennung des Status "Allgemeinen Regeln der Technik" weiterhin erfordert, dass die entsprechende Technik in der Praxis erprobt und bewährt sein muss.

25Hinsichtlich der Netzverstärkung durch den Einsatz von Hochtemperaturseilen wird in den von den Antragstellern zitierten Quellen, mit denen sich auch der Planfeststellungsbeschluss auseinandersetzt (S. 201 f.), bestimmten Leiterseiltypen von konventionellen Hochtemperaturleitern mit einer Betriebstemperatur bis 150GradC zwar attestiert, dass sie den anerkannten Regeln bzw. dem Stand der Technik entsprechen. Abgesehen davon, dass dies für Hochtemperaturleiter mit Betriebstemperaturen bis über 200GradC nicht gilt (dena-Netzstudie II, S. 127 und 130), lässt auch der Wortlaut des § 12b Abs. 1 Satz 3 Nr. 3b EnWG, nach dem der Netzentwicklungsplan u.a. "den Einsatz von Hochtemperaturseilen als Pilotprojekt mit einer Bewertung ihrer technischen Durchführbarkeit und Wirtschaftlichkeit" enthalten muss, darauf schließen, dass diese Maßnahme in der Praxis noch nicht ausreichend erprobt und bewährt ist. Der Planfeststellungsbeschluss weist auf S. 202 darauf hin, dass langjährige Erfahrungen in Europa und speziell in Deutschland für sämtliche Hochtemperaturseile fehlen und diese nirgendwo als Standardlösung realisiert seien.

26Dem sind die Antragsteller nicht substantiiert entgegengetreten. Aus dem Hinweis auf eine Studie der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH) von November 2011 zur wirtschaftlichen Bewertung des Einsatzes von Hochtemperaturleitern mit geringem Durchhang sowie ein Eckpunktepapier der Bundesnetzagentur zu den Aspekten des sich verändernden Energieversorgungssystems von Dezember 2011 folgt nichts anderes. Die RWTH-Studie befasst sich inhaltlich nur mit der Wirtschaftlichkeit des Einsatzes von Hochtemperaturleitern. In dem Eckpunktepapier der Bundesnetzagentur wird betont, dass mit Blick auf die erforderlichen Kapazitäten allgemein unbestritten sei, dass der Ausbaubedarf auf einigen Strecken so groß sei, dass Maßnahmen zur Kapazitätssteigerung bestehender Leitungen (z.B. Leiterseilmonitoring) bei Weitem nicht ausreichten (S. 16). Der zusätzlich benötigte Bedarf an Übertragungskapazität sei sehr groß, so dass Maßnahmen zur technischen Aufrüstung bestehender Leitungsabschnitte nicht ausreichten, um konventionellen Ausbau in größerem Umfang zu vermeiden (S. 17).

27Die gesetzliche Bedarfsfeststellung erweist sich auch nicht deshalb als evident sachwidrig, weil das Vorhaben im Widerspruch zu den aus § 11 Abs. 1 Satz 1 EnWG, § 9 Abs. 3 EEG 2012 folgenden Anforderungen steht. Nach diesen Vorschriften sind Betreiber von Energieversorgungsunternehmen verpflichtet, ein sicheres, zuverlässiges und leistungsfähiges Energieversorgungsnetz diskriminierungsfrei zu betreiben, zu warten und bedarfsgerecht zu optimieren, zu verstärken und auszubauen, soweit es wirtschaftlich zumutbar ist. Diesen Vorschriften kann ein genereller Vorrang des Optimierens oder Verstärkens einer bestehenden Hochspannungsleitung vor einem Neubau nicht entnommen werden. Denn der Bedarfsplan zum Energieleitungsausbaugesetz modifiziert jedenfalls mit seiner ausdrücklichen Differenzierung zwischen dem Neubau und der Umrüstung von Höchstspannungsleitungen eine anderweitig bestehende gesetzliche Stufenregelung. Auch aus der dort normierten Grenze der wirtschaftlichen Zumutbarkeit ergeben sich keine Zweifel an der gesetzlichen Bedarfsfeststellung. Soweit diese Grenze eine Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes darstellt (vgl. zu § 4 Abs. 2 EEG BTDrucks 15/2327, S. 24 f.), spricht alles dafür, dass sie nur den Netzbetreiber schützt. Falls die Zumutbarkeit, wie die Antragsteller wegen der Überwälzbarkeit der Kosten, auf die die Stromverbraucher meinen, einen volkswirtschaftlichen Bezug hat, spricht dies umso mehr für einen weiten gesetzgeberischen Einschätzungsspielraum, für dessen Überschreitung nichts dargetan ist.

28d) Der Planfeststellungsbeschluss leidet bei summarischer Prüfung auch nicht an Abwägungsfehlern (vgl. § 43 Satz 3 EnWG), die der Klage der Antragsteller und damit auch dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zum Erfolg verhelfen.

29aa) Hinsichtlich der Abschnittsbildung, die eine richterrechtliche Ausprägung des Abwägungsgebots darstellt ( BVerwG 4 NB 21.92 - Buchholz 406.11 § 9 BBauG/BauBG Nr. 55), ist ein Abwägungsfehler nicht erkennbar. Die Zulässigkeit einer planungsrechtlichen Abschnittsbildung ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich anerkannt. Ihr liegt die Erwägung zugrunde, dass angesichts vielfältiger Schwierigkeiten, die mit einer detaillierten Streckenplanung verbunden sind, die Planfeststellungsbehörde ein planerisches Gesamtkonzept häufig nur in Teilabschnitten verwirklichen kann. Dritte haben deshalb grundsätzlich kein Recht darauf, dass über die Zulassung eines Vorhabens insgesamt, vollständig und abschließend in einem einzigen Bescheid entschieden wird. Jedoch kann eine Abschnittsbildung Dritte in ihren Rechten verletzen, wenn sie deren durch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleisteten Rechtsschutz faktisch unmöglich macht oder dazu führt, dass die abschnittsweise Planfeststellung dem Grundsatz umfassender Problembewältigung nicht gerecht werden kann, oder wenn ein dadurch gebildeter Streckenabschnitt der eigenen sachlichen Rechtfertigung vor dem Hintergrund der Gesamtplanung entbehrt ( BVerwG 11 A 64.95 - Buchholz 442.09 § 30 AEG Nr. 7). Zudem dürfen nach einer summarischer Prüfung der Verwirklichung des Gesamtvorhabens auch im weiteren Verlauf keine von vornherein unüberwindlichen Hindernisse entgegenstehen ( BVerwG 9 A 64.07 - BVerwGE 134, 308 = Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 203; Beschluss vom a.a.O. juris <Rn. 27>).

30Hieran gemessen begegnet die Abschnittsbildung keinen Bedenken. Die Planfeststellungsbehörde erachtet sie insbesondere deshalb für sachgerecht, weil das gesamte Neubauvorhaben im Gebiet von drei Bundesländern verläuft. Diese Erwägung ist nicht zu beanstanden. Auch wenn eine länderübergreifende Abschnittsbildung, wie der erste Abschnitt von Lauchstädt bis Vieselbach belegt, nicht ausgeschlossen ist, liegt im Interesse einer effizienten Verfahrensgestaltung die Bildung eines nur ein Bundesland berührenden Planfeststellungsabschnitts nahe. Ohne Erfolg wenden die Antragsteller ein, dass dem Abschnitt Vieselbach-Altenfeld eine eigenständige energiewirtschaftliche Bedeutung nicht zukomme und die Realisierbarkeit des Folgeabschnitts, der die Querung des Rennsteigs zum Gegenstand hat, völlig ungesichert sei. Denn nach der landesplanerischen Beurteilung vom März 2011 ist die Weiterführung des Gesamtvorhabens im Abschnitt Altenfeld-Redwitz in Umsetzung der dort genannten Trassenvariante mit den Erfordernissen der Raumordnung vereinbar. Schließlich verbliebe der Abschnitt Vieselbach-Altenfeld selbst bei fehlender Weiterführung nicht ohne jegliche sinnvolle energiewirtschaftliche Funktion. Denn mit dem Vorhaben werden sowohl das Pumpspeicherkraftwerk Goldisthal als auch das Umspannwerk Altenfeld besser im Netz eingebunden, wodurch Mängeln im dortigen Netzbereich abgeholfen wird (PFB, S. 212 f.). Dass diese energiewirtschaftliche Aufgabe nicht an den gleichen Maßstäben zu messen ist wie das Gesamtvorhaben, versteht sich von selbst. Weiterhin offenbleiben kann im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes demnach die Frage, ob für den Neubau von Hochspannungsleitungen überhaupt gefordert werden kann, dass dem jeweiligen Planungsabschnitt eine selbstständige Funktion zukommt (vgl. Beschluss vom a.a.O. Rn. 28).

31bb) Die Planfeststellungsbehörde hat die Belange der Antragstellerin zu 1, soweit sie überhaupt abwägungserheblich sind, mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Abwägung eingestellt. Die Antragstellerin zu 1 macht eine Verletzung ihres Selbstverwaltungsrechts geltend, weil die Wirtschaftsstruktur und die Leistungsfähigkeit der in Übereinstimmung mit den Festsetzungen im Regionalplan maßgeblich durch den Tourismus geprägten Gemeinde beeinträchtigt würden. Blieben die Gäste wegen der in exponierter Lage und im Bereich von Wanderwegen geplanten Masten und Leitungen sowie der negativen Auswirkungen elektrischer und magnetischer Felder insbesondere auf die Träger von Herzschrittmachern aus, könnten auch die für den Status als "staatlich anerkannter Erholungsort" erforderlichen Qualitätsstandards nicht mehr erhalten werden.

32Dieses Vorbringen lässt bereits außer Acht, dass eine Gemeinde nicht befugt ist, die allgemeinen Auswirkungen eines Vorhabens auf die gemeindliche Wirtschaftsstruktur als eigene Rechtsbeeinträchtigung geltend zu machen. Denn die Wirtschaftsstruktur einer Gemeinde wird von vielfältigen Faktoren bestimmt und beeinflusst, die jedoch nicht sämtliche speziell dem Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde zugeordnet sind ( BVerwG 4 C 14.95 - Buchholz 11 Art. 28 GG Nr. 107 S. 29, juris <Rn. 15>). Es ist zwar nicht auszuschließen, dass durch Auswirkungen eines Vorhabens der Fachplanung die Leistungsfähigkeit einer durch Fremdenverkehr geprägten Gemeinde so massiv und nachhaltig verschlechtert wird, dass eine Verletzung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts als eines abwägungserheblichen Belangs in Betracht zu ziehen wäre ( BVerwG 4 A 47.96 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 148 S. 11, juris <Rn. 41>). Es ist jedoch nichts dafür dargetan, dass das Vorhaben der Beigeladenen in derart nachteiliger Weise auf das Gemeindegebiet der Antragstellerin zu 1 einwirkt; denn dieses ist lediglich in einem Randbereich und damit in untergeordnetem Umfang betroffen. Die Planfeststellungsbehörde weist zutreffend darauf hin, dass es keine Erkenntnisse gibt, wonach es allein wegen der Sichtbarkeit und der örtlichen Präsenz von nur einer Hochspannungsfreileitung zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Tourismus kommt (PFB, S. 418 f.).

33cc) Der Frage, ob es infolge der Kreuzung der geplanten Hochspannungsfreileitung mit Wanderwegen zu einer Existenzgefährdung der vom Antragsteller zu 2 betriebenen Gaststätte "R." kommen wird, die nach seinem Vorbringen wiederum ausschließlich von Wanderern erreicht und frequentiert wird, muss nicht weiter nachgegangen werden. Der Antragsteller zu 2 ist mit diesem Einwand gemäß § 43a Nr. 6 EnWG i.V.m. § 73 Abs. 4 VwVfG ausgeschlossen. Mit Schreiben vom hat er zwar Einwendungen erhoben, die eine Betroffenheit seiner Gaststätte jedoch nicht zum Gegenstand haben; ob er darüber hinaus zu diesem Zeitpunkt überhaupt zur Erhebung von Einwendungen berechtigt war - nach derzeitigem Erkenntnisstand war seine Mutter damals noch Eigentümerin der Gastwirtschaft -, kann daher dahinstehen. Ebenso wenig Substantielles im Zusammenhang mit einer Existenzgefährdung der Gaststätte ist den Einwendungen in den Schriftsätzen der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers zu 2 vom und zu entnehmen, die diese zum Teil noch im Auftrag seiner Mutter erhoben haben.

Fundstelle(n):
HAAAE-11859