Oberfinanzdirektion Münster - S 6200 - 35 - St 23 - 35

Kraftfahrzeugsteuer;
Besteuerungsverfahren im Insolvenzverfahren

Bezug: BStBl II 2011, 944BStBl II 2012, 149

In Ergänzung zu den o. g. Verfügungen (insbesondere der Verfügung vom ) wird auf folgendes hingewiesen:

Mit , und , hat der Bundesfinanzhof (BFH) über die Steuerschuldnerschaft im Insolvenzverfahren in Fällen von nach § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO unpfändbaren Fahrzeugen entschieden. Die Urteile sind im Bundessteuerblatt veröffentlicht und damit allgemein anzuwenden.

In den vorstehenden Urteilen hat der BFH entschieden, dass eine nach Insolvenzeröffnung begründete Kraftfahrzeugsteuer (KraftSt) eine Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist, wenn das Fahrzeug, für dessen Halten die KraftSt geschuldet wird, Teil der Insolvenzmasse ist. Mit diesen Entscheidungen hat der BFH seine bisherige Rechtsprechung teilweise aufgegeben; insbesondere teilt der BFH nicht mehr die im , vertretene Auffassung, dass die Rechtsposition als Halter eines Kraftfahrzeugs als solche zur Insolvenzmasse gehört. Die o. a. BFH-Urteile haben nicht nur Auswirkungen auf die Besteuerung der in diesen Entscheidungen behandelten unpfändbaren Fahrzeuge, sondern haben generelle Auswirkungen auf die Behandlung der KraftSt im Insolvenzverfahren.

Unter Berücksichtigung der o. g. Urteile des BFH, gebe ich – vorbehaltlich zukünftiger Regelungen des Bundesministeriums der Finanzen – folgende Hinweise zur Rechtslage:

Die KraftSt ist dann gegen die Insolvenzmasse festzusetzen, wenn ein Fahrzeug ein Massegegenstand im Sinne des § 35 InsO ist. Denn in diesem Fall wird die KraftSt durch die Verwaltung der Insolvenzmasse begründet (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Für die Frage, ob die Kraftfahrzeugsteuerforderung gegen die Insolvenzmasse oder das insolvenzfreie Vermögen zu richten ist, ist daher zunächst zu entscheiden, ob das jeweilige Fahrzeug Massegegenstand ist, also zur Insolvenzmasse gehört.

Nicht zur Insolvenzmasse gehören:

  1. Unpfändbare Fahrzeuge nach § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO, also Fahrzeuge, die der Schuldner zur Fortsetzung seiner Erwerbstätigkeit benötigt;

  2. unpfändbare Fahrzeuge nach § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO, also Fahrzeuge, die der Schuldner aufgrund körperlicher Gebrechen benötigt (vgl. );

  3. vor Insolvenzeröffnung veräußerte Fahrzeuge. Das , (dort: Fahrzeug wurde vor Insolvenzeröffnung veräußert, die Kraftfahrzeugsteuerpflicht des insolventen Schuldners bestand mangels verkehrsrechtlicher Veräußerungsanzeige fort) ist durch o. a. BFH-Rechtsprechung überholt;

  4. geleaste oder gemietete Fahrzeuge. Diese Fahrzeuge gehören zivilrechtlich einem Dritten und sind demzufolge kein Bestandteil der Insolvenzmasse. Die und sind insoweit überholt. Eine Kraftfahrzeugsteuerpflicht der Insolvenzmasse kann sich aber dennoch (aus § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO) ergeben, wenn der Insolvenzverwalter in die Miet-/Leasingverträge eintritt (siehe unten).

Das Halten vorgenannter Fahrzeuge löst mangels Massezugehörigkeit keine Kraftfahrzeugsteuerpflicht der Insolvenzmasse gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO aus. Der Insolvenzschuldner ist weiterhin als Steuerpflichtiger anzusehen mit der Folge, dass Kraftfahrzeugsteuerbescheide an ihn zu richten sind.

Alle anderen Fahrzeuge gehören bei Verfahrenseröffnung zur Insolvenzmasse und lösen demzufolge eine Kraftfahrzeugsteuerpflicht der Insolvenzmasse aus. Die Kraftfahrzeugsteuerpflicht endet mit dem Ausscheiden des Fahrzeugs aus der Insolvenzmasse. Dabei gilt Folgendes:

  1. Mit der wirksamen Freigabe einzelner Fahrzeuge aus dem Insolvenzbeschlag scheiden diese aus der Insolvenzmasse aus. Die Fahrzeuge unterliegen in diesem Fall nicht mehr der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters, so dass die Kraftfahrzeugsteuerpflicht der Insolvenzmasse endet und keine Masseverbindlichkeiten mehr begründet werden (vgl. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Die bisherige Rechtsprechung des BFH (z. B. ) ist insoweit überholt. Von der Freigabe einzelner Fahrzeuge zu unterscheiden ist die Freigabe der selbständigen Tätigkeit gemäß § 35 Abs. 2 InsO. Diese Freigabe nach § 35 Abs. 2 InsO hat regelmäßig keine Auswirkungen auf die Massezugehörigkeit eines im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung vorhandenen Fahrzeugs. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das , BStBl 2012 II, 149 verwiesen.

  2. Bei der Veräußerung eines zuvor zur Insolvenzmasse gehörenden Fahrzeugs endet die Kraftfahrzeugsteuerpflicht im Zeitpunkt der zivilrechtlichen Wirksamkeit der Veräußerung – unabhängig von der Vorlage einer verkehrsrechtlich vorgeschriebenen Veräußerungsanzeige (§ 13 Abs. 4 FZV). Denn auch ohne verkehrsrechtliche Veräußerungsanzeige scheiden Fahrzeuge mit deren zivilrechtlich wirksamen Veräußerung aus der Masse aus, so dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters endet. Das Kraftfahrzeugsteuerrecht, welches in § 5 Abs. 5 KraftStG eine Beendigung der Kraftfahrzeugsteuerpflicht erst bei Eingang der verkehrsrechtlich vorgeschriebenen Veräußerungsanzeige bei der Zulassungsbehörde vorsieht, tritt insoweit hinter die insolvenzrechtlichen Spezialvorschriften zurück.

  3. Mit Absonderungsrechten belastete Fahrzeuge (insbesondere gepfändete und sicherungsübereignete Fahrzeuge, vgl. §§ 50, 51 InsO) stellen einen Massegegenstand dar. Dies gilt auch im Verbraucherinsolvenzverfahren (das Verwertungsrecht des Gläubigers nach § 313 Abs. 3 Satz 2 InsO im Verbraucherinsolvenzverfahren ändert nichts an der Massezugehörigkeit, vgl. ). Die Kraftfahrzeugsteuerpflicht der Masse endet entweder im Zeitpunkt der Veräußerung (siehe oben, Nr. 2) oder im Zeitpunkt der Übernahme des Fahrzeugs durch den Gläubiger gemäß § 168 InsO.

Neben den vorstehend aufgeführten massezugehörigen Fahrzeugen, bei denen sich eine Kraftfahrzeugsteuerpflicht der Insolvenzmasse aus § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO ergibt, kann eine Kraftfahrzeugsteuerpflicht der Insolvenzmasse auch begründet werden aus gegenseitigen Verträgen, soweit deren Erfüllung zur Insolvenzmasse verlangt wird oder für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Betroffen hiervon sind die nicht der Insolvenzmasse zugehörigen gemieteten und geleasten Fahrzeuge, bei denen der Insolvenzverwalter gemäß § 103 InsO in die Miet-/Leasingverträge eintritt. Lehnt der Verwalter dagegen die Erfüllung der Miet-/Leasingverträge ab, so ist eine Kraftfahrzeugsteuerpflicht der Insolvenzmasse nicht gegeben.

Weitergehende Weisungen sind vom BMF für den Spätsommer 2012 angekündigt worden.

Die Aktualisierung des Arbeitspapiers zur Bearbeitung von Insolvenzfällen in den KFSTen wird bis dahin zurückgestellt.

Die Rechtsauffassung des BFH ist vom Finanzgericht Düsseldorf in 2 und bestätigt worden.

Auszug aus den genannten Urteilen des FG Düsseldorf:

Entscheidungsgründe

„Die Klage ist begründet. Die angefochtene Kraftfahrzeugsteuerfestsetzung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Eine Rechtsgrundlage für diese Steuerfestsetzung fehlt, nachdem der Kläger mit Schreiben vom erklärt hat, er gebe das Kraftfahrzeug des Insolvenzschuldners aus dem Insolvenzbeschlag frei. Mit der Freigabe entfällt die Zuordnung des Fahrzeugs zur Insolvenzmasse und es gehört wieder zum insolvenzfreien Schuldnervermögen. Weitere Folge dieser rechtlichen Zuordnung ist nach der neuen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, dass die Kraftfahrzeugsteuerforderung für das nicht zur Insolvenzmasse gehörende Fahrzeug gegen den (Insolvenz-)Schuldner festzusetzen ist. Das Gericht verweist insoweit auf die Ausführungen des Bundesfinanzhofs in seinem den Beteiligten bekannten (II R 54/10, BStBl. 2012, 149), dort insbesondere Tz. 9, 14–17, denen es sich anschließt”.

Oberfinanzdirektion Münster v. - S 6200 - 35 - St 23 - 35

Fundstelle(n):
VAAAE-11850