Variable Vergütung - Vertragsauslegung - Betriebsübergang
Gesetze: § 133 BGB, § 157 BGB, § 613a Abs 1 S 1 BGB
Instanzenzug: Az: 4 Ca 159/09 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamburg Az: 2 Sa 29/10 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Zahlung einer variablen Vergütung für das Jahr 2008.
2Der Kläger ist nach einem Betriebsteilübergang seit dem als Objektverwalter gegen eine monatliche Bruttovergütung von zuletzt 3.043,00 Euro für die Beklagte tätig. Sein Arbeitsverhältnis bestand seit 1992 zunächst mit der F-AG und nach einem Wechsel innerhalb des A-Konzerns seit 1996 mit der A Lebensversicherungs-AG.
Der Arbeitsvertrag mit der A Lebensversicherungs-/ lautet auszugsweise:
4Nach § 6 des Vertrags erhält der Kläger zusätzliche betriebliche Leistungen „nach der Arbeitsordnung und den Richtlinien der Gesellschaft“.
Das Arbeitsverhältnis ging 2002 durch Betriebsübergang auf die A Immobilien GmbH über. In einer Gesamtzusage der A Immobilien GmbH vom zu den Wechselbedingungen heißt es ua.:
6Zum trat bei der A Lebensversicherungs-AG eine Gesamtbetriebsvereinbarung über eine variable Vergütung vom (GBV) in Kraft. Diese war bis zum befristet, eine Nachwirkung war ausgeschlossen. Der variable Vergütungsanteil betrug danach mindestens 0,5 und maximal 0,96 Monatsgehälter abhängig vom Grad der Erreichung der Ziele eines OE-Verbunds, bestehend aus der Sachgruppe Deutschland, der A Lebensversicherungs-AG und der A Private Krankenversicherungs-AG. Ziff. 9 (2) der GBV sah die Ablösung und Ersetzung der betrieblichen Gratifikation, die bisher nach den betrieblichen Richtlinien gezahlt wurde, sowie der Erfolgsbeteiligung gemäß Gesamtbetriebsvereinbarung, gültig ab , vor. Durch Nachträge wurde die befristete Geltung der GBV für die Jahre 2007 und 2008 vereinbart.
7Die A Immobilien GmbH sagte im Wege einer Ergänzung ihrer Gesamtzusage zu den Wechselbedingungen die entsprechende Anwendung der GBV für das Jahr 2006 zu; auch die befristeten Verlängerungen der GBV für die Jahre 2007 und 2008 vollzog sie durch weitere Ergänzungen der Gesamtzusage vom und vom nach. Die A Immobilien GmbH zahlte im Jahr 2008 entsprechend der Regelung innerhalb der A Group eine variable Vergütung in Höhe von 70 % eines Monatsgehalts, die Beklagte hat keine variable Vergütung gezahlt.
8Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe einen vertraglichen Anspruch auf Zahlung der variablen Vergütung, den die Beklagte nach dem Betriebsübergang zu erfüllen habe.
Der Kläger hat beantragt,
10Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die bei der A Lebensversicherungs-AG vereinbarte GBV habe das vorherige Vergütungssystem abgelöst. Eine variable Vergütung sei jeweils nur für ein Jahr vereinbart und auch von der A Immobilien GmbH nur jährlich zugesagt worden. Zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs auf die Beklagte sei allein die Zusage für das Jahr 2007 Vertragsbestandteil gewesen; die nach dem Betriebsübergang erteilte Zusage für das Jahr 2008 sei nicht (mehr) Inhalt des Arbeitsverhältnisses geworden.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Gründe
12Die Revision ist begründet. Der Kläger hat einen vertraglichen Anspruch auf Gratifikationen nach den bei der A Lebensversicherungs-AG geltenden Richtlinien erworben (unter I). Nach Ersetzung der Richtlinien durch die GBV ist dieser Anspruch auf die nunmehr bei der A Lebensversicherungs-AG im jeweiligen Kalenderjahr gezahlte variable Vergütung gerichtet; der Kläger hat deshalb für das Jahr 2008 einen vertraglichen Anspruch auf variable Vergütung wie bei der A Lebensversicherungs-AG (unter II). Nach Übergang seines Arbeitsverhältnisses durch Betriebsübergang muss die Beklagte diesen Anspruch nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB erfüllen (unter III).
13I. Der Kläger hat nach § 3 Ziff. 2, § 6 seines Arbeitsvertrags einen vertraglichen Anspruch auf Gratifikationen und sonstige zusätzliche Leistungen.
141. Nach § 3 Ziff. 2 seines mit der A Lebensversicherungs-AG geschlossenen Arbeitsvertrags erhält der Kläger für seine Tätigkeit eine Frühjahrs- und Weihnachtsgratifikation „entsprechend den Richtlinien der Gesellschaft“ und nach § 6 des Vertrags zusätzliche betriebliche Leistungen „nach der Arbeitsordnung und den Richtlinien der Gesellschaft“.
15a) Das Landesarbeitsgericht hat den Arbeitsvertrag nicht dahingehend ausgelegt, ob und in welchem Umfang dadurch vertragliche Ansprüche auf die Leistungen begründet worden sind. Der Senat kann die unterbliebene Vertragsauslegung selbst uneingeschränkt vornehmen. Die maßgeblichen Tatsachen sind festgestellt und eine ergänzende Tatsachenfeststellung ist nicht zu erwarten. Der Arbeitsvertrag enthält nach Form und Inhalt typische Erklärungen, die erkennbar in einer Vielzahl anderer Arbeitsverträge abgegeben wurden und keine individuellen Besonderheiten aufweisen.
16b) Typische Willenserklärungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden ( - Rn. 26, NZA 2012, 499). Ansatzpunkt für die nicht am Willen der konkreten Vertragspartner zu orientierende Auslegung ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist der Wortlaut eines Formularvertrags nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus der Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist, wobei der Vertragswille verständiger und redlicher Vertragspartner beachtet werden muss ( - Rn. 17, EzA GewO § 106 Nr. 8; - 10 AZR 738/09 - Rn. 13, AP BGB § 307 Nr. 50 = EzA GewO § 106 Nr. 7).
17c) Nach § 3 Ziff. 2 des Arbeitsvertrags „erhält“ der Kläger für seine Tätigkeit eine Frühjahrs- und eine Weihnachtsgratifikation. Nach dem Wortlaut der Bestimmung wird ein Anspruch begründet. Dies bestätigt die Systematik des Vertrags. Die zugesagten Gratifikationen sind Teil der in § 3 geregelten „Bezüge“. Für seine Tätigkeit erhält der Kläger nach § 3 Ziff. 1 des Vertrags ein Tarifgehalt und nach § 3 Ziff. 2 eine Frühjahrs- und Weihnachtsgratifikation. Aus Sicht verständiger und redlicher Vertragspartner sind damit das Tarifgehalt und dem Grunde nach die bezeichneten Gratifikationen vertraglich zugesagt. Dass der Vertrag ihre Höhe nicht festlegt, sondern auf „Richtlinien der Gesellschaft“ verweist, steht dem nicht entgegen. In diesen Richtlinien waren die zusätzlichen Leistungen der A Lebensversicherungs-AG und damit die „Vergütungsordnung“ der Gesellschaft geregelt. Die Zusage der Zahlung von Gratifikationen und die Verweisung auf Richtlinien der Gesellschaft kann aus Sicht verständiger Vertragspartner nur so verstanden werden, dass der Arbeitnehmer einen vertraglichen Anspruch auf Gratifikationen und sonstige Leistungen hat, wie sie in der Gesellschaft jeweils gezahlt werden.
182. In diese Verpflichtung ist im Jahr 2002 die A Immobilien GmbH nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB eingetreten. Die im Vorfeld dieses ersten Betriebsübergangs erteilte „Gesamtzusage zu den Wechselbedingungen“ und der darin formulierte Änderungsvorbehalt bei Einführung neuer Vergütungssysteme konnte diese Vertragslage nicht zum Nachteil des Klägers verändern; tatsächlich bestätigt sie die damalige Vertragslage, da die Höhe der betrieblichen Frühjahrs- und Weihnachtsgratifikation sich entsprechend den Richtlinien der A Lebensversicherungs-AG berechnen sollte.
19II. Der vertragliche Anspruch auf Zahlung von Gratifikationen ist nicht dadurch entfallen, dass die Richtlinien der A Lebensversicherungs-AG durch die GBV abgelöst wurden und in dieser eine variable Vergütung (zunächst) nur befristet für das Jahr 2006 vereinbart wurde. Der vertragliche Anspruch des Klägers ist nunmehr auf die variable Vergütung gerichtet, die im jeweiligen Kalenderjahr bei der A Lebensversicherungs-AG gezahlt wird. Dies ergibt die ergänzende Auslegung des Arbeitsvertrags des Klägers.
201. Der Arbeitsvertrag enthält bezüglich der zugesagten Gratifikationen nur eine zeitdynamische Verweisung auf Richtlinien der Gesellschaft, nicht aber eine inhaltsdynamische Verweisung auf ablösende kollektive Betriebsvereinbarungen. Als kollektives Instrument der Gestaltung der Arbeitsbedingungen ist die GBV keine „Richtlinie“ im Sinne des Arbeitsvertrags. Mit Entfall und Ablösung der Richtlinien durch die GBV entstand eine nachträgliche Regelungslücke im Arbeitsvertrag; die statische Weitergeltung abgelöster Richtlinien hätte nicht dem Zweck der vereinbarten zeitdynamischen Bezugnahme auf diese Richtlinien entsprochen.
212. Die nachträgliche Regelungslücke ist im Wege ergänzender Vertragsauslegung zu schließen. Im Bereich der Allgemeinen Geschäftsbedingungen orientiert sich diese an einem objektiv-generalisierenden, am Willen und Interesse der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise ausgerichteten Maßstab. Die Vertragsergänzung muss für den betroffenen Vertragstyp eine allgemeine Lösung zur Verfügung stellen, welche die Parteien bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien vereinbart hätten, wenn ihnen die Unvollständigkeit ihrer Regelung bekannt gewesen wäre (vgl. für den Fall einer Tarifsukzession: - Rn. 23 ff.; - 10 AZR 831/09 - Rn. 21, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 88).
223. Aus der dynamischen Bezugnahme auf Richtlinien der Gesellschaft lässt sich auf den Willen der Parteien schließen, auch das nachfolgende Regelwerk der A Lebensversicherungs-AG vertraglich in Bezug zu nehmen, das als neue „Vergütungsordnung“ für die zusätzlichen Leistungen an die Stelle der Richtlinien tritt. Die mit der GBV verbundene Änderung der „Vergütungsordnung“ der Gesellschaft wirkte deshalb auf den Arbeitsvertrag wie eine grundlegende inhaltliche Änderung der in Bezug genommenen Richtlinien; der vertragliche Anspruch des Klägers ist nunmehr auf die nach der „neuen Vergütungsordnung“ durch die jeweilige GBV bestimmte variable Vergütung gerichtet. Entgegen der Auffassung der Beklagten und der Vorinstanzen folgt aus der Ablösung deshalb nicht, dass der vertragliche Anspruch des Klägers durch die Ergänzungen der Gesamtzusage seitens der A Immobilien GmbH jährlich neu und nur befristet entstand.
234. Die wiederholte Mitteilung der A Immobilien GmbH in den ergänzenden Gesamtzusagen vom und , die entsprechende Anwendung der GBV ende mit Ablauf des jeweiligen Geschäftsjahres und es bestehe kein automatischer Gleichlauf mit eventuellen Nachfolgeregelungen bei der A Lebensversicherungs-AG, entsprach damit nicht der Vertragslage des Klägers. Dass der Kläger ein in diesen Schreiben liegendes Angebot auf Änderung seines Arbeitsvertrags angenommen hat, ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich; das Schweigen gegenüber einem Angebot auf Verschlechterung eines Vertrags stellt keine Annahme eines solchen Angebots dar ( - Rn. 27, AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 87 = EZA BGB 2002 § 242 Betriebliche Übung Nr. 11).
24III. Die Beklagte ist nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB in die vertraglichen Pflichten der A Immobilien GmbH eingetreten und deshalb verpflichtet, dem Kläger für das Jahr 2008 eine variable Vergütung in der Höhe zu zahlen, wie sie bei der A Lebensversicherungs-AG in diesem Jahr gezahlt wurde. Zwar kann bei Tantieme- oder sonstigen Gewinnbeteiligungsabsprachen Anpassungsbedarf nach den Regeln ergänzender Vertragsauslegung bestehen, wenn die Kennziffern, die Bemessungsgrundlage für die Tantieme sind, beim Betriebserwerber nicht mehr gegeben sind. Bei der im Jahr 2008 bei der A Lebensversicherungs-AG durch GBV festgelegten variablen Vergütung in Höhe von 0,7 Monatsgehältern ist ein solcher Anpassungsbedarf aber nicht vorhanden.
IV. Die Zinsentscheidung folgt aus § 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 288 Abs. 1 BGB. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Fundstelle(n):
BB 2012 S. 1728 Nr. 27
DStR 2012 S. 10 Nr. 32
WAAAE-11666