BAG Urteil v. - 5 AZR 231/11 (F)

Instanzenzug: ArbG Hanau Az: 1 Ca 247/07 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 20 Sa 1735/07 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über eine tarifliche Leistungszulage.

Die Klägerin war bei der W GmbH & Co. KG (frühere Beklagte, Berufungsklägerin und Revisionsbeklagte, im Folgenden nur: Schuldnerin), einem Unternehmen der Elektroindustrie, beschäftigt. Sie ist Mitglied der IG-Metall. Im Arbeitsvertrag vereinbarten die Klägerin und die Schuldnerin ua.:

3Die Schuldnerin war (Voll-)Mitglied des Arbeitgeberverbands der Hessischen Metallindustrie, bis sie im Juni 2003 in eine OT-Mitgliedschaft wechselte. Zu diesem Zeitpunkt betrug das tarifliche Grundgehalt in der Lohngruppe 2 1.510,32 Euro brutto. Die Schuldnerin zahlte der Klägerin monatlich 1.632,15 Euro brutto.

§ 7 des Lohnrahmentarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Landes Hessen vom (LRTV) sieht für Zeitlöhner Leistungszulagen vor und bestimmt ua.:

In § 7 Ziff. 5 LRTV geben die Tarifvertragsparteien Bewertungsmerkmale für die Beurteilung der persönlichen Leistung vor. Ferner kann der Arbeitgeber zwischen einer summarischen und einer analytischen Leistungsbeurteilung wählen, wobei die summarische Beurteilung durch eine globale Beurteilung der Leistung unter Beachtung der von den Tarifvertragsparteien vorgegebenen Bewertungsmerkmale und die Festlegung des Verfahrens hierfür nach beratender Mitwirkung des Betriebsrats durch den Arbeitgeber erfolgt (§ 7 Ziff. 7 LRTV). Bei einer analytischen Beurteilung der Leistung bedarf es einer - ergänzenden - Betriebsvereinbarung (§ 7 Ziff. 8 LRTV), bei Nichteinigung sind die Tarifvertragsparteien hinzuziehen. Außerdem bestimmt § 7 LRTV:

In den gemeinsamen Erläuterungen zu § 7 LRTV heißt es zu § 7 Ziff. 3 Abs. 1:

7Im Betrieb der Schuldnerin bestand ein Betriebsrat. Eine beratende Mitwirkung gem. § 7 Ziff. 7 LRTV fand nicht statt, eine Betriebsvereinbarung gem. § 7 Ziff. 8 LRTV wurde nicht geschlossen. Ebenso wenig erfolgten Leistungsbeurteilungen.

8Nach erfolgloser Geltendmachung hat die Klägerin mit der am eingereichten und mit Schriftsatz vom ermäßigten Klage eine Leistungszulage gem. § 7 LRTV für den Zeitraum September 2006 bis Juni 2007 verlangt und die Auffassung vertreten, die tarifliche Leistungszulage betrage (mindestens) 13 % des tariflichen Grundlohns, wenn der Arbeitgeber die tariflich vorgeschriebene Leistungsbeurteilung nicht vornehme. Dies ergebe sich zumindest aus § 315 BGB. Jedenfalls stehe ihr wegen der unterlassenen Leistungsbeurteilung ein Schadensersatzanspruch in Höhe des geltend gemachten Erfüllungsanspruchs zu.

Die Klägerin hat in den Tatsacheninstanzen zuletzt beantragt,

10Die Schuldnerin hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, den Anspruch auf Zahlung einer tariflichen Leistungszulage durch eine übertarifliche Vergütung erfüllt zu haben. § 315 BGB könne nicht angewendet werden, weil die Tarifvertragsparteien die Höhe der Leistungszulage nicht in das billige Ermessen des Arbeitgebers gestellt hätten. Ein Schadensersatzanspruch scheitere am Fehlen einer Pflichtverletzung.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Schuldnerin die Klage abgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision hat die Klägerin zunächst die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils begehrt. Nachdem am über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, hat die Klägerin mit Schriftsatz vom das Verfahren gegen die Insolvenzverwalterin aufgenommen und beantragt nunmehr die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils mit der Maßgabe, die ausgeurteilte Forderung nebst Zinsen zur Insolvenztabelle festzustellen.

Gründe

12Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine tarifliche Leistungszulage in bestimmbarer Höhe. Ob ihr die Klageforderung als Schadensersatz zusteht, kann der Senat nicht feststellen, § 181 InsO.

13I. Die Klage auf Feststellung der auf den Anspruchsgrund „tarifliche Leistungszulage“ gestützten Forderung nebst Zinsen ist zulässig, aber unbegründet.

141. Wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin kann die Klägerin nicht mehr wie in den Vorinstanzen Zahlung an sich verlangen. Die streitgegenständliche Forderung ist keine Masseverbindlichkeit (§ 55 InsO), sondern eine Insolvenzforderung, die nach § 174 InsO zur Tabelle anzumelden ist. Im Falle des Bestreitens der Forderung muss die Feststellung gegen den Bestreitenden betrieben werden, § 179 Abs. 1 InsO. Bei Anhängigkeit eines Rechtsstreits zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt dies durch die Aufnahme des Rechtsstreits, § 180 Abs. 2 InsO.

15Die Klägerin hat nach ihrem unbestrittenen Sachvortrag und den mit dem Wiederaufnahmeschriftsatz vorgelegten Unterlagen eine als „tarifliche Leistungszulage“ bezeichnete Forderung zur Insolvenztabelle angemeldet. Dass dabei die Hauptforderung höher beziffert ist als im unterbrochenen und wieder aufgenommenen Rechtsstreit verlangt, ist unschädlich (vgl.  - NZA-RR 2004, 317; Uhlenbruck/Sinz 13. Aufl. § 181 InsO Rn. 11 mwN; zu § 146 Abs. 4 KO ebenso  - zu I der Gründe, BGHZ 103, 1). Die Forderung ist von der Insolvenzverwalterin bestritten worden.

162. Die Klage ist unbegründet. Die Höhe der Leistungszulage ist wegen der von der Schuldnerin nicht vorgenommenen Leistungsbeurteilung nicht bestimmbar.

17a) Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der LRTV Anwendung, § 3 Abs. 1 und Abs. 3, § 4 Abs. 1 TVG. Dass die Nachbindung der Schuldnerin geendet hätte, hat weder sie selbst noch die Insolvenzverwalterin geltend gemacht.

18Nach § 7 Ziff. 3 LRTV haben Zeitlohnarbeiter wie die Klägerin je nach Beurteilung ihrer Leistung einen Rechtsanspruch auf eine Leistungszulage zu ihrem tariflichen Grundlohn. Schon aus dem Wortlaut der Tarifnorm ergibt sich, dass der Tarifvertrag damit dem gewerblichen Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine Leistungszulage als Bestandteil der tariflichen Vergütung einräumt. Die Formulierung „je nach Beurteilung der Leistung“ ist keine den Anspruch entfallen lassende Einschränkung, sondern betrifft - wie sich aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang ergibt - die Höhe des Anspruchs auf die tarifliche Leistungszulage. Diese soll sich aus der nach § 7 Ziff. 9 LRTV dem Arbeitgeber obliegenden Beurteilung der Leistung ergeben, wobei der Tarifvertrag für die Leistungsbeurteilung in § 7 Ziff. 6 bis Ziff. 8 LRTV detaillierte Vorgaben macht. An dem Bestehen eines Anspruchs dem Grunde nach ändern die gemeinsamen Erläuterungen der Tarifvertragsparteien zu § 7 Ziff. 3 LRTV nichts. Damit wird nur verdeutlicht, dass bei einer entsprechend schlechten Leistung für eine bestimmte Beurteilungsperiode (vgl. § 7 Ziff. 12 LRTV) die Höhe der Leistungszulage auch Null betragen kann und damit die „Gewährung“ faktisch entfällt.

19b) Die Höhe der Leistungszulage nach § 7 Ziff. 3 LRTV ist nicht bezifferbar, weil eine Beurteilung der Leistung der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum und darüber hinaus generell nicht stattgefunden hat.

20aa) § 7 LRTV enthält keine - ausdrückliche - Regelung darüber, was gelten soll, wenn der Arbeitgeber die ihm nach § 7 Ziff. 9 LRTV obliegende Leistungsbeurteilung nicht vornimmt. Der Tarifvertrag bestimmt zwar in § 7 Ziff. 3 LRTV, dass die Leistungszulage je Stunde im Durchschnitt aller Zeitlohnarbeiter des Betriebs mindestens 13 % des tariflichen Zeitgrundlohns betragen muss. Damit ist jedoch nur das Gesamtvolumen festgelegt, das der Arbeitgeber als Leistungszulagen an alle in seinem Betrieb beschäftigten Zeitlohnarbeiter zu verteilen hat. Einen Verteilungsgrundsatz dergestalt, dass bei einer Nichtbeurteilung der Zeitlohnarbeiter diese jeweils 13 % ihres tariflichen Zeitgrundlohns als Leistungszulage sollen beanspruchen können, enthält die Tarifnorm nicht. Auch einen „Sockelbetrag“, der bei jeder (schlechten) Leistung mindestens zu zahlen wäre, hat der Tarifvertrag nicht festgesetzt.

21bb) Diese tarifliche Regelungslücke darf nicht von der Rechtsprechung geschlossen werden.

22Handelt es sich bei der Nichtregelung der Höhe der Leistungszulage bei fehlender Leistungsbeurteilung durch den Arbeitgeber um eine bewusste Auslassung durch die Tarifvertragsparteien, kommt eine Lückenschließung schon deshalb nicht in Betracht, weil die Gerichte nicht befugt sind, gegen den Willen der Tarifvertragsparteien ergänzende tarifliche Regelungen zu „schaffen“. Dies wäre ein unzulässiger Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie ( - Rn. 20 mwN, AP TVG § 1 Auslegung Nr. 215).

23Handelt es sich um eine unbewusste Regelungslücke im LRTV ist für eine Lückenschließung erforderlich, dass sich aus dem Tarifvertrag selbst hinreichende Anhaltspunkte ergeben, wie die Tarifvertragsparteien nach ihrem mutmaßlichen Willen die nicht berücksichtigte Fallkonstellation geregelt hätten, wenn sie die Lückenhaftigkeit erkannt hätten. Bestehen dagegen keine sicheren Anhaltspunkte für die mutmaßliche Regelung der Tarifvertragsparteien und sind verschiedene Regelungen denkbar, scheidet eine Ausfüllung der tariflichen Regelungslücke durch die Gerichte ebenfalls aus. Sie würde wiederum in die durch Art. 9 Abs. 3 GG allein den Tarifvertragsparteien zugewiesene Gestaltungsfreiheit eingreifen ( - BAGE 57, 334; - 4 AZR 750/08 - Rn. 34, ZTR 2010, 571).

24Das ist vorliegend der Fall. Es sind verschiedene Regelungen denkbar, wie die Tarifvertragsparteien bei einer fehlenden Leistungsbeurteilung durch den Arbeitgeber die Höhe der tariflichen Leistungszulage hätten regeln können. So hätten die Tarifvertragsparteien den Arbeitnehmer zur Bestimmung der Anspruchshöhe auf eine Klage auf Beurteilung oder die Anrufung der in § 7 Ziff. 13 LRTV vorgesehenen paritätischen Kommission verweisen können. Sie hätten auch bestimmen können, dass in einem solchen Falle das Gesamtvolumen, das der Arbeitgeber nach § 7 Ziff. 3 LRTV für die Leistungszulagen zur Verfügung stellen muss, gleichmäßig auf alle Zeitlohnarbeiter des Betriebs verteilt wird oder der Zeitlohnarbeiter - wie die Klägerin meint - eine Leistungszulage pauschal in Höhe von 13 % seines tariflichen Zeitgrundlohns beanspruchen kann. Sichere Anhaltspunkte dafür, welche Regelung die Tarifvertragsparteien getroffen hätten, bestehen nicht.

25c) Die Höhe der Leistungszulage kann nicht durch Urteil gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BGB bestimmt werden. Denn der Tarifvertrag hat die Bestimmung der Höhe der Leistungszulage nicht dem Arbeitgeber überlassen, § 315 Abs. 1 BGB.

26aa) § 315 Abs. 1 BGB regelt, dass die Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen ist, wenn die Leistung durch einen Vertragsschließenden bestimmt werden soll. Entspricht die getroffene Bestimmung nicht der Billigkeit, so wird sie nach § 315 Abs. 3 Satz 2 Alt. 1 BGB durch Urteil getroffen; das Gleiche gilt gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 BGB, wenn die Bestimmung verzögert wird. Die Vertragshilfe des § 315 BGB greift aber nur dort, wo die Parteien das vereinbart, sich also autonom der richterlichen Schlichtung durch Ersatzleistungsbestimmung unterworfen haben ( - Rn. 24, BAGE 125, 147).

27bb) Die Tarifautonomie als Möglichkeit oder Aufgabe der Tarifvertragsparteien, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen eigenverantwortlich zu regeln, schließt es zwar grundsätzlich nicht aus, die Rechtsetzungsbefugnis zu delegieren ( - Rn. 29). Die Tarifvertragsparteien haben aber in § 7 LRTV nicht vereinbart, dass die Höhe der Leistungszulage der Arbeitgeber soll bestimmen können. Vielmehr heißt es in § 7 Ziff. 3 LRTV ausdrücklich, die (Höhe der) Leistungszulage des Zeitlohnarbeiters solle sich „je nach Beurteilung der Leistung“ richten. Bei der nach § 7 Ziff. 9 LRTV dem Arbeitgeber obliegenden Leistungsbeurteilung hat dieser zwar einen gewissen Beurteilungsspielraum. Das liegt in der Natur einer Leistungsbeurteilung. Der Tarifvertrag gibt aber in § 7 Ziff. 5 bis Ziff. 8 LRTV dem Arbeitgeber für die Leistungsbeurteilung derart detaillierte Vorgaben, dass von einer Leistungsbestimmung durch den Arbeitgeber nicht gesprochen werden kann.

28II. Ob die Klägerin die festzustellende Forderung als Schadensersatz wegen der von der Schuldnerin nicht vorgenommenen Leistungsbeurteilung beanspruchen kann, obliegt nach § 181 InsO nicht der Prüfung des Senats. Insoweit ist die Feststellungsklage unzulässig.

291. Nach § 181 InsO kann die Feststellung nach Grund, Betrag und Rang der Forderung nur in der Weise begehrt werden, wie die Forderung in der Anmeldung oder im Prüfungstermin bezeichnet worden ist. Es handelt sich dabei um eine Sachurteilsvoraussetzung. Einer Klage, mit der die Feststellung einer unangemeldeten und ungeprüften Forderung beantragt wird, fehlt das - auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfende - Feststellungsinteresse und ist als unzulässig abzuweisen ( - zu I der Gründe, BAGE 111, 131;  - zu B I 2 der Gründe mwN, BGHZ 173, 103).

302. Grund der Forderung in § 181 InsO meint den Klagegrund und damit den (Lebens-)Sachverhalt, aus dem die Forderung entspringt ( - Rn. 10 mwN, ZIP 2009, 483; Uhlenbruck/Sinz 13. Aufl. § 181 InsO Rn. 5 mwN). Der Grund bestimmt, soweit die Forderung als anerkannt in die Tabelle eingetragen wird, den Umfang der Rechtskraft der Eintragung gegenüber den Gläubigern (§ 178 Abs. 3 InsO) und, soweit die Forderung bestritten wird, den Umfang der Rechtskraft des im Feststellungsprozess ergehenden Urteils, § 183 Abs. 1 InsO (vgl. dazu  - ZIP 2001, 2099).

31Der bei der Anmeldung nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin (nur) angegebene Grund „tarifliche Leistungszulage“ umfasst nicht den Streitgegenstand „Schadensersatzanspruch“. Dieser beruht auf einem anderen Sachverhalt als der Klagegrund tarifliche Leistungszulage, nämlich einer behaupteten Pflichtverletzung der Schuldnerin, und ist zudem rechtlich wesentlich anders zu beurteilen. Muss - wie hier - dem in der Feststellungsklage geltend gemachten Anspruchsgrund eine andere Verteidigung entgegengesetzt werden als dem angemeldeten, handelt es sich stets um eine wesentliche Änderung des Grundes der Forderung, die ohne ein neues Anmeldungs- und Prüfungsverfahren die Unzulässigkeit der Feststellungsklage bedingt (vgl.  - Rn. 19, BGHZ 173, 103; Uhlenbruck/Sinz 13. Aufl. § 181 InsO Rn. 6, jeweils mwN).

III. Die Klägerin hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

Fundstelle(n):
YAAAE-11661