Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Überprüfung der Faxnummer des Empfangsgerichts bei Telefax-Übermittlung fristgebundener Schriftsätze
Leitsatz
Bei der Übermittlung fristgebundener Schriftsätze per Telefax ist grundsätzlich durch einen Abgleich des Sendeberichts mit einem aktuellen Verzeichnis oder einer anderen geeigneten Quelle sicherzustellen, dass die angewählte Telefax-Nummer derjenigen des angeschriebenen Gerichts entspricht.
Gesetze: § 233 ZPO
Instanzenzug: Az: 22 U 41/11vorgehend Az: 7 O 271/10
Gründe
I.
1Der Kläger nimmt die Beklagte auf Auskunft und Schadensersatz wegen möglicher Nebenwirkungen eines Arzneimittels in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am zugestellte Urteil hat dieser die am beim Kammergericht eingegangene Berufung eingelegt. Auf Antrag des Klägers ist die Frist zur Begründung der Berufung bis zum verlängert worden. Die an das Kammergericht adressierte Berufungsbegründungsschrift ist am per Telefax beim Landgericht Berlin und am per Post beim Kammergericht eingegangen. Mit Verfügung des Senatsvorsitzenden vom ist der Kläger darauf hingewiesen worden, dass die Berufungsbegründungsschrift nicht innerhalb der Frist zur Begründung der Berufung beim Kammergericht eingegangen ist.
2Daraufhin hat der Kläger mit einem am beim Kammergericht eingegangenen Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung beantragt. Er hat geltend gemacht, sein Prozessbevollmächtigter habe seine Rechtsanwaltsfachangestellte, als diese ihm die Berufungsbegründungsschrift zur Unterschrift vorgelegt habe, am späten Nachmittag des angewiesen, noch die Telefax-Nummer des Kammergerichts in den Briefkopf auf der ersten Seite des Schriftsatzes einzutragen, diese Seite auszutauschen und die Berufungsbegründungsschrift sodann per Telefax an das Kammergericht zu übermitteln. Die Bürokraft habe jedoch die Eintragung der korrekten Telefax-Nummer auf dem Briefkopf der Berufungsbegründungsschrift unterlassen und kurz vor Feierabend die Berufungsbegründungsschrift versehentlich an das Landgericht Berlin und nicht an das Kammergericht gefaxt. Zur Glaubhaftmachung dieses Vorbringens hat der Kläger eine eidesstattliche Versicherung der Mitarbeiterin seines Prozessbevollmächtigten vorgelegt. Zusätzlich hat er vorgetragen, die Rechtsanwaltsfachangestellte sei auch durch allgemeine Anweisungen darauf hingewiesen worden, auf die richtige Empfänger-Nummer zu achten und nach der Übermittlung eines Schriftsatzes auf der Grundlage des Sendeberichtes die Vollständigkeit der Übermittlung zu überprüfen. Diesen Anweisungen sei die geschulte und zuverlässige Bürokraft stets nachgekommen.
3Das Berufungsgericht hat durch den angefochtenen Beschluss den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Der verspätete Eingang der Berufungsbegründungsschrift beim Kammergericht sei auf ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers zurückzuführen, das gemäß § 85 Abs. 2 ZPO einem Verschulden des Klägers gleichstehe.
II.
4Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen, nicht erfüllt sind.
51. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger weder in seinem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) noch dessen rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Danach darf einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (vgl. Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 40/02, NJW 2003, 437; vom - VI ZB 6/10, NJW 2011, 2051 Rn. 5 mwN).
62. Die angefochtene Entscheidung entspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die anwaltliche Sorgfaltspflicht in Bezug auf die Übersendung fristgebundener Schriftsätze per Telefax nicht überspannt.
7a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Rechtsanwalt bei Versendung von Schriftsätzen per Telefax durch organisatorische Vorkehrungen sicherstellen, dass die Telefax-Nummer des angeschriebenen Gerichts verwendet wird. Hierzu gehört, dass bei der erforderlichen Ausgangskontrolle in der Regel ein Sendebericht ausgedruckt und dieser auf die Richtigkeit der verwendeten Empfänger-Nummer überprüft wird, um nicht nur Fehler bei der Eingabe, sondern auch bereits bei der Ermittlung der Fax-Nummer oder ihrer Übertragung in den Schriftsatz aufdecken zu können. Dabei genügt der Vergleich der auf dem Sendebericht ausgedruckten Fax-Nummer mit der in den Schriftsatz eingesetzten nicht. Dieser Abgleich ist nur geeignet, einen Fehler bei der Eingabe der Nummer in das Faxgerät aufzudecken, nicht aber sicherzustellen, dass die im Schriftsatz angegebene Fax-Nummer zutreffend ermittelt wurde. Die Überprüfung der Richtigkeit der im Sendebericht ausgewiesenen Empfänger-Nummer ist deshalb anhand eines aktuellen Verzeichnisses oder einer anderen geeigneten Quelle vorzunehmen, aus dem bzw. der die Fax-Nummer des Gerichts hervorgeht, für das die Sendung bestimmt ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom - I ZB 3/09, VersR 2011, 1543 Rn. 14; vom - IV ZB 18/08, NJW 2010, 2811 Rn. 11; vom - III ZB 63/09, juris Rn. 11; vom - IX ZB 34/10, NJW 2011, 312 Rn. 10, jeweils mwN). Nur so kann die bekannte - und sich hier verwirklichte - Gefahr beherrscht werden, dass fristgebundene Rechtsmittelschriften und Rechtsmittelbegründungen per Fax trotz richtiger Gerichtsadressierung versehentlich an das Gericht der Vorinstanz geleitet werden (, aaO). Es reicht allerdings die generelle Anweisung aus, die im Sendebericht ausgedruckte Fax-Nummer mit der schriftlich niedergelegten Fax-Nummer zu vergleichen, die ihrerseits zuvor aus einer zuverlässigen Quelle ermittelt worden ist; in solchen Fällen ist nicht erforderlich, diese Nummer nach Absenden des Schriftsatzes noch ein weiteres Mal anhand eines zuverlässigen Verzeichnisses zu überprüfen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - I ZB 3/09, aaO Rn. 18; vom - IV ZB 18/08, aaO Rn. 14).
8b) Die nach dieser Rechtsprechung geforderten Sorgfaltspflichten hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht erfüllt.
9aa) Es trifft zwar zu, dass es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für den Ausschluss des einer Partei zuzurechnenden Verschuldens ihres Anwalts (§ 85 Abs. 2, § 233 ZPO) an der Fristversäumung auf allgemeine organisatorische Vorkehrungen bzw. Anweisungen für die Fristwahrung in einer Anwaltskanzlei nicht mehr ankommt, wenn der Rechtsanwalt einer Kanzleiangestellten, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung erteilt, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte (vgl. Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 29/07, juris Rn. 7; vom - VI ZB 65/08, NJW 2010, 2287 Rn. 5; vom - VI ZB 23/11, VersR 2011, 1544 Rn. 8). Im Streitfall erfüllt die vom Kläger vorgetragene und durch die eidesstattliche Versicherung der Kanzleiangestellten glaubhaft gemachte Einzelanweisung die Anforderungen der Rechtsprechung aber nicht. Es ist nicht einmal vorgetragen, dass die Kanzleiangestellte angewiesen worden sei, nach Übersendung der Berufungsbegründungsschrift den Sendebericht auszudrucken und diesen auf die Richtigkeit der verwendeten Empfänger-Nummer anhand eines aktuellen Verzeichnisses oder einer anderen geeigneten Quelle zu überprüfen.
10bb) Auch die vom Kläger vorgetragene - nicht glaubhaft gemachte - allgemeine Büroanweisung seines Prozessbevollmächtigten, auf die richtige Empfänger-Nummer zu achten und nach der Übermittlung eines Schriftsatzes per Telefax auf der Grundlage des Sendeberichts die Vollständigkeit der Übermittlung zu überprüfen, wird den Anforderungen der Rechtsprechung nicht gerecht. Sie enthält nicht die organisatorisch gebotene allgemeine Weisung an das Kanzleipersonal, im Falle der Übermittlung fristgebundener Schriftsätze per Telefax jeweils bei der Ausgangskontrolle anhand eines aktuellen Verzeichnisses oder einer anderen geeigneten Quelle auch einen Abgleich des Sendeberichts dahin vorzunehmen, dass die angewählte Telefax-Nummer der des angeschriebenen Gerichts entspricht. Es wird auch nicht vorgetragen, dass eine allgemeine Anweisung bestanden habe, eine solche Quelle bei der Ermittlung der Fax-Nummer oder ihrer Übertragung in den Schriftsatz zu verwenden, um Fehler bei der Ermittlung der Fax-Nummer oder ihrer Übertragung in den Schriftsatz aufzudecken.
11c) Ein Hinweis des Berufungsgerichts nach § 139 ZPO, dass es den Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers als unzureichend ansehe, war entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht erforderlich. Dem Wiedereinsetzungsantrag lässt sich auch nicht ansatzweise entnehmen, dass die Anforderungen der Rechtsprechung erfüllt worden sind, so dass ein Hinweis zur Präzisierung oder Klarstellung einer zuvor bereits vorgetragenen Tatsache nicht veranlasst war.
123. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Galke Wellner Pauge
Stöhr von Pentz
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
DB 2012 S. 1383 Nr. 24
NJW 2012 S. 8 Nr. 22
NJW-RR 2012 S. 744 Nr. 12
VAAAE-09417