Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen durch Forderungsverzicht von Gläubigern
Leitsatz
Bei der im Rahmen der Kostenentscheidung nach § 138 Abs. 1 FGO gebotenen summarischen Prüfung ist es zweifelhaft, ob nach Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. die Steuerbarkeit eines Sanierungsgewinns durch den Forderungsverzicht von Gläubigern unter Berufung auf das (BStBl 2003 I S. 240) eine sachlich unbillige Härte i.S. der §§ 163, 227 AO darstellen kann.
Gesetze: AO § 227, FGO § 138 Abs. 1, EStG § 3 Nr. 66, EStG § 52 Abs. 2i
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
1 I. Die Beteiligten stritten im Verfahren VIII R 2/08 darüber, ob die Kläger und Revisionskläger (Kläger) aus Billigkeitsgründen Anspruch auf abweichende Festsetzung der Einkommensteuer mit der Folge habe, dass ein erzielter Ertrag —aus der Sanierung einer Arztpraxis des Klägers durch Erlass von Schulden— steuerfrei bleibt.
2 Nachdem der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) den Gewinnfeststellungsbescheid 2000 für die Praxis des Klägers unter Ansatz eines höheren Gewinns im Zusammenhang mit dem Forderungsverzicht eines Gläubigers —wegen fehlender Voraussetzungen für die Annahme eines steuerbegünstigten Sanierungsgewinns— geändert hatte, beantragten die Kläger unter Berufung auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom IV A6-S 2140-8/03 (BStBl I 2003, 240), die auf die erlassene Forderung entfallende Einkommensteuer aus Billigkeitsgründen zu erlassen.
3 Das FA lehnte dies mit der Begründung ab, die Voraussetzungen für einen Sanierungsgewinn nach Maßgabe des BMF-Schreibens lägen nicht vor. Die dagegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2008, 615 veröffentlichten Urteil ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, schon wegen der Abschaffung der Steuerbegünstigung des Sanierungsgewinns in § 3 Nr. 66 des Einkommensteuergesetzes (EStG) a.F. durch den Gesetzgeber komme der begehrte Erlass mangels Rechtsgrundlage nicht in Betracht.
4 Auf das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anerkennung eines steuerfreien Sanierungsgewinns nach dem komme es folglich nicht an.
5 Die Beteiligten haben den Rechtsstreit nunmehr in der Hauptsache für erledigt erklärt, nachdem dem Kläger im Rahmen eines Insolvenzverfahrens Restschuldbefreiung gewährt worden ist.
6 II. Auf der Grundlage der übereinstimmenden Erledigungserklärung hat der Senat gemäß § 138 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden; billigem Ermessen entspricht es, die Kosten den Beteiligten je zur Hälfte aufzuerlegen.
7 1. Gemäß § 227 der Abgabenordnung (AO) können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Dabei handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, bei der Inhalt und Grenzen des Ermessens durch den Begriff der Unbilligkeit bestimmt werden (vgl. Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Die behördliche Entscheidung über ein solches Erlassbegehren darf gemäß § 102 FGO gerichtlich (nur) daraufhin geprüft werden, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.
8 Dabei kann eine sachliche Unbilligkeit durch den Steuerpflichtigen nur geltend gemacht werden, wenn die streitige Steuererhebung zwar dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers derart zuwiderläuft, dass nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers davon ausgegangen werden kann, er hätte die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden (, BVerfGE 48, 102, BStBl II 1978, 441; , BFHE 174, 482, BStBl II 1994, 833, m.w.N.).
9 2. Nach diesen Grundsätzen ist im Rahmen der im gegenwärtigen Verfahrensstadium gebotenen summarischen Prüfung zweifelhaft, ob die Kläger Anspruch auf die begehrte Billigkeitsmaßnahme auf der Grundlage des gehabt hätten, weil der Erlass den Gewinn aus der Sanierung von Unternehmen im Ergebnis weiterhin unter den materiellen Voraussetzungen des § 3 Nr. 66 EStG a.F. nach Maßgabe der dazu ergangenen Rechtsprechung steuerfrei stellt,
obwohl der Gesetzgeber diese Steuerbefreiung mit dem Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom (BGBl I 1997, 2590, BStBl I 1997, 928) aufgehoben hat und
diese Befreiung nach § 52 Abs. 2i EStG i.d.F. dieses Gesetzes „letztmals auf Erhöhung des Betriebsvermögens anzuwenden war, die in dem Wirtschaftsjahr entstehen, das vor dem endet”. Diese Frist ist durch das Gesetz zur Finanzierung eines Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung vom (BGBl I 1997, 3121) bis zum verlängert worden.
10 Ob der Wortlaut des Gesetzes und die Gesetzesbegründung (vgl. BTDrucks 13/7480, S. 192) es ausschließen, die Besteuerung eines Sanierungsgewinns im Sinne der aufgehobenen Vorschrift weiterhin —allein aufgrund der §§ 163, 227 AO— als sachlich unbillig anzusehen und von der Besteuerung auszunehmen, wenn wie im Streitfall außer der Tatsache des sanierungsbedingten Verzichts eines Gläubigers nach den tatsächlichen Feststellungen des FG weder besondere sachliche oder persönliche Billigkeitsgründe ersichtlich sind, ist streitig (gegen eine solche fortdauernde Erlassbefugnis unter Hinweis auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung die Vorinstanz —, EFG 2008, 615; Blümich/Erhard, § 3 EStG Rz 820; für eine fortdauernde Erlassmöglichkeit trotz Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F.; , BFHE 229, 502, BStBl II 2010, 916 —Rechtsauffassung insoweit nicht tragend—; Geist, Betriebs-Berater —BB— 2008, 2658, 2660; Seer, Finanz-Rundschau —FR— 2010, 306; Knebel, Der Betrieb 2009, 1094; Wagner, BB 2008, 2671; Braun/Geist, BB 2009, 2508; Töben, FR 2010, 249).
11 Jedenfalls ist die Auffassung der Vorinstanz, ein entsprechender Wille des Gesetzgebers (zur generellen Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen) könne angesichts der Abschaffung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. nicht angenommen werden, bei der im Rahmen der Kostenentscheidung vorzunehmenden summarischen Prüfung nicht von vornherein abzulehnen. Denn der Gesetzgeber hat bislang eine generelle Ersatzregelung für § 3 Nr. 66 EStG a.F. nicht geschaffen, sondern lediglich begrenzt auf Teilbereiche des Steuerrechts (wie die Sanierungsklausel des § 8c Abs. 1a des Körperschaftsteuergeseztes) eine partielle Sanierungsgewinnbegünstigung eingeführt.
12 Da die Erfolgsaussichten der Revision mithin offen waren, hält der Senat es für sachgerecht, die Verfahrenskosten hälftig zu teilen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
Nr. 6/2012 S. 314
AO-StB 2012 S. 168 Nr. 6
BFH/NV 2012 S. 1135 Nr. 7
DStR 2012 S. 943 Nr. 19
DStRE 2012 S. 715 Nr. 11
FR 2012 S. 693 Nr. 14
StBW 2012 S. 439 Nr. 10
StuB-Bilanzreport Nr. 11/2012 S. 449
Ubg 2012 S. 403 Nr. 6
ZIP 2012 S. 6 Nr. 19
ZIP 2012 S. 989 Nr. 20
DAAAE-09073