Anfechtung einer Betriebsratswahl - Wahlberechtigung von Auszubildenden in einem reinen Ausbildungsbetrieb
Gesetze: § 5 Abs 1 BetrVG, § 7 S 1 BetrVG, § 9 BetrVG, § 19 Abs 1 BetrVG, § 19 Abs 2 BetrVG
Instanzenzug: Az: 5 BV 65/09 Beschlussvorgehend Landesarbeitsgericht Köln Az: 13 TaBV 89/09 Beschluss
Gründe
1A. Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.
2Die zu 1. beteiligte Arbeitgeberin organisiert in ihrem Betrieb Telekom Ausbildung (Betrieb TA) die Ausbildung aller Auszubildenden im Konzern. Beteiligter zu 2. ist der dort im Jahr 2009 neu gewählte Betriebsrat. Die im Betrieb TA beschäftigten 836 Arbeiter, Angestellten und Beamten nehmen überwiegend Ausbilderaufgaben wahr. Ein Teil der Mitarbeiter, die nicht dem Leitungsbereich angehören, ist mit organisatorischen Tätigkeiten in Sekretariaten und Verwaltungsstellen befasst. Die Hauptverwaltung des Betriebs TA befindet sich in Bonn. Theoretische Unterweisungen erhalten die etwa 12.000 Auszubildenden in 33 regionalen Ausbildungszentren. Die praktische Berufsausbildung findet überwiegend in anderen Betrieben der Arbeitgeberin und in Betrieben der Konzerntöchter, aber auch im Betrieb TA selbst statt. Auszubildende, die dort Betriebseinsätze absolvieren, erlernen weit überwiegend kaufmännische Berufe (Bürokaufleute/Industriekaufleute), ein geringer Anteil erhält eine technische Ausbildung. Im dritten Quartal 2009 waren im Betrieb TA insgesamt 342 Auszubildende im Betriebseinsatz beschäftigt, von denen etwa 200 älter als 18 Jahre alt waren.
Die Mitbestimmungsstruktur im Betrieb TA ist durch den Tarifvertrag „Mitbestimmung Telekom Ausbildung“ (TV 122) geregelt. In diesem Tarifvertrag vom idF vom heißt es auszugsweise:
4Mit Wahlausschreiben vom setzte der Wahlvorstand für die im Betrieb TA erforderlich gewordene Neuwahl des Betriebsrats die Zahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder - unter Einbeziehung der sich im Betriebseinsatz beim Betrieb TA befindlichen Auszubildenden - auf 15 fest. Die Betriebsratswahl fand am statt. An ihr nahmen die zu dieser Zeit im praktischen Einsatz im Betrieb TA befindlichen volljährigen Auszubildenden teil. Das Wahlergebnis wurde am selben Tag veröffentlicht.
5Mit der bei Gericht am eingegangenen Antragsschrift hat die Arbeitgeberin die Unwirksamkeit der Betriebsratswahl geltend gemacht. Sie hat die Auffassung vertreten, die Auszubildenden im Betrieb TA seien auch während eines dort stattfindenden praktischen Betriebseinsatzes keine wahlberechtigten Arbeitnehmer dieses Betriebs. Sie seien in den Ausbildungsbetrieb nicht eingegliedert, da sich dessen Zweck in der Ausbildung erschöpfe. Bei den büroorganisatorischen Tätigkeiten handle es sich um verwaltungstechnische Nebenaufgaben zur Erfüllung des Ausbildungszwecks. „Bürokaufmännische Dienstleistungen“ stellten keinen abgrenzbaren, eigenständigen Betriebszweck innerhalb des Ausbildungsbetriebs dar. Daher hätten die Auszubildenden im Betrieb TA nicht an der Wahl des Betriebsrats beteiligt werden dürfen. Deshalb sei auch kein 15-köpfiger, sondern ein 13-köpfiger Betriebsrat zu wählen gewesen.
Die Arbeitgeberin hat beantragt
7Der Betriebsrat hat die Zurückweisung des Antrags beantragt. Er hat die Auffassung vertreten, Auszubildende, die sich im Betrieb TA im berufspraktischen Betriebseinsatz befänden, erfüllten die Begriffsmerkmale des § 5 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Sie stünden in einem Ausbildungsverhältnis zu der Arbeitgeberin und seien in den Betrieb eingegliedert.
8Das Arbeitsgericht hat den Antrag der Arbeitgeberin abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat den Beschluss des Arbeitsgerichts abgeändert und dem Antrag der Arbeitgeberin entsprochen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der Betriebsrat die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses. Die Arbeitgeberin beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.
9B. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat dem zulässigen, innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG beim Arbeitsgericht eingegangen Wahlanfechtungsantrag der Arbeitgeberin zu Recht entsprochen und die Wahl des Betriebsrats im Betrieb TA vom nach § 19 Abs. 1 BetrVG für unwirksam erklärt. Auszubildende, die ihren berufspraktischen Einsatz in dem Betrieb TA absolvieren, sind keine Arbeitnehmer iSv. § 5 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Sie sind Auszubildende in einem reinen Ausbildungsbetrieb und nicht in diesen eingegliedert. Daran ändert auch der berufspraktische Einsatz im selben Betrieb nichts. Die Auszubildenden waren deshalb weder nach § 7 Satz 1 BetrVG wahlberechtigt, noch durften sie bei der Zahl zu wählender Mitglieder des Betriebsrats nach § 9 Abs. 1 BetrVG berücksichtigt werden.
10I. Nach § 19 Abs. 1 BetrVG kann die Wahl des Betriebsrats beim Arbeitsgericht angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Zu den wesentlichen Vorschriften über das Wahlrecht gehören § 7 Satz 1 BetrVG und § 9 BetrVG.
111. Nach § 7 Satz 1 BetrVG sind wahlberechtigt alle Arbeitnehmer des Betriebs, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. Arbeitnehmer im Sinne des Gesetzes sind nach § 5 Abs. 1 Satz 1 BetrVG Arbeiter und Angestellte einschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten, unabhängig davon, ob sie im Betrieb, im Außendienst oder mit Telearbeit beschäftigt werden.
12a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats setzt die Arbeitnehmereigenschaft eines zu seiner Berufsausbildung Beschäftigten iSv. § 5 Abs. 1 Satz 1 BetrVG neben dem Abschluss eines auf die Ausbildung gerichteten privatrechtlichen Vertrags voraus, dass der Auszubildende in einen Betrieb des Ausbildenden eingegliedert ist (vgl. etwa - Rn. 14 und 15 mwN, AP BetrVG 1972 § 5 Ausbildung Nr. 12 = EzA BetrVG 2001 § 5 Nr. 2). Der Auszubildende ist in vergleichbarer Weise wie ein Arbeiter oder Angestellter in den Betrieb eingegliedert, wenn sich seine berufspraktische Ausbildung im Rahmen des arbeitstechnischen Betriebszwecks vollzieht, zu dessen Erreichung die Arbeiter und Angestellten des Betriebs zusammenwirken. Auszubildende unterscheiden sich von den im Betrieb beschäftigten Arbeitern und Angestellten unter betriebsverfassungsrechtlichen Gesichtspunkten im Wesentlichen nur dadurch, dass sie durch ihre Einbindung in das Betriebsgeschehen weitgehend erst die Kenntnisse und Fertigkeiten erwerben sollen, die bei den entsprechenden Arbeitern oder Angestellten des Betriebs bereits vorhanden sind und von ihnen zur Förderung des Betriebszwecks eingesetzt werden. Dieser enge Zusammenhang der Berufsausbildung mit den im Betrieb anfallenden, von dessen Arbeitnehmern zu verrichtenden Arbeiten rechtfertigt es, diejenigen, die in solcher Weise zu ihrer Berufsausbildung im Betrieb beschäftigt sind, als Teil der Betriebsbelegschaft anzusehen und sie betriebsverfassungsrechtlich den im Betrieb tätigen Arbeitern und Angestellten gleichzustellen ( - Rn. 15, aaO). Danach sind Auszubildende, deren praktische Ausbildung sich in demselben oder einem anderen operativ tätigen Betrieb des Unternehmens vollzieht, Arbeitnehmer nach § 5 Abs. 1 BetrVG und damit nach § 7 Satz 1 BetrVG wahlberechtigt: Sie sind an die Arbeitgeberin vertraglich gebunden und in einen Betrieb eingegliedert.
13b) Nach der ebenfalls ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gelten Auszubildende in reinen Ausbildungsbetrieben nicht als Arbeitnehmer im Sinne des § 5 BetrVG und sind deshalb gemäß § 7 BetrVG nicht wahlberechtigt. Ihre Ausbildung vollzieht sich nicht im Rahmen der arbeitstechnischen Zwecksetzung des Ausbildungsbetriebs, der sich darauf beschränkt, anderen Personen eine berufspraktische Ausbildung zu vermitteln. Sie sind deshalb nicht in den Betrieb eingegliedert und gehören betriebsverfassungsrechtlich nicht zu den Arbeitnehmern dieses Betriebs (grundlegend - zu B III 2 d bb der Gründe, BAGE 74, 1; daran anschließend - 7 ABR 13/92 - zu B II 3 b der Gründe, BAGE 75, 312; ferner - 1 ABR 28/03 - zu B I 1 b der Gründe, BAGE 111, 350; - 7 ABR 44/06 - Rn. 15 mwN, AP BetrVG 1972 § 5 Ausbildung Nr. 12 = EzA BetrVG 2001 § 5 Nr. 2). Ihre Ausbildung vollzieht sich nicht im Rahmen des arbeitstechnischen Zwecks eines Produktions- oder Dienstleistungsbetriebs. Sie werden nicht als Lernende an Aufgaben geschult, die in dem Betrieb anfallen und auch von den dort tätigen Mitarbeitern verrichtet werden. Vielmehr sind sie selbst Gegenstand des Betriebszwecks und der betrieblichen Tätigkeit, die auf sie und ihre Berufsausbildung hin ausgerichtet ist ( - aaO).
14c) Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn die Vermittlung einer Berufsausbildung nicht den alleinigen oder überwiegenden Betriebszweck darstellt, sondern daneben vom Arbeitgeber noch weitere arbeitstechnische Zwecke verfolgt werden (vgl. - Rn. 19, AP BetrVG 1972 § 5 Ausbildung Nr. 12 = EzA BetrVG 2001 § 5 Nr. 2). Wird ein Auszubildender ganz überwiegend von den dem Betriebszweck „Vermittlung von Berufsausbildung“ dienenden Mitarbeitern ausgebildet und zeitweilig gemeinsam mit anderen Mitarbeitern im Rahmen der betrieblichen Hilfstätigkeit berufspraktisch tätig, so wird er dadurch nicht aus dem Kreis derjenigen Auszubildenden „herausgelöst“, die vom Betrieb in Verfolgung seines eigentlichen Zwecks der Vermittlung von Berufsausbildung ausgebildet werden. Die Erwägung des Senats, eine Mitarbeit von Auszubildenden in einer selbständigen organisatorischen Einheit im Betrieb (zB in der Kantine eines Berufsbildungszentrums) könne zu einer Eingliederung und damit zu einer Wahlberechtigung dieser Auszubildenden führen (vgl. - zu B II 1 der Gründe, AP BetrVG 1972 § 5 Ausbildung Nr. 11 = EzA BetrVG 1972 § 5 Nr. 61), gilt jedenfalls nicht in Fällen, in denen keine von dem Zweck des Ausbildungsbetriebs unabhängigen Ziele verfolgt, sondern damit in Zusammenhang stehende Hilfsfunktionen wahrgenommen werden (vgl. - Rn. 36, aaO). Der Streitfall verlangt keine Entscheidung, ob eine andere Beurteilung geboten ist, wenn die Auszubildenden für einen nicht unbeträchtlichen Zeitraum zum Zwecke ihrer Ausbildung in einem anderen Betrieb des Arbeitgebers oder eines anderen Konzernunternehmens eingesetzt werden. In einem derartigen Fall kann eine - in dem reinen Ausbildungsbetrieb zu verneinende - „Eingliederung“ durchaus in Betracht kommen (vgl. in diesem Zusammenhang - Rn. 19, EzA BetrVG 2001 § 99 Einstellung Nr. 10; - 7 ABR 8/10 - Rn. 35, NZA 2012, 223).
152. Die Betriebsratsgröße richtet sich nach § 9 BetrVG. Sie knüpft an die Anzahl der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer an. Dabei kommt es nicht auf die Belegschaftsstärke an einem bestimmten Stichtag, zB am Tag der Betriebsratswahl oder am Tag des Erlasses des Wahlausschreibens, sondern auf die Anzahl der „in der Regel“ beschäftigten Arbeitnehmer an ( - Rn. 15, AP BetrVG 1972 § 9 Nr. 12 = EzA BetrVG 2001 § 9 Nr. 4). Arbeitnehmer iSv. § 9 BetrVG sind die betriebsangehörigen Arbeitnehmer. Voraussetzung ist daher - jedenfalls grundsätzlich -, dass es sich um Arbeitnehmer iSv. § 5 Abs. 1 BetrVG handelt, also um Personen, die in einem Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber stehen und in die Betriebsorganisation eingegliedert sind ( - Rn. 16, aaO).
16II. Hiernach hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt, dass die Auszubildenden des Betriebs TA keine Arbeitnehmer des Ausbildungsbetriebs iSv. § 5 Abs. 1 BetrVG sind. Sie werden dies auch nicht dann, wenn sie zeitweilig im Betrieb TA eine praktische Ausbildung absolvieren. Die Auszubildenden waren daher im Betrieb TA weder nach § 7 Satz 1 BetrVG wahlberechtigt, noch bei den Schwellenwerten des § 9 BetrVG zu berücksichtigen.
171. Die Auszubildenden des Betriebs TA sind auch in der Zeit ihrer praktischen Ausbildung im Betrieb TA keine Arbeitnehmer dieses Betriebs.
18a) Wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist und das Bundesarbeitsgericht auch wiederholt entschieden hat, handelt es sich beim Betrieb TA (bzw. dessen Vorgängerbetrieben TTC/TT) um einen reinen Ausbildungsbetrieb (vgl. zuletzt - Rn. 22 mwN; - 1 ABR 81/07 - Rn. 22, EzA BetrVG 2001 § 99 Einstellung Nr. 10). Ausschließlicher Zweck dieses Betriebs ist die Durchführung der Berufsausbildung für andere Betriebe. Deshalb werden die Auszubildenden nicht im Rahmen der arbeitstechnischen Zwecke des Betriebs eingesetzt.
19b) Das gilt auch für die Auszubildenden, die im Betrieb TA zeitweilig einen praktischen Ausbildungseinsatz absolvieren. Insbesondere die Verwaltung des Betriebs TA, in dem die Auszubildenden in kaufmännischen Berufen ausgebildet werden, verfolgt keinen eigenständigen, von der Berufsausbildung unabhängigen arbeitstechnischen Zweck. Mit der organisatorischen und personellen Verwaltung der Ausbilder und der Auszubildenden wird nur eine die Berufsausbildung fördernde Hilfsfunktion erfüllt. Die Verwaltung hat somit dienenden Charakter, vergleichbar mit im Ausbildungsbetrieb anfallenden Reparaturarbeiten durch Betriebshandwerker (vgl. dazu - zu B II 1 der Gründe, AP BetrVG 1972 § 5 Ausbildung Nr. 11 = EzA BetrVG 1972 § 5 Nr. 61).
202. Die Auszubildenden des Betriebs TA sind daher für die Wahl des Betriebsrats in diesem Betrieb nicht nach § 7 Satz 1 BetrVG wahlberechtigt. § 2 Abs. 1 Satz 2 TV 122, der das ausdrücklich ausspricht, gibt insoweit die betriebsverfassungsrechtliche Rechtslage zutreffend wieder. Der Wahlvorstand hat somit die Auszubildenden zu Unrecht an der Wahl beteiligt.
213. Außerdem hat der Wahlvorstand die Auszubildenden zu Unrecht bei der nach § 9 Satz 1 BetrVG zu bestimmenden Größe des zu wählenden Betriebsrats berücksichtigt.
4. Die beiden Verstöße gegen das Wahlrecht waren geeignet, das Wahlergebnis zu beeinflussen. Ohne die Teilnahme der etwa 200 Auszubildenden hätte das Wahlergebnis anders ausfallen können. Außerdem war nach § 9 Satz 1 BetrVG bei 836 wahlberechtigten Arbeitnehmern kein 15-köpfiger, sondern ein 13-köpfiger Betriebsrat zu wählen. Eine Korrektur des Wahlergebnisses ist nicht möglich. Der Verstoß gegen § 9 BetrVG führt zur Unwirksamkeit der Wahl ( - Rn. 23, AP BetrVG 1972 § 9 Nr. 12 = EzA BetrVG 2001 § 9 Nr. 4; - 7 ABR 73/07 - Rn. 22).
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GAAAE-07828