Leitsatz
Leitsatz:
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Instanzenzug: BPatG, 3 Ni 63/07 (EU) vom
Tatbestand
Die Beklagte ist Inhaberin des am unter Inanspruchnahme der Priorität einer Voranmeldung in Frankreich vom angemeldeten, mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 614 362 (Streitpatents), das "Ebastin und Ebastin-Analoga enthaltende Arzneimittel" betrifft. Die Patentansprüche 1, 4, 5 und 7 lauten in der Verfahrenssprache Französisch wie folgt:
"1. Composition pharmaceutique solide, à dissolution améliorée, contenant un composé répondant à la formule:
dans laquelle:
- R1 représente un groupe thiényl, un groupe phényl éventuellement substitué par un halogène, un groupe alcoxy contenant 1 à 6 atomes de carbone, un groupe alkyle contenant 1 à 6 atomes de carbone,
- R2 représente un atome d'halogène, un atome d'hydrogène, un groupe alcoxy contenant 1 à 6 atomes de carbone, un groupe alkyle contenant 1 à 6 atomes de carbone,
- R3 représente un atome d'halogène, un atome d'hydrogène, un groupe alcoxy contenant 1 à 6 atomes de carbone, un groupe alkyle contenant 1 à 6 atomes de carbone, un groupe alkylthio contenant 1 à 6 atomes de carbone, un groupe cycloalkyle contenant 5 ou 6 atomes de carbone ou un groupe de formule:
ou R4 et R5 représentent indépendamment l'un de l'autre un atome d'hydrogène ou un groupe alkyle contenant 1 à 6 atomes de carbone, R6 représente un groupe cycloalkyle contenant 3 à 6 atomes de carbone, hydroxyméthyl, carboxy ou alcoxycarbonyle contenant 2 à 7 atomes de carbone,
- W représente un groupe carbonyle ou hydroxyméthylène, et leurs sels;
caractérisée en ce que le composé de formule (II) est micronisé.
4. Composition selon la revendication 1 caractérisée en ce que le principe actif de formule (II) présente les caractéristiques suivantes :
- taille maximale inférieure à 200 µm
- granulométrie moyenne en nombre comprise entre 0,5 et 15 µm
- avec de préférence 90 %, en nombre, de particules ayant une granulométrie inférieure à 25 µm et de préférence inférieure à 20 µm.
5. Composition sous forme comprimée caractérisée en ce qu'elle contient le principe actif de la revendication 4.
7. Procédé de préparation de compositions selon la revendication 5 caractérisé en ce que:
- dans une première étape on réalise une micronisation du composé de formule (II)
- dans une deuxième étape on réalise une granulation humide puis une compression."
In der deutschen Übersetzung der Patentschrift lauten diese Patentansprüche wie folgt:
"1. Feste pharmazeutische Zusammensetzung mit verbesserter Auflösung, enthaltend eine Verbindung der Formel
worin
- R1 eine Thienylgruppe, eine gegebenenfalls durch ein Halogen substituierte Phenylgruppe, eine Alkoxygruppe mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen, eine Alkylgruppe mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen bedeutet,
- R2 ein Halogenatom, ein Wasserstoffatom, eine Alkoxygruppe mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen, eine Alkylgruppe mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen darstellt,
- R3 ein Halogenatom, ein Wasserstoffatom, eine Alkoxygruppe mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen, eine Alkylgruppe mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen, eine Alkylthiogruppe mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen, eine Cycloalkylgruppe mit 5 oder 6 Kohlenstoffatomen oder eine Gruppe der Formel
bedeutet, wobei R4 und R5 unabhängig voneinander ein Wasserstoffatom oder eine Alkylgruppe mit 1 bis 6 Kohlenstoffatomen darstellen, R6 eine Cycloalkylgruppe mit 3 bis 6 Kohlenstoffatomen, Hydroxymethyl, Carboxy oder Alkoxycarbonyl mit 2 bis 7 Kohlenstoffatomen bedeutet,
- W für eine Carbonyl- oder Hydroxymethylengruppe steht und deren Salze, dadurch gekennzeichnet, dass die Verbindung der Formel (II) mikronisiert ist.
4. Zusammensetzung gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass der Wirkstoff der Formel (II) die folgenden Eigenschaften aufweist:
- maximale Größe geringer als 200 µm
- zahlenmittlere Granulometrie zwischen 0,5 und 15 µm
- wobei bevorzugt 90 %, bezogen auf Zahl, der Teilchen eine Granulometrie von geringer als 25 µm und bevorzugt geringer als 20 µm besitzen.
5. Zusammensetzung in komprimierter Form, dadurch gekennzeichnet, dass sie den Wirkstoff gemäß Anspruch 4 enthält.
7. Verfahren zur Herstellung der Zusammensetzung gemäß Anspruch 5, dadurch gekennzeichnet, dass man
- in einer ersten Stufe eine Mikronisierung der Verbindung der Formel (II) vornimmt,
- in einer zweiten Stufe eine Feuchtgranulierung und anschließend eine Komprimierung vornimmt."
Wegen des Wortlauts der weiteren Patentansprüche in der Verfahrenssprache und in deutscher Übersetzung wird auf die Patentschrift verwiesen.
Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig; er sei zudem nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann ihn ausführen könne.
Das Patentgericht hat das Streitpatent in vollem Umfang für nichtig erklärt. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Als gerichtlicher Sachverständiger hat Prof. Dr. rer. nat. habil. S. , Leiter der Abteilung Pharmazeutische Technologie an der Universität zu K. , ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat. Die Parteien haben Gutachten von Prof. Dr. J. , M. , und Prof. Dr. M. , B. , vorgelegt.
Gründe
I. Das Streitpatent betrifft eine neue pharmazeutische Formulierung bestimmter substituierter Piperidinderivate.
1,4-substituierte Piperidinderivate der allgemeinen Formel (II), darunter insbesondere 4-Diphenylmethoxy-1-[3-(4-tert.-butylbenzoyl)-propyl]-piperidin mit der internationalen Bezeichnung Ebastin, besitzen eine antihistaminische Aktivität H1 (sind also Histamin-Rezeptor-Antagonisten) und sind deshalb bei der Behandlung von Atmungserkrankungen und allergischen oder kardiovaskulären Erkrankungen wertvoll. Sie inhibieren ferner sowohl im Intestinalbereich als auch im Trachialbereich die konstriktorische (gefäßverengende) Wirkung des Adrenalins und der Kaliumionen. Aktiv sind diese Verbindungen bei parenteraler sowie bei oraler Verabreichung. Allerdings weisen die Wirkstoffe der allgemeinen Formel (II), wenn sie zur oralen Verabreichung in fester Form formuliert werden, eine unzureichende Bioverfügbarkeit auf. Zurückzuführen ist dies auf ihre geringe Löslichkeit in Wasser, die für ihre sehr lange Auflösungszeit im wässrigen Milieu des Magens ursächlich ist. Dies kann zu einem Verlust des aktiven, nicht gelösten und somit nicht absorbierbaren Wirkstoffs bei der gastrischen Entleerung führen und eine gefährliche Überdosierung zur Folge haben (vgl. Beschreibung S. 3 Z. 29 bis 38).
Durch das Streitpatent soll eine Verabreichungsform bereitgestellt werden, bei der der Wirkstoff eine gute Bioverfügbarkeit besitzt (vgl. Beschreibung S. 3 Z. 41/42).
Hierzu lehrt das Streitpatent in seinem Patentanspruch 1, eine pharmazeutische Zusammensetzung mit der bekannten Verbindung der allgemeinen Formel (II) in mikronisierter Form zur Verfügung zu stellen. Patentanspruch 7 schützt ein Verfahren zur Herstellung der Zusammensetzung, die hinsichtlich der Teilchengröße gemäß Patentanspruch 4 näher charakterisiert ist, bei dem in einem ersten Schritt eine Mikronisierung der Verbindung vorgenommen wird und in einem zweiten Schritt eine Feuchtgranulierung erfolgt und die Verbindung anschließend komprimiert wird.
II. Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt, weil es dessen Gegenstand als durch den Stand der Technik nahegelegt angesehen hat (Art. 56 EPÜ). Ebenso hat mit Urteil vom die Rechtbank van koophandel Antwerpen entschieden.
Zur Begründung hat das Patentgericht ausgeführt: Das europäische Patent 134 124 (L 3) lehre die Bereitstellung von Piperidin-Derivaten, die der allgemeinen Formel (II) des Streitpatents entsprächen. Dabei werde auch das unter der internationalen Bezeichnung Ebastin bekannte 4 Diphenylmethoxy-1-[3-(4-tert.-butylbenzoyl)-propyl]-piperidin ausdrücklich genannt. Es sei auch beschrieben, dass sich diese Derivate im Vergleich zu den Wirkstoffen Cinnarizin und Terfenadin als besonders wirkungsvoll erwiesen hätten. Bekannt sei, dass die unter diese allgemeine Formel fallenden Verbindungen eine verminderte Wasserlöslichkeit aufwiesen. Zum Grundlagenwissen des Fachmanns, eines Chemikers oder Pharmazeuten mit Hochschulabschluss, der über mehrjährige Erfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung von Arzneimitteln verfüge und der insbesondere mit den Grundlagen der Formulierung von Arzneimitteln, d.h. der Galenik, vertraut sei, gehöre es, dass eine schlechte Wasserlöslichkeit arzneilich wirksamer Substanzen Ursache einer unzureichenden Bioverfügbarkeit sein könne. Das "Lehrbuch der pharmazeutischen Technologie" von Rudolf Voigt, 7. Auflage, 1987 (insoweit vorgelegt als L 10), gebe (S. 471/472) an, dass zur Lösung dieses Problems, das bei arzneilichen Wirkstoffen häufig auftrete, eine Erhöhung der Löslichkeit erforderlich sei, wobei die Teilchengröße eine wesentliche Rolle spiele. Durch eine Vergrößerung der Oberfläche werde nämlich die Lösungsgeschwindigkeit, die bei vielen Arzneistoffen den geschwindigkeitsbestimmenden Schritt des Resorptionsprozesses darstelle, in starkem Maß erhöht. Als geeignete Methode nenne die L 10 an erster Stelle die Mikronisierung. Zwar werde in diesem Zusammenhang auch auf weitere Möglichkeiten zur Verringerung der Teilchengröße verwiesen. Bei diesen Vorgehensweisen handle es sich jedoch um Verfahrensmaßnahmen, die der Fachmann nicht primär in Erwägung ziehen werde, weil sie einen höheren verfahrenstechnischen Aufwand erforderten und weil zum anderen Hilfsmittel benötigt würden.
Da die schlechte Wasserlöslichkeit des Arzneistoffs einen Wirkstoffverlust und damit einen wirtschaftlichen Verlust zur Folge habe, habe für den Fachmann ausreichend Veranlassung bestanden zu untersuchen, ob die Bioverfügbarkeit den Anforderungen genüge, zumal es das Lehrbuch von Voigt (insoweit vorgelegt als L 29, S. 607) als unerlässlich erachte, bei schwer wasserlöslichen Stoffen die Bioverfügbarkeit zu überprüfen. Der Fachmann sei auch nicht durch die ihm bekannte Gefahr der Aggregatbildung von der Mikronisierung abgehalten worden, denn dieser habe durch den Zusatz von Hilfsstoffen wie Tensiden, den Patentanspruch 1 nicht ausschließe, begegnet werden können.
III. Die Berufung macht geltend, dass der Fachmann schon keinen Anlass gehabt habe, die Bioverfügbarkeit von Ebastin, das als Arzneimittel zugelassen gewesen sei, als unzureichend anzusehen. Jedenfalls habe es sich dem Fachmann als näherliegend aufgedrängt, zu einer Verbesserung der Bioverfügbarkeit nicht die freie Base, sondern ein Säureadditionssalz von Ebastin einzusetzen. Weiter habe die Erkenntnis nicht nahegelegen, dass durch die Mikronisierung eine bessere Löslichkeit zu erreichen sei. Die Mikronisierung sei nicht notwendigerweise einfach durchzuführen und könne den an sich unerwünschten Zusatz von Tensiden zum Wirkstoff erfordern. Wegen des verhältnismäßig niedrigen Schmelzpunkts des Wirkstoffs Ebastin und der im Mahlwerk auftretenden Erhitzung bestehe zudem die Gefahr, dass der Wirkstoff schmelze. Weiter hat sie vorgebracht, dass beim Vermahlen von schwerlöslichen Stoffen bevorzugt weitere hydrophobe Oberflächen geschaffen würden, die nicht zu einer erhöhten Lösungsgeschwindigkeit führten. Schließlich verschlechtere auch die Adsorption von Luft, die beim Mikronisieren auftrete, die Wasserlöslichkeit des Wirkstoffs.
IV. Diesen Angriffen hält das angefochtene Urteil stand.
1. Der Wirkstoff des Streitpatents war, was auch die Beklagte nicht in Zweifel zieht, aus der europäischen Patentschrift 134 124 (L 3) bekannt. Diese nennt den Wirkstoff Ebastin ausdrücklich (Beschreibung S. 7 Z. 10: "compound 1"). Auch die therapeutische Anwendbarkeit dieser Substanz war aus der L 3 bekannt (S. 6 Z. 60 bis 63: "The piperidine derivatives of general formula I possess potent selective histamine H1-receptor blocking and calcium antagonist properties and should prove useful in the treatment of a variety of respiratory, allergic and cardiovascular disease states."). Tabelle 1 dieses Patents belegt auch die hohe therapeutische Wirksamkeit des Wirkstoffs. Der Überschuss des Streitpatents besteht damit nach Patentanspruch 1 ausschließlich in dem für eine bessere Bioverfügbarkeit eingesetzten Schritt der Mikronisierung.
2. Entgegen der Meinung der Berufung hat das Patentgericht zu Recht angenommen, dass der von ihm zutreffend definierte Fachmann Anlass hatte, sich um eine verbesserte Bioverfügbarkeit von Ebastin zu bemühen. Wie zu I ausgeführt, schildert die Streitpatentschrift, dass die vollständige Resorption des dem Patienten oral verabreichten Wirkstoffs durch seine geringe Löslichkeit in Wasser gefährdet wird. Anhaltspunkte dafür, dass dies unzutreffend wäre, sind weder von der Beklagten vorgebracht noch haben sie sich aus der Verhandlung und der Beweisaufnahme ergeben. Damit waren sie jedoch für den Fachmann, der sich wie bei der Verwendung eines Wirkstoffs als Arzneimittel schon im Interesse einer exakten und zuverlässigen Dosierung stets geboten, des Ausmaßes der Bioverfügbarkeit von Ebastin vergewisserte, feststellbar und gaben Veranlassung zur Prüfung, wie die Bioverfügbarkeit verbessert werden konnte.
3. Der Senat teilt auch die Wertung des Patentgerichts, dass jedenfalls auch der Gedanke an eine Mikronisierung zur Verbesserung der Löslichkeit für den Fachmann am Prioritätstag naheliegend war. In der L 10 heißt es (S. 472): "Um entsprechende Löslichkeitsverhältnisse zu erzielen, ist ... eine Einflussnahme vor allem auf zwei Parameter möglich, und zwar auf cs (Sättigungskonzentration) und auf F (Oberfläche des ungelösten Arzneistoffs) ...Eine ... Verbesserung der Löslichkeit ... ist durch Maßnahmen am Arzneistoffmolekül (Salzbildung ...), ... zu erreichen. Eine Vergrößerung der Oberfläche des Arzneistoffs ... lässt sich durch mechanis che Zerkleinerung (z.B. Mikronisierung) ... realisieren. " Auch wenn die Bildung eines Säureadditionssalzes eine weitere in Betracht zu ziehende Maßnahme gewesen sein mag, steht dies dem Naheliegen der Mikronisierung nicht entgegen.
Der gerichtliche Sachverständige hat die Mikronisierung als die nächstliegende Maßnahme zur Verbesserung der Löslichkeit und damit der Bioverfügbarkeit angesehen. Er hat insbesondere darauf hingewiesen, dass es sich um eine Maßnahme handele, die verhältnismäßig einfach und jedenfalls einfacher als die Bereitstellung einer geeigneten Salzform durchgeführt und daraufhin überprüft werden könne, ob und gegebenenfalls unter welchen Modifikationen sie sich im konkreten Fall als zielführend erweise. Danach ist aber nicht zweifelhaft, dass eine Mikronisierung des Wirkstoffs aus fachmännischer Sicht zumindest zu erwägen war. Darauf, ob die Mikronisierung für den Fachmann die "nächstliegende" Lösung des Problems war, Ebastin in hoher Bioverfügbarkeit bereitzustellen, kommt es im Ergebnis nicht an. Der Patentfähigkeit ermangelt nicht nur das nächstliegende Vorgehen, sondern jede für den Fachmann naheliegende Lösung eines technischen Problems (, GRUR 2000, 591, 596 Inkrustierungsinhibitoren; vom X ZR 68/99, GRUR 2003, 317, 320 kosmetisches Sonnenschutzmittel I). Es gibt auch keinen Rechtssatz, dass nur die Lösungsalternative, die der Fachmann voraussichtlich zunächst ausprobieren würde, naheliegend sei (, bei Bausch, Nichtigkeitsrechtsprechung in Patentsachen, BGH 1994 bis 1998, 445 Zerstäubervorrichtung; vom X ZR 93/95, Mitt. 2002, 16 - Filtereinheit). Kommen für den Fachmann Alternativen in Betracht, können somit mehrere von ihnen naheliegend sein (vgl. [Flachantenne], [...] Rn. 47).
4. Die von der Beklagten gegen das Naheliegen der Mikronisierung angeführten Argumente konnten den Fachmann, wie die Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen ergeben hat, nicht davon abhalten, diesen Weg zu beschreiten. Die Argumentation der Beklagten läuft letztlich darauf hinaus, dass der Fachmann durch die von ihr vorgebrachten Gesichtspunkte davon abgehalten worden sei, den in der Literatur beschriebenen und bekannten Verfahrensschritt der Mikronisierung zu erproben, und es stattdessen allein unternommen hätte, die Bioverfügbarkeit auf andere Weise, insbesondere durch die Schaffung eines Säureadditivsalzes von Ebastin, zu verbessern. In der Tat spricht die den Wirkstoff und seine therapeutische Verwendbarkeit offenbarende L 3 auch solche Salze, nicht aber die Mikronisierung an. Die L 10 bezeichnet weiter, worauf die Berufung hinweist, die Bildung wasserlöslicher Salze als "altbewährte Methode" (S. 474 unter 23.3.3). Alles dies begründet aber für sich im Sinn der Senatsrechtsprechung keine allgemeine, eingewurzelte Fehlvorstellung, die den Fachmann davon abgehalten hätte, die Mikronisierung zur Verbesserung der Bioverträglichkeit einzusetzen (vgl. nur , BGHZ 133, 57, 67 = GRUR 1997, 857, 860 Rauchgasklappe; Urteil vom X ZR 115/05, GRUR 2010, 322 Rn. 41 ff. - Sektionaltor).
5. Auch die weiteren von der Beklagten im Einzelnen angeführten Gesichtspunkte sind nicht geeignet, eine Veranlassung für den Fachmann zu belegen, von einer Mikronisierung von vornherein und ohne, dass er bei deren Durchführung auf nicht oder nicht ohne weiteres zu überwindende Probleme gestoßen wäre, Abstand zu nehmen.
(a) Dass die Mikronisierung nicht ohne einen gewissen Aufwand durchzuführen gewesen sein mag, stand von vornherein einer Beschäftigung des Fachmanns mit diesem bekannten Verfahrensschritt nicht entgegen.
(b) Vorbehalten, die darauf beruhen konnten, dass in einem Mahlwerk die Gefahr der Erhitzung und des Schmelzens des Wirkstoffs bestehe, steht schon entgegen, dass wie der gerichtliche Sachverständige unwidersprochen ausgeführt hat hierzu zweckmäßigerweise eine für Zwecke der Feinzerkleinerung bekannte Luftstrahlmühle (vgl. L 9 - Georges Boullay, STP Pharma 1985, 1 (4), S. 296 ff.) eingesetzt werden konnte, die nicht zu einer Erhitzung des Wirkstoffs, sondern über den Gasstrahl sogar zu dessen Kühlung geführt hätte und deshalb im Lehrbuch von Voigt (S. 36) ausdrücklich für den Zweck empfohlen wird, thermolabile Arzneimittel schonend auf den gewünschten Feinheitsgrad zu bringen.
(c) Der vom gerichtlichen Sachverständigen als zutreffend bestätigte Gesichtspunkt, dass hydrophobe Stoffe bei einer Zerkleinerung nicht selten zur Agglomeration neigen und die Zerkleinerung weitere hydrophobe Oberflächen schaffen kann, was sich auf die Löslichkeit und damit auf die Bioverfügbarkeit negativ auswirken kann, hielt den Fachmann, wie der gerichtliche Sachverständige angegeben hat, nicht davon ab, die Mikronisierung zur Verbesserung der Löslichkeit einzusetzen. Insoweit tritt der Senat der von Fachkunde getragenen Beurteilung durch das Patentgericht bei, das zutreffend darauf verwiesen hat, dass solchen Schwierigkeiten wenn sie überhaupt auftraten durch eine Verbesserung der Benetzbarkeit, insbesondere die Zugabe von Tensiden, beizukommen war, worauf auch die L 9 verweist (vgl. BPatGU 14). Soweit die Berufung weiter darauf verweist, dass nach der L 10 bei stark (dort: ausgeprägt; S. 476) hydrophoben Arzneistoffen eine Teilchenzerkleinerung zu einer Verschlechterung der Löslichkeitsverhältnisse führe, krankt ihre Argumentation schon daran, dass sie nicht aufzeigt, dass der Fachmann davon ausgehen musste, dass Ebastin ein stark hydrophober Stoff in diesem Sinn ist; die von ihr genannte Belegstelle im Urteil der Vorinstanz belegt dies nicht. Auch der gerichtliche Sachverständige hat darauf hingewiesen, dass die geringe Löslichkeit eines Stoffes nicht notwendigerweise mit einer ausgeprägten Hydrophobie verbunden ist. Im Übrigen wird die apodiktische Aussage bei Voigt unmittelbar nachfolgend durch den Hinweis relativiert, dass sich bei derartigen Arzneistoffen die Lösungsgeschwindigkeit durch Umkristallisieren aus tensidhaltiger Lösung steigern lasse.
(d) Schließlich kann auch das Argument der Beklagten, dass die Adsorption von Luft, die bei der Mikronisierung zu befürchten sei, eine verschlechterte Wasserlöslichkeit zur Folge habe, nicht mit Erfolg gegen das Naheliegen der Mikronisierung ins Feld geführt werden. Der gerichtliche Sachverständige hat hierzu überzeugend ausgeführt, dass dem erforderlichenfalls mit der bekannten und etwa bei Voigt (insoweit vorgelegt als L 23 unter 8.3.2.1. S. 158 ff.) beschriebenen Feuchtgranulierung wirksam begegnet werden konnte.
(e) Zu dem Argument, dass es dem Fachmann habe unerwünscht erscheinen müssen, zur Verbesserung der Lösungsgeschwindigkeit durch Mikronisierung auf die Hinzufügung eines Tensids zum Wirkstoff angewiesen zu sein, hat der gerichtliche Sachverständige schließlich überzeugend ausgeführt, man werde zunächst versuchen, ohne ein Tensid auszukommen, bei iterativem Vorgehen es aber bei Bedarf in einem Folgeschritt einsetzen. Ein solches Tensid sei auch kein Allergen und deshalb für die vorgesehenen therapeutischen Zwecke nicht per se nachteilig. Im Übrigen hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass weitere Hilfsstoffe wie inerte Zucker zur Hydrophilierung in Betracht kommen.
6. Demnach kann entgegen der Auffassung der Beklagten nicht davon ausgegangen werden, dass der Fachmann annahm, die Mikronisierung werde nicht zu der gewünschten Verbesserung der Löslichkeit von Ebastin führen. Die ein Naheliegen jedenfalls begründende "angemessene Erfolgserwartung" im Sinn insbesondere der Praxis der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts (vgl. nur EPA T 60/89, ABl. EPA 1992, 268 = GRUR Int. 1992, 771, 775 Fusionsproteine; schweiz. Bundesgericht, GRUR Int. 1996, 1059, 1063 - Manzana II) bei der Mikronisierung ist damit ungeachtet nicht von vornherein auszuschließender Schwierigkeiten im Einzelnen, die aber nicht spezifisch mit der Struktur von Ebastin zusammenhängen, nicht zu verneinen.
V. Mit dem Patentgericht ergab sich auch der Gegenstand des Patentanspruchs 7, hinsichtlich dessen sich die Beklagte allein auf einen gegenüber Patentanspruch 1 überschießenden erfinderischen Gehalt beruft, in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik. Die Beklagte macht geltend, dass durch die Kombination von Mikronisierung und Feuchtgranulierung eine Verbesserung der Lösungsgeschwindigkeit erzielt werde, die als überraschender synergistischer Effekt über die Summe der Einzelbeiträge hinausgehe. Das Patentgericht hat hierzu ausgeführt, es handle sich um eine bei der Verarbeitung pulverförmiger Substanzen übliche Maßnahme, die der Fachmann alleine schon aus Gründen der besseren Handhabbarkeit, beginnend bei der genaueren Dosierbarkeit, bei in mikronisierter Form vorliegenden Wirkstoffen ergreife. Der gerichtliche Sachverständige hat dies bestätigt und darauf verwiesen, dass die Herstellung von Tabletten mittels Granulation in Lehrbüchern detailliert beschrieben werde, so auch bei Voigt (siehe hierzu oben unter III 5 (e)). Ob das Ausmaß der Löslichkeitssteigerung überraschend ist, kann angesichts dessen dahinstehen. Denn auch ein überraschender Synergieeffekt kann erfinderische Tätigkeit nicht begründen, wenn die Maßnahmen, die diesen Effekt zur Folge haben, wie hier nahegelegt waren (, GRUR 2003, 317 kosmetisches Sonnenschutzmittel I; Urteil vom Xa ZR 148/05, GRUR 2009, 936 Heizer).
VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 2 PatG, § 97 Abs. 1 ZPO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
EAAAE-07483