Kein Wohnsitz eines ins Ausland entsandten Arbeitnehmers im Inland bei nur gelegentlichem Verweilen im Inland zu Erholungszwecken; Klagebefugnis des Ehegatten
Gesetze: AO § 8, FGO § 40 Abs. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, EStG § 62 Abs. 1
Instanzenzug: (Kg)
Gründe
1 I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind die Eltern von A, B, C und D. Der Kläger ist österreichischer Staatsangehöriger, die Klägerin besitzt die lettische Staatsangehörigkeit und lebt zusammen mit den Kindern seit August 2004 in Lettland. Der Kläger ist nichtselbständig tätig und wurde von seinem in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Arbeitgeber zunächst nach Lettland, von April 2008 bis März 2009 nach N (Ausland) und von Mai 2009 bis Dezember 2010 nach L (Ausland) entsandt. In der Zeit von Juli 2008 bis Juli 2010 hielt er sich —teilweise allein, teilweise mit der Familie— tage- oder wochenweise am Sitz seines Arbeitgebers in X (Inland) oder im Eigenheim in Y(Inland) auf.
2 Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) hob das auf Antrag des Klägers diesem zunächst bewilligte Kindergeld ab April 2008 auf.
3 Das Finanzgericht wies die von beiden Klägern erhobene Klage ab. Die Klage der Klägerin sei mangels Klagebefugnis bereits unzulässig. Die insoweit geltend gemachte finanzielle Betroffenheit dadurch, dass das Kindergeld für den Familienunterhalt bestimmt sei, reiche nicht aus. Die Klage sei jedoch auch unbegründet, weil Kindergeld nur an einen Berechtigten gezahlt werde und die Kläger den Kläger als Berechtigten bestimmt hätten. Die Klage des Klägers sei unbegründet, da der Kläger mangels inländischen Wohnsitzes (§ 8 der Abgabenordnung —AO—) nicht nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (EStG) anspruchsberechtigt sei und auch die Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 Nr. 2 EStG nicht vorlägen.
4 Mit der Nichtzulassungsbeschwerde begehren die Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
5 II. Die Beschwerde ist unzulässig und wird durch Beschluss verworfen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO). Die Kläger haben den geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) nicht in der durch § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO geforderten Art und Weise dargelegt.
6 1. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) sind substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage erforderlich, die im konkreten Streitfall voraussichtlich auch klärungsfähig ist und deren Beurteilung von der Klärung einer zweifelhaften oder umstrittenen Rechtslage abhängig ist. Hierzu muss sich die Beschwerde insbesondere mit der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), den Äußerungen im Schrifttum sowie mit ggf. veröffentlichten Verwaltungsmeinungen auseinandersetzen (Senatsbeschluss vom III B 121/03, BFH/NV 2005, 46). Es sind Ausführungen erforderlich, aus denen sich ergibt, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft und umstritten ist (z.B. BFH-Beschlüsse vom X B 185/07, BFH/NV 2008, 603, und vom V B 29/07, BFH/NV 2008, 1501, unter III.B.1.). Hat der BFH über die Rechtsfrage bereits entschieden, ist darzulegen, weshalb eine erneute oder weitere Entscheidung für erforderlich gehalten wird (z.B. Senatsbeschluss vom III B 59/03, BFH/NV 2004, 166). Darüber hinaus ist auf die Bedeutung der Klärung der konkreten Rechtsfrage für die Allgemeinheit einzugehen (z.B. Senatsbeschluss in BFH/NV 2005, 46, m.w.N.).
7 2. Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen in der Beschwerdebegründung nicht.
8 a) Die Klägerin hält zunächst die Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam, ob eine rechtliche Betroffenheit gemäß § 40 Abs. 2 FGO sich nicht nur bei einer Stellung als Adressat eines Verwaltungsakts, sondern auch bei einer materiell-rechtlichen Betroffenheit ergebe, insbesondere wenn der Betroffene von der Entscheidung wirtschaftliche Nachteile zu gewärtigen habe.
9 Insoweit hat die Klägerin weder die Klärungsbedürftigkeit der Frage noch deren Klärungsfähigkeit ausreichend dargelegt. Insbesondere ist aus dem Hinweis, die Rechtsfrage habe erhebliche Bedeutung für die Allgemeinheit, weil sich die Frage des Rechtsschutzes des einen Elternteils gegen nachteilige, an den anderen Elternteil adressierte Entscheidungen sehr häufig stelle, nicht ersichtlich, dass die Frage inhaltlich klärungsbedürftig ist. Beides ist tatsächlich auch nicht der Fall.
10 Bereits aus dem Wortlaut des § 40 Abs. 2 FGO ergibt sich, dass —wie vorliegend— im Fall einer Anfechtungsklage (nur) derjenige klagebefugt ist, der geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Der Gesetzeswortlaut verlangt demzufolge zwar keine Adressatenstellung, wohl aber eine mögliche Verletzung in eigenen Rechten.
11 Dass die Klägerin durch die Aufhebung der gegenüber dem Kläger erfolgten Kindergeldfestsetzung in irgendeiner Form in eigenen Rechten verletzt sein soll, macht sie jedoch nicht geltend. Vielmehr versucht die Klägerin ihre Klagebefugnis allein aus ihrer wirtschaftlichen Betroffenheit durch das (auch) ihr gegenüber geminderte Familieneinkommen zu begründen. Ein lediglich wirtschaftliches Interesse am Ausgang des Prozesses genügt jedoch nicht (z.B. , BFHE 194, 368, BStBl II 2001, 443; , BFH/NV 1995, 229; Gräber/ von Groll, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 40 Rz 56). Vielmehr soll sich nur derjenige der Anfechtungsklage bedienen können, der durch einen Verwaltungsakt unmittelbar in seiner Rechtsstellung betroffen ist (vgl. BFH-Urteil in BFHE 194, 368, BStBl II 2001, 443, m.w.N.). Anders als die Klägerin offenbar meint, ist ein wirtschaftliches Interesse am Ausgang des Rechtsstreits nicht mit einer rechtlichen Betroffenheit gleichzusetzen.
12 b) Auch die von dem Kläger für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Rechtsfrage, ob bei einem entsandten Arbeitnehmer, der im Ausland arbeite, ein gelegentliches Verweilen in der im Inland belegenen Wohnung zu Erholungszwecken als Wohnsitz gemäß § 8 AO ausreiche, rechtfertigt keine Revisionszulassung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.
13 Die Beschwerdebegründung setzt sich insoweit nicht mit der umfangreichen Rechtsprechung zum Wohnsitz i.S. von § 8 AO auseinander. Danach setzt der Wohnungsbegriff neben zum dauerhaften Wohnen geeigneten Räumlichkeiten das Innehaben der Wohnung in dem Sinne voraus, dass der Betreffende tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit aufsucht. Ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Besuchs- oder Erholungszwecken genügt nicht (z.B. Senatsurteil vom III R 10/02, BFHE 202, 331, BStBl II 2003, 714, unter II.2.; , BFH/NV 2001, 1231; vom VI R 165/99, BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279, unter II.3.a, m.w.N.).
14 Warum bei einem ins Ausland entsandten Arbeitnehmer, der —wie die Beschwerdebegründung ausführt— seine im Inland belegene Wohnung typischerweise im Wesentlichen nur zu Erholungszwecken aufsuchen könne, andere Maßstäbe anzulegen sein sollen, wird nicht dargelegt.
15 Letzteres ergibt sich insbesondere nicht aus dem Hinweis auf Art. 12 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit —VO Nr. 883/2004— (Amtsblatt der Europäischen Union —ABlEU— 2004 Nr. L 166, S. 1).
16 Diese gilt nach ihrem Art. 91 Abs. 2 erst ab dem Tag des Inkrafttretens der zu ihrer Durchführung erlassenen Verordnung. Diese —die Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der VO Nr. 883/2004 (ABlEU 2009 Nr. L 284, S. 1)— trat nach ihrem Art. 97 Satz 2 erst am in Kraft. Zu dieser Zeit war der Kläger jedoch nicht in einen (anderen) Mitgliedstaat entsandt, sondern nach L (außereuropäisches Ausland).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2012 S. 978 Nr. 6
XAAAE-06564