Einführung eines sog. Familienrealsplittings verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt
Gesetze: EStG § 32 Abs. 4 Satz 2
Instanzenzug:
Gründe
1 Die Beschwerde ist unzulässig und wird durch Beschluss verworfen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
2 Die Beschwerdebegründung genügt nicht den Anforderungen an die Darlegung eines Grundes für die Zulassung der Revision gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO.
3 a) Die von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) begehrte Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO setzt voraus, dass der Beschwerdeführer eine hinreichend bestimmte Rechtsfrage herausstellt, deren Klärung im Interesse der Allgemeinheit an der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Fortentwicklung des Rechts erforderlich ist und die im konkreten Streitfall klärbar ist. Dazu ist auszuführen, ob und in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Rechtsfrage umstritten ist. Vor allem sind, sofern zu dem Problemkreis Rechtsprechung und Äußerungen im Fachschrifttum vorhanden sind, eine grundlegende Auseinandersetzung damit sowie eine Erörterung geboten, warum durch diese Entscheidungen die Rechtsfrage noch nicht als geklärt anzusehen ist bzw. weshalb sie ggf. einer weiteren oder erneuten Klärung bedarf (z.B. Senatsbeschluss vom III B 14/03, BFH/NV 2004, 224). Wird die Verfassungswidrigkeit einer Norm gerügt, so hat der Beschwerdeführer nicht nur konkret auf die Rechtsfrage —und damit auf Sinn und Zweck sowie den systematischen Zusammenhang der in Frage stehenden Vorschrift—, sondern u.a. auch darauf einzugehen, von welcher Seite und aus welchen Gründen ein Verstoß gegen das Grundgesetz angenommen wird (z.B. Senatsbeschluss vom III B 153/07, BFH/NV 2008, 2009, m.w.N.).
4 b) Diesen Vorgaben genügen die Ausführungen in der Beschwerdeschrift nicht.
5 aa) Die Kläger sind der Auffassung, dass sie als zusammenveranlagte Eltern mit Kindern gegenüber zusammenveranlagten kinderlosen Ehepaaren beziehungsweise Einzelsteuerpflichtigen im Streitjahr 2002 in verfassungswidriger Weise ungleich behandelt wurden. Zur Vermeidung einer solchen Ungleichbehandlung fordern sie ein Familiensplitting, mit dem „im Rahmen der Besteuerung der Eltern für Kinder” nicht „lediglich der existenznotwendige Mindestbedarf zugrunde gelegt” werde. Es sei zu verhindern, „dass der gesamte Bedarf eines Kindes oberhalb des Existenzminimums der vollen Steuerprogression” unterliege.
6 Die Kläger setzen sich noch nicht einmal ansatzweise mit der im angegriffenen Urteil des Finanzgerichts zitierten einschlägigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Besteuerung von Eltern mit unterhaltspflichtigen Kindern auseinander. Auch mit Beiträgen des Schrifttums zu dieser Problematik befassen sie sich nicht. Auf diese Weise vermeiden sie die gebotene Stellungnahme dazu, ob in der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Frage der verfassungsrechtlichen Notwendigkeit eines Familiensplittings —die Kläger sprechen offenkundig das sog. Familienrealsplitting an (vgl. hierzu und zum sog. Familiendivisorensplitting z.B. Jachmann, Finanz-Rundschau —FR— 2010, 123)— nicht bereits geklärt ist.
7 So hat der BFH aus der Rechtsprechung des u.a., BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653), wonach der Gesetzgeber von Verfassungs wegen lediglich verpflichtet ist, Unterhaltsaufwendungen mindestens in Höhe des Existenzminimums der Kinder von der Besteuerung auszunehmen, ausdrücklich gefolgert, dass mit dieser Aussage zugleich die Entscheidung getroffen wurde, dass ein Familiensplitting im Sinne der grundsätzlichen Berücksichtigung der Unterhaltslasten in tatsächlicher Höhe (hierzu z.B. Jachmann, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 31 Rz A 55) verfassungsrechtlich nicht geboten ist (, BFHE 183, 549, BStBl II 1997, 697).
8 Dass angesichts der bestehenden Rechtsprechung neuerlicher Klärungsbedarf entstanden ist, wird weder in der Beschwerde dargelegt noch ist dies sonst ersichtlich.
9 bb) Auch soweit die Kläger eine Ungleichbehandlung darin erblicken, dass „Eltern, die über übertragbare Einkommensquellen verfügen, für ihre Kinder die Freibeträge nach § 32a Abs. 1 Nr. 1 EStG erschließen” könnten, lassen die Ausführungen die gebotene Auseinandersetzung mit Rechtsprechung und Literatur vermissen. Wie die weiteren Erläuterungen in der Begründung zeigen, wollen die Kläger wohl dahin verstanden werden, dass sie solche Eltern als gleichheitswidrig privilegiert ansehen, die die kindbedingten Steuerentlastungen trotz Reduzierung oder Wegfall ihrer bürgerlich-rechtlichen Unterhaltspflicht behalten. Zur Reduzierung oder zum Wegfall der Unterhaltspflicht kommt es ihres Erachtens in Folge der Übertragung von Einkunftsquellen und der hieraus resultierenden Anrechnung der nunmehr entstehenden Kindeseinkünfte auf die elterliche Unterhaltsverpflichtung.
10 Diese Darlegungen lassen bereits die gebotene Differenzierung zwischen minderjährigen und volljährigen Kindern vermissen. Denn bei Letzteren führt jedenfalls die Übertragung relevanter Einkunftsquellen typischerweise zur Überschreitung des Grenzbetrages i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG) und damit —korrespondierend zum Wegfall oder der Reduzierung der bürgerlich-rechtlichen Unterhaltspflicht— auch zum Verlust des Anspruchs auf die Freibeträge des § 32 Abs. 6 EStG oder das Kindergeld. Bei minderjährigen Kindern gibt es zwar keine vergleichbare Einkunftsgrenze, doch liegen hier die Verhältnisse möglicherweise schon deswegen anders, weil zum einen der Gesetzgeber zu der typisierenden Annahme berechtigt sein könnte, dass Minderjährige, insbesondere Kleinkinder und Schüler, in der Masse der Fälle keine Einkünfte (z.B. Ausbildungsvergütungen, Löhne für Aushilfstätigkeiten) beziehen (vgl. Grönke-Reimann in Herrmann/Heuer/Raupach —HHR—, § 32 EStG Rz 130 a.E.) und deshalb unterhaltsbedürftig sind, und zum anderen Praktikabilitätsgesichtspunkte den Verzicht auf die massenhafte Überprüfung der Einkommensverhältnisse sämtlicher minderjähriger Kinder rechtfertigen könnten. Die gebotene Auseinandersetzung mit diesen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich anerkannten Kriterien für die verfassungsrechtliche Würdigung gesetzlicher Vorschriften fehlt in der Beschwerde ebenso wie die Erörterung der Gründe, die in der Literatur für oder gegen die Verfassungsmäßigkeit der im Streitjahr geltenden Regelungen ins Feld geführt werden (z.B. HHR/Grönke-Reimann, § 32 EStG Rz 130 a.E.; Paus, FR 1996, 337, 339; Kanzler, Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft, Band 24 [2001], 417; Jachmann, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 32 Rz A 71; Sangmeister, Steuern und Wirtschaft 2001, 168).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2012 S. 942 Nr. 6
EStB 2012 S. 171 Nr. 5
StBW 2012 S. 342 Nr. 8
DAAAE-06562