Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge: Berücksichtigung der Beteiligung verdeckter Ermittler bei der Strafzumessung
Gesetze: § 29 BtMG, §§ 29ff BtMG, § 46 StGB
Instanzenzug: LG Aachen Az: 62 KLs 901 Js 330/10 - 3/11
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten H. unter Freisprechung im Übrigen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen (II.12 und II.13 der Urteilsgründe) und wegen Beihilfe zum unerlaubten Herstellen von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 11 Fällen (II.1 bis II.11) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Den Angeklagten Ru. hat es unter Freisprechung im Übrigen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen (darunter die Fälle II.12 und II.13) und wegen Beihilfe zum unerlaubten Herstellen von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Schließlich hat es die Angeklagten Re. und J. jeweils wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall II.13) verurteilt, Re. zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und J. zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren bei Strafaussetzung zur Bewährung.
2Gegen dieses Urteil wendet sich nur der Angeklagte H. mit der auf die Sachrüge gestützten Revision. Sein Rechtsmittel hat hinsichtlich der Strafzumessung in den Fällen II.12 und II.13 sowie der Gesamtstrafe Erfolg; im Übrigen ist seine Revision unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
3Nach den Feststellungen des Landgerichts erwarb der Angeklagte H. nach Absprache mit dem Mitangeklagten Ru. im Jahre 2003 über seine Firma W. zwei Tablettenpressen. Diese wurden an holländische Ecstasy-Hersteller geliefert (Fälle II.1 und II.2). In der Zeit vom bis zum bestellte der Angeklagte H. über seine Firma insgesamt 8,2 Tonnen des Bindemittels Vivapur, das für die Ecstasy-Tablettenproduktion verwendet werden sollte. Es erfolgten dann neun Lieferungen des Bindemittels an Laborbetreiber (Fälle II.3 bis II.11). Die Strafverfolgungsbehörden führten seit dem Jahre 2007 Ermittlungen gegen die Angeklagten H. und Ru. durch. Sie setzten die Verdeckten Ermittler "N. " und "P. " ein, denen die Angeklagten H. und Ru. die Lieferung von Amphetaminöl anboten. Am wurde ein Vertrauenskauf von fünf Litern Amphetaminöl durchgeführt. Der Angeklagte H. erwarb die Drogenmenge von seinem Geschäftspartner "K. " für 7.000 Euro und gab sie für 8.000 Euro an "N. " weiter (Fall II.12). Am wurde ein größeres Geschäft abgewickelt. Zwischen den Angeklagten H. und Ru. einerseits und den Verdeckten Ermittlern "N. " und "P. " andererseits war die Lieferung von 160 Litern Amphetaminöl zum Preis von 288.000 Euro vereinbart worden. Der Angeklagte H. erwarb das Amphetaminöl wieder von "K. " . Den Transport der Drogenmenge zur Lagerhalle des Mitangeklagten J. in G. (Niederlande) führte der Mitangeklagte Re. durch. Der Verdeckte Ermittler "N. " holte den Angeklagten H. in dessen Wohnung ab, fuhr mit ihm zur deutsch-niederländischen Grenze, wo das weitere Fahrzeug erwartet wurde, mit dem das Amphetamin abtransportiert werden sollte. Dann setzten sie die Fahrt nach G. zu der Lagerhalle des Mitangeklagten J. , die von diesem für die Drogenübergabe an die vermeintlichen Käufer zur Verfügung gestellt wurde, fort. Den Lastkraftwagen zum Abtransport der Drogen führte der Verdeckte Ermittler "M. ". Der Mitangeklagte Re. brachte 153,68 kg Ampetaminöl zu der Lagerhalle, das dort umgeladen werden sollte. Kurz davor erfolgte der polizeiliche Zugriff (Fall II.13).
4Das Landgericht hat dem Angeklagten H. bei der Strafzumessung zu Gute gehalten, dass die Taten in den Fällen II.8 bis II.13 "während der seit 2007 laufenden Ermittlungen begangen" wurden, ferner, dass das Amphetaminöl in den Fällen II.12 und II.13 sichergestellt worden ist. Ebenso hat es den Mitangeklagten Ru. , Re. und J. die Sicherstellung zu Gute gehalten. Jedoch hat es die Tatsache des Einsatzes Verdeckter Ermittler in der Begründung seiner Strafzumessungsentscheidung jeweils nicht erwähnt. Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
5Bei unerlaubtem Betäubungsmittelhandel prägen zwar vor allem Art und Menge des Rauschgifts den Unrechtsgehalt der Tat. Gleichwohl verlieren die allgemeinen Grundsätze der Strafzumessung nicht ihre Bedeutung. Eine reine "Mengenrechtsprechung" ist mit diesen Grundsätzen nicht zu vereinbaren (vgl. , NStZ-RR 2011, 284 f.). Vielmehr sind nicht zuletzt auch staatliche Beteiligungshandlungen an Drogengeschäften als gewichtige Strafzumessungsgründe zu berücksichtigen, insbesondere bei einer staatlichen Initiative zu einem konkreten Drogengeschäft. Das Landgericht hat zwar die Sicherstellung der Drogen in den Fällen II.12 und II.13 berücksichtigt. Es hat aber den Strafmilderungsgrund der Beteiligung Verdeckter Ermittler an den Drogengeschäften nicht gesondert beachtet. Etwas anderes geht, soweit es den Angeklagten H. betrifft, auch nicht daraus hervor, dass das Landgericht erwähnt hat, seine Taten in den Fällen II.8 bis II.13 seien während der seit 2007 laufenden Ermittlungen begangen worden (UA S. 37). Nur in den Fällen II.12 und II.13 wurden Verdeckte Ermittler eingesetzt, die auch am eigentlichen Tatgeschehen mitwirkten; dies ist nicht besonders berücksichtigt worden, obwohl es geboten gewesen wäre. Der Verdeckte Ermittler "N. " war an den Angeklagten H. herangetreten (UA S. 22) und er hatte im Rahmen der sich entwickelnden Geschäftsbeziehung an der Vereinbarung der Drogenlieferungen in den Fällen II.12 und II.13 mitgewirkt. Ferner fand bei der Abwicklung der Drogengeschäfte eine Mitwirkung der Verdeckten Ermittler "N. " und "P. ", im Fall II.13 auch des Verdeckten Ermittlers "M. " statt. Diese staatliche Mitwirkung muss als ein die Strafbemessung bestimmender Umstand bewertet werden.
6Der Rechtsfehler führt aufgrund der Sachrüge des Angeklagten H. zur Urteilsaufhebung hinsichtlich der Einzelstrafen in den Fällen II.12 und II.13 sowie der Gesamtstrafe.
7Gleiches muss nach § 357 StPO zugunsten des Angeklagten Ru. (Einzelstrafen in den Fällen II.12 und II.13 und Gesamtstrafe) und der Angeklagten Re. und J. (Strafen im Fall II.13) gelten. Insoweit ist die staatliche Mitwirkung an der Tatbegehung ebenfalls nicht als bestimmender Strafzumessungsgrund berücksichtigt worden.
VRiBGH Dr. Ernemann Fischer Berger
ist wegen Urlaubs an der
Unterschriftsleistung gehindert.
Fischer
Krehl Eschelbach
Fundstelle(n):
NAAAE-06122