Gefährliche Körperverletzung durch Gebrauch einer Schusswaffe in Notwehr: Strafbarkeit des Besitzes und des Führens der Waffe
Gesetze: § 32 StGB, § 53 StGB, § 224 StGB, § 52 WaffG
Instanzenzug: LG Wiesbaden Az: 2234 Js 21835/10 - 2 Ks
Gründe
1Mit der zugelassenen Anklage ist dem Angeklagten versuchter Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie mit vorsätzlichem unerlaubten Besitz und Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe zur Last gelegt worden; er habe am Tattage nach einer Unterhaltung mit dem Geschädigten aus einer Pistole des Kalibers 7,65 mm auf ihn geschossen und ihn verletzt. Das Schwurgericht ist zur Annahme einer durch Notwehr gerechtfertigten gefährlichen Körperverletzung gelangt und hat den Angeklagten wegen eines zuvor begangenen vorsätzlichen unerlaubten Besitzes einer halbautomatischen Schusswaffe in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Führen einer halbautomatischen Schusswaffe zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt und die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die mit der Sachrüge begründete Revision des Angeklagten hat Erfolg.
21. Das Landgericht ist zwar im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass insoweit, als der vom Angeklagten abgegebene Schuss auf den Nebenkläger durch Notwehr gerechtfertigt war, auch die Strafbarkeit wegen des damit unmittelbar zusammenfallenden Führens einer Schusswaffe entfällt (vgl. BGH NStZ 1981, 299; 1999, 347; NJW 2001, 3200, 3203; NStZ-RR 2010, 140). Es hat jedoch verkannt, dass die vorausgehenden Dauerdelikte des Besitzes und des Führens der Waffe und die eine Zäsur bewirkende anschließende Verwendung der Waffe auch dann mehrere Taten bilden (§ 53 StGB), wenn jene Verwendung der Waffe - wie hier der Schusswaffengebrauch infolge der Rechtfertigung durch Notwehr - nicht strafbar ist (vgl. BGH NStZ 1999, 347; NJW 2001, 3200, 3203; Heinrich in: Steindorf/Heinrich/Papsthart, Waffenrecht 9. Aufl. § 52 Rn. 62). Der Angeklagte ist deshalb vom Anklagevorwurf freizusprechen.
32. Ein zeitlich vorgelagertes Vergehen gegen das Waffengesetz ist nicht Verfahrensgegenstand geworden und durfte deshalb vom Schwurgericht nicht abgeurteilt werden. Anklage und Eröffnungsbeschluss werfen dem Angeklagten allein das durch den Schusswaffeneinsatz begangene, gerechtfertigte Waffendelikt vor. Dass er vorher unerlaubt die tatsächliche Gewalt über eine Schusswaffe ausgeübt und sie bis zum Eintritt der Notwehrlage unerlaubt mit sich geführt habe, wird in der Anklageschrift nicht erwähnt. Diese Tat hätte deshalb nur durch eine Nachtragsanklage gemäß § 266 StPO in das Verfahren einbezogen werden können. Dies ist nicht geschehen. Daher ist das Verfahren insoweit einzustellen (§ 206a StPO).
Fischer Appl Berger
Eschelbach Ott
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Fundstelle(n):
BAAAE-06084