Übertragung eines Rechtsstreits auf den Berichterstatter als Einzelrichter; Steuerfestsetzung und Festsetzung aus Billigkeitsgründen zwei getrennte Verfahren; Fehler im Besteuerungsverfahren keine Verfahrensfehler; Bemessung der Lohnsteuer
Gesetze: AO § 163, EStG § 3 Nr. 9, EStG § 8 Abs. 1, EStG § 19 Abs. 1, EStG § 24 Nr. 1b, EStG § 34 Abs. 1, EStG § 37, EStG § 38, EStG § 38a Abs. 2, EStG § 39a, FGO § 6 Abs. 1, FGO § 76 Abs. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 116 Abs. 3 Satz 3, GG Art. 3, GG Art. 101 Abs. 1, GG Art. 103
Instanzenzug:
Gründe
1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Zum Teil entspricht ihre Begründung nicht den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO); im Übrigen liegen die von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vor.
2 1. a) Soweit die Kläger hinsichtlich des wesentlichen Kerns ihres Vorbringens im Klageverfahren pauschal eine Verletzung der Gewährung eines fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs rügen, wird schon nicht hinreichend dargetan, worin der ihrer Ansicht nach wesentliche Kern ihres Vorbringens bestanden haben soll, der vom Finanzgericht (FG) übergangen worden sein soll. Abgesehen davon hat sich das FG mit dem Vorbringen der Kläger ausweislich der Urteilsgründe befasst, ist allerdings nicht zu dem von den Klägern gewünschten Ergebnis gelangt.
3 b) Auch die Rüge der Verletzung des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) ist nicht hinreichend dargelegt; ein solcher Verstoß liegt auch nicht vor. So ist weder dargetan noch ersichtlich, inwieweit die verzögerte Aktenrückgabe durch den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—), die (vermeintlich) fehlende Transparenz der Änderungen des Geschäftsverteilungsplans des FG wie auch die behauptete, aber nicht näher spezifizierte „unzulässige Einflussnahme” des Finanzministeriums entscheidungserheblich gewesen sein und damit das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt haben sollen.
4 Den Klägern ist der gesetzliche Richter auch nicht durch die Übertragung des Rechtsstreits auf den Berichterstatter als Einzelrichter (§ 6 Abs. 1 FGO) entzogen worden; vielmehr ist der Einzelrichter der gesetzliche Richter i.S. des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. , BFH/NV 2003, 926, unter 1.a; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 6 Rz 22; Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 6 FGO Rz 17). Soweit sie in diesem Zusammenhang eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO) als (verzichtbaren) Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) rügen, kann vorliegend dahinstehen, ob es einer vorherigen Anhörung der Beteiligten insoweit bedarf (vgl. BFH-Beschlüsse vom XI R 83/97, BFH/NV 2000, 332; vom VIII B 78/08, BFH/NV 2009, 779, m.w.N.; Gräber/Koch, a.a.O., § 6 Rz 7; Brandis in Tipke/Kruse, a.a.O., § 6 FGO Rz 13). Denn die fachkundig vertretenen Kläger haben in der mündlichen Verhandlung vor dem FG in Gestalt des Einzelrichters ausweislich des Sitzungsprotokolls (zu dessen Beweiskraft: § 94 FGO i.V.m. § 165 der Zivilprozessordnung —ZPO—) rügelos zur Sache verhandelt und damit insoweit ihr Rügerecht verloren (§ 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO; z.B. , BFH/NV 2008, 2022).
5 2. Soweit die Kläger schwerwiegende Rechtsanwendungs- und Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt., Nr. 3 FGO) rügen, sind diese zum Teil nicht hinreichend dargelegt und im Übrigen nicht gegeben.
6 a) Die Nichtberücksichtigung von Billigkeitsgründen bei der Steuerfestsetzung stellt keinen (schwerwiegenden) Rechtsanwendungsfehler dar. Denn die vom FG vertretene Ansicht entspricht ständiger Rechtsprechung des BFH, wonach die Steuerfestsetzung und die abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 der Abgabenordnung (AO) zwei selbständige Verwaltungsakte (Steuerbescheide) sind, über die in getrennten Verfahren zu entscheiden ist (vgl. , BFH/NV 2010, 2067; , BFH/NV 1998, 201). Im Streitfall hat das FA in seiner Einspruchsentscheidung nicht über eine Billigkeitsfestsetzung bzw. einen Erlass von Steuern entschieden, sodass diese auch nicht Gegenstand des Klageverfahrens sein konnten. Im Übrigen wurde über den Einspruch gegen den Ablehnungsbescheid, mit dem das FA den von den Klägern gestellten Billigkeits- bzw. Erlassantrag (§ 163, § 227 AO) abschlägig beschieden hatte, nach den Feststellungen des FG (Urteil S. 6) noch nicht entschieden.
7 b) Auch hinsichtlich der beanstandeten Höhe des Lohnsteuerab-zugs liegt ein schwerwiegender Rechtsanwendungsfehler nicht vor. Zwar wird die (Jahres-)Lohnsteuer so bemessen, dass sie der Einkommensteuer auf erzielte Einkünfte ausschließlich aus nichtselbständiger Arbeit entspricht (§ 38a Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes —EStG—). Der Steuerpflichtige hat aber —wie bei der Festsetzung von Einkommensteuer-Vorauszahlungen (§ 37 Abs. 1, Abs. 3 EStG), auch unterjährig— die Möglichkeit, nicht ausgeglichene negative Einkünfte wie auch vorhandene Verluste aus anderen Einkunftsarten beim (monatlichen) Lohnsteuerabzug berücksichtigen zu lassen (§ 39a Abs. 1 Nr. 5 EStG); dies geschieht im sog. Lohnsteuer-Ermäßigungsverfahren durch Eintragung eines entsprechenden Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte, die eine gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen ist (§ 39a Abs. 4 Satz 1 EStG). Davon haben die Kläger indes keinen Gebrauch gemacht, so dass es hier bei hohen Verlusten u.a. aus Vermietung und Verpachtung unter Anrechnung des tatsächlichen Lohnsteuerabzugs zu einer hohen Rückerstattung (Restguthaben) gekommen ist. Diese Einflussmöglichkeit auf die Höhe des Lohnsteuerabzugs und sein nur vorläufiger Charakter als Vorauszahlung auf die Einkommensteuer (§ 38 Abs. 1, § 39a Abs. 4 Satz 1 EStG; , BFH/NV 2001, 476) wie auch Praktikabilitätserwägungen (vgl. , BVerfGE 43, 231, BStBl II 1977, 297; , BFHE 157, 370, BStBl II 1989, 976) lassen die Kläger bei ihren verfassungsrechtlichen Einwänden unberücksichtigt.
8 c) Die im Zusammenhang mit der Besteuerung der Abfindung (§ 3 Nr. 9, § 34 Abs. 1 EStG) geltend gemachte fehlende Auseinandersetzung des FG mit dem Klägervorbringen als Verfahrensmangel ist jedenfalls nicht entscheidungserheblich.
9 Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 8 Abs. 1 EStG i.V.m. § 2 Abs. 1 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV) sind Arbeitslohn alle durch das individuelle Arbeitsverhältnis veranlasste Einnahmen in Geld oder Geldeswert; dazu zählen auch Abfindungen für die Aufgabe einer Tätigkeit wie den Verlust des Arbeitsplatzes (§ 24 Nr. 1 Buchst. b EStG, § 2 Abs. 2 Nr. 4 LStDV). Soweit die Kläger die „vollständige Besteuerung” der Abfindung im Verhältnis zu anderen steuerfreien Entschädigungen (wegen der Beeinträchtigung von Rechtsgütern) als Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 GG) sehen, greift die Rüge nicht durch; ein Verstoß liegt nicht vor. Denn zum einen wurde die Abfindung zwar vollständig erfasst, aber ausweislich des angegriffenen Einkommensteuerbescheids nach § 34 EStG unter Milderung der bei außerordentlichen Einkünften auftretenden Progressionswirkung (nur) mit dem ermäßigten Steuersatz (hier: 21,8 %) besteuert; zum anderen ist —anders als bei (ansonsten) steuerfreien Entschädigungen— bei der streitigen Abfindung ein Veranlassungszusammenhang zu einer Einkunftsart (§ 19 EStG) gegeben, der eine andere steuerrechtliche Behandlung rechtfertigt. Ein strukturelles Erhebungsdefizit hinsichtlich der Leistung von Entschädigungen an Mitarbeiter (spez. an Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder) ist nicht hinreichend dargetan.
10 d) Hinsichtlich der Frage der angemessenen Besteuerung von Familien und der Beschränkung des Sonderausgabenabzugs für Vorsorgeaufwendungen (zur Kranken- und Pflegeversicherung) machen die Kläger letztlich eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch das FG geltend; damit kann jedoch die Zulassung der Revision nicht erreicht werden (vgl. BFH-Beschlüsse vom IX B 29/03, BFH/NV 2003, 1212; vom IX B 249/07, BFH/NV 2008, 1512). Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) ist mangels schlüssiger Ausführungen zur Entscheidungserheblichkeit in dieser Frage (zu Billigkeitserwägungen s. schon unter 2.a) schon nicht hinreichend dargelegt; es ist auch nicht Aufgabe des Gerichts, sich mit jedem einzelnen Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich zu befassen (z.B. , BFH/NV 2011, 2102). Im Übrigen haben die Kläger auch keine hinreichenden Gründe vorgebracht, die angesichts einer Belastung mit einem Steuersatz von ca. 22 % eine unangemessene oder übermäßige Besteuerung des Einkommens der Kläger erkennen lassen. Auch hat das FG nicht gegen die richterliche Hinweispflicht (§ 76 Abs. 2 FGO) verstoßen. Vielmehr muss ein rechtskundig vertretener Beteiligter gerade bei —wie hier— umstrittener Sach- und Rechtslage grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einrichten (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 2022).
11 e) Hinsichtlich der (in Erwägung gezogenen) Wohnsitzverlegung wird kein Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) schlüssig geltend gemacht. Ein solcher liegt nur vor, wenn das FG gegen Vorschriften des Gerichtsverfahrensrechts verstoßen hat. Dagegen sind Fehler, die dem FA im Besteuerungsverfahren unterlaufen, keine Verfahrensmängel i.S. des Revisionsrechts. Auf solche kann die Zulassung der Revision mithin nicht gestützt werden (vgl. BFH-Beschlüsse vom IX B 109/09, BFH/NV 2010, 917; vom X B 68/07, BFH/NV 2007, 2143, m.w.N.). Im Übrigen wird im Einkommensteuerrecht der tatsächlich verwirklichte Sachverhalt der Besteuerung unterworfen, nicht der gedachte, aber unterlassene Sachverhalt (vgl. § 38, § 41 AO; z.B. , BFHE 219, 86, BStBl II 2008, 265; , BFHE 233, 497, BStBl II 2011, 915).
12 3. a) Die im nach Ablauf der Begründungsfrist und damit verspätet eingereichten Schriftsatz vom enthaltenen Ausführungen einschließlich der Bezugnahme auf die —zum Teil wortgleiche— Begründung in dem Rechtsstreit VI B 39/11 sind, soweit sie nicht nur erläuternder, ergänzender oder vervollständigender Natur sind, unbeachtlich (vgl. BFH-Beschlüsse vom IX B 137/10, BFH/NV 2011, 1369, unter 3.; vom VI B 69/05, BFH/NV 2007, 83, unter 3., m.w.N.).
13 b) Den Antrag der Kläger auf Berichtigung von Unrichtigkeiten im Tatbestand (§ 108 Abs. 1 FGO) des FG-Urteils wie auch den Antrag auf Berichtigung/Ergänzung des Sitzungsprotokolls (§ 94 i.V.m. § 164 ZPO) hat das FG abgelehnt; die Beschlüsse sind unanfechtbar. Der erkennende Senat hat zudem die Beschwerde gegen die vom FG durchgeführte Urteils-Berichtigung nach § 107 Abs. 1 FGO (wegen Fehlens der Beteiligten-Anträge) mit Beschluss vom IX B 49/11 als unbegründet zurückgewiesen.
14 4. Im Übrigen ergeht der Beschluss nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ohne weitere Begründung.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2012 S. 700 Nr. 5
FAAAE-04749