Verletzung eines sonstigen Rechts bei Überfahren eines mit einer Dienstbarkeit für die Nutzung einer unterirdischen Ferngasleitung belasteten Grundstücks mit einem Bagger
Leitsatz
Wird ein Grundstück, das mit dem Recht belastet ist, dort eine unterirdische Ferngasleitung zu betreiben, mit einem Bagger überfahren, kann ein Schadenersatzanspruch wegen Verletzung eines sonstigen Rechts im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB in Betracht kommen.
Gesetze: § 823 Abs 1 BGB, § 1090 BGB
Instanzenzug: Az: I-6 U 56/10vorgehend Az: 2 O 101/09
Tatbestand
1Die Klägerin nimmt die Beklagte aus übergegangenem Recht des Energieversorgungsunternehmens E. AG auf Ersatz der für die Überprüfung einer Ferngasleitung entstandenen Kosten in Anspruch.
2Die Beklagte führte im Zuge der Baumaßnahme "Kanalstraße West" der Stadt H. Rodungsarbeiten auf verschiedenen Waldgrundstücken durch. Diese Grundstücke waren mit dem im Grundbuch von H. eingetragenen Recht der E. AG belastet, einen 8 m breiten Grundstückstreifen (Schutzstreifen) zum Verlegen und Betreiben einer unterirdischen Gasfernleitung zu nutzen. Zugleich war dem Eigentümer die Bebauung des Schutzstreifens untersagt. Am fuhr ein Mitarbeiter der Beklagten mit einem 20 t schweren Kettenbagger über den Schutzstreifen; dabei rutschte er von den zum Schutz der Gasleitung verlegten Baggermatten ab. Die E. AG ließ die Gasleitung freilegen und überprüfen. Es wurde eine innerhalb der Norm liegende Verformung ("Unrundheit") festgestellt, die keiner Reparatur bedurfte. Eine Unterbrechung der Gaszufuhr war nicht erforderlich.
3Die Klage blieb in beiden Vorinstanzen erfolglos. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Gründe
I.
4Nach Auffassung des Berufungsgerichts scheitert das Schadensersatzbegehren der Klägerin daran, dass kein deliktsrechtlich geschütztes Rechtsgut der Klägerin verletzt worden sei. Eine Haftung nach § 7 StVG scheide gemäß § 8 Nr. 1 StVG aus, weil der Bagger nicht schneller als 20 km/h fahren könne. Abgesehen davon fehle es an der Beschädigung einer Sache. Die Gasleitung selbst sei nicht beschädigt worden. Eine regelwidrige Substanzveränderung sei nicht festgestellt worden. Aus diesem Grund sei auch eine Eigentumsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB zu verneinen. Da die Gasleitung weiter habe betrieben werden können, sei ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Rechtsvorgängerin der Klägerin nicht ersichtlich. Die Beklagte habe auch das dinglich gesicherte Nutzungsrecht der E. AG nicht verletzt. Dieses Recht umfasse nur das Verlegen und Betreiben der Ferngasleitung und ein Bebauungsverbot. Ein Befahren des Grundstückstreifens sei nicht grundsätzlich untersagt. Das Leitungsrecht selbst sei nicht beeinträchtigt worden, weil die Leitung weiter habe betrieben werden können. Weitergehende Pflichten, eine Gefährdung der Leitung auszuschließen, seien von dem dinglichen Recht nicht umfasst. Die Klägerin mache Überprüfungskosten wegen vermuteter Beschädigung der Leitung geltend. Hierauf habe sie keinen Anspruch, wenn eine Beschädigung tatsächlich nicht eingetreten sei.
II.
5Diese Erwägungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin aus übergegangenem Recht der E. AG kann nicht mit der Begründung verneint werden, es fehle an der Verletzung eines absoluten Rechts.
61. Es kann dahinstehen, ob die bei der Überprüfung festgestellte Verformung der Gasleitung eine Verletzung des Eigentums der E. AG an der Gasleitung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB darstellt und ob sie auf die Arbeiten der Beklagten zurückzuführen ist. Ebenso kann offenbleiben, ob bereits der begründete Verdacht, die Gasleitung könne infolge des Befahrens des Schutzstreifens mit dem Bagger beschädigt worden sein, für die Annahme einer Eigentumsverletzung genügt (vgl. dazu , BGHZ 105, 346, 350; vom - VI ZR 58/76, VersR 1977, 965, 966; , TranspR 2002, 440 f. zur Sachbeschädigung i.S.d. § 429 HGB in der Fassung vom ; Staudinger/Hager, BGB, 13. Bearb. 1999, § 823 Rn. B 83; MünchKommBGB/Wagner, 5. Aufl., § 823 Rn. 113; Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 4. Aufl., § 10 Rn. 14).
72. Denn die Beklagte hat jedenfalls das der E. AG eingeräumte dingliche Recht, die betroffenen Grundstücke in einem 8 m breiten Schutzstreifen zum Verlegen und Betreiben einer Gasfernleitung zu nutzen, verletzt.
8a) Das Berufungsgericht hat im Ansatz zutreffend angenommen, dass beschränkte dingliche Rechte - wie das der der E. AG in Form einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit (§ 1090 Abs. 1 BGB) eingeräumte Nutzungsrecht - als "sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB zu qualifizieren und damit deliktsrechtlich geschützt sind (vgl. , VersR 1964, 1201, 1202; vom - VI ZR 231/99, VersR 2001, 648, 649 f.; , VersR 2007, 1281; MünchKomm/Wagner, aaO, Rn. 146; Staudinger/Hager, aaO, Rn. B 126 jeweils mwN).
9b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat die Beklagte widerrechtlich in die zugunsten der E. AG bestellte Dienstbarkeit eingegriffen.
10aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung beschränkter dinglicher Rechte einen "grundstücksbezogenen" Eingriff voraus, der sich dahin auswirkt, dass die Verwirklichung des jeweiligen Rechts am Grundstück als solches durch rechtliche oder tatsächliche Maßnahmen beeinträchtigt wird (vgl. , BGHZ 65, 211, 212; vom - VI ZR 231/99, aaO, S. 650). Ein solcher Eingriff ist beispielsweise darin gesehen worden, dass ein Grundstück infolge baulicher Maßnahmen verschlechtert oder Zubehör entgegen den Regeln einer ordnungsmäßigen Wirtschaft weggeschafft und hierdurch die Sicherheit auf dem Grundstück lastender Grundpfandrechte gefährdet wurde (, aaO und vom - VI ZR 99/90, VersR 1991, 232).
11bb) Auch im Streitfall ist ein "grundstücksbezogener" Eingriff zu bejahen. Die Beklagte hat die Ausübung der der E. AG eingeräumten Dienstbarkeit beeinträchtigt. Denn sie hat die zu duldende Benutzung des belasteten Grundstücks - das ungestörte Betreiben der unterirdischen Ferngasleitung - behindert (vgl. zur Beeinträchtigung einer Dienstbarkeit , NJW-RR 2006, 237, 239; Staudinger/Mayer, aaO, 14. Bearbeitung 2009, § 1027 Rn. 3 mwN). Dadurch dass ihr Mitarbeiter beim Befahren des Schutzstreifens mit einem 20 t schweren Bagger von den zum Schutz der Gasleitung verlegten Baggermatten abgerutscht war und den begründeten Verdacht geschaffen hatte, dass die unter der Erdoberfläche befindliche Gasleitung durch die nicht unerhebliche Krafteinwirkung auf den Erdboden beschädigt worden war, konnte die E. AG die Nutzung der Leitung nicht mehr ungehindert fortsetzen. Aufgrund der von einer beschädigten Ferngasleitung ausgehenden erheblichen Gefahren für die Allgemeinheit war die E. AG - sowohl aufgrund der sie als Betreiberin der Anlage treffenden allgemeinen Verkehrssicherungspflichten als auch gemäß § 49 Abs. 1 EnWG, wonach Energieanlagen so zu errichten und zu betreiben sind, dass die technische Sicherheit gewährleistet ist, - vielmehr verpflichtet, dem Schadensverdacht nachzugehen und zu überprüfen, ob die Gasleitung durch das Abrutschen des Baggers beschädigt worden war (so auch ). Dem steht - anders als das Berufungsgericht meint - nicht entgegen, dass die E. AG die Gaszufuhr nicht unterbrechen musste. Der Betrieb der Leitung war bereits dadurch beeinträchtigt, dass die E. AG die Nutzung nicht dauerhaft fortsetzen konnte ohne besondere Überprüfungsmaßnahmen zu ergreifen.
12cc) Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung wird die E. AG haftungsrechtlich auch nicht besser gestellt, als wenn sie Eigentümerin des mit der Dienstbarkeit belasteten Grundstücks bzw. des Schutzstreifens gewesen wäre. In diesem Fall hätte die Beklagte das Eigentum der E. AG verletzt, weil sie durch Einwirkung auf das Grundstück deren Eigentümerbefugnisse (§ 903 BGB) beeinträchtigt hätte. Denn das Eigentum an einem Grundstück umfasst auch das Recht, das Grundstück zum Betreiben einer Leitung zu nutzen. Die Ausübung dieses Rechts hat die Beklagte - wie unter bb) ausgeführt - durch Einwirkung auf die Substanz des Grundstücks behindert.
13c) Die Revision weist auch zu Recht darauf hin, dass der E. AG infolge der Verletzung der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit ein Schaden in Gestalt der für die Überprüfung der Leitung erforderlichen Kosten entstanden ist.
III.
14Die Sache war zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Der Senat kann nicht gemäß § 563 Abs. 3 ZPO in der Sache selbst entscheiden, da das Berufungsgericht - aus seiner Sicht folgerichtig - keine Feststellungen zu den weiteren Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches der Klägerin aus § 823 Abs. 1, § 831 BGB getroffen hat.
Galke Zoll Pauge
Stöhr von Pentz
Fundstelle(n):
NJW 2012 S. 6 Nr. 13
NJW-RR 2012 S. 1048 Nr. 17
WM 2012 S. 1788 Nr. 37
HAAAE-04021