BFH Beschluss v. - VIII B 95/11

Aussetzung der Vollziehung: im Veranlagungszeitraum 2009 zugeflossene Erstattungszinsen nach § 233a AO als Einnahmen aus Kapitalvermögen; verfassungsrechtliche Bedenken

Gesetze: EStG § 20 Abs. 1 Nr. 7, EStG § 52a Abs. 8, AO § 233a, FGO § 69, JStG 2010

Instanzenzug:

Gründe

1 Die gemäß § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) statthafte Beschwerde der Antragstellerin und Beschwerdeführerin ist begründet.

2 Sie führt zur Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Einkommensteuerbescheids in dem aus dem Tenor dieses Beschlusses ersichtlichen Umfang.

3 a) Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll die Vollziehung ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen. Dies ist der Fall, wenn und soweit bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund des unstreitigen Sachverhalts, der gerichtsbekannten Tatsachen und der präsenten Beweismittel erkennbar wird, dass aus gewichtigen Gründen Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen oder Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen besteht und sich bei abschließender Klärung dieser Fragen der Verwaltungsakt als rechtswidrig erweisen könnte (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom I B 44/04, BFHE 206, 284, BStBl II 2004, 882; vom VIII B 107/04, BFHE 212, 285, BStBl II 2006, 523, m.w.N.).

4 b) Nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung kann sich der Senat nicht der Auffassung des Finanzgerichts (FG) anschließen, das derartige ernstliche Zweifel verneint hat. Die Frage, ob im Veranlagungszeitraum 2009 zugeflossene Erstattungszinsen nach § 233a der Abgabenordnung als Einnahmen aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes 2010 (EStG) zu erfassen sind, ist in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten. Gegen die durch das Jahressteuergesetz (JStG) 2010 eingefügte Neufassung des Gesetzes, die gemäß § 52a Abs. 8 Satz 2 EStG in allen Fällen anzuwenden ist, in denen die Steuer —wie hier— noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist, werden in Rechtsprechung und Literatur sowohl einfachrechtliche als auch verfassungsrechtliche Bedenken, z.B. wegen eines Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot, erhoben (vgl. (E), Deutsche Steuer-Zeitung 2011, 775; , Betriebs-Berater 2011, 2966; ähnlich Zimmermann, Erfassung der Erstattungszinsen als Kapitaleinkünfte, Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2011, 651; Markl/Hölzl, Und (noch) kein Ende - die Steuerpflicht von Erstattungszinsen - Zweifel am Nichtanwendungsgesetz, Buchführung, Bilanz und Kostenrechnung 2011, 270; kritisch auch Musil, Die Ergänzung des Entstrickungstatbestands durch § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG - Herrscht nun endlich Klarheit?, Finanzrundschau —FR— 2011, 545). Demgegenüber wird die Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung und die Rechtmäßigkeit von deren Erstreckung auf noch „offene Altfälle” von Teilen der Rechtsprechung und des Schrifttums bejaht (so der in EFG 2011, 1687 veröffentlichte angefochtene Beschluss, außerdem , EFG 2011, 649; , juris; Mitschke, Keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung der Entstrickungsregelung des JStG 2010, FR 2011, 706; unklar Stöcker, Steuerpflicht von Erstattungszinsen - Abzug von Nachzahlungszinsen, Der AO-Steuerberater 2011, 80).

5 c) Der BFH hat über diese Fragen noch nicht entschieden. Die Senatsentscheidung vom VIII R 33/07 (BFHE 230, 109, BStBl II 2011, 503) trifft hierzu keine Aussage und die beim BFH anhängigen einschlägigen Verfahren VIII R 1/11 (Vorinstanz FG Münster in EFG 2011, 649) und VIII R 36/10 (Vorinstanz , EFG 2010, 723) sind noch offen.

6 Insgesamt gesehen bedürfen diese umstrittenen und höchstrichterlich noch nicht endgültig geklärten Fragen weiterer eingehender Prüfung. Ihre abschließende Beurteilung muss jedoch dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2012 S. 575 Nr. 4
KÖSDI 2012 S. 17874 Nr. 5
VAAAE-02927