Betäubungsmitteldelikte als Serienstraftaten: Verminderung des Schuldgehalts der Folgetaten
Gesetze: § 46 StGB, § 30a Abs 3 BtMG
Instanzenzug: LG Dessau-Roßlau Az: 2 KLs 636 Js 3627/10
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 12 Fällen, unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie Bestimmens einer Person unter 18 Jahren als Person über 21 Jahre zur Förderung des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 12 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und eine Verfallsanordnung getroffen. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel hat in dem tenorierten Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es offensichtlich unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die in den Fällen 11 bis 22 verhängten Einzelstrafen begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
3a) Nach den Feststellungen veranlasste der zu diesem Zeitpunkt noch 20 Jahre alte Angeklagte den zunächst 16 und später 17 Jahre alten Zeugen B. in 10 Fällen dazu, für ihn in Aluminiumfolie verpackte Amphetaminzubereitungen in die Innenstadt von Dessau zu verbringen und dort unbekannten Abnehmern zu übergeben. Dabei nahm der Angeklagte jeweils kurzfristig zu dem Zeugen B. Kontakt auf und gab ihm entsprechende Anweisungen. Für seine Dienste erhielt der Zeuge B. von dem gewerbsmäßig Betäubungsmittel verkaufenden Angeklagten jeweils einen Kurierlohn in Höhe von 20 Euro. Teilweise nahm der Zeuge B. bei der Rauschgiftübergabe auch das für den Angeklagten bestimmte Kaufgeld entgegen und leitete es an diesen weiter (Fälle 1 bis 10 der Urteilsgründe). Nachdem der Angeklagte das 21. Lebensjahr vollendet hatte, war der Zeuge B. noch in 12 weiteren Fällen in gleicher Weise für den Angeklagten tätig (Fälle 11 bis 22 der Urteilsgründe). Die Amphetaminzubereitungen waren von „mindestens mittlerer Qualität“. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe kann entnommen werden, dass das Landgericht davon ausgegangen ist, dass bei jeder Gelegenheit wenigstens 20 Gramm Amphetaminzubereitung mit einem Amphetaminbaseanteil von 8 bis 10 % umgesetzt wurden.
4Auf Grund dieser Feststellungen hat das Landgericht den Angeklagten in den Fällen 1 bis 10 der Urteilsgründe wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nach Erwachsenenstrafrecht zu Einzelfreiheitsstrafen von jeweils einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. In den Fällen 11 bis 22 der Urteilsgründe hat es ihn wegen Bestimmens einer Person unter 18 Jahren als Person über 21 Jahre zur Förderung des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln für schuldig befunden und für jede Tat eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und acht Monaten festgesetzt. Die Annahme eines minder schweren Falls nach § 30a Abs. 3 BtMG hat das Landgericht mit der Erwägung verneint, dass es sich um „normale“ Fälle der Übergabe von „jedenfalls nicht als geringgradig gefährlich zu bezeichnenden“ Betäubungsmitteln an einen Kurier gehandelt habe. Der Umstand, dass der Zeuge B. bereits 17 Jahre alt und aufgrund seiner Aktivität in der Betäubungsmittelszene grundsätzlich tatbereit gewesen sei, reiche für die Annahme eines minder schweren Falles nicht aus.
5b) Die Verneinung der Annahme eines minder schweren Falles nach § 30a Abs. 3 BtMG in den Fällen 11 bis 22 der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
6Die Entscheidung, ob ein minder schwerer Fall vorliegt, erfordert eine Gesamtbetrachtung, bei der alle Umstände heranzuziehen und zu würdigen sind, die für die Wertung der Tat und des Täters in Betracht kommen, gleichgültig, ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen. Dabei sind alle wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände gegeneinander abzuwägen. Erst nach dem Gesamteindruck kann entschieden werden, ob der außerordentliche Strafrahmen anzuwenden ist (, BGHSt 26, 97, 98; Beschluss vom – 2 StR 255/02, NStZ-RR 2002, 329). Die Ausführungen des Landgerichts zur Strafrahmenwahl lassen besorgen, dass das Gericht die erforderliche Gesamtwürdigung nicht in rechtsfehlerfreier Weise vorgenommen hat, weil ein wesentlicher die Tat prägender Gesichtspunkt erkennbar nicht berücksichtigt wurde (vgl. , StV 1994, 17).
7Das Landgericht hat ersichtlich nicht in seine Bewertung eingestellt, dass die in den Fällen 11 bis 22 rechtsfehlerfrei nach § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG abgeurteilten Taten Bestandteil einer Tatserie waren, die von dem Angeklagten bereits vor dem Erreichen des 21. Lebensjahres und damit zu einem Zeitpunkt begonnen wurde, als er selbst noch Heranwachsender war und noch nicht Täter dieses Delikts sein konnte. Werden Taten gleichförmig in Serie begangen, kann sich daraus eine Verminderung des Schuldgehalts der Folgetaten ergeben, wenn auf Grund des inneren Zusammenhangs auf eine herabgesetzte Hemmschwelle geschlossen werden kann (vgl. , BGHR StGB § 46 Abs. 2 Tatumstände 8; MünchKomm-StGB/Franke § 46 Rn. 36 m.w.N.).
8Der Senat kann angesichts der Höhe der betroffenen Einzelstrafen nicht ausschließen, dass deren Bemessung auf diesem Rechtsfehler beruht. Der Strafausspruch bedarf deshalb in den Fällen 11 bis 22 der Urteilsgründe neuer Verhandlung und Entscheidung. Dadurch verliert auch der Ausspruch über die Gesamtstrafe seine Grundlage.
Ernemann Roggenbuck Mutzbauer
Bender Quentin
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
AO-StB 2012 S. 284 Nr. 9
EAAAE-02253